news

Die ÖFB-Faktoren für eine Sternstunde in "Polen"

All-in-Mentalität beim ÖFB? Stört der Hexenkessel? Wie Lewandowski verteidigen?

Die ÖFB-Faktoren für eine Sternstunde in Foto: © GEPA

Es sind die besonderen Siege in Schnittpartien, die im Falle einer erfolgreichen Qualifikation für ein Turnier in Erinnerung bleiben.

So oft hat sich Österreich im vergangenen Vierteljahrhundert bekanntlich nicht aus eigener Kraft für eine Endrunde qualifiziert, zwei Mal um genau zu sein.

Umso größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass Sternstunden wie der Hammer von Andreas Herzog gegen Schweden am Weg zur WM 1998 oder die beiden Auswärtssiege in Russland (1:0 durch einen Falrückzieher von Marc Janko) und Schweden (4:1) am Weg zur EURO 2016 vielen rot-weiß-roten Fußball-Fans ein Begriff sind.

Das ÖFB-Team will mit aller Macht zur EURO 2020, dafür wird es in diesem Länderspiel-Herbst vergleichbare Sternstunden brauchen - am besten bereits im Gruppen-Gipfel in Polen (20:45 Uhr im LIVE-Ticker), wo man im Falle eines Sieges die Tabellenführung erobern kann.

Damit dies in Warschau gelingt, gilt es folgende Faktoren im Auge zu behalten:

<<<Ergebnisse der Österreich-Gruppe G>>>

<<<Tabelle der Gruppe G>>>

<<<Alles rund um das ÖFB-Nationalteam>>>

FAKTOR AUSGANGSPOSITION:

Je weiter fortgeschritten eine Qualifikation ist, desto mehr beginnt das Rechnen - speziell natürlich in einer solch engen Gruppe. Dass Österreich in Warschau aber überhaupt die Tabellenführung erobern könnte, erschien vor einem knappen halben Jahr noch kaum denkbar.

"Wer hätte nach den ersten zwei Spielen gedacht, dass es beim sechsten Spiel diese Ausgangsposition geben wird? Ich glaube niemand", meint Teamchef Franco Foda und verweist mit Nachdruck darauf, dass erst nach zehn Quali-Partien abgerechnet wird.

"Bei uns in Österreich ist es immer so, dass nach Siegen alles hochgejubelt wird. Nach den ersten beiden Spielen habe ich gedacht, die Welt geht unter."

Franco Foda

Mit drei Siegen in Serie hat Österreich jedoch die Startniederlagen gegen Polen und in Israel weitestgehend kompensiert. "Ich weiß ja, wie das ist: Bei uns in Österreich ist es immer so, dass nach Siegen alles hochgejubelt wird. Nach den ersten beiden Spielen habe ich gedacht, die Welt geht unter", versucht der ÖFB-Coach in guten wie in schlechten Zeiten einen nüchternen Blick auf die Fakten zu bewahren.

Nüchtern betrachtet ist Polen-Österreich spätestens nach der Niederlage des Gastgebers in Slowenien ein Schlüsselspiel für beide Teams. Aus ÖFB-Sicht: Verliert man, wäre der Gruppensieg bei sechs Punkten Rückstand vor den finalen vier Partien schwierig zu realisieren. Ein Sieg wäre dafür ein großer Schritt in Richtung EM, da sich die beiden Verfolger Slowenien und Israel im direkten Duell zwangsläufig Punkte wegnehmen. Bei einem Remis wäre weiter alles drinnen.

"Wir wissen um die Konstellation, dass wir nach dem Spiel Erster sein könnten. Das ist unser Antrieb, unser Ziel. Wir wollen auf jeden Fall etwas mitnehmen", betont Michael Gregoritsch.

FAKTOR RISIKOABWÄGUNG:

"Etwas mitnehmen" hieße beispielsweise auch einen Punkt. Die Ausgangsposition ist insofern ein nicht zu unterschätzender Faktor für dieses Spiel, weil sie wohl das Risiko-Management beider Teams beeinflusst.

