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Das ist der neue "Caps-Regisseur" Dave Cameron

Bernd Freimüller kennt den neuen Mann an der Bande der Wiener gut:

Das ist der neue Foto: © getty

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Knapp ein halbes Jahr brauchten die Vienna Capitals, um einen Nachfolger für Meister-Coach Serge Aubin zu finden: Selbst die lange Vorlaufzeit – Aubin gab schon im Dezember seinen Abschied nach Zürich bekannt – wurde von General Manager Franz Kalla und Präsident Hans Schmid voll ausgeschöpft.

Nicht überraschend, dass wieder einmal die Kabanen im Gänsehäufel längst bezogen waren, bevor der neue Coach gefunden war. Nach Gesprächen mit und Absagen an und von veritablen Kandidaten wurde es jetzt ein Mann, der in Europa lange kein Thema war: Erst nachdem Dave Cameron am 17. April als Assistant Coach in Calgary gefeuert wurde (mit Head Coach Glen Gulutzan und Kollegen Paul Jerrard), kam er auf einen Trainermarkt, der wie immer reich an Kandidaten, aber arm an wirklichen Alternativen ist.

LAOLA1-Scout Bernd Freimüller hat einige Fakten zum 58-jährigen Kanadier parat:

Der Karriere-Coach

Camerons Spielerkarriere (immerhin 168 NHL-Spiele für Colorado Rockies und New Jersey Devils) ging nahtlos in seine Coaching-Laufbahn über, insgesamt verfügt er über mehr als 30 Jahre Trainererfahrung. Als Head Coach wirkte er vorwiegend in der Ontario Hockey League sowie drei Jahre in Binghamton in der AHL.

Ein Wiedersehen mit der NHL gab es für ihn erst im Alter von 53 Jahren, als er an der Seite von Paul McLean als Assistant Coach in Ottawa übernahm. Drei Jahre später und im reifen Alter von 56 Jahren löste er diesen während der Saison ab und führte die Senators dann auch überraschend in die Playoffs, wo gegen die Montreal Canadiens aber schnell Endstation war.

Die darauffolgende Saison verlief durchwachsen und ohne Playoffs, was für ihn unter dem neuen General Manager Pierre Dorion auch das Ende in Ottawa bedeutete. Erstmals seit knapp 15 Jahren dem Dunstkreis von Ottawa-Eigentümer Eugene Melnyk entkommen, fand er im Coaching Staff von Glen Gulutzan bei den Calgary Flames Unterschlupf. Dieser wollte einen Assistenten, der im schwierigen kanadischen Umfeld schon als Head Coach gearbeitet und mit den Medien Erfahrungen gemacht hatte. Als Gulutzan nach zwei Jahren ohne Playoffs und mit dem Ruf als "Softie" gehen musste, war auch für Cameron Schluss. Ehefrau Kelly wollte Europa kennenlernen und ihr Wunsch war ihrem Mann Befehl.

So lange sich auch Camerons Coaching-Lebenslauf liest – er verfügt auch über einen gelernten Beruf: Nach 10(!) Jahren Studium verfügt er über ein Business-Degree, arbeitete kurz in einer Bank und in einer Strafanstalt sowie als Karriereberater in einer High School.

Eugene Melnyk als Langzeit-Arbeitgeber für Cameron

Melnyk, der sein Vermögen in der Pharmaindustrie gemacht hat und zu den reichsten Männern in Kanada gehört, und Cameron kennen sich seit Jahrzehnten. Melnyk gehörte das Junioren-Team in Mississauga, das Cameron von 2001–2004 und 2007–2011 betreute. Dazwischen coachte Cameron in Binghamton, dem Farmteam der Ottawa Senators, die Melnyk in 2003 gekauft hatte.

Das Engagement bei den Senators war für Cameron damit das vierte in einem Team, das Melnyk gehörte und es ist nicht weit hergeholt, dass dieser Cameron Head Coach Paul McLean aufs Auge gedrückt hatte.

