news

Rodionov: "Hier bin ich alleinverantwortlich"

Jurij Rodionov über hyperaktive Kindheit, "Malle"-Traum und Vorbild Marat Safin.

Rodionov: Foto: © GEPA

Jurij Rodionov - schon seit einiger Zeit ist dieser Name heimischen Tennis-Fans ein Begriff. Seit diesem Wochenende ist der 19-jährige Jungspund aus der kleinen niederösterreichischen Ortschaft Matzen auch einer breiteren Öffentlichkeit bekannt.

Mit Siegen über den ehemaligen Top-10-Spieler Ernests Gulbis und den Italiener Lorenzo Sonego qualifizierte sich der Youngster beim Generali Open Kitzbühel erstmals für den Hauptbewerb eines ATP-Turniers.

Am Montag bekommt er es in der Gamsstadt in der ersten Runde im Österreicher-Duell mit Landsmann Dennis Novak zu tun (nicht vor 17 Uhr im LIVE-Ticker).

Damit bestätigte Rodionov seinen steilen Aufwärtstrend der letzten Wochen. Mitte Juni holte er in Almaty den ersten Challenger-Titel seiner Karriere. Vor zwei Wochen verlor er in Astana erst im Halbfinale. Durch den Erfolg in Kitzbühel geht sich nächste Woche vielleicht sogar schon der erstmalige Sprung in die Top 250 - das ursprünglich gesteckte Jahresziel - aus.

"Ich glaube, dass bei mir jetzt einfach der Knoten geplatzt ist", strahlt Rodionov im LAOLA1-Interview, in dem der Sohn weißrussischer Zuwanderer auch über seinen ungewöhnlichen Lebensweg, die Faszination am Tennis-Sport, den aktuellen Konkurrenzkampf der heimischen Asse und seinen "Malle"-Traum spricht.

LAOLA1: Du hast dich in Kitzbühel erstmals für den Hauptbewerb eines ATP-Turniers qualifiziert. Wie fühlt sich das an?

Rodionov: Im Moment kann ich das gar nicht realisieren. Die Fans sind ein Wahnsinn und ich bin überglücklich, zum ersten Mal in meiner Karriere in einem Hauptfeld zu stehen. Ich bin sehr zufrieden mit den letzten Wochen. Ich hätte nicht erwartet, dass ich so gut spielen werde.

LAOLA1: Worauf führst du das zurück?

Rodionov: Das ist eine gute Frage. Ich glaube, dass bei mir jetzt einfach der Knoten geplatzt ist. Bis jetzt haben mir immer ein paar Prozent gefehlt. Durch das gesteigerte Selbstvertrauen habe ich jetzt zu meinem eigenen Spiel gefunden und angefangen, besser und vor allem konstanter zu spielen. Ich habe jetzt nicht mehr solche Einbrüche, dass es ein paar Games lang überhaupt nicht läuft.



LAOLA1: Wie schaut deine aktuelle Betreuung aus?

Rodionov: Ich trainiere bei meinem Trainingsstützpunkt in Deutsch-Wagram mit Andreas Berenz und Richard Waite. Mein Konditionstrainer ist Florian Pernhaupt.

LAOLA1: Gibt es mit dem ÖTV eine Zusammenarbeit?

Rodionov: Eigentlich nicht. Ich trainiere manchmal in der Südstadt, wenn ich einen Hartplatz oder einen Sparring-Partner brauche. Sonst habe ich mit dem ÖTV nicht viel zu tun. Das war aber schon immer so, ich habe immer privat trainiert.

LAOLA1: Woran lag das?

Rodionov: Das größte Problem war die Distanz. Von meinem Heimatort fahre ich manchmal bis zu eineinhalb Stunden in die Südstadt. Deshalb haben meine Eltern versucht, den kürzesten Weg zu finden. Fünf Jahre lang hab ich in Wien trainiert. Nach den French Open 2017 habe ich mit Berenz begonnen. Mit Waite trainiere ich seit Jänner 2018. Und mit Pernhaupt seit März. Es läuft sehr gut und ich bin sehr zufrieden.

Ich sehe mich als Puzzle, alle Teile müssen stimmen. Und derzeit habe ich das Gefühl, dass wirklich alles gut zusammenpasst.

Rodionov über sein Trainer-Team

LAOLA1: In welchen Bereichen hast du dich zuletzt besonders verbessert?

