news

Luton Town: Gallisches Dorf am Sprung in die Premier League

Die "Hatters" könnten ab Samstag ein Mitglied der Premier League sein. Dabei sind sie die Antithese zu englischen Luxus-Klubs.

Luton Town: Gallisches Dorf am Sprung in die Premier League Foto: © getty

In der Serie "Das Tor zur Welt" nehmen wir internationale Fußball-Klubs und ihre Geschichten genau unter die Lupe. Wir beleuchten die Hintergründe, die in der schnellen, täglichen Berichterstattung gerne untergehen.

Von Nottingham Forest über den FC Vaduz und Torino bis Dinamo Zagreb haben wir schon einige Klubs portraitiert. Hier kannst du alle nachlesen >>>

Diesmal nehmen wir Luton Town, das unmittelbar vor dem Aufstieg in die Premier League steht, unter die Lupe.


Fans, welche den englischen Fußball nicht umfassend verfolgen, wird beim Namen Luton Town wohl zunächst wenig einfallen.

In jüngster Zeit ist der Klub auf der Insel aber in aller Munde. Denn der rund 50 Kilometer nördlich von London beheimatete Verein kratzt vehement am Aufstieg in die Premier League.

In der Liga holte man hinter dem FC Burnley und Sheffield United sensationell Rang drei und qualifizierte sich so für die Playoffs. Im Halbfinale schaltete Luton das sechstplatzierte Sunderland aus. Nachdem das Hinspiel auswärts mit 1:2 verloren ging, zeigte das Team des früheren walisischen Teamspielers Rob Edwards seine Heimstärke und siegte mit 2:0.

Am kommenden Samstag treffen die "Hatters" ("Hutmacher") im Playoff-Finale auf Coventry City (17:45 Uhr). Der Spitzname "Hatters" rührt daher, dass Luton im 18. Jahrhundert für seine Strohhut-Industrie berühmt war.

Das Spiel gegen Coventry City findet im altehrwürdigen Wembley-Stadion statt. Mit einem Sieg könnte Luton sein aufsehenerregendes Märchen perfekt machen. Premier-League-Fußball in Luton, das gab es bisher noch nie.

Zwar spielten die "Hatters" bereits erstklassig, das letzte Mal allerdings vor 31 Jahren und damit noch vor Gründung der Premier League und dem damit einhergehenden Geldsegen. Doch was macht den Klub so besonders und warum herrscht solch ein Hype um ihn?

LAOLA1 erklärt euch in dieser Ausgabe von "Tor zur Welt" die bemerkenswerte Auferstehung von Luton Town.

Am Boden der Tatsachen angekommen

Luton Town, ein englischer Zweitligist mit einer langen Historie. Gegründet wurde der Klub im Jahre 1885. In den mittlerweile 123 Jahren seines Bestehens hinterließen auch zwei Österreicher ihre Spuren in dem Ort nahe London: Fritz Breitenfelder und der 2010 tragisch verstorbene Besian Idrizaj.

Beide machten zusammengenommen aber keine 15 Spiele für die "Hatters". Sie kickten auch vor dem finanziellen Niedergang Ende der 00er Jahre für den Klub, der am Ende so entscheidend für die aktuelle Entwicklung sein sollte. Aber der Reihe nach.

Wir schreiben den 11. Juli 2008. Für Luton Town endet eine lange Abwärtsspirale in einem Desaster. Der Klub bekommt Post von der FA.

Der soeben in die viertklassige League Two abgestiegene Klub ist finanziell derart klamm, dass in den Jahren zuvor mehrmals seine Existenz auf dem Spiel stand.

Schon in der Vorsaison wurden dem Klub wegen illegaler Finanztransaktionen zehn Punkte abgezogen. Doch auch ohne diesen Punkteabzug wäre ein sportlicher Abstieg nicht zu verhindern gewesen.

Nun kommt es aber noch dicker, denn im Brief der FA steht: Luton Town erhält erneut eine Strafe. Der Verband hatte Luton schon zuvor eine weitere zehn Punkte schwere Hypothek auferlegt, doch da der Klub gegen die Insolvenzbestimmungen des Verbandes verstoßen hat, werden weitere 20 Strafpunkte hinzugefügt.

