"Ich habe das Gefühl, dass Jannik ein anderes Level hatte", sagte der fast bemitleidenswerte Musetti, immerhin die Nummer zehn der Welt.
Die Überlegenheit wirkt auf einen anderen Rivalen derart extrem, dass er ehrfürchtig ein humorvoll kreatives Kompliment schuf. Das könne doch nicht mehr menschlich sein, befand Alexander Bublik. "Er ist wie ein KI-generierter Spieler", sagte der Kasache, der im Achtelfinale beim 1:6,1:6,1:6 so überfordert war, dass er darüber nur lachen konnte.
Die Extraklasse des unaufgeregten Bergliebhabers aus Südtirol wirkt, als hätte man mit Künstlicher Intelligenz oder in einem Labor den perfekten Tennisspieler geschaffen. So oder so ähnlich dürfte es Bublik gemeint haben. "Ich bin keine Maschine", hatte der Südtiroler schon nach Runde drei gesagt, als er sich gegen den Kanadier Denis Shapovalov schwerer getan hatte.
Seit Roger Federer 2008 hat niemand mehr den Titel verteidigt
Wie selbstverständlich und beständig der mental starke viermalige Grand-Slam-Sieger die Bälle über das Netz donnert, bekam jetzt aber auch Musetti zu spüren. "Ich habe ehrlich gesagt noch nie gegen jemanden gespielt, der mich im Ballwechsel so unter Druck gesetzt hat", sagte der 23-Jährige. "Das fühlte sich ziemlich schlecht an."
Sinner scheint auf gutem Weg, als Erster seit dem Schweizer Roger Federer und dessen Siegesserie zwischen 2004 und 2008 seinen Titel in New York verteidigen zu können. Der Rapper Drake wettete 300.000 Dollar darauf, dass der Vorjahreschampion erneut den Titel feiert. Die Wette würde ihm 507.000 Dollar einbringen. Ob das allerdings für Sinner ein gutes Omen ist? Der Kanadier ist bekannt dafür, hohe Wetten zu platzieren - und oft zu verlieren.
Doch allzu gewagt scheint das Spielchen mit dem Geld nicht zu sein. Sinner hat 26 Matches in Serie bei den Grand-Slam-Turnieren auf Hartplätzen gewonnen und sich auch von einer dreimonatigen Dopingsperre in diesem Jahr nicht von seinem Weg abbringen lassen.
Auf seinem Durchmarsch bis ins Halbfinale gegen Auger-Aliassime gönnte er seinen Gegnern in den fünf Runden nur 38 Spiele. "Ich liebe es, in einem Turnier weit zu kommen und mein Niveau zu steigern", sagte der Topgesetzte. Es könnte - um bei Bublik zu bleiben - für die Konkurrenz noch unmenschlicher werden.
Becker hin und weg von Alcaraz
Die sieben vergangenen Grand-Slam-Pokale haben Sinner und Alcaraz unter sich aufgeteilt. Vor den finalen Tagen deutet alles darauf hin, dass einer der beiden auch in New York die Trophäe in sein Gepäck packen wird.
"Wir müssen nicht über sie reden. Wir wissen, dass sie die zwei besten Spieler der Welt sind", sagte der 38-jährige Djokovic, dessen Rolle sich vom langjährigen Dominator zum Herausforderer gewandelt hat.
Der 24-fache Grand-Slam-Turniersieger möchte als Spielverderber Alcaraz diese US Open im Halbfinale vermiesen. Inklusive Zauberschläge zeigt der Spanier allerdings ebenfalls seine imposante "Grand-Slam-Version" (Viertelfinal-Verlierer Jiri Lehecka) und beeindruckt damit auch Boris Becker.
Bei Titel fehlte Sinner nur ein Punkt zum "Grand Slam"
"Ich bin hin und weg von Carlos Alcaraz. Ich habe ihn noch nie bei den US Open so stark spielen sehen wie bis jetzt", sagte der dreimalige Wimbledonsieger in seinem Podcast mit Andrea Petkovic. In Anbetracht aller Vorzeichen wäre alles andere als ein neuerliches Finale Sinner-Alcaraz eine große Überraschung, trotz dem Djokovic-Faktor.
Sollte sich Sinner durchsetzen, hätte es am Ende doch einen Wermutstropfen für den Südtiroler: Drei Mal war Sinner im denkwürdigen French-Open-Finale nur einen Punkt vom Sieg entfernt, ehe Alcaraz sich noch durchsetzte - und dann wäre ihm sogar der "Grand Slam" geglückt.
Also dem Gewinn aller vier Majors im gleichen Kalenderjahr. Das ist bisher bei den Männern nur Donald Budge (1938) und Rod Laver (1962 und 1969) geglückt.