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Freimüller analysiert die Vegas Golden Knights

LAOLA1-Experte Bernd Freimüller beleuchtet die Hintergründe der Kaderpolitik:

Freimüller analysiert die Vegas Golden Knights Foto: © getty

Dänemark oder Griechenland Fußball-Europameister? Kaiserslautern als Aufsteiger gleich deutscher Meister? Leicester City Gewinner der Premier League? Alles Kinderkram, sollten die Vegas Golden Knights den 1:3-Rückstand in den NHL-Finals gegen die Washington Capitals noch drehen und nach Finale 7 den Stanley Cup in die Höhe hieven.

Selbst wenn die Krönung ausbleiben sollte, ist die erste Saison des NHL-Neulings als absolute Sensation zu betrachten. Noch ist das Stanley-Cup-Finale nicht vorbei: Die Heimstärke der Golden Knights ist einer ihrer Vorteile.

Egal wie die Finalserie ausgeht, ist das bisherige Auftreten doch Grund genug für LAOLA1-Experte Bernd Freimüller, die sportlichen Aspekte der Erfolgsgeschichte des Expansion-Teams noch einmal näher zu beleuchten:

Der unerwartete Erfolgslauf

Alle NHL-Pundits sind sich ausnahmsweise einmal einig: Die Erfolgsstory von Vegas hat keiner kommen sehen. Schon der Grunddurchgang war einer für die Geschichtsbücher, angeblich - ich habe keine Ahnung von diesen Sportarten - hat nie ein MLB-, NBA- oder NFL-Team in seiner Expansion-Saison seine Division gewonnen. 109 Punkte bedeuteten die fünftbeste Ausbeute und den souveränen Einzug in die Playoffs.

Das alleine wäre schon eine Cinderella-Story gewesen, doch die war noch lange nicht beendet: Die Los Angeles Kings (Sweep), die San Jose Sharks (4-2) und die Winnipeg Jets (4-1) waren die nächsten Opfer, wobei vor allem die vier Siege en suite gegen die bärenstarken Jets auch die letzten Zweifler verstummen ließen. 13-3 lautete die Ausbeute in den Playoffs vor dem Finale, daheim verlor man bis dahin nur eines der acht Spiele.

Hilfe durch den Expansion Draft

Wie hier auch schon mehrmals angeführt (meine Analysen vor und nach dem Expansion Draft) – der Expansion Draft kam dem Neuling durch seine großzügigeren Regeln sicher mehr entgegen als seinen Vorgängern vor Jahren. Doch das alleine hätte nicht gereicht: Einige Teams waren offenbar so damit beschäftigt, bestimmte Spieler zu beschützen, dass sie den Wald vor lauter Bäumen nicht sahen. Und dass ein Expansion-Team natürlich ohne schlechte oder einfach nur hohe Verträge startete und solche daher aufnehmen konnte, war auch ein Startvorteil.

Bestes Beispiel für die großzügige Unterstützung durch ein bestehendes NHL-Team: Die Florida Panthers ließen Jonathan Marchessault unprotected, obwohl dieser in der Vorsaison bereits 30 Tore erzielt hatte. Seine Ausbeute heuer (bei einem noch laufenden Vertrag von lächerlichen 750.000 US-Dollar): 75 Punkte in 77 Regular Season Games, 20 Punkte in bisher 19 Playoff-Spielen. Vegas nahm den Panthers auch noch gerne Reilly Smith und dessen dort unerwünschten 25-Millionen-Dollar-Vertrag ab.

Mit Marchessault und William Karlsson bildet Smith die Topline eines tief besetzten Teams. Der Panthers-General-Manager konnte dadurch immerhin Alex Petrovic beschützen, heute Defender Nummer sechs in seiner Depth Chart. Für dieses Entgegenkommen gab Dale Tallon Vegas-Gegenüber George McPhee auch noch einen Viertrunden-Pick als Draufgabe mit. Hier waren sich die Experten schon nach dem Draft einig, heute natürlich noch mehr: Was hat sich Tallon, dessen Panthers wieder einmal die Playoffs verpassten, dabei gedacht?

Auch Minnesota-GM Chuck Fletcher könnte seine Expansion-Politik neben anderen Faktoren seinen Job gekostet haben: Um etwa seine Defender Marco Scandella oder Matt Dumba zu beschützen, ließ er Erik Haula nach Vegas ziehen und gab den Knights als Morgengabe für dieses Entgegenkommen auch noch Youngster Alex Tuch mit. Beide entpuppten sich als Schlüsselspieler in Vegas, Haula kam gar auf unglaubliche 29 Regular-Season-Tore.

