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"Jeder kann Fußball spielen" – Ein Österreicher in den Favelas

Markus Schruf ist Leiter von mehr als 30 Fußballschulen in Brasilien, doch er will nicht nur den nächsten Neymar finden. Er will Kindern eine Chance im Leben geben.

"Jeder kann Fußball spielen" – Ein Österreicher in den Favelas Foto: © GETTY

"Wenn ein Österreicher den Brasilianern das Fußball spielen beibringen will, ist das, wie wenn man einen Brasilianer die Streif runterschickt", das sagt zumindest Markus Schruf im Interview mit LAOLA1.

Schruf lacht, wenn er diesen Satz sagt – und doch steckt viel Wahrheit darin. Denn der Niederösterreicher versucht genau das: Er bringt in den Favelas Brasiliens Kindern und Jugendlichen den Fußball näher – und schenkt ihnen damit weit mehr als sportliche Perspektiven.

Durch Fußball die soziale Leiter empor steigen

Markus Schruf ist Gründer und Leiter des Projekts "Base Brasil Fußballschulen", das rund 3.500 Kinder in 30 Städten und Gemeinden in Brasilien betreut. Ziel ist es, Kinder und Jugendliche durch Fußball von der Straße zu holen.

Im größten Land Südamerikas ist es möglich, durch Fußball die soziale Leiter empor zu steigen. Schruf will den Kindern in seinen Schulen aber nicht nur eine sportliche Chance bieten.

"Wir waren immer ein Sozialprojekt, wir wollten keine Agentur daraus machen."

Markus Schruf über die Talentsuche in Brasilien

"Wir wollen ihnen Life-Skills und soziale Skills vermitteln. Fußball ist ein Teamsport, man lernt sich gegenseitig zu respektieren und man lernt, mit Niederlagen umzugehen. Und es ist ein „demokratischer Sport“, wie sie in Brasilien sagen, man braucht nicht viel, um das Spiel zu spielen, auch in den Favelas, den sozial stark benachteiligten Zonen, in oder am Rande fast jeder Stadt. Das ist es, was den Fußball groß gemacht hat", sagt der Österreicher über die Ziele des Projekts.

"Fußball ist sozial demokratisch"

In den Favelas Brasiliens werden täglich über 800 Überfälle verübt und über 100 Menschen ermordet. All das ist Alltag für die rund 16 Millionen Menschen, die in den Favelas leben.

Genau diesen Menschen will Schruf mit Fußball helfen: "Fußball ist sozial demokratisch, jeder kann es sich leisten, ihn zu spielen - man braucht eigentlich gar nichts."

Die Suche nach dem nächsten Neymar

Brasilien ist verrückt nach Fußball – rund 5.000 Fußballschulen gibt es im Land, alle auf der Suche nach dem nächsten Neymar.

Schruf geht es um etwas anderes: "Wir waren immer ein Sozialprojekt, keine Agentur. Die Fußballschulen sind das Rückgrat des brasilianischen Fußballs, aber wir hatten auch einen anderen Anspruch."

Trotzdem durchliefen einige bekannte Namen die Schulen von "Base Brasil". Zu den bekanntesten zählt Emerson Royal, der zehnfache brasilianische Nationalspieler spielte in Europa unter anderem für Tottenham Hotspur, AC Milan und den FC Barcelona.

Von der Wiener Austria nach São Paulo

Von der Wiener Austria nach São Paulo
Andre Ramalho war einer der ersten Spieler, den Schruf förderte
Foto: ©GEPA

Der gebürtige St. Valentiner war einst in der Akademie bei Austria Wien tätig und arbeitete später in San Diego (USA) unter anderem mit Inter Mailand zusammen.

2009 folgte dann über Heinz Hochhauser, Schrufs ehemaligen Chef beim FC Linz, der Umzug nach São Paulo zu Red Bull Global Soccer.

"Ich hab einen Anruf von Heinz Hochhauser bekommen, der 2008 zum Akademieleiter und Sportchef bei Red Bull Salzburg aufgestiegen war. Er hat mir das Programm in Brasilien präsentiert. Wir sind gemeinsam nach Brasilien geflogen und innerhalb von Tagen habe ich entschieden, dass ich das mache. So bin ich dann im Februar 2009 komplett ohne Portugiesischkenntnisse hierher gekommen."

