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Warum der größte Fußball-Klub Europas aus Stockholm kommt

Rund 4000 Aktive kicken beim IF Brommapojkarna. Ein Verein, der selten erstklassig kickt, aber viele Teamspieler ausgebildet hat. Wie passt das zusammen?

Warum der größte Fußball-Klub Europas aus Stockholm kommt

In der Serie "Das Tor zur Welt" nehmen wir internationale Fußball-Klubs und ihre Geschichten genau unter die Lupe. Wir beleuchten die Hintergründe, die in der schnellen, täglichen Berichterstattung gerne untergehen.

Von Premier-League-Aufsteiger Luton Town über den FC Basel bis hin zum Fan-Verein CS Lebowski haben wir schon einige Klubs portraitiert. Hier kannst du alle nachlesen >>>

Diesmal nehmen wir mit dem IF Brommapojkarna unter die Lupe. Diese Reise nach Schweden führt uns zum größten Fußball-Verein Europas.


Auf Wikipedia steht folgendes geschrieben: "IF Brommapojkarna ist ein schwedischer Sportverein im Stockholmer Stadtteil Bromma. Der Verein ist mit insgesamt 260 Mannschaften, die im regulären Spielbetrieb spielen, und etwa 4000 aktiven Spielern der größte Fußballverein in Europa."

IF Brommapojkarna? Nie gehört?

Es ist anzunehmen, dass es in Österreich wohl den allermeisten Fußball-Fans so gehen wird. Also lohnt sich ein Blick auf einige Fakten:

Erst 2007 stieg dieser – zumindest in Sachen aktiven Spielern - größte Fußballverein Europas erstmals in die Allsvenskan auf und seither vier Mal wieder ab.

2023 ist man wieder Teil des schwedischen Oberhauses, und das nach einem klassischen Durchmarsch. 2021 kickte man noch in der dritten Liga.

Gleichzeitig hat dieser größte Fußballverein Europas gleich sieben Spieler des aktuellen Nationalteam-Kaders von Schweden ausgebildet.

Wie bitteschön passt all das zusammen?

Die Jungs aus Bromma

Ganz gut, wenn man einen näheren Blick auf das Konzept des Idrottsföreningen Brommapojkarna – kurz "BP" - wirft.

Ein Konzept, das sich voll und ganz dem Dasein als eine der führenden Talentefabriken Europas verschreibt. Ein Konzept, das laut Kritikern jedoch auch jede Menge Schatten wirft.

Österreichs Nationalteam trifft am Dienstag (20:45 Uhr im LIVE-Ticker) jedenfalls auf einige "Jungs aus Bromma" – genau das ist es, was Brommapojkarna übersetzt bedeutet.

Als der Verein 1942 ins Leben gerufen wurde, konnten die Gründerväter kaum erahnen, dass der Name rund 80 Jahre später nicht mehr vollinhaltlich den Zeitgeist treffen würde – und auch gar nicht die gegenwärtige DNA eines Klubs, der sich damit rühmt, dass ungefähr ein Viertel aller Teams Mädchen-Mannschaften sind.

Trotzdem sind es die "Bromma-Boys", denen die meisten Schlagzeilen gehören.

Aushängeschild Kulusevski

Allen voran Dejan Kulusevski, der im Sommer endgültig von Juventus Turin zu Tottenham gewechselt ist. Der 23-Jährige ist das derzeitige Aushängeschild unter den früheren BP-Talenten.

Aus dem aktuellen Nationalmannschaftskader wurden zudem Kristoffer Nordfeldt, Carl Starfelt, Ludwig Augustinsson, Jesper Karlström, Albin Ekdal und Viktor Gyökeres in Bromma ausgebildet.

Letzterer stürmt seit dieser Saison für Sporting Lissabon, wird sich also im Herbst in der Europa League mit dem SK Sturm Graz messen.

Beim Juni-Gastspiel im Happel-Stadion (0:2) war auch noch Burnley-Legionär Hjalmar Ekdal im Kader. Auch er kickte wie sein vor allem in Italien weitgereister Bruder Albin (Juventus, Siena, Bologna, Cagliari, HSV, Sampdoria und nun Spezia Calcio) in jungen Jahren in Bromma.

Albin übersiedelte 2008 mit 19 zu Juve, nachdem er bereits für die BP-Profis in der Allsvenskan gespielt hat.

