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Nottingham Forest: 23 Jahre Sehnsucht

Erlösung für ganze Generation. Beim Traditionsklub träumen die Macher größer als die Fans.

Nottingham Forest: 23 Jahre Sehnsucht Foto: © getty

Sieben Liga-Spiele – ein Remis und sechs Niederlagen. Ein mickriger Punkt. Tristesse pur. Konkrete Abstiegsangst.

Und doch ist das hier eine Wohlfühl-Story.

Auch wenn Mitte September 2021 noch wirklich niemand ahnen konnte, welch wundersame Wende die Saison von Nottingham Forest nach kapitalem Fehlstart nehmen würde.

Wobei: Kummer waren die treuen Fans des prestigereichen Traditionsklubs aus den Jahrzehnten davor genügend gewohnt. 1999 musste man den bitteren Gang in die Zweitklassigkeit antreten, zwischenzeitlich ging es sogar hinunter in die dritte Leistungsstufe.

23 Jahre lang mussten Verein, Stadt und vor allem die Anhänger auf Premier-League-Fußball verzichten. Eine ganze Generation an Supportern hat keine Ahnung, wie sich Oberhaus-Fußball anfühlt.

Das ändert sich am Samstag mit dem Gastspiel bei Newcastle United (16 Uhr im LIVE-Ticker). Am Wochenende darauf gastiert West Ham zum ersten Heimspiel im City Ground, dem Stadion am Südufer des Flusses Trent.

Die Fans können es nicht erwarten

„Die Vorfreude ist auf einem immensen Level“, berichtet Lee Clarke von „Nottingham Forest News“ im Gespräch mit LAOLA1.

Aufstiegs-Party! Die Erlösung im Wembley
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„23 Jahre lang außerhalb der Premier League zu sein, hat unter den Anhängern eine gewisse Existenzangst entstehen lassen. Sie mussten erleben, wie es einige gute Trainer nicht geschafft haben, den höchstklassigen Fußball zurück in den City Ground zu bringen.“

In den vergangenen Tagen und Wochen habe sich die Aufregung vor der offiziellen Rückkehr Stück für Stück aufgebaut. Kurzum: „Die Fans können es nicht erwarten, dass die Saison endlich losgeht“, so Clarke.

Im Schnitt 27.176 Fans begleiteten Forest 2021/22 in der 30.445 Zuschauer Platz bietenden Heimstätte am Weg zurück in die Premier League.

Steve Cooper kapiert Nottingham Forest

Dass es nach dem Horror-Start ein geradezu märchenhaftes Happy End geben würde, wird vor allem einem Mann zugeschrieben: Steve Cooper.

Seine Bilanz, nachdem er vergangenen September einen trostlosen Haufen an Spielern ohne Selbstvertrauen übernommen hat: 45 Spiele - 27 Siege, 11 Unentschieden, 7 Niederlagen.

Neben dem Aufstieg via Relegation (Halbfinale gegen Sheffield United, Finale im Wembley gegen Huddersfield) führte der 42-jährige Coach sein Team quasi nebenbei noch mit Siegen gegen unter anderem Arsenal und Leicester ins Viertelfinale des FA-Cups, in dem man sich dem späteren Titelträger FC Liverpool erst spät mit 0:1 geschlagen geben musste.

Steve Cooper: Das Idol der Fans
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„Ganz ehrlich, er kapiert ganz einfach diesen Klub“, erläutert Clarke das auf den ersten Blick simple Erfolgsgeheimnis, warum Steve Cooper und Nottingham Forest ein derartiges „Perfect Match“ sind.

„Er versteht die Fans und worum sich alles drehen sollte, wenn man bei Forest angestellt ist“, meint der Forest-Insider weiter, „er hat einen soliden Spielstil eingeführt, und unter seiner Anleitung steht es penibel im Vordergrund, Punkte zu erzielen.“

Schon an seinem ersten Arbeitstag arbeitete Cooper öffentlich heraus, welche Verantwortung es sei, einen derart ruhmreichen Klub zu trainieren.

