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Cardiff: Verrücktheit, Skandale und ein Schicksalsschlag

Wie ein ehemaliger Premier-League-Verein nach unzähligen Kontroversen um das Überleben kämpft.

Cardiff: Verrücktheit, Skandale und ein Schicksalsschlag Foto: © getty

In der Serie "Das Tor zur Welt" nehmen wir internationale Fußball-Klubs und ihre Geschichten genau unter die Lupe. Wir beleuchten die Hintergründe, die in der schnellen, täglichen Berichterstattung gerne untergehen.

Von Nottingham Forest über den FC Vaduz und Dinamo Zagreb bis zum SSV Ulm haben wir schon einige Klubs porträtiert. Hier kannst du alle nachlesen >>>

Diesmal geht es um einen Verein, der vor vier Jahren noch in der besten Liga der Welt spielte und heuer nur mit Mühe den Abstieg in die Drittklassigkeit abwendete – den FC Cardiff City und seinen außergewöhnlichen Besitzer Vincent Tan.


Die Geschichte von Cardiff City ist eine von ständigen Aufs und Abs, gefüllt mit Hoffnungen und Enttäuschungen, Ablehnung und Gier sowie einem der tragischsten Schicksalsschläge der vergangenen Jahre. Vor allem dreht es sich aber um eine einzige Person: Vincent Tan.

Als der malaysische Unternehmer den Klub im März 2010 übernahm – zuerst nur mit 30-prozentigen Anteil in Verbund mit einem Konsortium, wenig später als Mehrheitseigentümer – hatte Cardiff bereits einige turbulente Jahre hinter sich: Eigentümer kamen und gingen, der Bau eines neuen Stadions scheiterte und der Verein trat aus sportlicher Sicht auf der Stelle.

Angeblich benötigten die malaysischen Milliardäre nur 15 Minuten, um die Aktionäre von ihrem Vorhaben zu überzeugen und dem Kaufangebot über sechs Millionen Pfund zuzustimmen. Mit Tan sollte die große Wende eingeleitet werden. Der Investor versprach Finanzspritzen im dreistelligen Millionenbereich, die Begleichung aller Schulden sowie schnellen sportlichen Erfolg.

Worauf sich der Verein mit dieser Entscheidung einließ, konnte zu diesem Zeitpunkt noch niemand erahnen.

Aus Blau wird Rot: die erste Kontroverse

2010 schloss Cardiff die zweitklassige Championship auf Platz sechs ab. Die neu gewonnene finanzielle Stabilität wirkte sich auch in den kommenden Jahren positiv auf den Verein aus. Ohne große Aufreger spielten die Waliser in den nächsten zwei Spielzeiten erneut um den Aufstieg mit, verpassten diesen in beiden Jahren nur knapp in den Playoffs.

2012 erreichte der Verein sogar zum ersten Mal in seiner Geschichte das Finale des Ligapokals, wo nur ein einziger Elfmeter die große Sensation gegen den FC Liverpool verhinderte.

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Die Fans hatten Lunte gerochen und wollten mehr. Auch Tan wollte den Verein endlich in der Premier League sehen und versprach in der Sommerpause ein Investment von über 100 Millionen Pfund, um die Stadionkapazität zu erhöhen und ein neues Trainingszentrum zu bauen. Die Sache hatte nur einen Haken:

Tan stellte die Bedingung auf, die Vereinsfarben von blau auf rot zu ändern, nur dann würde er das Geld auch investieren. Seiner Meinung nach würde Rot vor allem im asiatischen Bereich als dynamischere Farbe für Marketingzwecke dienen.

Die Cardiff-Anhänger reagierten empört und verfassten einen Brief an den Klub, in dem sie ein Treffen mit den Besitzern anstrebten. Der öffentliche Druck zwang den Besitzer, seine Pläne auf Eis zu legen – vorerst, denn einen Monat später setzte er sein Vorhaben dennoch einfach in die Tat um und sowohl das Vereinswappen als auch die Heimtrikots erstrahlten zu Saisonbeginn im neuen Rot.

Der große Premier-League-(Alb)Traum

Rein sportlich sollte sich die Farbe nicht negativ auf die Leistungen auswirken, im Gegenteil, Cardiff dominierte die Championship in der Saison 2012/13 und sicherte sich mit acht Punkten Vorsprung den Titel sowie den viel umjubelten Aufstieg in die Premier League.

