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Brad Marchand: Der König der Ratten

Von Gegnern gehasst, von Teamkollegen verehrt: Niemand spaltet die Gemüter mehr als Brad Marchand. Doch der Routinier kann mehr als Trash-Talk und Provokation.

Brad Marchand: Der König der Ratten Foto: © getty

Ratten werden im Volksmund gemeinhin mit Negativem assoziiert.

Sie werden oft mit Dreck und Krankheiten verbunden, viele Menschen ekeln sich vor ihnen. Im Sprachgebrauch ist eine Ratte außerdem jemand, der Verrat begangen hat.

Dabei gibt es auch positive Konnotationen. Ratten gelten als lern- und überlebensfähig, in der chinesischen Astrologie steht das Nagetier etwa für Klugheit und Einfallsreichtum.

Die Ratte im Sport

Auch im Sport ist die Ratte zu finden.

Hier steht sie als Synonym für Spieler, die aggressiv, provokant und unangenehm auftreten. Sie reizen Gegner bis zur Grenze, setzen kleine, oft versteckte Fouls und bringen so Emotionen ins Spiel - besonders, wenn es in die Playoffs geht.

"Einmal Ratte, immer Ratte", heißt es dann nicht nur scherzhaft unter Fans und Kommentatoren.

"The Rat" tief in der NHL-Historie verankert

In der NHL ist der Spitzname "The Rat" fest verwurzelt - und das seit den 1980er-Jahren.

Die erste Ratte: Ken Linseman
Foto: © getty

Damals machte sich Ken Linseman im Dress der Philadelphia Flyers, Edmonton Oilers und Boston Bruins mit seinen schmutzigen Spielchen einen Namen. Über 2.000 Strafminuten sammelte der Kanadier in 14 NHL-Saisonen, allein 281 in der Spielzeit 1981/82.

Linseman hätte diesen Spitznamen lieber nie verliehen bekommen, erzählte er später. Wer will schon gerne als "Ratte" oder "Pest" bezeichnet werden?

Linseman: "Er ist der Erste, der mir am nächsten kommt"

Im Laufe der Jahre wurden viele Spieler mit Linseman verglichen.

2009 listete "Sports Illustrated" neben Linseman unter anderem Claude Lemieux und Matthew Barnaby als "Ratten"-Vertreter auf.

Linseman sagte 2012 dem "Boston Herald": "Seit meinem Karriereende höre ich ständig Vergleiche. Doch er ist wohl der Erste, der mir am nächsten kommt und wirklich gute Skills hat."

"Ich denke, er ist ein großartiger Spieler und wird das für viele Jahre sein. Ich mag ihn sehr als Spieler und bin stolz auf den Vergleich."

Das Sinnbild der Ratte

Von wem Linseman spricht? Brad Marchand.

Von Gegenspielern gehasst, als Teamkollege geliebt, steht der 37-jährige Kanadier mit seinen physischen und verbalen Attacken sinnbildlich für den Spitznamen.

Schon in jungen Jahren hat Marchand wegen seiner Körpergröße (1,75 Meter) viele seiner Agitationstaktiken entwickelt. Er wusste, dass er kleiner als viele Gegner war - also musste er ihnen auf andere Weise wehtun, um seinem Team einen Vorteil zu verschaffen.

Marchand hebelt Daniel Sedin aus
Foto: © getty

Als Vorbild diente ihm Theo Fleury, ein 1,68 Meter großer Kanadier, der die Frustration, die er bei seinen Gegnern auslöste, in Offensivkraft umwandeln konnte. Fleury beendete seine NHL-Karriere 2003 mit beeindruckenden 1.167 Scorerpunkten und 1.956 Strafminuten in 1.161 Spielen.

Ellbogen, Faust, Küssen und Ablecken

Marchand brauchte hingegen einige Jahre, um sich als einer der Offensivstars der NHL zu etablieren. Stattdessen machte er früh mit Eskapaden auf sich aufmerksam.

Im März 2011 wurde er für einen Ellbogencheck gegen R.J. Umberger, der im Spiel ungeahndet blieb, erstmals in seiner jungen Karriere gesperrt.

Es folgten sieben weitere Sperren, unter anderem je fünf Spiele für einen Hüftcheck gegen Sami Salo sowie einen Ellbogencheck gegen Marcus Johansson. Beide trugen Gehirnerschütterungen davon.

