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Emotionale Hamilton-Botschaft nach Rekord-Titel

Lewis Hamilton übertrifft mit 7. Titel seine Träume. Wolff sicher: "Da kommt noch was".

Emotionale Hamilton-Botschaft nach Rekord-Titel Foto: © getty

Lewis Hamilton schreibt die Geschichtsbücher der Formel 1 neu. 

Mit seinem historischen siebenten WM-Titel, den er beim Türkei-GP fixierte, ist der Brite mit Rekordchampion Michael Schumacher gleichgezogen. Schumis Bestmarke, die für die Ewigkeit zu sein schien, ist egalisiert. Die Rekord-Weltmeister der F1 >>>

Noch im Cockpit ließ Hamilton nach der Zieldurchfahrt seinen Emotionen freien Lauf und teilte via Funk die Botschaft, dass man einfach immer an sich glauben solle. "Für alle Kinder da draußen, die vom Unmöglichen träumen - ihr könnt es schaffen", sagte Hamilton. 

Der siebente WM-Titel übersteige seine Jugendträume, erklärte der Mercedes-Pilot. "Ich erinnere mich, als Michael diese ganzen Titel gewonnen hat. Ich habe davon geträumt, als ich jung war. Das jetzt übertrifft meine Träume." 

Hamilton: "Wollte nicht, dass die Leute meine Tränen sehen"

Die Emotionen übermannten Hamilton aber nicht erst im Ziel, schon während der letzten Runden gingen ihm die Gedanken an den Rekord-Titel, der schon zum Greifen nah war, durch den Kopf. 

"Ich wollte nicht, dass die Leute meine Tränen sehen, aber es war einfach zu viel."

Hamilton über Emotionen bei seinem Titel

"Ich verliere sehr selten die Kontrolle. In den letzten Runden musste ich mir aber sagen, dass ich durchhalte. Alle diese Emotionen kamen auf und ich habe versucht, sie zu stoppen. Ich habe an meine ganze Karriere gedacht. Als ich fünf Jahre alt war und die erste Meisterschaft gewonnen habe. Als ich über die Linie gefahren bin, hat es mich erwischt und ich bin in Tränen ausgebrochen. Ich konnte das einfach nicht begreifen. Ich bin sehr stark, aber ich konnte das ohne Leute wie meinen Vater gar nicht schaffen. Ich habe an ihn gedacht oder auch an meine Mutter. Ich wollte nicht, dass die Leute meine Tränen sehen, aber es war einfach zu viel", gestand Hamilton nach dem Rennen. 

Erster Gratulant am Funk war Teamchef Toto Wolff. Mit dem Istanbul-Triumph habe Hamilton trotz schlechter Ausgangsposition einmal mehr seine Ausnahmestellung bewiesen, meinte der Österreicher.

"Unglaublich, gegen jede Erwartung. Heute hat er einfach wieder gezeigt, wie herausragend er ist. Dass er im Rennen ein Auto, das ganz schwer zu fahren war, einfach auf der Straße gehalten hat und auf seine Chance gewartet hat, und dann am Ende einsam davongefahren ist", analysierte Wolff die Siegesfahrt seines langjährigen Schützlings.

Am Ende habe man zwar um die stark abgefahrenen Reifen gezittert, auf einen zweiten Boxenstopp in der Schlussphase trotz drohendem Regens aber verzichtet. "Ich hätte es nicht besser machen können. Eine fantastische Fahrt, das war wirklich genial", so Wolff. "Lewis war hungrig wie ein Löwe. Seine Motivation lässt nicht nach".

Hamilton blickte in der Stunde seines großen Erfolgs an seine Anfänge zurück. "Mein Vater hat immer gesagt, dass ich Taten auf der Strecke sprechen lassen soll. Ich hoffe, diese Leistung hat für sich gesprochen. Ich habe mit fünf Jahren die Formel 1 im Fernsehen gesehen und habe davon geträumt, auch dabei zu sein. Es hat lange gedauert, um hier zu sein. Ich bin unendlich dankbar, hier zu sein."

Hamilton-Zukunft: "Da kommt noch was"

Neben all dem Jubel ist nach wie vor Hamiltons Zukunft großes Thema. Wolff ist deshalb überzeugt, dass der Weltmeister seine Karriere beim Werksteam fortsetzen und damit im nächsten Jahr auf seinen bereits achten WM-Titel losgehen wird.

"Er ist natürlich mitten in seinem Schaffen. Und ich glaube, da kommt noch was drauf. Wenn wir weiter ein gutes Auto bauen, kann er weiter Rennen gewinnen und hoffentlich auch um Meisterschaften fahren", erklärte Wolff im Sky-Interview.

Er rechne mit Hamiltons Vertragsunterschrift bis spätestens Ende Dezember. "Es wird Zeit, dass wir das langsam machen. Nicht vor Bahrain, bis zum Jahresende", so Wolff.