Gottvater Brian Clough

Erfolge aus der Vergangenheit können im Fußball Fluch und Segen zugleich sein. Auch eine große Historie kann attraktiv machen, erzeugt in Zeiten der Not aber womöglich noch mehr Druck, Ungeduld und Sehnsucht. Forest ist im Weltfußball nicht der einzige große Name, der (zu) lange im Unterhaus gefangen war.

Vorzuweisen hat der Klub natürlich vor allem seine beiden Siege im Meistercup, dem Vorläufer der Champions League, 1979 (gegen Malmö) und 1980 (gegen den Hamburger SV). Basis dieser europäischen Titelverteidigung war der englische Meistertitel 1978.

Detail am Rande: Den Final-Erfolg gegen Malmö im Olympiastadion in München hat mit Erich Linemayr ein österreichischer Schiedsrichter gepfiffen - in der Gegenwart auch eher undenkbar.

Patron dieser Triumphe ist Brian Clough, der gemeinsam mit seinem langjährigen Assistenten Peter Taylor 1972 schon Nottinghams Rivalen Derby County sensationell zum Meistertitel geführt hatte.

Brian Clough: Der Patron des vergangenen Erfolgs
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18 Jahre lang von 1975 bis 1993 war Clough der Chef bei Forest. Ein Grund für seinen Abschied war, dass gegen Ende hin ein gewisses Alkoholproblem nicht mehr kontrollierbar war.

Der Hauptgrund war aber wohl der Abschied des Vereins aus der Premier League, die 1992/93 auch erstmals unter diesem Namen ausgetragen wurde.

Zeit für neue Helden

Clough verabschiedete sich beim letzten Heimspiel tränenreich. Sicher auch wegen des Abstiegs, aber vielleicht noch mehr aus Rührung wegen der Liebe und Dankbarkeit, die ihm die Fans entgegenbrachten.

Muss sich ein Abstiegs-Trainer andernorts womöglich fürchten, forderten die auf den Platz gestürmten Anhänger mit lauten Sprechchören immer wieder, dass Clough auf den Rasen zurückkehren soll.

Dies mag fußball-romantische Folklore aus einer längst vergangenen Zeit sein, besser lässt sich der Stellenwert einer Ikone trotzdem kaum beschreiben.

„Clough steht symbolisch für Nottingham Forest, aber auf Glanz und Gloria der Vergangenheit kann man keinen Erfolg aufbauen“, sagt Clarke zur Gottvater-Rolle der Trainer-Legende und meint weiter:

„Fans eines gewissen Alters haben inzwischen ihre eigenen Helden und für viele von ihnen schwingt mehr mit, was Cooper in der vergangenen Saison geleistet hat als alles, was Clough geleistet hat – so dumm sich das vielleicht anhören mag.“

Oder anders ausgedrückt: Um ein neues Erfolgs-Kapitel zu schreiben, ist es längst an der Zeit, die glorreiche Vergangenheit ein wenig in den Hintergrund zu rücken.

Als Damir Canadi im Gespräch war

Wobei man nicht unterschlagen sollte, dass Nottingham in den 90ern auch unmittelbar nach der Ära Clough zwischenzeitlich eine gute Figur machte.

1995 schloss man mit Größen wie Stuart Pearce und Stan Collymore die Premier-League-Saison als Aufsteiger auf dem dritten Platz ab. Ein Erfolg, der sich jedoch nicht konservieren ließ und 1999 kurz vor der Jahrtausendwende in einem Abstieg mündete, der sich nicht mehr korrigieren ließ.

Mit Interimslösungen ist Cooper der 36. Chefcoach seit Clough. Zu Beginn des Jahres 2019 war mit Damir Canadi sogar ein Österreicher im Gespräch.

Hintergrund war, dass der griechische Forest-Owner Evangelos Marinakis, der zeitgleich Olympiakos vorsteht, den Wiener von seiner Arbeit bei Atromitos Athen schätzte.