Die insgesamt 30 Minuspunkte erweisen sich in Folge als zu große Bürde, mit 26 Zählern fliegt man am Ende der Saison in hohem Bogen aus dem Profifußball.

Ab dem Sommer 2009 heißt die ernüchternde Realität: National League, also Liga fünf und somit Amateurfußball. Fast 90 Jahre war man Teil der Football League, nun muss nach Jahren der Misserfolge ein Neustart her.

Einst duellierte sich Luton mit Arsenal, wie hier beim League-Cup-Finale 1988. Nun könnte es bald wieder soweit sein
Foto: © getty

Der Klub stellte sich nach dem Crash neu auf und gelangte nicht, wie viele andere Klubs in England, in die Hände eines schwerreichen Investors. Ein Fan-Konsortium übernahm die Führung des Klubs und rettete ihn vor dem Ruin.

Die süße Auferstehung begann "Sweet"

Dieses hört auf den Namen "Trust in Luton" und gründete sich bereits 2003 in Opposition zu John Gurney, der den Klub damals übernahm. Mit seinen Ideen war der Großteil der Fans aber nicht einverstanden. Gurney hatte große Pläne und wollte den Verein wie eine Art Football-Franchise nach US-amerikanischem Vorbild gestalten.

In Folge drängte "Trust in Luton" Gurney durch verschiedene Maßnahmen erfolgreich aus dem Verein.

Das Konsortium um Anführer Gary Sweet gewann in den Folgejahren zunehmend an Einfluss. Sweet agiert heute als Geschäftsführer und es sei, so die Meinung der Fans, ihm zu verdanken, dass der Klub vor rund 15 Jahren nicht vor die Hunde ging.

Denn für "Trust in Luton" war rasch klar, dass man aus den Fehlern der Vergangenheit lernen will.

Ein solides, zukunftsorientiertes Konzept wurde entwickelt. In dessen Kern geht es vor allem um Effizienz. Und dies in jeder Hinsicht: Sowohl auf dem Platz als auch wirtschaftlich und personell. Denn das Budget ist knapp, es heißt also, mit den vorhandenen Mittel vernünftig hauszuhalten.

Die Zahlen klingen für britische Verhältnisse geradezu sensationell. Seit der Übernahme durch das Fan-Konsortium vor mittlerweile fast 15 Jahren gaben die "Hatters" nur knapp 5,5 Millionen Euro für Neuzugänge aus, will man veröffentlichten Zahlen Glauben schenken.

Die meisten Spieler im Kader kamen seither ablösefrei oder wurden geliehen. Der Rekord-Transfer der "Hatters" datiert aus dem Vorjahr, als man Carlton Morris für zwei Millionen Euro von Barnsley holte. Das machte sich bislang voll bezahlt: Der 27-Jährige liefert die bislang beste Saison seiner Karriere und steuerte in 44 Ligaspielen starke 26 Scorerpunkte bei (20 Tore, sechs Vorlagen).

Zudem setzt man auf Kontinuität im Kader: Die langjährigen Leistungsträger James Shea, Pelly-Ruddock Mpanzu und Sonny Bradley sind alle seit mindestens fünf Jahren im Verein.

Wenn Geld (nicht) Fußball spielt

Luton, eine Art gallisches Dorf im gelddurchtränkten englischen Kick, ist der beste Beweis dafür, dass auch auf der Insel hohe Finanzkraft nicht automatisch Erfolg bedeutet.

Im Marktwert-Ranking der Championship liegt Luton mit rund 35 Millionen Euro lediglich auf Rang 18. Aber auch der Gegner im Playoff-Finale, Coventry City, liegt nur einen Platz davor, mit etwas über 40 Millionen.

Mpanzu kämpfte sich mit Luton aus dem Amaterufußball bis an den Rand der Premier League
Foto: © getty

Dennoch spielen beide um den Aufstieg in die selbsternannte beste Liga der Welt. Gemäß dem von Pepi Hickersberger geprägten Ausspruch, dass es nicht die besten, sondern die richtigen Spieler benötige, stellt man in Luton seinen Kader zusammen. Der Erfolg gibt den Verantwortlichen um Sportdirektor und Chefscout Mick Harford recht.

