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Hapoel Be'er Sheva und seine "Königin der Wüste"

Ultra-Fan-Gesänge für die Eigentümerin? Nur bei Austria-Gegner Hapoel Be'er Sheva:

Hapoel Be'er Sheva und seine

In der Serie "Das Tor zur Welt" nehmen wir internationale Fußball-Klubs und ihre Geschichten genau unter die Lupe. Wir beleuchten die Hintergründe, die in der schnellen, täglichen Berichterstattung gerne untergehen.

Den Anfang hat die Story über Nottingham Forest gemacht, der nach 23 Jahren wieder in die Premier League zurückgekehrt. Hier lesen>>> Dann ging es um den AC Monza, der zum ersten Mal in der Serie A spielen wird. Das ist mit der Hilfe von Silvio Berlusconi gelungen. Hier lesen>>>

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Heute beschäftigen wir uns mit Hapoel Be'er Sheva, einem israelischen Klub, der, im Gegensatz zu seinen nationalen Konkurrenten Maccabi Tel Aviv und Maccabi Haifa, einen langen Leidensweg ging. Zum wiederholten Mal ist man international vertreten und trifft in der Conference League ausgerechnet auf die Wiener Austria.


"Be’er Sheva ist im Süden des Landes, liegt eigentlich mitten in der Wüste. Die Stadt ist nicht so entwickelt wie die Hafenstädte Tel Aviv oder Haifa, zudem liegt sie in der Nähe des Gaza-Streifens."

Israel, seit 1994 das einzige UEFA-Mitgliedsland auf der arabischen Halbinsel, ist nicht nur Heimat der Klagemauer, des Judentums und des Toten Meers.

Auch Fußball spielt im "Heiligen Land" nach wie vor eine große Rolle, wurde doch der älteste Klub des Landes, Maccabi Tel Aviv, bereits 1906 gegründet.

Nach der Auflösung des Osmanischen Reichs, als Konsequenz des verlorenen 1. Weltkriegs an der Seite der Mittelmächte Deutschland und Österreich-Ungarn, fällt Israel als "Völkerbundsmandat" an das Britische Empire. Die Streitkräfte, die bis 1948 in Israel stationiert bleiben sollten, treiben die Entwicklung des Fußballsports noch zusätzlich voran.

Mit der Staatsgründung 1948 wurde der neue Mitgliedsverband in die FIFA aufgenommen. Seit 1970 wartet man auf die zweite Teilnahme an einer WM-Endrunde - Zumindest die heimische Liga ist in den letzten Jahren aber spannender denn je.

Denn, neben den großen Playern des heimischen Fußballs, Maccabi Haifa und Maccabi Tel Aviv, hat sich im Laufe des letzten Jahrzehnts noch eine dritte Kraft in der israelischen Fußballwelt etabliert. Hapoel Be'er Sheva.

Be'er Sheva: Fußball-Peripherie par excellence

Fernab von den Touristenpfaden, versteckt im Landesinneren, liegt die 209.000-Einwohner-Stadt Be'er Sheva. Von den großen Metropolen Israels ist man einige Autostunden entfernt. Die Stadt, in etwa so groß wie Linz, liegt im wirtschaftlich peripheren Süden des Landes. 

Fußball in Be'er Sheva? Eigentlich Nebensache. Die Nähe zum Brennpunkt internationaler Geschehnisse, dem Gaza-Streifen, macht die Stadt immer wieder zum Ziel von Raketenangriffen. Kinder und Pensionisten sind geübt im Aufsuchen von bombensicheren Schutzbunkern. Die achtgrößte Stadt Israels liegt noch dazu mitten in der Wüste, technologisch hinkt man besonders den Küstenstädten in der Levante hinterher.

In dieser unwirtlichen Gegend gründet der israelischer Fußballer Zalman Casspi 1949 Hapoel Be'er Sheva. Seine Vision: Der Klub soll junge Fußball-Talente aus dem Süden in einem starken Verein bündeln.

1952, nur drei Jahre nach der Gründung, ist die Existenz Hapoels bereits bedroht, da der Israelische Fußballverband der Meinung ist, dass die große geographische Distanz zu den anderen Vereinen eine Teilnahme am Ligabetrieb unmöglich macht. Der komplette Ausschluss aus dem nationalen Fußball blieb zwar ein Intermezzo (54/55 durfte man wieder antreten), warf den noch in den Kinderschuhen steckenden Verein aber um Jahre zurück.