Rodionov: Momentan mache ich die größten Fortschritte wahrscheinlich im konditionellen Bereich. Ich bin sehr zufrieden mit Florian - von seiner Arbeit profitiere ich derzeit am meisten. Ich merke, wie ich mich weiter entwickle und fühle mich mittlerweile echt fit. Ich sehe mich aber als Puzzle, alle Teile müssen stimmen. Und derzeit habe ich das Gefühl, dass wirklich alles gut zusammenpasst. Jeder macht seine Arbeit und ich bin sehr zufrieden damit. Auch selbst bin ich mit meiner Arbeit sehr zufrieden.

LAOLA1: Obwohl du noch sehr jung bist, bist du schon sehr viel in der Welt herumgekommen. Du bist als Weißrusse in Nürnberg geboren und im Jahr 2015 Österreicher geworden. Erzähle doch mal kurz über deinen bisherigen Lebenslauf.

Rodionov: Meine Eltern kommen aus Weißrussland, mein Bruder Egor ist dort noch geboren worden. Ich bin in Nürnberg geboren. Dann sind wir im Jahr 2001 – da war ich zwei Jahre alt – nach Spanien gezogen. Im Winter 2007 sind wir schließlich in Matzen in Niederösterreich gelandet, weil mein Vater in Österreich einen Job angenommen hat. Ich selbst habe mich aber immer schon als Österreicher gefühlt, weil ich hier aufgewachsen und zur Schule gegangen bin. Zuerst habe ich parallel mit Tennis noch Fußball gespielt, ehe ich mich mit elf Jahren für Tennis entschieden habe, weil es mir einfach mehr Spaß gemacht hat.

LAOLA1: Hatte der Tennissport bei dir einen familiären Hintergrund?

Rodionov: Nein, ich war als Kind hyperaktiv, bin immer in der Wohnung herumgelaufen und war sehr ungeduldig. Meine Eltern wollten mich in irgendeinen Verein stecken, damit ich Ruhe gebe. Fußball war die erste Antwort und dann wollte ich auch noch Tennis spielen. Ich habe mit dreieinhalb Jahren angefangen. Das hat mir dann soviel Spaß gemacht, dass es vom Hobby zum Beruf geworden ist.

LAOLA1: Was fasziniert dich am Tennissport?

Rodionov: Mir gefällt, dass ich hier alleinverantwortlich bin, ob ich Erfolg habe oder nicht. Hinter mir ist keine Mannschaft, von der ich abhängig bin – von meinem Trainerteam abgesehen. Wenn ich gut spiele, dann verliere ich nicht. Beim Fußball kann ich drei Jahre verletzt sein und ich bekomme immer noch mein Gehalt. Der Tennisspieler verdient nur, wenn er gut spielt. Ich muss im Tennis selbst auf mich schauen. Es gibt keinen, der mir den Rücken freihält und mich finanziell unterstützt. Ich muss mich selbst finanzieren.

LAOLA1: Das ist aber natürlich auch eine extreme Drucksituation. Stört dich das nicht?

Rodionov: Nein, mit Druck kann ich sehr gut umgehen. Das ist eine meiner großen Stärken.

Als ich angefangen habe, Tennis zu spielen, hat mir Marat Safin sehr gut gefallen – wie er sich verhalten hat. Er hatte ein sehr unterhaltsames Spiel.

Rodinov über Vorbild Marat Safin

LAOLA1: Hast du spezielle Vorbilder?

Rodionov: Roger Federer ist natürlich die Nummer 1 – das wird aber fast jeder sagen. Als ich angefangen habe, Tennis zu spielen, hat mir Marat Safin sehr gut gefallen – wie er sich auf dem Platz verhalten hat. Er hatte ein sehr unterhaltsames Spiel. Ansonsten mag ich auch noch Feliciano Lopez, der eine sehr angriffslustige Spielweise verfolgt. Es gibt aber viele Spieler, die ich mag und bei denen ich Aspekte in ihrem Spiel entdecke, die ich auch selbst für mein Spiel gebrauchen kann. So gefällt mir auch David Ferrer, der immer ackert und fightet, ganz egal wie es steht und wie es ihm geht.

LAOLA1: Wie würdest du dich selbst als Spielertyp beschreiben?

Rodionov: Das ist schwierig zu beantworten. Ich bin definitiv ein sehr aggressiver Spieler und fühle mich auf Hardcourt am wohlsten. Ich spiele sehr gerne am Netz und mag es, Stops einzustreuen und etwas unangenehm zu spielen. Ich mixe meine Schläge im Spiel, damit der Gegner nicht weiß, was kommen wird. Mal schnell, mal langsam, mal mit Winkel. Und ich versuche, schnell zu spielen.