Marinakis ist generell ein wichtiges Mosaiksteinchen des Aufschwungs. „Er ist sehr populär, und unterm Strich hat er das Versprechen, das er bei der Übernahme des Klubs abgegeben hat, gehalten. Jetzt könnte der Klub unter seiner Führung noch viel mehr erreichen“, glaubt Clarke.

Eine Transfer-Offensive um 94,75 Millionen Euro

Denn eines ist gewiss: Der Transfer-Sommer ist zwar noch nicht beendet und gerüchteweise noch der eine oder andere Wechsel in der Pipeline, aber zumindest in Sachen investierte Ablösen spielt Forest jetzt schon bei den Großen mit.

94,75 Millionen Euro hat der Aufsteiger bislang ausgegeben, das bedeutet den sechsten Zwischenrang im Ranking der Big Spender hinter Arsenal, Chelsea, Manchester City, Leeds und Tottenham, die allesamt die 100-Millionen-Marke geknackt haben.

Brennan Johnson: Ein Local Hero als Jungstar
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Der wahrscheinlich bekannteste Neuzugang kam mit Jesse Lingard indes ablösefrei von Manchester United.

Nach nur sporadischer Einsatzzeit unter ÖFB-Teamchef Ralf Rangnick in der Vorsaison möchte der 32-fache englische Nationalspieler zeigen, dass er ein Team anführen kann.

Neuer Rekord-Neuzugang in der Klub-Historie ist Stürmer Taiwo Awoniyi, der um 20,5 Millionen Euro von Union Berlin kam, knapp vor dem 21-jährigen walisischen Nationalspieler Neco Williams. Der Rechtsverteidiger vom FC Liverpool war Forest 20 Millionen Euro wert.

Freunden der deutschen Bundesliga werden neben Awoniyi weitere Einkäufe bekannt vorkommen. Auch Orel Mangala (VfB Stuttgart), Moussa Niakhaté (Mainz) und Omar Richards (Bayern München) wagten den Sprung auf die Insel.

Der Local Hero aus Nottingham

Ein Dutzend neue Gesichter sind es, die in Nottingham in dieser Saison um ein Leiberl kämpfen. Das bedeutet einen runderneuerten Kader.

„Man muss nicht extra betonen, dass das Team in dieser Saison in einem New-Look das Feld betreten wird“, sagt Clarke, was jedoch nicht bedeutet, dass die Aufstiegs-Helden komplett außen vor sind.

Dabei sticht mit Brennan Johnson ein Jungstar heraus. Der 21-jährige Stürmer spielt zwar für das Nationalteam von Wales, wurde jedoch in Nottingham geboren und kennt abseits einer Leihe zu Lincoln City seit der Kindheit keinen anderen Verein außer Forest.

„Wenn es um die Spieler aus der letzten Saison geht, steht er sicher im Rampenlicht. Er hat 16 Tore und neun Assists zum Aufstieg beigetragen“, unterstreicht Clarke.

Johnson bestritt dabei alle 46 Liga-Spiele. Nun gilt es das Potenzial auch eine Klasse höher auszuschöpfen.

Die Macher träumen größer als die Fans

Wie für jeden Aufsteiger sollte wohl auch für Nottingham Forest der Klassenerhalt das erste Ziel sein, um sich in der Folge Schritt für Schritt wieder als größte Attraktion in der Stadt von Robin Hood zu etablieren.

„Ich denke, Cooper hat größere Ambitionen als nur drinnen zu bleiben, das Gleiche gilt für Marinakis“, sieht Clarke bei den Forest-Machern den Blick in höhere Tabellenregionen gerichtet.

Die Fans indes sind in Sachen Erwartungshaltung vorsichtiger: „Egal, welchen Anhänger du fragst, wir nehmen auch den 17. Platz.“

Ein Verein, bei dem die Macher größer träumen als das Publikum. Okay, nach 23 Jahren Kummer und Sehnsucht irgendwo verständlich.

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