Die wilden 70er: Zweifacher Meister, aber abstiegsbedroht

1974 kam Amazia Levkovich, ein 37-jähriger, noch recht unerfahrener Coach, nach Be'er Sheva. Als Erster führte er den Stil des "angreifenden Verteidigers" in Israel ein und setzte vor allem auf junge Spieler - nur vier Spieler des Kaders der Saison 1974/75 waren älter als 25. Völlig überraschend holte man sich am Ende der Spielzeit den ersten Meistertitel der Vereinsgeschichte und wiederholte das Kunststück sogar in der Folgesaison.

Stabilität brachten die zwei Titel aber nicht in die Wüstenmetropole. 1976/77 schrammte der Klub nur knapp an trauriger Berühmtheit vorbei. Fast wäre man zum ersten amtierenden Meister geworden, der direkt nach dem Gewinn der Meisterschaft in die zweite Leistungsklasse abstieg.

Auch in den folgenden Jahrzehnten sollte der Erfolg nicht in den Süden Israels zurückkehren. Im Gegenteil: Hapoel bekam in den frühen 2000ern schwere finanzielle Probleme und stand kurz vor dem Bankrott. 2004/05 musste man den schmerzhaften Gang in die Zweitklassigkeit antreten, nachdem der Großteil der Mannschaft den Verein verließ.

2007 wird zum Schicksalsjahr für Hapoel Be'er Sheva, das damals immer noch in der zweitklassigen Liga Le'umit spielt. Geschäftsfrau Alona Barkat, die in den 90er Jahren im Silicon Valley zusammen mit ihrem Ehemann, Eli Barkat, ein Vermögen erwirtschaftet hat, entschließt sich zum Kauf des Vereins und wird damit die erste Frau Israels, die einen Fußball-Klub besitzt.

Wenige Jahre später ist klar: Die Stadt im wirtschaftlich peripheren Süden erhebt sich, zumindest in sportlicher Hinsicht, aus dem Schatten des finanzstärkeren Nordens.

Alona Barkat: "Die Königin der Wüste"


"Man nennt sie die 'Königin des Südens' oder auch die 'Königin der Wüste'. In Be’er Sheva liebt man diese Frau. Sie ist nicht nur eine Legende dieses Klubs, sie ist eine Legende dieser Stadt. Wenn man an Hapoel Be’er Sheva denkt, denkt man nicht an berühmte Manager oder Trainer, die dort gewesen sind. Man denkt zuerst immer an sie. Sie ist das Herz und die Seele dieses Klubs. Wenn sie geht, wird Hapoel Schwierigkeiten bekommen."

Raphael Gellar

Mit Barkats Ankunft in Be'er Sheva werden die Dinge anders angepackt. Das Management der heute 53-Jährigen legt in den ersten Jahren besonderen Wert auf Schritte, die den Klub langfristig stärken sollen.

Das Aufbauen einer konkurrenzfähigen Jugendabteilung, Bildungsprogramme für die Nachwuchsspieler - man sucht die Verbindung zur lokalen Community. Zentren für Kinder, die mit Behinderungen zu kämpfen haben oder aus sozial schwächeren Famillien kommen, werden nicht nur unterstützt, sondern bekommen auch Sporttraining, das vom Personal des Klubs geleitet wird.

Dabei hatte man Barkat in Be'er Sheva anfangs eigentlich verschmäht. Beleidigungen der Fans und Hasstiraden in den Medien hätten fast einen Rücktritt zur Folge gehabt. 2010 versuchten Fans sogar den damaligen Coach, Guy Azouri, zu attackieren. Aufgrund einer dramatischen Verbesserung der Fansituation, entschied sich Barkat jedoch zu bleiben. 

National dominant, international fulminant

Die Anhängerschaft sollte es nicht bereuen. In der Saison 2015/16 gewann Be'er Sheva die israelische Meisterschaft zum dritten Mal. Es war der erste Titel nach exakt 40 Jahren Durststrecke. Die folgenden Jahre sollten die besten der Vereinsgeschichte werden.

Hapoel gewann die Ligat ha'Al dreimal in Serie, wobei man zweimal (16/17, 17/18) sogar das Double holte. Nach internationalen Erfolgen in der Europa-League-Gruppenphase über Inter Mailand, das man zuhause 3:2 und im Giuseppe-Meazza Stadion mit 2:0 schlagen konnte, bekam Barkat von der deutschen Presse den Beinamen "Angela Merkel des Fußballs". 