LAOLA1: Ist das nicht unpraktisch, wenn du in Deutsch-Wagram nur auf Sand spielen kannst, obwohl dein Lieblingsbelag Hartplatz ist?

Rodionov: Mein Spiel passt einfach besser zu Hartplatz. Auf Sand ist es nicht so leicht, ans Netz zu kommen. Ich bin groß (Anm.: 1,91 Meter) und habe einen sehr guten Aufschlag. Ich weiß, was ich vorne machen muss, spiele gute Volleys. Deshalb fühle ich mich auf Hartplatz am wohlsten. Wobei ich nicht sagen würde, dass ich mich auf Sand unwohl fühlen würde.

LAOLA1: Inwiefern hilft es, einen Weltklassespieler wie Dominic Thiem im eigenen Land zu haben?

Rodionov: Es ist eine gute Sache, dass Dominic ganz vorne mitspielt. Er ist natürlich aktuell sicher einer meiner Lieblingsspieler auf der Tour. Ich habe einmal mit Dominic und Günter Bresnik trainieren dürfen – das war eines der Highlights in meiner Zeit als Jugendspieler. Derzeit gibt es viele österreichische Tennis-Spieler, die gut drauf sind. Wir haben einen Novak, Miedler, Ofner, Neuchrist, die Melzers – das sind sieben, acht Spieler, die alle in den Top 300 stehen. Österreich ist im Tennis derzeit richtig gut drauf. Ich bin froh, ein Teil davon und noch dazu der Jüngste dieser Gruppe zu sein. Ich will mich weiter verbessern und ganz oben mitspielen.

LAOLA1: Pusht man sich da gegenseitig?

Rodionov: Definitiv. Da herrscht ein gewisser Konkurrenzkampf, der mich persönlich auf jeden Fall pusht. Ich will der bessere Österreicher sein – Thiem einmal ausgenommen. Wir verstehen uns alle sehr gut, aber ich will natürlich besser sein, als der Miedler oder der Neuchrist. Das pusht mich noch einige Prozente und ich denke, dass wir da alle davon profitieren.

Foto: © GEPA

LAOLA1: Gibt es jemanden, mit dem du engeren Kontakt hast?

Rodionov: Mit Ofner war ich in den letzten paar Wochen in Weißrussland unterwegs. Mit Miedler und Neuchrist habe ich zuletzt auch ziemlich viel zu tun gehabt. Ich verstehe mich mit allen sehr gut. Mit Ofner habe ich in Astana fast jeden Trag trainiert. Höchstwahrscheinlich war ich ein Mitgrund dafür, dass er das Turnier gewonnen hat, weil er sich täglich mit mir einspielen durfte (grinst). Es sind alles nette Kerle und sehr sympathisch. Ich bin froh, dass wir da so eine gute Truppe haben.

LAOLA1: Als Tennis-Profi gehört auch eine große Portion Selbstdisziplin dazu. Wie gehst du damit um?

Rodionov: Das ist kein Problem für mich. Ich wollte immer schon Tennis-Profi werden. Es ist mein Traum, vor tausenden Zuschauern zu spielen und mich von ihnen bejubeln zu lassen. Außerhalb vom Platz bin ich ein ganz normaler Typ, gehe gerne ins Kino oder mit Freunden etwas essen und trinken. Auf dem Platz versuche ich einfach mein Bestes zu geben.

LAOLA1: Wo siehst du dich in zehn Jahren?

Rodionov: Hoffentlich mit ein paar Millionen auf dem Bankkonto in Malle (lacht). Wenn ich noch top drauf bin, will ich auf jeden Fall noch auf der Tour dabei sein. Mein Ziel ist auf jeden Fall, es in meiner Karriere in die Top 20 zu schaffen. Ich mag es aber eigentlich nicht, mir so Ziele für ein, drei oder fünf Jahre zu stecken. Ich lebe im Hier und Jetzt, habe zwar Monats- und Jahres-Ziele, bin aber kein großer Fan davon.

LAOLA1: Wobei du schon einen gewissen finanziellen Druck hast, so schnell wie möglich weiter nach vorne zu kommen.

Rodionov: Klar, aber mein Ziel für 2018 hab ich schon erfüllt. Ich wollte ein Challenger-Turnier gewinnen und in die Top 250 kommen. Die Saison ist viel besser gelaufen, als ich mir gedacht habe.

Kommentare