Wiederum aus ÖFB-Sicht kann man nicht von einem Pflichtsieg sprechen, so wertvoll drei Punkte auch wären. Auch ein Zähler wäre vertretbar, um gute Quali-Chancen am Leben zu halten. Eine Niederlage wäre jedoch ein Rückschlag.

"Wir wollen unser Spiel machen und etwas holen, aber nicht mit einer All-in-Mentalität. Ich denke, das wäre ein Blödsinn."

Julian Baumgartlinger

"Jeder Punkt kann wichtig sein", betont Julian Baumgartlinger, "insofern glaube ich nicht, dass man mit letztem Risiko agieren muss. Wir wollen unser Spiel machen und etwas holen, aber nicht mit einer All-in-Mentalität. Ich denke, das wäre ein Blödsinn."

Es gibt diverse Beispiele, wann die Risikoabwägung im Nationalteam in jüngerer Vergangenheit nicht ideal funktioniert hat. Sei es im EM-Eröffnungsspiel gegen Ungarn (0:2), in der folgenden WM-Quali in Serbien (2:3) oder vergangenen Herbst zum Nations-League-Auftakt in Bosnien-Herzegowina (0:1) - in allen drei Bewerben wäre man weniger mit dem Rücken zur Wand gestanden, hätte man im jeweiligen Spiel früher erkannt, dass es ein Punkt auch tut.

Im Oktober-Lehrgang warten die Duelle mit Israel und Slowenien, in diesen brisanten Matches kann man dann im Kampf um die Plätze eins und zwei noch mehr gewinnen oder verlieren als in Polen.

FAKTOR PERSONAL:

Jetzt, da Red-Bull-Salzburg-Goalie Cican Stankovic den Zuschlag im Tor bekommen hat, kann man die Startelf-Gegenwart des Nationalteams im Prinzip wiefolgt zusammenfassen: Vier Haudegen plus aktuelle oder ehemalige "Bullen".

Mit den vier Haudegen sind Marko Arnautovic, Aleksandar Dragovic, David Alaba und Baumgartlinger gemeint. Baumgartlinger feiert in Warschau als Letzter dieses Quartetts das Jubiläum des 70. Länderspiels, passenderweise auf den Tag zehn Jahre nach seinem A-Team-Debüt.

"Eine Zeit lang wurde ja kritisiert, dass es nicht attraktiv ist. Wir haben in dieser Phase immer gesagt, dass es Gründe hat, warum es ein bisschen eckig ist."

Peter Schöttel

Sofern Foda nicht doch noch eine überraschende Aufstellungs-Variante auspackt, werden wohl die "Red-Bull-Brothers" jenen Stamm ergänzen, der sich seit dem Juni-Lehrgang gefunden hat und der zuletzt gut funktionierte.

"Gegen Lettland hat man gesehen, wie spielfreudig diese Mannschaft sein kann, wie gerne sie miteinander spielen - und auch dass es attraktiv ist. Eine Zeit lang wurde ja kritisiert, dass es das nicht ist. Wir haben in dieser Phase immer gesagt, dass es Gründe hat, warum es ein bisschen eckig ist - seien es Verletzungen oder andere Themen", verweist Sportdirektor Peter Schöttel darauf, dass diese Gruppe auf dem Platz gut miteinander harmoniert.

Dass Polen nicht Lettland ist, ist jedem im ÖFB-Lager bewusst. Foda beschreibt seine Mannschaft als "gefestigt", stellt jedoch klar: "Polen wird ein ganz anderer Gegner. Uns ist bewusst, dass wir uns auch in der Leistung nach wie vor steigern müssen."

FAKTOR TAKTIK:

Foda strich im Vorfeld hervor, dass für die Aufstellung die "Idee des Trainers, wie man das Spiel am ehesten gewinnen" könne, der am meisten entscheidende Faktor sei. Insofern darf man gespannt sein, wie es der Deutsche personell wie taktisch anlegen wird.

"Bei Polen hat sich vom System und den Spielprinzipien im Vergleich zum Spiel in Wien nichts verändert. Sie spielen klar in einem 4-4-2 oder 4-2-3-1."