Zwischendurch spitzte sich sein Verhalten auf dem Eis besonders zu, als die NHL ihn wegen des Küssens und Ableckens seiner Gegenspieler verwarnte.

(Artikel wird unterhalb des Videos fortgesetzt)

VIDEO: Marchand leckt Ryan Callahan nach "Scrum" ab

Seine letzte Sperre erhielt Marchand im Februar 2022 für einen Faust- und Stockschlag gegen den Kopf von Penguins-Torhüter Tristan Jarry.

Damit stellte er einen unrühmlichen Rekord auf und überholte Chris Pronger als NHL-Spieler mit den meisten Sperren. Marchand verpasste insgesamt 28 Spiele und verlor rund 1,4 Millionen US-Dollar.

Dreckigster Spieler der NHL

In einer Spielerumfrage im Jänner 2020 wurde Marchand mit 29 Prozent der Stimmen zum "dreckigsten Spieler der Liga" erklärt.

Gleichzeitig nannten ihn viele als besten - und zugleich schlechtesten - Trash-Talker.

Der Mann aus Halifax versuchte in den Folgejahren sein Verhalten zu zügeln. Damit wollte er sicherstellen, "dass ich nicht wegen einer Dummheit aus der Liga gedrängt werde", gab Marchand vor der Saison 2018/19 an.

Vom Störenfried zum Star

Diese Spielzeit wurde just zur besten in seiner NHL-Karriere.

Marchand knackte im Grunddurchgang zum ersten und einzigen Mal die 100-Punkte-Marke und war federführend für den Final-Einzug der Boston Bruins.

23 Punkte in 24 Spielen sollten allerdings nicht für den zweiten Titel nach 2011 ausreichen. Boston unterlag den St. Louis Blues daheim in Spiel 7 mit 1:4.

Trennung mit Wehmut

Dieser Tage bietet sich für Marchand die nächste Chance auf den Stanley Cup - allerdings nicht mit den Boston Bruins, sondern mit den Florida Panthers.

Die Bruins leiteten nach einer schwachen Saison pünktlich zur Trade Deadline ihren Rebuild ein und trennten sich schweren Herzens von ihrem Kapitän. Marchand fiel der Abschied alles andere als leicht. Er wollte seine Karriere dort beenden, wo sie mit dem NHL-Draft 2006 begann: in Boston.

Plötzlich ein Panther: Brad Marchand
Foto: © getty

Im Gegenzug erhielten die Bruins einen Zweitrunden-Pick, der sich durch Playoff-Erfolge inzwischen in eine Erstrunden-Wahl für 2027 oder 2028 verwandelt hat.

Ein Feind wird zum Teamkollegen

Überraschend war weniger der Trade selbst als das Ziel.

Zwischen Boston und Florida entwickelte sich in den letzten Jahren eine der größten NHL-Rivalitäten. Angeführt von Marchand, der Florida im Boston-Trikot in 53 Spielen begegnete - darunter in den Playoff-Serien 2023 und 2024.

2023 führten die hochfavorisierten Bruins mit 3:1, doch Florida kämpfte sich zurück und eliminierte Marchand und Co. in Spiel 7 in der Overtime.

2024 nahm die Serie in Spiel 3 eine Wendung, als Marchand nach einem nicht geahndeten Schlag von Sam Bennett wegen einer Oberkörperverletzung für zwei Spiele aussetzen musste. Florida setzte sich durch und gewann später den Stanley Cup.

"Es ist eine kleine Überraschung für uns Trainer", meinte Florida-Coach Paul Maurice über die Ankunft von "The Rat". Aber: "Wir sind von der Idee sehr begeistert."

Differenzen aus dem Weg geräumt

Das Kriegsbeil zwischen Marchand und Bennett war schnell begraben. Beim 4-Nations-Faceoff spielten beide bereits Seite an Seite für Kanada.

Außerdem steht die Professionalität im Vordergrund. Alte Fouls, egal ob mit oder ohne Verletzungsfolge, und Aufeinandertreffen werden zum Wohle des Teams schnell vergessen.

Und: Wer hätte nicht gerne ein Trio bestehend aus Matthew Tkachuk, Bennett und Marchand in seinem Team?

Der Winger fügte sich jedenfalls nahtlos in das hervorragende Teamgefüge der Panthers ein. "Er ist eine unglaubliche Person und ein toller Spieler. Er pusht jeden hier täglich aufs Neue", sagte A.J. Greer.