Mittlerweile hat sich Hapoel Be'er Sheva zum israelischen Vorzeigeklub entwickelt. Das traditionell angespannte Verhältnis zwischen Juden und Muslimen im Land spielt beim Klub aus der 209.000-Einwohner-Stadt keine Rolle. Die Mehrheit der Spieler ist jüdischen Ursprungs, mittlerweile gibt es aber einen Mix aus verschiedenen Religionen und Ethnizitäten. Von Unruhen im Klub oder bei Fans, wie etwa bei Beitar Jerusalem, keine Spur.

Barkat: "Herz und Seele des Klubs"

Im exklusiven LAOLA1-Gespräch mit dem ehemaligen israelischen Sportjournalisten und heutigen Fußball-Berater Raphael Gellar, wird das Ausmaß der Rolle Barkats in der Geschichte des fünffachen israelischen Meisters erst ersichtlich. 

"Man nennt sie die 'Königin des Südens' oder auch die 'Königin der Wüste'. Sie ist gar nicht in Be’er Sheva geboren, aber wollte unbedingt dorthin und die Stadt weiterentwickeln. Eigentlich lebt sie in Tel Aviv", verrät Gellar. "Die Geschichte von Hapoel Be’er Sheva ist auch ein wenig die Geschichte dieser Frau. In einer männlich dominierten Gesellschaft wie Israel, wo natürlich das Militär eine große Rolle spielt, hat es diese Frau geschafft, so erfolgreich zu sein."

"Sie hat ihnen ein neues Stadion gegeben, die erste Meisterschaft seit 40 Jahren. Die Ultras haben eigene Fangesänge, die nur ihr gewidmet sind. Das ist schon einzigartig im männlich dominierten Fußball-Geschäft", weiß der ehemalige Sportjournalist.

Barkat passt in Isreals Fußball-Welt nicht ganz ins Bild und genau das schätzen ihre zahlreichen Fans, in- und außerhalb von Be'er Sheva, an ihr am meisten. "Alle anderen Besitzer von Klubs in Israel sind Männer und viele davon Ausländer. Taffe Business-Männer und sie ist diese zierliche, kleine Frau, aber jeder respektiert sie. Auf ihre Meinung wird in Israel sehr viel Wert gelegt. Nicht nur zu Hapoel, sondern auch zur Nationalmannschaft beispielsweise", berichtet Gellar.

"Das Beste an ihr ist, dass sie nicht nur Geld investiert, sondern auch so viel Herz und Zeit in diese abgeschiedene Großstadt im Süden steckt. Sie hat ihr neues Leben eingehaucht", erzählt der ehemalige Sportjournalist.

Rivalität und Fans: "Kein klassiches Derby"


"Hapoel Be’er Sheva war in den vergangenen acht Jahren immer im Titelrennen um die israelische Meisterschaft. In den letzten Jahren wurde es wieder schwerer für sie, weil Maccabi Haifa wieder eine sehr gute Mannschaft hat. Maccabi Tel Aviv ist sowieso immer gut dabei, prinzipiell ist es ein Dreikampf um den Titel."

Raphael Gellar

Einen Stadtrivalen, mit dem man zwei- bis viermal in einer Spielzeit auf die Blutwiese schreitet, gibt es in Be'er Sheva nicht. Der zweitgrößte Klub der Stadt dümpelt im Amateurfußball herum, auch in unmittelbarer geographischer Nähe drängt sich, aufgrund der abgeschiedenen Lage, kein Erzrivale auf.

Aufgrund der engen Titelrennen soll jedoch, vor allem in den letzten Jahren, eine Rivalität mit Maccabi Tel Aviv begonnen haben. "Aber nur, weil man sich zu dieser Zeit immer um die Meisterschaft gestritten hat. Ein Derby, wie in Wien, gibt es nicht", so Gellar.

Was der Stimmung in Israels Stadien jedoch keinen Abbruch tut. Maccabi Tel Aviv und Maccabi Haifa verkaufen pro Saison konstant zwischen 20.000 und 22.000 Dauer-Karten, Hapoel Be'er Sheva und Hapoel Tel Aviv können mit ungefähr 10.000 Dauerkarten-Besitzern ebenfalls gute Stimmung garantieren. "In den Jahren der großen Erfolge waren mehr Fans im Stadion, jetzt sind es etwas weniger. Wahrscheinlich, weil der letzte Meister-Titel auch schon wieder vier Jahre her ist."