Auch Hamilton kündigte nun Verhandlungen an: "Das ist etwas, das wir jetzt angehen. Ich wollte warten, bis der Job getan ist. Jetzt wird es etwas ruhiger. Wir werden es hinbekommen, da bin ich mir sicher. Aber es sind auch noch drei Rennen, noch ist nicht alles vorbei."

Hamilton: Freigeist, Superstar, Vorreiter

(Text wird unter dem Video fortgesetzt)

Hamilton ist in diesem von der Coronakrise überschatteten Jahr nicht nur zum Rekordmann, sondern ebenso endgültig zum Meinungsführer geworden - auch abseits der Formel 1. Über die Sozialen Netzwerke inszeniert er sich und seine Sicht auf die Welt. So zählt der schwarze Formel-1-Pionier etwa zu den prominentesten Unterstützern der "Black Lives Matter"-Bewegung gegen Rassismus und Polizeigewalt.

Dazu beschäftigen Hamilton der Klimawandel und Naturkatastrophen genauso wie die Themen Tierhaltung, fleischlose Ernährung und nachhaltiger Anbau von Lebensmitteln. Seit rund vier Jahren lebt der Engländer mittlerweile vegan. Als Topsportler fühlt er sich dadurch fitter. "Der Darm ist dein zweites Gehirn", meinte der Nachfahre einer aus der Karibik eingewanderten Familie einmal über den Einfluss von Ernährung.

Hamilton will deshalb klimaneutral leben - den augenscheinlichen Widerspruch zu seinem Dasein als Jet-Setter in einer Hybrid-Serie muss er akzeptieren. "Ich erlaube niemandem in meinem Büro oder meinem Haushalt, irgendwelches Plastik zu kaufen. Ich will, dass alles wiederverwertbar ist, bis hin zur Zahnbürste", erklärte er schon vor einem Jahr. "Ich versuche in meinem privaten Bereich so viel zu verändern, wie nur geht. Ich habe auch mein Flugzeug verkauft und versuche noch weniger unter dem Jahr zu fliegen."

Auch beim Saisonstart Mitte März in Melbourne baute Hamilton als einziger Pilot eine Druckkulisse auf die Formel-1-Bosse auf. "Schockierend" fand er es, dass sich die PS-Szene auf dem Albert Park Circuit versammelte, während längst in anderen Ländern aufgrund der Coronavirus-Pandemie die Alarmglocken schrillten. Hamiltons Bedenken wurden wenig später mit dem ersten positiven Testresultat eines McLaren-Mitarbeiters bestätigt und das Rennwochenende in Australien unmittelbar vor dem ersten Training abgesagt.

"Hi, ich bin Lewis Hamilton und will eines Tages euer Auto fahren"

Der Mut, öffentlich Stellung zu beziehen, entwickelte sich bei Hamilton erst im Laufe der Zeit. Courage besaß er aber eigentlich schon immer. Als Zehnjähriger war er auf den damaligen McLaren-Boss Ron Dennis zugegangen und hatte ihm erklärt: "Hi, ich bin Lewis Hamilton und will eines Tages euer Auto fahren."

Jahre später holte ihn Dennis tatsächlich ins Nachwuchsprogramm, 2007 debütierte Hamilton schließlich in der Formel 1 und wurde schon 2008 Weltmeister. Doch erst mit der Flucht vor dem "Alleinherrscher" Dennis bei McLaren, der Trennung von seinem Vater Anthony als Manager und dem Wechsel als Michael Schumachers Nachfolger zu Mercedes mit der Saison 2013 konnte sich Hamilton zu der Person entwickeln, als die er sich selbst sehen will: Freigeist und Superstar, der gleich sechs Mal - 2014, 2015, 2017, 2018, 2019 und 2020 - im Mercedes Weltmeister wurde.

"Man muss akzeptieren, dass jeder anders funktioniert", meinte einmal sein aktueller Teamchef, der 48-jährige Wiener Toto Wolff. "Indem wir ihm die Freiheit geben, seine Interessen zu verfolgen, können wir von ihm mehr Leistung auf der Strecke herauskitzeln." 

Mit Mode, Reisen oder Musik lenkt sich der Branchenleader ab. Hamilton vergisst dabei allerdings nicht, dass ihm als erstem dunkelhäutigen Piloten in der Formel 1 auch eine nicht zu unterschätzende gesellschaftliche Rolle zukommt. "Ich will den Weg ebnen für Fahrer, die einen ähnlichen Hintergrund haben wie ich", beteuerte der Mann aus der englischen Stadt Stevenage, dessen Vater das kostspielige Hobby des Sohnes nur durch mehrere Jobs gleichzeitig finanzieren konnte, schon vor längerer Zeit. Als schwarzer Bub unter weißen Kindern wurde Hamilton auch rassistisch beleidigt.

"Wir müssen anerkennen, dass wir in der Formel 1 nicht besonders divers sind", räumte auch Wolff wiederholt ein. "Ich habe durch Lewis gelernt zu akzeptieren, dass es schwierig ist, Diskriminierung von Zeit zu Zeit zu überwinden." Es ist eines der Themen, das Hamilton besonders beschäftigt. Und er wird sich weiter Gehör verschaffen.

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