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Freimüller über Scouting und Coronavirus

LAOLA1-Scout Freimüller: So verändert das Coronavirus die Eishockey-Welt:

Freimüller über Scouting und Coronavirus Foto: © getty

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EBEL und DEL abgebrochen, andere Ligen unterbrechen ihre Meisterschaft oder spielen unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Auch in der NHL werden die ersten Maßnahmen gesetzt. Wie verändert das Coronavirus die Scouting-Welt?

Fünf Minuten nach Abbruch der EBEL-Saison war für mich die Sache bereits erledigt, anders als pragmatisch kann man so etwas nicht betrachten. Scoutingmäßig habe ich die Liga ohnehin längst abgeschlossen gehabt, die knapp 140 Berichte sind schon lange im Kasten, weitere Hallenbesuche waren nicht geplant.

Rok Ticar und Jhonas Enroth kennne ich zur Genüge

Rok Ticar und Jhonas Enroth kennne ich zur Genüge

Die lapidaren Gründe dafür: Bräuchte ich noch zusätzliche Viewings von Spielern, die ich schon unzählige Male gesehen habe, würde mich das ja bezüglich der Nicht-Playoff-Teams wie Dornbirn oder Innsbruck von Haus aus ins Eck stellen.

Einzig spät verpflichtete Cracks habe ich natürlich weniger gesehen – Rok Ticar kenne ich aber zur Genüge, Jhonas Enroth ebenfalls. Lediglich die beiden Fehervar-Finnen Kalle Kaijomaa und Tino Metsävainio habe ich nie gesehen, das bereitet mir aber keine schlaflosen Nächte.

Wie wäre es weitergegangen? Für die nächste Woche war ein Besuch bei den tschechischen Playoffs geplant, danach in der Slowakei. Beide Ligen sind noch nicht gecancelled, daher besteht noch eine kleine Chance auf Spielbesuche. Doch nachdem ich alle Teams beider Ligen heuer schon gesehen habe, ist auch das kein Muss, einzig der Ex-Innsbrucker Jeremie Blain bei Sparta Prag, der wieder auf den Markt kommen dürfte, wäre noch ein Muss-Bericht gewesen.

B-WM mit Rumänien und Südkorea hat geringen Wert

Von den Turnieren im April – die IIHF wird diese wahrscheinlich nächste Woche absagen – täte mir nur die Absage der U18-B- und C-Weltmeisterschaften in der Slowakei und Italien leid.

Sicher ungewohnt, den österreichischen Nachwuchs zum Saisonende nicht noch einmal zu beobachten, aber auch das schlägt keine riesigen Lücken, fast alle 2002- und 2003er habe ich im Laufe der Saison gesehen. Die Senioren-B-WM hat aufgrund teilnehmender toter Märkte wie Rumänien und Südkorea und alten Bekannten wie Ungarn oder Slowenien ohnehin nur einen sehr geringen Wert.

Ich gehe davon aus, dass zu meinen 172 Spielen heuer so gut wie keine mehr dazukommen – das schaufelt aber Zeit für mehr Recherche bzw. TV-Viewings aus der AHL und DEL frei. Das früheste Saisonende meines Lebens ist natürlich keine Kleinigkeit, allerdings auch kein großes Drama. Auch die einzige finanzielle Vorleistung – zwei ÖBB-Sparschiene-Tickets nach und von Laibach – sind überschaubar.

NHL-Scouting

Wie wirkt sich Corona aber für die Vorarbeiten zum NHL-Draft 2020 aus?

Schon in den letzten Wochen stornierten einige nordamerikanische Scouts auf Anweisung ihrer Arbeitgeber ihre Trips nach Europa. Doch natürlich bleiben auch die USA und Kanada von Corona längst nicht verschont. Die San Jose Sharks sind das erste NHL-Team, das seine nächsten Heimspiele vor einer reduzierten Kulisse (1000) bestreiten muss. Natürlich wird es nicht dabei bleiben, auch im Minor-Pro- oder Junioren-Bereich ist mit ähnlichen Maßnahmen oder gar Absagen zu rechnen.

Die Scouting-Welt läuft natürlich schon seit Saison-Beginn auf Hochtouren, kein Scout von Wert verlässt sich auf die letzten Wochen der Saison. Es bräuchte ja kein Großereignis wie Corona, es würde schon reichen, dass sich ein Spieler im Februar verletzt und dann stünde man ohne vorheriges Coverage dumm da.

Scouts der Bruins oder aus Tampa werden Rossi nicht mehr nachjagen

Aber natürlich arbeiten Scouts bis zum letzten Tag der Saison und jetzt ist schon längst eine Saison-Phase erreicht, wo sich die Reisepläne der Teams unterscheiden, vor allem bezüglich ihrer potentiellen Erstunden-Picks. Die Scouts der Boston Bruins oder Tampa Bay etwa werden Spielern wie Marco Rossi, Quinton Byfield oder Tim Stützle nicht mehr rund um die Uhr nachjagen.