Nach 52 Jahren war Cardiff endlich zurück in der höchsten englischen Spielklasse. Die Farben-Causa war plötzlich vergessen, Tan auf einmal der gefeierte Held.

Mit großen Hoffnungen ging der Verein in die neue Saison, doch wurde fast sofort wieder auf den harten Boden der Tatsachen zurückgeholt. Und wieder einmal stand Vincent Tan im Mittelpunkt.

Noch bevor die Saison überhaupt so richtig Fahrt aufnahm, feuerte Tan den "Head of Recruitment" des Vereins, Iain Moody, der in seiner Rolle für viele Spielertransfers verantwortlich war und als enger Vertrauter des damaligen Trainers Malky Mackay fungierte. Der Besitzer begründete die Entlassung später mit einer Überschreitung des Transferbudgets, ein Vorwurf, den der Cheftrainer abstritt.

Cardiff-Besitzer Vincent Tan
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Die eigentliche Kuriosität der gesamten Geschichte entwickelte sich erst im Anschluss: Tan installierte den völlig unbekannten Aliser Apsalyamov als Nachfolger Moodys, ein 23-jähriger Kasache, der laut "BBC" ein enger Freund von Tans Sohn war. Die Zeitschrift berichtete weiters, dass Apsalyamovs vorherige Aufgabe bei Cardiff darin bestand, die Wände des Stadions auszumalen. Erfahrungen im Recruiting-Bereich – nicht vorhanden.

Bevor sich die offensichtliche Fehlbesetzung zu einem größeren Skandal entwickeln konnte, war der Spaß auch schon wieder vorbei: Der Kasache verließ den Verein nach weniger als einem Monat aufgrund von Problemen mit seinem Visum.

Warum treffen Sie nicht, Herr Torwart?

Im Rampenlicht der Premier League häuften sich auch die absurden Geschichten über Tan und dessen Bezug zum Fußball. 

Als es im Winter-Transferfenster um mögliche Neuverpflichtungen ging, war Tans Input offenbar, wenn möglich doch Spieler mit der Zahl 8 im Geburtsdatum zu holen. Laut der englischen Zeitschrift "Metro" begründete er diese Forderung damit, dass die "Acht" in seiner Heimat als respektierte und glücksbringende Zahl gilt.

Zur Saisonhalbzeit hatte Cardiff zudem nur 15 Treffer zu Buche stehen und kämpfte im Tabellenkeller um jeden einzelnen Punkt. Bezüglich der mageren Offensivausbeute der Waliser erkor Tan schnell einen Hauptschuldigen aus: David Marshall.

Offenbar bemerkte der Besitzer beim Blick auf die Statistiken, dass dieser noch keinen einzigen Scorerpunkt für den Verein gesammelt hatte und war darüber alles andere als glücklich. Dabei übersah er aber offensichtlich, dass Marshall als Torhüter wohl eher selten für offensive Akzente sorgen würde.

Der atemberaubende Mangel an jeglichem Fußballwissen zeigt, wie Tan wirklich zu seinem "Spielzeug" steht.

Ein ausländischer Investor, dem die sportlichen Interessen und Hoffnungen der Fans ein Anliegen sind, und nicht nur der eigene Profit an seiner Geldanlage? - ist im europäischen Vereinsfußball heutzutage schwer zu finden. Tan treibt dieses augenscheinliche Desinteresse am Sport noch einmal auf die Spitze.

"Ole's at the wheel!" - Eine ernüchternde Statistik

Zur Saisonhälfte sah sich der Verein zum Handeln gezwungen und Tan nahm das Heft selbst in die Hand. Er schrieb eine Mail an Cheftrainer Malky Mackay und forderte diesen auf, zurückzutreten. Wenn nicht, würde er gefeuert werden.

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Eine Woche später wurde Mackay entlassen. Als Nachfolger installierte der Klub Manchester-United-Legende Ole Gunnar Solskjaer. Tan hatte sich wieder einmal durchgesetzt. Die Entscheidung pro Solskjaer wurde mit viel Optimismus wahrgenommen, sollte sich in Folge allerdings als absoluter Fehlgriff erweisen.