Schon nach kurzer Zeit entwickelte er gemeinsam mit brasilianischen Talentscouts Fußballschulen in den Favelas. Der Erfolg kam rasch: Red Bull Brasil gewann gleich im ersten Jahr mit einem der Nachwuchsteams eine Meisterschaft im Bundesstaat São Paulo, Einwohnerzahl 44 Millionen, gegen grosse Clubs, wie Santos, Palmeiras, Sao Paulo FC oder Corinthians SP.

Mit dabei: André Ramalho, der später bei Red Bull Salzburg Karriere machte.

Brasilien rückte in den Fokus

Nach zwei Saisonen und zwei weiteren Meistertiteln mit der Profimansschaft von Red Bull Brasil, „uebrigens die einzigen drei Meisterschaften die Red Bull Brasil gewinnen konnte“, folgte dennoch der Abgang von den "Bullen".

Die Fußballschulen wollte der Österreicher aber weiterführen. Allerdings waren es mittlerweile über 30 Schulen und die waren nicht ganz billig.

In Brasilien standen zu dieser Zeit glücklicherweise sowohl die WM 2014 als auch die Olympischen Spiele 2016 in Rio de Janeiro vor der Tür. Das rückte Brasilien ins Rampenlicht und half auch Schrufs Projekt.

Private Investoren, NGOs und sogar die österreichische Bundesregierung (Hope 87) unterstützten "Base Brasil". Hinzu kam eine Kooperation mit der "Non-Violence Project Foundation" (NVPF), einer internationalen Organisation, mit UN-Beraterstatus fuer Erziehungsprojekte und Gewaltpraevention.

"Als dann die olympische Flamme erlosch, war das auch für uns ein Erwachen. Brasilien ist wieder aus dem Blickwinkel gefallen."

Schruf über die schwerste Zeit in Brasilien

Ab 2015 konnte er auch wieder seine Kontakte zu Inter Mailand nutzen. Zwischen 2015 und 2018 trug das Projekt den Namen "INTER Academy Base Brasil": "Ich hatte immer noch Kontakt nach Mailand und hab ihnen unsere Spielerpässe gezeigt. Vertreter von Inter waren dann überzeugt und sind zu uns rübergekommen, mit dem Ziel einen Club in Brasiliien in Kooperation mit Inter Mailand zu gruenden.“ 

2018 übernahmen chinesische Investoren den dreifachen Champions-League-Sieger. Die Investoren wollten sich wieder mehr auf den Stammverein konzentrieren und das Clubprojekt in Brasilien wurde leider nicht umgesetzt.  

"Nur Talente zu finden, wäre mir zu fad"

Generell kam nach den Olympischen Spielen 2016 eine schwierige Zeit für den Niederösterreicher und sein Projekt: "Als dann die olympische Flamme erlosch, war das auch für uns ein Erwachen. Brasilien ist wieder aus dem Blickwinkel gefallen, somit haben sich auch internationale Spender neu orientiert." Hinzu kamen Pandemie und Kriege.

Schruf führte "Base Brasil" aber weiter. Neue Unterstützer aus Österreich, wie zum Beispiel "fussballreisen.com", kamen dazu und Schruf verlor vor allem den sozialen Aspekt nicht aus den Augen: "Fussball hat auch eine erzieherische und soziale Bedeutung, in Brasilien Talente zu finden, schafft jeder, das alleine wäre mir zu fad." 

"Jeder will Spieler wie einen Prohaska sehen"

"Jeder will Spieler wie einen Prohaska sehen"
Markus Schruf im Maracana-Stadion
Foto: ©Base Brasil

Auf die Frage, was der österreichische Fußball vom brasilianischen lernen kann, hob Schruf ganz klar zwei Aspekte hervor.

Einerseits sei die Leidenschaft und der soziale Stellenwert in Brasilien etwas einzigartiges. Andererseits wird in Brasilien viel mehr wert auf die Technik gelegt.

"Gerade auf die technische Grundausbildung sollte der Schwerpunkt liegen, denn alles andere kann man auch später erlernen. Jeder will Spieler wie einen Prohaska sehen – nicht nur Athleten, sondern auch Zauberer", sagt Schruf.

Ein Österreicher, der den Brasilianern mehr als nur Fußball zeigt

Dass ein Österreicher den Brasilianern Fußball beibringen kann, das zeigt die Geschichte von Markus Schruf, doch das alleine reicht dem Niederösterreicher nicht.

Seit über 15 Jahren kämpft Schruf in Brasilien dafür, dass Kinder in den Favelas mehr haben als nur den Ball am Fuß – nämlich eine Zukunft.

Sein Engagement zeigt: Fußball kann weit mehr sein als ein Spiel. Er kann Leben verändern.

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