Anwärter auf die Conn Smythe Trophy?

Dass Marchand auch mit 37 Jahren immer noch ein essenzielles Puzzlestück auf dem Weg zum Stanley Cup sein kann, beweist er in der laufenden Postseason.

In 20 Spielen verbuchte Marchand bereits 18 Punkte, teamintern waren bisher nur Bennett (20) und Carter Verhaeghe (19) an mehr Toren beteiligt.

Marchand tunnelt Stuart Skinner in Final-Spiel 2
Foto: © getty

Der Angreifer führte Florida in Spiel 2 der Stanley-Cup-Finals gegen die Edmonton Oilers mit einem Doppelpack, inklusive Gamewinner in der zweiten Overtime, zum Sieg und eröffnete Spiel 3 nach nicht einmal einer Minute mit seinem vierten Tor in der Final-Serie.

Nebenbei treibt er die beiden Finnen Anton Lundell und Eetu Luostarinen zu Höchstleistungen und bildet mit ihnen die stärkste dritte Linie der Liga. Das Trio vereint 49 (!) Scorerpunkte.

Damit bringt sich Marchand in die Diskussion für die Conn Smythe Trophy als Playoff-MVP, sofern die Panthers ihren Titel erfolgreich verteidigen sollten.

Vorzeitig verlängern oder Markt testen?

Bis dorthin ist es noch ein weiter Weg. Und dann?

Marchand befindet sich im letzten Jahr seines Achtjahres-Vertrages, der ihm durchschnittlich 6,125 Millionen US-Dollar eingebracht hat. Ob der Kanadier sein neues Arbeitspapier bei den Panthers unterzeichnet, ist nicht gesichert.

Experten rechnen damit, dass Marchand nicht vorzeitig unterschreiben und ab 1. Juli als Unrestricted Free Agent (UFA) den Markt testen wird. Immerhin bietet sich diese Chance zum allerersten Mal.

Was kann sich Florida leisten?

Laut TSN-Insider Chris Johnston könnte Marchand problemlos noch einmal rund acht Millionen Dollar pro Jahr verdienen - und trotz seines Alters über drei bis vier Jahre.

Plattformen wie "Cap Wages" prognostizieren hingegen eher einen Zwei-Jahres-Vertrag über rund 5,1 Millionen US-Dollar jährlich.

Für 2025/26 haben die Panthers zwar einen Cap Space von 19 Millionen Dollar US-Dollar, doch auch die Verträge von Bennett und Aaron Ekblad laufen aus. Alle drei halten? Ein kaum lösbares Puzzle - vor allem Bennett gilt ligaweit als heiß begehrt. Marchand könnte seinen einstigen Nemesis zumindest in der nahen Zukunft ersetzen.

Ratte trifft auf Rattenkult

Der 37-Jährige passt nicht nur sportlich zu den "Cats" - er ist fast schon eine Symbolfigur für Florida.

Die Panthers pflegen seit 1995 eine ganz eigene "Ratten"-Tradition: Damals tötete Scott Mellanby vor dem ersten Heimspiel der Saison eine echte Ratte in der Kabine und erzielte danach einen Hattrick.

Die Panthers-Fans schmuggelten in der Folge regelmäßig Plastik-Ratten in die Arena und warfen diese aufs Eis. Mittlerweile wurde es zur liebgewordenen Tradition, auf diese Weise einen Heimsieg zu zelebrieren.

Der König und seine Familie

Und Marchand? Er wird von seinen Teamkollegen daraufhin mit den Plastik-Ratten abgeschossen. Passend zu seinem Spitznamen.

Rodrigues schießt Marchand mit Plastik-Ratten ab
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"Sie sehen einfach meine gesamte Familie auf dem Eis und wollen, dass wir zusammen sind", witzelte der 37-Jährige nach dem Einzug ins Stanley-Cup-Finale.

Evan Rodrigues hätte diesen Trend gestartet, erzählte Marchand. "Eine war zufällig genau dort und er fing an, sie alle auf mich zu schießen, und dann ging es immer so weiter."

Aleksander Barkov und Tkachuk schlossen sich Rodrigues an, bald zog das ganze Team mit. "Sie schießen, um mich zu verletzten", scherzte Marchand. Doch Marchand nimmt es mit Humor - und verkörpert den Rattenkult wie kein Zweiter.

Daher besteht kein Zweifel: Brad Marchand ist der unumstrittene "König der Ratten".


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