Neue Rollen, neues Glück

Nochmals zu William Karlsson: Im Gegensatz zu Marchessault, dessen Erfolg nicht so überraschend kam, sah niemand die unglaubliche Saison des Schweden kommen. Bei Columbus ein Tiefen-Center mit sechs Saisontoren in 81 Spielen, bei Vegas steigerte er sich mit der Rolle als Top-Pivot und erzielte unglaubliche 43 Tore in 82 Spielen.

Welcher dieser beiden Karlssons ist nun der wahre? Nun, ein Shooting Percentage von 23 Prozent im Grunddurchgang ist wohl kaum aufrechtzuerhalten, aber er hatte schon in jungen Jahren seine Qualitäten, wenngleich vielleicht auch nicht im Torjäger-Bereich. Ein Blick auf meinen letzten Junior-Report über ihn nach der U18-WM 2011 bildet diese Dichotomie auch ab: "Maybe another Loui Eriksson although his goal scoring potential may not be that high."

Ein weiteres Beispiel für einen Spieler, der sich mit zusätzlicher Eiszeit steigerte: Defender Nate Schmidt war ungefähr Nummer sieben in der Depth Chart der Washington Capitals, die ihn deswegen auch unprotected ließen. In Las Vegas ist Schmidt nun die Nummer eins in einer überaus mobilen Defensive.

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Das Mastermind

GM George McPhee stellte mit seinem Staff den Kader zusammen und schöpfte vor allem die Regeln des Expansion Drafts zu seinen Gunsten aus. Wie seine Spieler hatte auch McPhee einiges zu beweisen: Zwar lieferte er für die Capitals 17 Jahre eine solide Arbeit ab, viele Leute erinnern sich aber nur daran, dass er trotz einiger starker Teams nie den Stanley Cup nach Washington brachte sowie an einen völlig missratenen Deal, der sein Ende dort auch beschleunigte: Für den alternden Martin Erat (und die Draufgabe Michael Latta) schickte er 2013 den aufstrebenden Filip Forsberg nach Nashville. Weder Erat noch Latta halfen den Capitals in irgendeiner Art und Weise, Forsberg (bis dahin mit guten Ansätzen, aber wenig Offensive) entwickelte sich in Nashville zu einem NHL-Superstar.

Aber auch in Vegas klappte nicht alles: Der Russe Vadim Shipachyov kam als Free Agent aus St. Petersburg und war eigentlich als einer der Topstürmer eingeplant, was alleine schon an seinem Vertrag (zwei Jahre, neun Millionen Dollar gesamt) zu erkennen war. Nach drei Spielen für die Golden Knights und einem verweigerten Stint in der AHL war er schon wieder Geschichte.

Eine Petitesse natürlich angesichts des unglaublichen Erfolgsruns der Golden Knights, den McPhee jetzt ausgerechnet gegen seinen alten Arbeitgeber noch veredeln könnte.

Der Spielstil

Speed ist ihre Visitenkarte, sie haben den Trend der Zeit richtig erkannt. Doch es geht gar nicht nur darum, gut zu Fuß zu sein, das sagte auch Kings-Head-Coach John Stevens nach deren Erstrunden-Niederlage: "Sogar ihre nicht so schnellen Spieler spielen mit hohem Tempo. Kein anderes Team wechselt die Spielrichtung so schnell. Ihre Stürmer arbeiten so unglaublich hart, wenn sie den Puck verlieren, sodass ihre Verteidiger die Gap (=richtige Distanz zu den gegnerischen Stürmern) halten können. Und das gilt für alle Spieler im Kader."

In die gleiche Kerbe schlägt auch sein Kollege Peter DeBoer von den San Jose Sharks: "Du hast immer jemand von ihnen im Rücken, sie geben dir keine Ruhe. Dann versuchst du, Spielzüge durch die Mitte aufzubauen, was ihnen in ihrem Transition Game wieder in die Karten spielt."

Es geht also vor allem um den Speed ohne Puck, die sogenannte "Back Pressure", in der die Knights wohl das beste Team der Liga sind.