Zu den Auswärts-Spielen in der Liga pilgern regelmäßig mehrere Tausend Be'er-Sheva-Fans. Der Klub hat auch in anderen großen Städten wie Jersualem, Tel Aviv oder Haifa viele Anhänger.

International reicht man sich am östlichen Mittelmeer gegenseitig die Hand. Das Land ist durch seine besondere Geschichte und den langen Kampf um Unabhängigkeit und Akzeptanz in der internationalen Gemeinschaft zusammengewachsen. Fans von Hapoel Be'er Sheva wissen, dass sie Unterstützung aus Haifa und Tel Aviv brauchen, um leichter in internationale Gruppenphasen einziehen zu können. Gegenseitiger Hass zwischen den Klubs - eine eher rare Erscheinung.

Altstars und Hoffnungsträger: Das Be'er-Sheva-Konzept

Beide Stamm-Stürmer 35 Jahre alt? Gibt es so wohl nur in Be'er Sheva. Itay Shechter ist wahrscheinlich nur hartgesottenen Fußball-Fans aus seiner Zeit beim 1. FC Kaiserslautern, dem FC Nantes oder Swansea City noch ein Begriff. Tomer Hemed, in Israel so etwas wie ein Nationalheld, stieß diesen Sommer neu zum Team. Der 38-fache Nationalspieler spielte lange für Brighton and Hove Albion, schoss die "Seagulls" einst in die Premier League.

Auf dem rechten Flügel ist Königstransfer Shapi Suleymanov zu Hause. Der 22-jährige Russe ist vom FK Krasnodar ausgeliehen. Marktwert 3,5 Millionen. "So ein Spieler landet normalerwiese nicht in Israel. Er ist viel zu gut für diese Liga", so Raphael Gellar.

Im defensiven Mittelfeld zieht Ilay Madmon die Fäden. Der 19-Jährige ist Kapitän der israelischen U19-Nationalmannschaft. Bei der EM in der Slowakei führte er die Israelis bis ins Finale, wo man erst in der Verlängerung des Endspiels an England scheiterte.

Die Abwehr zusammen hält bei Be'er Sheva Kapitän Miguel Vitor. 44 Spiele für Benfica Lissabon, 116 für PAOK und mittlerweile 176 für Hapoel. Ausreichend Erfahrung hat der eingebürgerte Portugiese in jedem Fall. Dazu ist Vitor noch torgefährlich: "Er ist unglaublich bei Freistößen und Eckbällen. Man kann sich darauf verlassen, dass er fünf Tore pro Saison nach Standards erzielt", warnt Gellar die Austria.

"Hapoel leichter Favorit gegen die Austria"

In den letzten Jahren wurde es wieder ruhiger um Hapoel Be'er Sheva. Die "goldene Zeit" in den Jahren 2014 bis 2018 ist schon wieder im Abklingen. National ist neben Dauerkonkurrent Maccabi Tel Aviv auch Maccabi Haifa wieder erstarkt, das sich in der abgelaufenen Saison zum Meister krönte.

"Prinzipiell ist es jede Saison ein Dreikampf um den Titel", bestätigt diese Observation Raphael Gellar. "Durch das Widererstarken von Maccabi Haifa würden wahrscheinlich viele sagen, dass Be’er Sheva zurzeit nur das drittbeste israelische Team ist. Aber ich traue ihnen den Titel jedes Jahr zu, sie geben viel Geld aus, haben eine Menge Qualität im Kader."

Ein Vorteil für die Wiener Austria: Die Terminierung der Ligat ha'Al. Meisterschaftsbeginn ist der 20. August, die heimische Bundesliga stand bereits einen Monat früher in den Startlöchern. Im Gegensatz zu den Wienern kämpfte sich Be'er Sheva aber bereits durch die Conference-League-Qualifikation. Dort nahm man Dinamo Minsk, den FC Lugano und Universitatea Craiova aus dem Bewerb.

"Ich würde sagen, dass Be’er Sheva der leichte Favorit ist, einfach weil sie in den letzten Jahren deutlich mehr Erfahrung auf dem internationalen Parkett gesammelt haben", schätzt Gellar die Größenverhältnisse ein.

Klar ist zumindest eines: Hapoel Be'er Sheva spielt auch diese Saison wieder um die israelische Meisterschaft mit. Wenn international ähnliches gelingt, wie vor sechs Jahren gegen Inter Mailand, muss sich nicht nur die Austria, sondern auch Gruppenkopf Villarreal warm anziehen.

 

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