Doch die lange und enge Beziehung ging mit einem Knall zu Ende: Melnyk, der über die Jahre schon einige skurrile Äußerungen von sich gegeben hat, trat gegen Cameron ordentlich nach: "Die Entscheidung, den Backup-Goalie (Matt O’Connor) im ersten Saison-Spiel einzusetzen, war idiotisch und seine Arbeit nicht konstant genug."

Wer sich NHL-Coaches als eisenharte Bandengeneräle wie Scotty Bowman oder Mike Babcock vorstellt, wurde dann durch Camerons Reaktion eines besseren belehrt. Den Tränen nahe, stellte er sich nochmals der Presse in Ottawa: "Die letzten drei Wochen hatte ich das Gefühl, als ob ich jeden Tag gefeuert worden wäre. Man kann meine Arbeit beurteilen, wie man will, aber letzten Endes sind wir doch alle Menschen und so etwas schmerzt."

Fast 15 Jahre einer Beziehung, die sicher über ein Arbeitsverhältnis hinausging, kamen so zu einem krachenden Ende. Kein schöner Abgang - andererseits: Wäre Cameron ohne die Beziehung zu Melnyk je über den Status eines Junioren-Coaches hinausgekommen?

Camerons Erfolge

Als Assistant Coach gewann er mit dem U20-Nationalteam Kanadas Silber und Gold, als Head Coach dann wieder Silber, was in Kanada natürlich als Misserfolg angesehen wird. Das 3:5 im Finale gegen Russland nach einer 3:0-Führung nach 40 Minuten war das, was man als "Epic Meltdown" bezeichnet. Bei der Senioren-WM 2016 in Prag assistierte Cameron Head Coach Bill Peters und gewann mit Kanada in Moskau Gold.

Die Beurteilung seiner Head-Coach-Tätigkeit in Ottawa fällt unterschiedlich aus: Der Einzug in die Playoffs war sicher ein Coup, Backup-Goalie Andrew Hammond (der "Hamburglar") hexte die Senators am letzten Drücker in die Playoffs, nachdem sie 14 Punkte Rückstand aufgeholt hatten.

In der nächsten Saison spalteten sich dann die Meinungen über Cameron: Einige billigten ihm eine mittelmäßige und billig zusammengestellte Mannschaft zu, die dementsprechend mittelmäßig performte. Andere wiederum sahen in ihm einen Coach, der in der NHL überfordert war, die schlechtesten Special Teams hatte (trotz Erik Karlsson!) und dessen Team meist früh in Rückstand geriet und dabei fast immer "outshot" wurde.

Doch die Senators waren über Jahre der größte Trainer-Friedhof in der NHL und Melnyk mischte sich viel zu oft in sportliche Entscheidungen ein, während er gleichzeitig immer knausriger agierte, was Ottawa über die Jahre zu einer schlecht angesehenen NHL-Destination machte.

Schwer, Camerons Qualitäten als Head Coach einzuschätzen, und vor allem, sie auf die EBEL umzulegen. Die eineinhalb Saisonen in Ottawa brachten Höhen und Tiefen, das gleiche gilt auch für die Jahre in Binghamton: In seiner ersten Saison gewann er den Titel in der Northeast Division, zwei Jahre später war das Team das letzte der Gesamttabelle.

Der Mensch und Coach Dave Cameron und seine Denkweise

Auch, wenn er bei Pressekonferenzen und Interviews ab und an etwas steif und distanziert wirkt: Über den Menschen Dave Cameron hört man Gutes – Parallelen zu Serge Aubin vor dessen Amtsantritt. Allerdings: Auf einfältige Journalistenfragen agiert er manchmal schmallippig und einsilbig.

Eine meiner Quellen in Nordamerika hat mit Cameron zusammengearbeitet und weiß dies über ihn zu berichten:

"Ehrlich, aufrichtig und ein harter Arbeiter. Versteht das Spiel gut, kann Team auch während des Spiels auf den Gegner ein- oder umstellen. Hat Bank unter Kontrolle, aber übercoacht nicht. Gute Kommunikation mit seinen Spielern, keine Machtspiele, du weißt, woran du bist. Arbeitet gut mit jungen Spielern, hat eben Erfahrung aus dem Juniorenbereich. Sehr professionell und arbeitsam, hat aber auch guten Sinn für Humor."