Cardiff verlor 12 der verbleibenden 18 Spiele und stieg als Tabellenletzter direkt wieder ab. Auch in die neue Championship-Saison startete der Verein katastrophal und so wurde der Norweger nach weniger als zehn Monaten schon wieder hinausgeschmissen.

In den Folgejahren blieben die Waliser stets hinter den eigenen Erwartungen zurück, etablierten sich jedoch wieder als durchschnittliches Zweitligateam. Zudem zeigte Tan zum vermutlich ersten Mal ein wenig Kompromissbereitschaft und stimmte einer Rückkehr zu blauen Trikotfarben zu.

Endlich Stabilität

Die vermutlich erfolgreichste Phase in Cardiffs junger Vergangenheit ist eng mit einem Namen verbunden: Neil Warnock. Als der erfahrene Cheftrainer den Verein im Oktober 2016 übernahm, lungerte der Klub nach schwachem Saisonstart wieder einmal im unteren Tabellendrittel der Championship herum. Warnock vereinte die Mannschaft, brachte sie wieder auf den richtigen Weg und ließ die ständigen Nebengeräusche im Umfeld verstummen.

Überraschenderweise wurde es auch um Vincent Tan, dem ein gutes Verhältnis mit dem Trainer-Veteranen nachgesagt wurde, in dieser Zeit relativ ruhig. Und just in diesem Abschnitt, in dem sich der Besitzer vermehrt aus dem Tagesgeschäft heraushielt, kehrte auch der Erfolg zurück nach Wales.

Mit Warnock befreite sich Cardiff souverän aus dem Tabellenkeller, nur ein Jahr später gelang schließlich erneut der Aufstieg in die Premier League. Die Ausgangslage hatte sich schlagartig geändert und plötzlich konnte sich der Verein wieder an den dringend benötigten TV-Geldern der vermutlich besten Liga der Welt bedienen.

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Cardiff nutzte die zusätzlichen Ressourcen, um den Kader im Sommer zu verstärken. Im Gegensatz zur letzten Premier-League-Saison vertraute Warnock jedoch vermehrt auf heimische Talente und verpflichtete unter anderem die beiden Engländer Josh Murphy und Bobby Reid. Die Waliser schlugen sich wacker, spielten zwar gegen den Abstieg, aber konnten immer wieder Ausrufezeichen setzen und wichtige Siege einfahren.

Zur Saisonhalbzeit stand Cardiff knapp über dem Strich und wollte am Transfermarkt nachbessern, um den heißersehnten Klassenerhalt zu erreichen. Doch dann geschah etwas Unvorhersehbares, was den Verein und die gesamte Fußballwelt vor Trauer erstarren ließ:

Die Tragödie

Am 19. Jänner 2019 gab Cardiff den Transfer des argentinischen Stürmers Emiliano Sala für eine vereinsinterne Rekordablösesumme von 17 Millionen Euro bekannt. Der Angreifer hatte für Nantes eine herausragende Hinrunde in der Ligue 1 gespielt und sich mit 12 Treffern für die Premier League empfohlen.

Zwei Tage später, am Abend des 21. Jänners, verschwand ein einmotoriges Geschäftsreiseflugzeug mit Sala an Bord auf dem Flug von Nantes nach Cardiff. 

Eine großangelegte Suche wurde nach drei Tagen abgebrochen, zehn Tage später bewahrheiteten sich die schlimmsten Befürchtungen: Unterwasser-Suchkräfte fanden das Flugzeugwrack im Ärmelkanal. Sala hatte den Crash nicht überlebt.

Die unfassbare Tragik des Vorfalls traf Fußballfans aus aller Welt mitten ins Herz. Die Anteilnahme in Cardiff war riesig, auch wenn Sala noch keine einzige Sekunde für die Mannschaft gespielt hatte. Der Argentinier wurde als voller Teil des Vereins unter Tränen verabschiedet.

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Am darauffolgenden Sonntag traf Cardiff in der Premier League auf Ralph Hasenhüttls Southampton. In einem emotionalen Spiel setzten sich die Waliser mit 2:1 durch, der Siegtreffer fiel erst in der 93. Minute.

Leider sollten im restlichen Saisonverlauf nur noch drei weitere Siege folgen. Die Offensivschwäche im Team blieb klar ersichtlich, Cardiff hatte im Angriff nicht weiter nachgebessert. Am Ende stiegen die Waliser erneut in die Championship ab. 