Grundlage dafür sind eingehende Videostudien, die Harford gemeinsam mit dem Trainerteam durchführt. Geld für neue Spieler ist nur wenig vorhanden, weshalb man gezwungen ist, mit möglichst jedem Transfer einen Volltreffer zu landen.

Insbesondere der zuvor erwähnte Mpanzu ist ein Spiegelbild für diese Philosophie und den Aufstieg des Klubs. Der zentrale Mittelfeldakteur spielte schon in Liga fünf für die "Hatters". In der kommenden Saison könnte er im Alter von 29 Jahren erstmals Premier-League-Luft schnuppern.

Er erlebte somit auch die Rückkehr Lutons in das Profigeschäft mit. Denn nach der Übernahme durch das Fan-Konsortium brauchte es einige Zeit, auch weil noch Altlasten zu bedienen waren, bis man sportlich wieder Erfolge feiern konnte.

Nach und nach fingen sich die "Hatters" wieder und mauserten sich in den Folgejahren zu einem Aufstiegskandidaten der National League. Am 5. April des Jahres 2014 brandete unbändiger Jubel in der "Kenilworth Road" auf. Jener schon damals uralten Heimstätte, die in diesem Text noch ausführlich zur Sprache kommen wird.

Denn an diesem Tag fixierte Luton Town den Meistertitel in der National League und kehrte in den erlauchten Kreis der Profiklubs zurück.

Erfolgsfaktor Nathan Jones: Erfolg nur in Luton

Ab Jänner 2016 schwang ein gewisser Nathan Jones das Trainerzepter bei den "Hatters". Der Name dürfte so manchem Fan vertraut sein, der die Premier League regelmäßig verfolgt.

Der 49-Jährige verließ Luton im November des Vorjahres und übernahm bei Southampton das Trainerzepter von Ralph Hasenhüttl. Aber auch er konnte den Klub nicht retten, wurde im Februar wieder entlassen.

Bei Luton ist der Mann dagegen zur Ikone geworden. Er übernahm die "Hatters" einst auf Rang 17 der viertklassigen League Two und führte sie bis in die Championship.

Genießt Helden-Status in Luton: Nathan Jones
Foto: © getty

In der Saison 2018/19 wagte er schon einmal den Abgang aus Luton, damals zu Stoke City, wo zu jener Zeit auch Kevin Wimmer engagiert war. Dort lief es für ihn aber ähnlich wie später bei Southampton. Jones wurde entlassen und kehrte ein halbes Jahr später zu Luton zurück.

Dort machte er weiter, wo er aufgehört hatte und führte den Klub in der Vorsaison erstmals in die Championship-Playoffs, wo man gegen Huddersfield den Kürzeren zog.

Nach seinem Abgang übernahm Rob Edwards, der nun kurz davor steht, etwas ganz Großes zu schaffen.

Es wäre für den Klub der größte Erfolg der Klubgeschichte, der emotional noch über dem Gewinn des League Cups 1988 (also noch vor der Durchkommerzialisierung des englischen Fußballs) steht.

"The Old Girl": Lutons legendäres Stadion

Der Klub hat in seiner langen Historie schon vieles erlebt. Und das allermeiste davon hat sie gesehen: "The Old Girl". So nennen die Fans liebevoll die "Kenilworth Road", seit fast 120 Jahren die Heimstätte des Klubs und mitten in einer Wohnsiedlung gelegen. Die umliegenden Reihenhäuser grenzen direkt an die Tribünen.

Die Arena fasst rund 10.000 Zuschauer und wirkt wie aus der Zeit gefallen. Schon seit 1955 gibt es in Luton Überlegungen bezüglich eines Neu- oder Umbaus. Eine Lösung hat sich dafür lange nicht gefunden, weshalb der Klub bis heute in der "Kenilworth Road" spielt.