Sich selbst beschreibt Cameron als einen Coach, der an intensive Trainings glaubt und das Spiel nicht übermäßig komplizieren will. Nach dem (harten) Training steht seine Tür immer für Spieler offen, einstige Cracks glauben auch, in ihm über die Jahre mehr Zugänglichkeit ausgemacht zu haben, nachdem er zunächst eher ein "Hard Ass Coach" war. Als Head Coach delegiert Cameron auch gerne, damit Spieler nicht immer die gleiche Stimme hören müssen. Einstige Weggefährten aus Prince Edward Island beschreiben ihn als einen geborenen Leader mit der immer wieder geäußerten Maxime "Harte Arbeit bezwingt pures Talent".

Das Manko in seinem Lebenslauf

Ich kenne die Anforderungen (und auch das gezahlte Gehalt) bei den Vienna Capitals noch aus eigener Erfahrung. Etwas fällt in Camerons Lebenslauf krass auf: Sein Mangel einer Spieler- oder Coaching-Karriere in Europa.

Unterschätze nie die mangelnde Welterfahrung von eigentlich intelligenten Nordamerikanern – so fragte mich einmal ein langjähriger AHL-Coach: "Liegt Wien in der Schweiz?". Zum neuen Leben in Europa kommen dann noch die Eigenheiten des Eishockeys hier allgemein und der EBEL im speziellen. Im Gegensatz zur AHL steht der Kader ziemlich und kann während der Saison nur punktuell verändert werden. Die Qualität des Nachwuchses hier ist natürlich mit der in Nordamerika nicht zu vergleichen. Und bei der Erklärung der Punkteregel – dazu vielleicht noch in einem nicht so perfekten Englisch – habe ich schon bei manchen Coaches nach kurzer Zeit glasige Augen bemerkt.

Doch Cameron hat ja einen Mann in seiner Familie, der die EBEL aus erster Hand kennt: Sein Sohn Connor coachte in der ersten Hälfte der letzten Saison Medvescak Zagreb. Mit 31 Jahren war er vielleicht noch etwas jung und dann auch überfordert in einem ohnehin schon schwierigen Pflaster wie in Zagreb, aber in meinen Gesprächen mit ihm präsentierte er sich als sympathischer und durchaus eishockeygewandter Mann. Mich würde es nicht wundern, wenn er an der Seite seines Vaters und Varian Kirst (er soll als Goalie-Coach in Wien bleiben) agieren würde. Weder Vater noch Sohn Cameron sprechen allerdings Deutsch...

Alte EBEL-Bekannte

Wer so lange im Business ist wie Cameron, hat natürlich Hunderte von Spielern gecoacht – Rob Flick, Chris DeSousa, Danny Bois, Olivier Roy oder Tomas Kudelka sind nur einige von vielen derzeitigen oder Ex-EBEL-Cracks, die in einem seiner Teams standen.

Wie sehr seine Kontakte zur Rekrutierung von Legionären beitragen können, wage ich nicht vorauszusagen. Bestes Beispiel dafür ist Linz-Coach Troy Ward, der auch überraschend wenige Spieler aus Nordamerika loseisen konnte oder wollte.

Die Anforderungen an Cameron sind sicher hoch: Das Duo Aubin-Streu verwöhnte die Wiener Fans mit attraktiven und auch lange erfolgreichem Eishockey, dazu spielten einige Cracks wie Rafael Rotter am Zenit ihres Könnens. Der Kern des Caps-Kaders bleibt zwar zusammen und mit einigen guten Verstärkungen sollte auch wieder ein gutes Team auf dem Eis stehen, doch Cameron tritt trotz der Trumpfkarte "NHL" sicher kein leichtes Erbe an...

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