Franco Foda

Besonders oft strich der Teamchef das flexibel agierende offensive Quartett mit Arnautovic, Alaba, Valentino Lazaro und Marcel Sabitzer hervor. Das Österreich eigene Akzente setzt und den Ball im Idealfall möglichst weit weg von den gefährlichen Offensivkräften hält, ist fraglos ebenso ein Schlüssel wie die Bereitschaft aller Spieler, bei Ballverlust defensiv zu denken. Ein Kriterum, das Foda im Vorfeld nicht müde wurde zu betonen.

Im Hinspiel in Wien setzte Foda defensiv noch auf eine Dreierkette. Möglich, dass er es diesmal bei einer Viererkette belässt: "Im ersten Spiel haben wir in einem 3-4-3 agiert, in den letzten Spielen eher in einem 4-3-3, 4-2-3-1 oder 4-4-2 - es war immer eine Mischung, je nachdem ob wir in Ballbesitz waren oder im Spiel gegen den Ball. Da waren wir sehr variabel. Bei Polen hat sich vom System und den Spielprinzipien im Vergleich zum Spiel in Wien nichts verändert. Sie spielen klar in einem 4-4-2 oder 4-2-3-1. Darauf sind wir eingestellt."

FAKTOR HEXENKESSEL:

Als Gegenargumente wird man vermutlich die Siege in Nordirland und Nordmazedonien hören, aber so richtig ausgeprägt ist das Grundvertrauen darin, dass das ÖFB-Team auswärts gegen gute Gegner gute Ergebnisse produzieren kann, noch nicht.

Dafür ist seit der auswärts makellosen Qualifikation für die EURO 2016 in der Fremde zu viel schief gegangen - teilweise auch in Schnittpartien. Stichwort Serbien, Stichwort Wales oder auch Stichwort Israel. Polen ist eine günstige Gelegenheit, dieses Vorurteil weiter abzubauen.

"Alle Spieler kennen eine solche Atmosphäre aus England, der deutschen Bundesliga oder Tino jetzt aus Italien. Insofern gibt es da keine Probleme. Man freut sich ja, wenn in einem Stadion eine gute Stimmung herrscht."

Franco Foda

Und das in vermutlich ziemlich feindseliger Atmosphäre. Das Stadion Narodowy, was übrigens für Nationalstadion steht, wird mit 58.000 Zuschauern ausverkauft sein. Dass polnische Fans durchaus lautstark-begeisterungsfähig sein können, ist bekannt.

"Das ist kein Thema, denn alle Spieler kennen eine solche Atmosphäre aus England, der deutschen Bundesliga oder Tino jetzt aus Italien. Insofern gibt es da keine Probleme. Man freut sich ja, wenn in einem Stadion eine gute Stimmung herrscht. Das schürt Emotionen, das beflügelt einen eher", glaubt Foda.

Auch Baumgartlinger betont, dass es nicht das erste Mal sei, dass die ÖFB-Kicker in solch einem Hexenkessel spielen: "Wie immer werden wir versuchen, das Drumherum auszublenden und unser Spiel auf den Platz zu bringen."

Ein Spiel, das laut Empfinden des Kapitäns relativ unabhängig davon ist, ob die Partie in Österreich oder sonstwo stattfindet: "Eigentlich ist auswärts oder daheim für uns gerade relativ egal. So fühlt es sich zumindest für mich an, weil es einfach unsere Mentalität und Identität ist, sich nie zu verstecken und abzuwarten."

FAKTOR EFFIZIENZ:

Zehn Tore hat Österreich in den vergangenen beiden Länderspielen erzielt - freilich nicht gegen Gegner gehobener europäischer Klasse. Aber zumindest konnte man das leidige Thema Effizienz, das die ÖFB-Elf durch die letzten Monate und Jahre begleitete, ein wenig in den Hintergrund drängen.

"In so einem Spitzenspiel entscheiden letztlich Kleinigkeiten."

Franco Foda

Oder doch nicht? Sowohl nach dem Sieg in Nordmazedonien als auch nach jenem gegen Lettland war oftmals von ÖFB-Spielern zu hören, dass man eigentlich noch viel mehr Tore hätte erzielen müssen.