Drei potentielle Top-5-Picks und verringertes Coverage? Wie passt das zusammen? Ganz einfach: Beide Teams sind so hoch in der Tabelle platziert, dass sie mit einem sehr hohen Pick "bestraft" werden, das heißt Top-Cracks wie diese sind zum Zeitpunkt ihres Erstrunden-Picks schon lange vom Board verschwunden.

Natürlich kann noch ein größeres oder kleineres Wunder passieren: Die Bruins könnten etwa mittels Draft-Lotterie weit nach oben rücken, ihr GM könnte einen höheren Pick mittels Trade erwerben oder alle anderen Teams in einem Akt kollektiver Verdummung diese Spieler durchrutschen lassen.

Natürlich verfügen die Bruins oder die St. Louis Blues auch in so einem Fall über genügend Wissen, es ist nicht so, dass sie am Draft-Tag über das Mikro verlautbaren müssten: "Wir wissen nicht weiter." Auch sie machen natürlich ein genaues Ranking aller Picks, selbst wenn diese nicht in Reichweite liegen.

Nur: Wo etwa die Ottawa Senators (zwei Picks in den ersten fünf!) oder die jämmerlichen Detroit Red Wings die Top-5-Plätze bis zum Erbrechen mit Mühe entwirren müssen, betrifft das die Bruins in ihren Rankings eher von Platz 10 bis 25.

Die Spiele bis zum Saisonende – selbst wenn dieses regulär erfolgt – sind abzählbar, vor allem in Europa, wo die Playoffs schon begonnen haben oder vor der Tür stehen. Deswegen ist das Coverage der einzelnen NHL-Organisationen unterschiedlich.

Allerdings: Ein Scout, der einen Spieler wie Jack Quinn beobachtet, der in der zweiten Saisonhälfte wie verrückt trifft und die Scouting-Charts hinaufklettert, sieht Marco Rossi unweigerlich, da beide ja bei den Ottawa 67's spielen. Dazu kommt noch, dass die regionalen Scouts die Spieler ihrer Region (z. B. OHL oder QMJHL) immer im Auge haben, lediglich die Scouts, die Cross-Over-Scouting betreiben (das heißt in andere Regionen reisen), müssen die letzten möglichen Viewings sorgfältig planen.

NHL-Teams können beinahe immer vernüftige Listen aufstellen

Natürlich könnten die NHL-Teams selbst bei einem sofortigen Abbruch aller Ligen vernünftige Listen aufstellen, lediglich das sonst nur nebenher betriebene Video-Scouting müsste dann intensiviert werden.

Für einige europäische Cracks wirkt sich Corona allerdings nicht vorteilhaft aus, wobei ich von einer Absage der U18-A-WM in Plymouth ausgehe. Spieler wie Tim Stützle, Lukas Reichel oder JJ Peterka wären dann überhaupt nicht mehr zu sehen. Schon jetzt stöhnten Scouts darüber, dass sie diese Spieler nur gegen ältere Gegner (DEL oder U20-WM) gesehen hätten, ein Antreten bei der U18-WM hätte für einen endgültigen Gesamteindruck sehr geholfen.

Ich war da allerdings sehr skeptisch, da ja Mannheim (Stützle) oder München (Peterka) Favoriten für das parallel stattfindende DEL-Finale waren. Jetzt hätten sie plötzlich sogar für die ganze WM-Vorbereitung Zeit, spätestens nächste Woche will die IIHF ja über dieses und andere Turnier entscheiden.

Auch die beiden Schweden Alexander Holtz und Lucas Raymond – beides Top-10-Kandidaten - könnte eine Teilnahme an der U18-WM nur guttun, sie rangen in der SHL zeitweise um Eiszeit bzw. tragende Rollen. Auch das sind Probleme, die natürlich in jedem Draft-Jahr auftreten, durch Corona und abgesagte Spiele für Scouts aber verschärft werden.

Selbst eine Absage des NHL-Combines (Buffalo) und des Drafts (Montreal) kann niemand mehr ausschließen. Doch der Draft könnte ja auch ohne Probleme in einem Hotel (wie nach dem letzten Lockout) oder per Telekonferenz erfolgen.

Marco Rossi, Tim Stützle, Thimo Nickl & Co werden Ende Juni zweifellos gedraftet, lediglich die Rahmenbedingungen und Informationsbeschaffung könnten sich ändern. Sicher nicht das größte Problem, das die Welt durch Corona erfährt, aber die Scouting-Welt kann sich in ihrem Mikrokosmos dem großen ganzen auch nicht entziehen ...

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