Die Tragödie markiert bis heute einen Knackpunkt für den Verein. Auch in den Folgejahren scheinen sich die "Bluebirds" nie wirklich von dem Schock erholt zu haben. Sieht man sich die Liga-Endplatzierungen der letzten Saisonen an, wird vor allem eines ersichtlich: Es geht bergab. Auf Platz fünf im Abstiegsjahr folgte ein achter, ein 18. und schließlich heuer der 21. Endrang.

Zudem brach nach Salas Tod ein Rechtsstreit um die Ablösesumme zwischen den beiden Clubs in Cardiff und Nantes aus, welcher bis heute ein unschönes Licht auf die Geschehnisse wirft.

Cardiff verweigerte die Zahlung, weshalb Nantes Klage bei der FIFA einreichte, und der Fall schließlich beim Internationalen Sportgerichtshof CAS landete. Im August 2022 urteilte dieser, dass der Transfer vollständig abgeschlossen war und Cardiff den ersten Teil der Summe in Höhe von sechs Millionen Euro zu zahlen habe.

Da die Waliser mit der Zahlung allerdings 53 Tage in Verzug waren, verhängte die English Football League eine Transfersperre, die auch für das aktuelle Sommer-Transferfenster gilt. Abgeschlossen wird der Fall vermutlich sowieso noch lange nicht sein. Erst im Mai behaupteten die Anwälte von Nantes, Cardiff fordere mittlerweile 100 Millionen Euro an Schadenersatz, nachdem man mit einer ursprünglichen Forderung von 17 Millionen Euro bereits vor der FIFA, dem CAS und dem Schweizer Bundesgericht scheiterte.

Wie gehts es weiter?

In Cardiff macht sich nach der Saison der altbekannte "Es kann ja nur besser werden"-Ausspruch breit. Tatsächlich spielt der Verein aber seit Jahren mit dem Feuer, wie ein Blick auf die Bilanzen beweist.

Im März des vergangenen Jahres wurde Cardiffs Finanzlage veröffentlicht. Auf dem Klubkonto schien ein Schuldenberg von 109 Millionen Pfund auf, Tan alleine hatte schon mehr als 60 Millionen Pfund geliehen. Zu diesem Zeitpunkt musste er fast drei Millionen Pfund pro Monat aus der eigenen Tasche berappen, um die Spieler- und Mitarbeiterlöhne zu bezahlen.

Die Situation hat sich seither nicht sonderlich gebessert. In der vergangenen Saison schrieb der Verein rote Zahlen in Höhe von 29 Millionen Pfund und ist damit mehr denn je auf Vincent Tan und die TV-Einnahmen in der Championship angewiesen. Auch wenn der Abstieg in die Drittklassigkeit gerade so abgewendet wurde, ist die Tendenz besorgniserregend.

Wäre der FC Reading nicht mit einem Sechs-Punkte-Abzug wegen der Verletzung von Rentabilitäts- und Nachhaltigkeitsregeln bestraft worden, hätte sich Cardiff als Tabellen-22. in die League One verabschiedet. So bekommt der Verein in der nächsten Saison noch eine Chance, den Abwärtstrend irgendwie zu stoppen.

Trotz der immer größer werdenden Abhängigkeit von ihrem Besitzer werden die Forderungen nach Tans Rücktritt lauter. Auf die kritischen Stimmen der Fans, die ihren Verein endlich aus dem festen Griff des 71-Jährigen befreien wollen, entgegnet dieser im vergangenen Herbst jedoch:

"Wenn sie so schlau sind, sollen sie doch ihr eigenes Geld in den Verein schaufeln – oder einen reichen Waliser fragen, wenn möglich einen Milliardär, ob er den Klub kaufen und in die Premier League führen kann." – charmant wie eh und je.

Der Malaysier denkt also noch lange nicht an einen Rückzug. Fakt ist aber: Die "Bluebirds" benötigen einen Neustart. Ob dieser während der andauernden Tan-Ära überhaupt realisierbar ist, darf mit mehr als nur einem Fragezeichen versehen werden.

Aber wer weiß? In Cardiff scheint seit einigen Jahren vieles möglich zu sein.


Das Tor zur Welt - alle Episoden:

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