Die Coaches

Auch hier spielen wieder die Florida Panthers eine große Rolle. Unvergesslich, wie Head Coach Gerry Gallant von ihnen nach einem Heimspiel gefeuert wurde und er inmitten von Fans mit einem Taxi die Halle verlassen musste. Das ergab im Nachhinein auch einen wunderbare Fotomontage, die nach den Spielen gegen die Jets auftauchte: Gallant, wie er gerade das Taxi besteigt und die Sprechblase: "Fahren sie mich zum Stanley-Cup-Finale!"

Gallant, der ein knappes halbes Jahr nach seinem Rausschmiss in Las Vegas unterschrieb, ist ein durchaus fordender Coach, der aber bei Spielern immer beliebt ist. Bei ihm gibt es keine Macht- oder Psycho-Spiele, er lässt dich wissen, was er von dir will und fordert das auch ein, wenn du es ablieferst, lobt er dich auch dafür. Seit Jahren schon an seiner Seite, sogar damals im Taxi: Assistant Mike Kelly, der sich nach dem Abgang von Tommy Samuelsson auch in Wien vorstellen durfte, damals aber gewogen und als zu leicht befunden wurde. Gallant und Kelly bilden nun ein wunderbares Paar, für das ihre Spieler durchs Feuer gehen.

Der Torhüter

Marc-Andre Fleury war von Beginn an der bekannteste Name, den die Knights im Expansion Draft zogen. Er sollte von Beginn an das Gesicht der Franchise sein. Nun, nach einer Verletzung zu Saisonbeginn hielt sich das Team auch ohne ihn über Wasser, selbst als eine Massenepidemie unter den Goalies auszubrechen schien und gleich weitere vier Torhüter verschlissen wurden. Doch Fleury – eine der wunderbarsten und unkompliziertesten NHL-Persönlichkeiten – war bald wieder fit und der erhoffte Rückhalt, der er in Pittsburgh schon längere Zeit nicht mehr war.

Dann kamen die Playoffs – und da ist Fleury bekanntlich selten gut, oder? Typischer Fall von "denkste", er spielte jede Sekunde und das bei einem Goals Against Average von 1,81 und einem Save Percentage von 94,2 Prozent! Fabelzahlen, kein Wunder, dass DeBoer Fleury als größten Faktor für den Playoff-Siegeszug ausmachte: "Der beste Torhüter, mit Saves in den wichtigen Momenten, daher geraten sie fast nie in Rückstand."

Die Zukunft

Wie geht es nach den Feierlichkeiten, die selbst nach einem verlorenen Finale anstehen sollten, weiter? Die Golden Knights sind weder ein junges noch ein altes Team, einzig Grobian-Defender Deryk Engelland – als in Vegas beheimateter Spieler ein Lokalmatador – muss mit 36 Jahren doch bald an sein Karriereende denken. Der Rest des Kaders hat noch einige Jährchen vor sich und GM McPhee hat beim viertniedrigsten Gesamtgehalt der Liga noch genug Cap Space, um seine anstehenden Free Agents wie William Karlsson, James Neal, Tomas Nosek oder Verteidiger Shea Theodore mit neuen Verträgen auszustatten. Das hat er bei Goalgetter Jonathan Marchessault bereits gemacht, dieser durfte sich über eine Gehaltserhöhung von 750.000 auf fünf Millionen US-Dollar jährlich freuen.

Für ein selbst betriebenes Farmteam reicht die Personaldecke auch nächste Saison noch nicht, sie schicken ihre Spieler weiter zu den Chicago Wolves, die weder um die Ecke liegen noch für besonders engagierte Talentförderung bekannt sind. McPhee muss seinen Grundkader weiter ausbauen, nach den Wheelings und Dealings des Expansion Drafts verfügte er im letzten Entry Draft auch gleich über drei Erstrundenpicks, die er für Cody Glass, Nick Suzuki und den schwedischen Defender Erik Brännström nutzte.

Heuer sieht es nicht so gut aus, er hat zwar sieben Picks, aber keinen davon in der ersten oder dritten Runde. Ganz anders dann im wohl auch tieferen Draft 2019: Bereits jetzt verfügt McPhee dort über elf Picks, sechs davon gleich in den ersten drei Runden. Ähnlich sieht es für 2020 aus: Neun Picks, davon drei in der zweiten Runde.

Alles noch Zukunftsmusik und diese Picks müssen natürlich auch erst positiv verwendet werden. Doch wer in Vegas auf weitere erfolgreiche NHL-Saisonen der Golden Knights setzt, könnte sein Geld durchaus gut angelegt haben...

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