Der Zugang zum Gästesektor in der "Kenilworth Road"
Foto: © getty

In England ist das uralte Stadion mittlerweile zum Kult-Objekt mutiert. "Kenilworth Road muss das Stadion sein, über das am meisten gesprochen wird", sagt etwa Hatters-Fan Richard Armstrong bei der "BBC", der erstmals als Dreijähriger im "alten Mädchen" zu Gast war.

"Sie bedeutet den Menschen hier wirklich sehr viel. Es ist ein Ort, der aus einer Zeit stammt, in der das Spiel anders war", erklärt er.

Bei aller Nostalgie muss gesagt werden: Der Kosename des Stadions kommt nicht von ungefähr, man sieht dem "Girl" an, dass es schon "very old" ist. Rost, verschlissene und ausgebleichte Sitzschalen, abblätternder Lack an den Stahlträgern der Tribünen und Lautsprecher, die mehr knarzen als klingen.

All das verleiht der Arena einen Charme zwischen purer Fußball-Nostalgie längst vergangener Tage und der Furcht davor, in ein unvermittelt auftretendes Loch zu stolpern. Ein Schelm, wem nun das Happel-Oval in den Sinn kommt.

Über diese Stiege gelangen die Fans zu ihren Plätzen auf der Tribüne
Foto: © getty

Allein die Stadion-Zugänge erinnern vehement eher an die Gebietsliga Süd als an einen Premier-League-Kandidaten. Zwischen Reihenhäusern und durch Gärten der Anrainer hindurch bahnen sich die Fans ihren Weg zum Stadion.

Eine der Tribünen musste aufgrund einer angrenzenden Bahntrasse gar nach hinten versetzt gebaut werden und steht somit hinter einem der Flutlichtmasten.

Eigentlich unvorstellbar, dass hier schon bald Kaliber wie Erling Haaland und Mohamed Salah spielen sollen.

Liga macht für das "alte Mädchen" eine Ausnahme

Doch die Liga ist bereit, für Luton eine Ausnahmegenehmigung zu erteilen. Aber auch um diese zu erhalten, werden gemäß Geschäftsführer Sweet rund zehn Millionen Pfund benötigt. So müsste etwa die "Bobbers-Tribüne", die kleinste Tribüne an der Seite mit den Logen, neu gebaut werden, um die Auflagen zu erfüllen.

Noch mindestens bis 2024 wird in der kultigen "Kenilworth Road" gespielt
Foto: © getty

Dass die Liga bereit ist, für "The Old Girl" eine Ausnahme zu machen, hängt auch mit der Tatsache zusammen, dass es bereits Pläne für eine neue Arena gibt. Eigentlich wollte man schon 2020 mit dem Bau des "Power Court" beginnen, doch dem machte die Pandemie einen Strich durch die Rechnung.

Der aktuelle Plan sieht vor, dass es ab Herbst 2024 ein neues Stadion mit einem Fassungsvermögen von 17.500 Plätzen geben soll. Die Kapazität könnte bei einem Aufstieg auf 23.000 erhöht werden.

"Ende dieses Jahres oder Anfang nächsten Jahres" solle laut Gary Sweet der Spatenstich erfolgen.

Ein Aufstieg in die Beletage des englischen Fußballs würde dem Klub rund 100 Millionen Euro einbringen und den Umzug zusätzlich beschleunigen. Diese Summe wird in englischen Medien auch genannt, wenn es um die Kosten für die Errichtung der neuen Arena geht.

Bis dahin dürfen die Fans noch den nostalgischen Charme der "Kenilworth Road" genießen. Bislang war dies Fans aus den unteren Ligen vorbehalten, ab der kommenden Saison könnten auch Fans von Manchester City, Arsenal London und Co. in diesen Genuss kommen.


Das Tor zur Welt - alle Episoden:

#1 Nottingham Forest

#2 AC Monza

#3 FC Vaduz

#4 FC Torino

#5 Hapoel Be'er Sheva

#6 FC Andorra

#7 Dinamo Zagreb

#8 Argentinien

#9 FC Malaga

#10 Katar

#11 Australien

#12 Serbien

#13 Napoli

#14 FC Zürich

#15 Real Sociedad

#16 FC Südtirol

#17 SSV Ulm

#18 Olympique Lyon

Kommentare