Der Begriff "verlieren" existiert im Wortschatz des FC Red Bull Salzburg grundsätzlich nicht.
Entweder man gestaltet eine Partie siegreich oder man gewinnt aus einer Niederlage neue Erkenntnisse, die direkt in den Verbesserungsprozess einfließen.
So auch nach dem Europa-League-Aus im Sechzehntelfinale gegen Eintracht Frankfurt (Spielbericht). Obwohl die "Bullen" zum ersten Mal seit drei Jahren das Achtelfinale der Europa League verpassen, verschwindet kein Salzburger Kopf im Sand, stattdessen setzt die unmittelbare Fehleranalyse bei den Mozartstädtern ein.
LAOLA1 klärt auf, welche Erkenntnisse das frühe Aus für die nahe Zukunft der "Bullen" mit sich bringt und warum Noah Okafor bereits in Erling Haalands Fußstapfen getreten ist.
Viele Parallelen zum Vorjahr
Obwohl das Europa-League-Aus in diesem Jahr schon eine Runde früher kam, bietet sich ein Vergleich zum vergangenen Jahr an, als die "Bullen" im Achtelfinale am SSC Napoli scheiterten. Auch damals gingen die Mozartstädter nach einem 0:3 im Hinspiel in Süditalien mit einer schier aussichtslosen Ausgangslage ins Rückspiel zuhause, verkauften sich in diesem aber teuer und verabschiedeten sich heute wie damals anständig aus dem europäischen Bewerb.
Reichte ein engagierter Auftritt am Freitag "nur" zu einem 2:2 gegen die Eintracht, gelang den "Bullen" 2019 sogar ein 3:1-Sieg zum Abschied. Ähnlich wie Jesse Marsch in der Gegenwart hatte auch Marco Rose vor gut einem Jahr mit einer angespannten Personalsituation zu kämpfen und ermöglichte so einem gewissen Dominik Szoboszlai sein Europacup-Debüt von Beginn an.
Die Geschichte ist bekannt: Der heute 19-jährige ungarische Edeltechniker begeisterte mit einem Assist und einer starken Leistung zum Einstand, ist spätestens seit dieser Saison als (nahezu) unumstrittener Stammspieler der Salzburger kaum mehr wegzudenken und war trotz Leistungsschwankungen eines der Puzzelteile des äußerst erfolgreichen "Bullen"-Herbsts.
"Überragender" Debütant Mo Camara
Genau wie Rose 2019 gegen Neapel musste auch Marsch gegen Frankfurt auf Zlatko Junuzovic verletzungsbedingt verzichten und schmiss so Mo Camara ins kalte Wasser. Der 20-jährige Malier, der nicht einmal für den Champions-League-Kader gemeldet war, lieferte bei seinem Europacup-Startelfdebüt eine herausragende Leistung ab, hatte im defensiven Mittelfeld stets ein Bein dazwischen und lancierte mit seinem tollen Spielverständnis immer wieder gute Angriffe.
"Mo war überragend. Wir haben im Herbst viel Rotation gehabt. Ein Grund war, dass die Spieler bereit sind, wenn wir ein wichtiges Spiel wie jetzt haben. Mo ist ein super Beispiel für diese Strategie. Er war in der Vorbereitung sehr gut und hat diese Situation verdient. Auch wenn 'Zladdi' (Junuzovic, Anm.) gesund gewesen wäre, ich habe mir gedacht: 'Mo muss spielen'. Mein Ziel ist immer: Blick in eine Woche, ein Monat, ein Jahr", bringt Coach Jesse Marsch die Weitsicht der Salzburger gut auf den Punkt, die auch bei einem anderen, äußerst prominenten Beispiel zum Tragen kam.
Denn Szoboszlai war nicht das einzige Salzburg-Talent, das im Vorjahr gegen Napoli sein Europacup-Debüt feiern durfte. Auch ein gewisser Erling Haaland verzeichnete in diesem Spiel seinen ersten Einsatz in einem UEFA-Hauptbewerb - für vier Minuten als Joker.
Okafor der neue Haaland?
Der Norweger, mittlerweile in Diensten von Borussia Dortmund, wurde bereits im Sommer 2018 verpflichtet, im Jänner 2019 kam er schließlich in der Mozartstadt an und wurde langsam und mit wenigen Einsätzen im Frühjahr herangeführt, ehe er zum Saisonstart 2019/20 völlig explodierte. Auch hier lässt sich eine Parallele zu einem aktuellen Salzburger Kaderspieler ziehen: Noah Okafor.
Der 19-jährige Schweizer heuerte im Jänner als Rekordtransfer vom FC Basel in Salzburg an, wird im Moment noch behutsam herangeführt und durfte beim 2:2 gegen Frankfurt als Joker seinen ersten Europacup-Einsatz im Dress der Salzburger feiern.
"Ich bin glücklich über mein Europa-League-Debüt für Salzburg. Jetzt heißt es, in jedem Training Gas geben, auf das Niveau zu kommen und dem Team so gut wie möglich zu helfen. Ich habe mich in den ersten drei Wochen schon angepasst, bin gut ins Team integriert und die Spielphilosophie habe ich auch schon gut drinnen. Der Rhythmus fehlt noch ein bisschen, aber wenn ich täglich trainiere und mit dem Trainer gut kommuniziere, geht das sehr schnell", ist der Flügelsprinter bereit, in naher Zukunft eine große Rolle in der Mozartstadt zu übernehmen.