Auch Salzburg hat zugeschlagen

Transfers vom Verein aus Stockholm zu absoluten Topklubs, meist schon im Junioren-Alter, waren damals keine Seltenheit und stehen heute an der Tagesordnung.

Mit dem 18-jährigen Innenverteidiger Fredrik Nissen verkaufte man erst Ende August ein Talent an den AC Milan, das in dieser Saison erste Allsvenskan-Luft schnupperte.

Immer wieder werden Mitglieder der Talentefabrik bereits am U19-Level oder noch früher von Vereinen aus ganz Europa abgeworben.

Ein Name könnte auch hierzulande aufgefallen sein. Der FC Red Bull Salzburg verpflichtete im Sommer den 17-jährigen Innenverteidiger John Mellberg und parkte ihn vorerst beim FC Liefering.

Mellberg? Genau, es handelt sich um den Sohn des 117-fachen schwedischen Teamspielers Olof Mellberg, und der ist wiederum aktueller Trainer der Profis des IF Brommapojkarna.

Die Legende und zwei Bundesliga-Gesichter

Und dort trainiert er diverse hauseigene Talente, die man nicht für andere Klubs im In- aus Ausland ausgebildet hat, oder? Nicht wirklich.

Nur eine Handvoll an Mitgliedern des derzeitigen Profi-Kaders wurde von der eigenen Akademie ausgebildet.

Allen voran Kapitän Gustav Sandberg Magnusson, der 2009 in der höchsten Liga debütierte und dem Klub sein ganzes Fußballer-Leben lang quer durch alle Ligen die Treue hielt. Mit 337 Pflichtspielen ist der 31-Jährige mittlerweile der Rekordspieler der Profis, im Nachwuchs kommen noch mal unzählige hinzu.

Als er diesen Rekord 2022 brach, hieß es von Seiten des Vereins pathetisch: "Gemeinsam haben wir Aufstiege gefeiert und nach Abstiegen unsere Tränen getrocknet. Gustav ist immer geblieben."

Den Aufstieg in der Vorsaison durfte er übrigens mit einem in Österreich nicht ganz unbekannten schwedischen Stürmer feiern – Philip Hellqvist, der einst für Wiener Neustadt und den WAC auf Torejagd ging.

Und auch mit Alex Timossi Andersson kann man sich in Bromma neuerdings über die Bundesliga unterhalten. Der frühere Klagenfurt-Flügelstürmer wurde am Deadline-Day verpflichtet.

Enormer logistischer Aufwand

Aber der Profi-Betrieb ist es nun mal nicht, der diesen Verein so interessant macht. Im Schnitt finden auch nur gut 2000 Zuschauer ihren Weg ins heimische Stadion namens Grimsta IP – ganz anders als bei den wesentlich besser besuchten Lokalrivalen aus Stockholm AIK (Schnitt: 25.700), Hammarby (23.400) und Djurgardens (19.900).

Der Fokus liegt auf dem Nachwuchs, wo man zwischen der Akademie und den zahlreichen breitensportlastigen Teams unterscheiden muss, die oftmals von Eltern trainiert und betreut werden. Insgesamt kümmern sich rund 700 Trainer um die rund 4000 Aktiven in den diversen Altersklassen.

Der logistische Aufwand ist enorm. So kickte etwa auch der heutige Pressesprecher früher in der Jugend. Als er 14 Jahre alt war, kam er sonntags erst um 23 Uhr vom Training nach Hause.

Bei so vielen Mannschaften müssen einige an die Randzeiten ausweichen. Insgesamt trainiert die Jugend an 15 Orten, es würde viel mehr brauchen.

Sorgen wie diese müssen sich die Top-Talente des Vereins eher weniger machen. Und dass es überhaupt so viele Top-Talente nach Bromma zieht, wird mitunter sehr skeptisch gesehen.

Beschwerden der Konkurrenz

Kritiker verweisen darauf, dass die zahlreichen ausgebildeten Nationalspieler nur die eine Seite der Medaille darstellen würden.

Auf der andere stünde die Frage, ob dies der Fall sei, weil man tatsächlich so gut ausbildet oder weil man einfach Jahr für Jahr die besten Talente der Region abschöpfen und beim Abwerben mitunter auch nicht zimperlich vorgehen würde.