In Polen wird man es sich nicht erlauben können, allzu viele Chancen liegen zu lassen. Foda: "In so einem Spitzenspiel entscheiden letztlich Kleinigkeiten. Das war schon in Wien so, als eine Standardsituation für Polen entschieden hat."

FAKTOR GEGNER:

Speziell gegen einen Kontrahenten wie Polen wird Effizienz notwendig sein, schließlich ist dies mitunter eine Stärke der Osteuropäer.

"Die Polen brauchen nur wenige Möglichkeiten, um ihre Spiele zu gewinnen"

Peter Schöttel

"Es ist uns allen bekannt, welche Offensivpower bei Polen auf dem Feld steht. Das ist einfach eine Mannschaft, die vorne im Angriff Weltklasse zur Verfügung hat. Das bedeutet auch, dass sie nur wenige Möglichkeiten brauchen, um ihre Spiele zu gewinnen", verdeutlicht Schöttel.

Generell darf man gespannt sein, wie sich Polen nach der Niederlage in Slowenien präsentiert. Für Druck hat dieser Umfaller definitiv gesorgt. Nachdem man sich nach vier Siegen in den ersten vier Spielen bereits auf dem Weg zur EURO fühlen konnte, würde eine weitere Niederlage zweifelsohne für weitere Nervosität sorgen.

Teamchef Jerzy Brzeczek mahnt jedenfalls zur (medialen) Ruhe: "Es ist sehr wichtig, dass wir cool bleiben. Wir haben zwölf Punkte und sind Tabellenführer."

"Die Polen werden sich so schnell wie möglich rehabilitieren wollen", vermutet Baumgartlinger, "wir brauchen auf jeden Fall eine Top-Leistung. Wir wissen alle über die Stärken der Polen Bescheid. Sie haben in den letzten Jahren konstant an Großereignissen teilgenommen."

FAKTOR POLENS OFFENSIVE:

Über Polens Sturm-Duo Robert Lewandowski und Krzysztof Piatek muss man nicht viele Worte verlieren. Aber eine Erinnerung, welches Kaliber vor allem mit Lewandowski wartet, schadet nicht.

"Wir wissen, wie wir gegen Lewandowski spielen wollen. 90 Minuten so einen Spieler alleine zu verteidigen, ist immer schwer. Deswegen wollen wir es im Kollektiv machen."

Julian Baumgartlinger

"Wenn er gerade nicht der beste Stürmer der Welt ist, dann ist er mindestens in den Top 3", lobt Baumgartlinger, "die Gefahr und die Effizienz, die er schon über Jahre beweist, egal ob im Verein oder in der Nationalmannschaft, ist schon herausragend."

Sein Bayern-Kollege David Alaba hat angekündigt, noch den einen oder anderen Hinweis zu geben, wie man gegen Lewandowski spielen könnte. Letztlich wird es ohnehin ein Gemeinschaftsprojekt.

Baumgartlinger: "Wir wissen, wie wir gegen ihn spielen wollen. 90 Minuten so einen Spieler alleine zu verteidigen, ist immer schwer. Deswegen wollen wir es im Kollektiv machen."

FAKTOR SELBSTVERTRAUEN:

Der Begriff "Selbstvertrauen" war einer der am öftesten verwendeten nach dem Sieg gegen Lettland. Man kann von den Balten halten, was man will, aber auch ein Kantersieg gegen ein schlechtes Fußball-Team ist gut für die Seele.

"Für uns ist es schön, dass wir vor der entscheidenden Phase wieder alles in der eigenen Hand haben - und das in einer Phase, in der es uns gut geht."

Peter Schöttel

"Für uns ist es schön, dass wir vor der entscheidenden Phase wieder alles in der eigenen Hand haben - und das in einer Phase, in der es uns gut geht, in der wir Selbstvertrauen getankt haben, in der die Mannschaft funktioniert", unterstreicht Schöttel.

Diesen Vortel gilt es zu nützen, wie es Foda auf den Punkt bringt: "Letztendlich geht es einfach darum, dass wir den Schwung aus den letzten Spielen mitnehmen, auch in Polen selbstewusst auftreten und unser Spiel durchziehen."

Kommentare