"...dann redet keiner mehr von Startschwierigkeiten"
Viel Zeit zur Akklimatisierung bleibt Okafor, Camara und Co. im Moment nicht, in der jüngeren Vergangenheit brauchten die meisten Salzburger Talente aber ohnehin kaum Anlauf, um zu funktionieren. Bereits am Montag geht es in der vorletzten Runde des Grunddurchgangs der Bundesliga, in der die "Bullen" zuletzt die Tabellenführung an den LASK abgeben mussten, weiter, bereits am kommenden Donnerstag sind die rivalisierten Linzer zum ÖFB-Cup-Halbfinale in Wals-Siezenheim zu Gast.
"Unsere oberste Priorität ist, den Cup und die Meisterschaft zu gewinnen. Das ist unser Ziel. Jetzt wird es natürlich eine sehr intensive und harte Woche, da gilt es, alle drei Spiele zu gewinnen - dann sind wir wieder voll da und dann redet keiner mehr von den Startschwierigkeiten, die wir gehabt haben", bringt Albert Vallci die Mentalität der Salzburger nach vier sieglosen Pflichtspielen in Serie auf den Punkt.
Überhaupt ist Mini-Krise der "Bullen" mehr Ansporn zur Motivation als zur Depression. "Es ist in der Meisterschaft noch nichts vorbei, es gibt noch die Punkteteilung. Jetzt ist der LASK noch Erster, aber am Ende wird das ganz anders sein, weil wir Erster werden. Wir sind eine richtig geile Mannschaft und werden alles dafür geben", gibt sich Szoboszlai nach dem Aus in der Europa League, in der der LASK sicher nicht zum Nachteil der Salzburger noch vertreten ist, kämpferisch.
Und auch den Europacup hat der junge Ungar schon wieder auf dem Schirm: "Wenn wir nächstes Jahr wieder die Chance kriegen, in der Europa League zu spielen, müssen wir so ins erste Spiel gehen, dass es nicht passieren kann, dass wir 4:1 hinten sind. Dann wird's ganz anders."
Europacup-Resümee bleibt dennoch positiv
Im Idealfall "muss" Salzburg nächste Saison aber überhaupt nicht Europa League spielen, sondern darf sich wieder in der Champions League versuchen, in der die Mozartstädter bei ihrem Debüt so viele denkwürdige Abende verleben durften.
"Wir haben bis zum letzten Spiel in der Champions League gekämpft und wären fast weitergekommen - das ist Wahnsinn. Insbesondere in dieser Gruppe, in der wir waren. Wir haben uns in jedem Spiel sehr gut präsentiert, wir haben gezeigt, was für eine Mannschaft wir sind: hungrig auf Erfolg, unbedingt immer gewinnen zu wollen, egal gegen wen. Heute haben wir nochmal gezeigt, dass wir immer für Furore sorgen können. Das sind wir, das ist unser Charakter. Es ist schade, dass es zu Ende geht, aber wir blicken immer nach vorne", resümiert Andre Ramalho nach einer trotz allem wunderschönen Europacup-Kampagne der Salzburger.
Sollten die Mozartstädter nächste Saison wieder Interesse zeigen, an der "Königsklasse" teilzunehmen, müssen sie einmal mehr in der gefürchteten Champions-League-Quali ran, in der sie bereits zwölfmal scheiterten. Als Meister gäbe es voraussichtlich "nur" das Playoff zu überstehen, als Vize ginge es in den schwierigen Liga-Weg, in dem drei Runden zu meistern wären.
"Müssen uns für nichts schämen"
Auch Albert Vallci hätte nochmal richtig Lust auf die "Königsklasse", der Steirer resümiert:
"Ich glaube nicht, dass wir uns für irgendwas schämen müssen. Wir haben ein überragendes erstes halbes Jahr in der Champions League gespielt, wo es leider knapp nicht für den Aufstieg gereicht hat. Dann muss man auch sagen, dass Frankfurt nicht irgendeine Mannschaft ist. Die waren letztes Jahr im Europa-League-Halbfinale. Wir haben gewusst, dass es ein schwieriges Spiel wird, aber wir haben natürlich an unsere Chance geglaubt. In solchen Spielen entscheiden dann Kleinigkeiten, im Hinspiel haben wir uns leider in gewissen Phasen die Schneid abkaufen lassen."
Tatsächlich überschattet die aktuelle Ergebnis-Krise eine bisher herausragende Saison der Salzburger. Für Vallci sind die Unkenrufe, die in den letzten Wochen Richtung Mozartstadt schallten, trotz des Fehlstarts ins Frühjahr fehl am Platz:
"Ich denke nicht, dass wir von einem Skandal oder irgendwas reden müssen. Ich denke, wir können auf gewisse Sachen aufbauen, da müssen wir weitermachen und nächste Saison wieder international angreifen. Wir haben heute ein sehr intensives Spiel gemacht, das ist uns in den letzten Spielen nicht so gelungen. Heute haben wir das vom Start weg gezeigt und ich glaube, das ist für die Spieler und auch für den Verein was Positives. Das gilt es jetzt herauszuziehen und mit der Einstellung weiter zu machen."
Genau diese Mentalität macht die Salzburger mittlerweile seit Jahren sowohl national als auch international so stark. Der Lernprozess der "Bullen" findet niemals ein Ende, schon gar nicht nach einem Scheitern.