Die "Aftonbladet" hat sich vor einigen Jahren in einer Recherche sehr kritisch mit dem Nachwuchs-Modell von Brommapojkarna auseinander gesetzt.

Die Grundaussage: Natürlich ist es eine gute Sache, wenn so viele Kinder die Chance haben, Fußball zu spielen. Andere Klubs aus der Region würden sich jedoch beschweren, dass Brommapojkarna sie aus dem Geschäft drängt.

Gleichzeitig sei es wert, sich die Frage zu stellen, warum Brommapojkarna so viele Teams hat, wenn andere Klubs den Kindern ebenfalls die Möglichkeit geben könnten zu spielen? Man könne allerdings im ganzen schwedischen Fußball beobachten, dass es den Kindern – und ihren Eltern – immer wichtiger wird, für einen berühmten Klub zu spielen. Eine gute Sache?

Die finanziellen Ressourcen der Eltern

BPs Vision sei es jedenfalls, dass "die Besten mit den Besten" spielen: Beginnend mit acht Jahren versucht Brommapojkarna, die besten Kinder zu finden und sie im selben Team zu vereinen. Dieses Team wird mit den besten Ressourcen ausgestattet – in Form von ausgebildeten Trainern, hochkarätigen Gegnern und Turnier-Teilnahmen in ganz Europa. Das sei mit hohen Kosten für die Eltern verbunden.

Damit sind nicht nur Mitgliedsbeiträge gemeint. Die Verlockung für Eltern, die der Überzeugung sind, den neuen Zlatan gezeugt zu haben, in diesem in jeder Altersstufe Pyramiden-artigen Modell mit dem Investment finanzieller Ressourcen nachzuhelfen, dürfte nicht zu gering sein.

Und wenn es nur darum geht, dem Team des eigenen Kindes bessere Trainingsmöglichkeiten samt Coach zu spendieren.

"Wir gestalten den schwedischen Jugendsport."

Die Zeitung begann ihre Artikel-Serie über den Verein mit dem Dialog zweier Väter, die ihren jeweils siebenjährigen Söhnen beim Kicken auf den Plätzen von BP zusehen.

Einer der Söhne schlägt sich besser, woraufhin sein Vater vom anderen gefragt wird: "Was arbeitest du, verdienst du gut? Weil dieses Kind wird dich verdammt viel Geld kosten."

Eine Wohnung für einen Elfjährigen

Wobei auch Brommapojkarna zumindest in der Vergangenheit durchaus zu Investments bereit schien, wenn man an das Potenzial eines Talents geglaubt hat.

So berichtet Joel Asoro im "Lundhs Podcast", wie er im Alter von elf Jahren – damals beim IFK Hanige aktiv - ein "Bromma-Junge" wurde.

"Vielleicht sollte man nicht zu viel darüber reden", lacht er erst und erzählt dann doch, dass BP von der Schule bis zur Wohnung binnen zehn Minuten alles für ihn organisiert hätte.

Eine Wohnung für einen Elfjährigen, um ihn für seinen Fußball-Klub zu gewinnen? Man muss nicht alles mögen am Fußball-Business.

Falsch lagen die Scouts jedenfalls nicht. Der heute 24-Jährige feierte zu Beginn des Jahres sein Länderspiel-Debüt für Schweden.

Inzwischen kickt der Offensivspieler in der Ligue 1 beim FC Metz. Bromma verließ er bereits im Alter von 16 in Richtung Sunderland, ehe er seine Europa-Reise bei Swansea, Groningen, Genua und zu Hause in Stockholm bei Djurgarden fortsetzte.

Es ist nicht das Ziel, die Allsvenskan zu gewinnen

Beispiele von "Bromma-Boys" wie Asoro gibt es im Profi-Fußball genügend.

Dass die eigene Profi-Abteilung nur die zweite Geige spielt, mutet aus dem herkömmlichen Blickwinkel ein wenig seltsam an, aber ist nun mal die Idee von Europas größtem Fußball-Verein.

Der Klub hat sein Motto auch auf der Tribüne des Stadions Grimsta IP verewigt: "Wir gestalten den schwedischen Jugendsport".

Das Ziel ist nun mal nicht, die Allsvenskan im Erwachsenen-Fußball zu gewinnen, sondern Nachwuchs-Turniere. Es geht darum, die Spieler auszubilden und sie zu anderen Klubs zu schicken.


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