Manchester United gegen Tottenham Hotspur. Auf dem Papier ist das Finale der UEFA Europa League (Mittwoch, ab 21:00 Uhr im LIVE-Ticker >>>) ein Duell der Giganten.
Blickt man auf die jüngere Vergangenheit der englischen Traditionsklubs, schaut das allerdings ganz anders aus. United und die Spurs hinken in der Premier League gewaltig hinterher - liegen nur auf den Plätzen 16 und 17. Insgesamt erlebten die "Red Devils", aber auch die "Lilywhites" schon deutlich bessere Zeiten.
Hinzu kommen einige Themen im Hintergrund: Probleme mit den Eigentümern, etliche Fehleinkäufe und Vereinskulturen, die hinsichtlich des sportlichen Erfolgs eher schaden als helfen.
Das bedeutet auch turbulente Zeiten für die Cheftrainer beider Klubs. Sowohl Ruben Amorim als auch Ange Postecoglou droht die Entlassung.
Trotz allem steht mit dem Europa-League-Finale noch ein echtes Highlight an. Ein Titelgewinn könnte zumindest einem der beiden noch den Job retten und für den jeweiligen Klub eine desaströse Saison versöhnlich enden lassen.
Doch wie kam es eigentlich dazu, dass Manchester United und Tottenham den eigenen Erwartungen so sehr hinterherhinken? Welche Rolle spielen die Trainer, die Besitzer und die Transferpolitik?
Sportliche Entwicklung: Vom Erfolg in die Krise
Manchester United war einst der Inbegriff von Größe, Glanz und sportlicher Dominanz.
Vereinslegende Sir Alex Ferguson führte die "Red Devils" von 1986 bis 2013 zu zahlreichen Titeln und etablierte sie als englischer Rekordmeister. Doch seit seinem Abschied taumelt United orientierungslos durch das moderne Fußball-Geschäft.
In zwölf Jahren verschliss der Klub acht Trainer, investierte zwei Milliarden Euro in neue Spieler – teils ohne Konzept und ohne nachhaltige Wirkung. Die aktuelle Saison droht nun zur schlechtesten der Premier-League-Geschichte zu werden – Platz 16, monatelang ohne Sieg, ein Verein im freien Fall.

Selbst Hoffnungsträger Ruben Amorim brachte nicht die dringend benötigte Trendumkehr, sondern hat selbst mit den Versäumnissen der Vergangenheit zu kämpfen.
Tottenham Hotspur steuert ebenfalls auf eine historisch miserable PL-Saison zu. Die Höhen von United erreichten die Spurs in diesem Jahrtausend zwar nie. Dennoch wird man nach 16 Jahren erstmals in der unteren Tabellenhälfte landen, wahrscheinlich sogar auf Rang 17 - dem ersten Nichtabstiegsrang.
Es ist die schlechteste Platzierung seit fast fünf Jahrzehnten. Ein neuer Tiefpunkt, der sich anbahnte und auch mit Entscheidungen der letzten Jahre zusammenhängt.
Fehlende Strukturen innerhalb des Vereins
"Es ist eine Operation am offenen Herzen" – mit diesen Worten beschrieb der aktuelle ÖFB-Teamchef Ralf Rangnick die Situation bei Manchester United in seiner Abschiedsrede 2022.
Der Deutsche erkannte in seinem halben Jahr als Trainer und Berater die Missstände, sprach sie in aller Deutlichkeit an, wollte anpacken und musste nach wenigen Monaten wieder gehen. Seine Ratschläge wurden nicht benötigt, stattdessen sollte Erik ten Hag den Umbau modellieren.
Aber der Fisch stinkt ja bekanntlich vom Kopf her und dieser "Kopf" ist bei Manchester United die Glazer-Family, die den Verein im Jahr 2005 kaufte. Die milliardenschwere Eigentümer-Familie aus den USA, die den Klub wie ein börsennotiertes Unternehmen führt, ist bei den Fans unbeliebt. Seit Jahren gibt es Proteste.

Der Einstieg von INEOS-Milliardär Jim Ratcliffe Ende 2023 sorgte kurz für Hoffnung, doch anderthalb Jahre später ist kaum etwas geblieben – außer vagen Versprechen, einer unsicheren Stadionplanung und hunderten Mitarbeiter-Entlassungen.
Der sportlich Verantwortliche Ed Woodward wurde zur Symbolfigur des Niedergangs: Eine katastrophale Kaderplanung, aufgrund von Transfers wie Antony, Sancho oder Fred ein Minus von knapp 1,5 Milliarden Euro in zwölf Geschäftsjahren. Zudem: Viele Trainerwechsel.
Die klare Struktur innerhalb des Klubs fehlt seit 2013 komplett. Während die Konkurrenz um City, Liverpool und Arsenal auf Kontinuität setzte und das Geld gezielt investierte, beherrschten bei United Panik-Käufe den Alltag.
"20 Jahre ist dieser Besitzer da und sie haben nichts gewonnen – warum?"
Auch bei den Spurs brodelte es in der Vergangenheit gewaltig. Fans und vereinzelt Trainer kritisieren Eigentümer ENIC (mit Daniel Levy als Präsident) für den großen Makel, der sich durch die (jüngere) Vereinsgeschichte der "Lilywhites" zieht: Tottenham gewinnt keine Titel.

Obwohl der Klub im 20. Jahrhundert durchaus erfolgreich war (2x englischer Meister, 8x FA-Cup, 2x UEFA-Cup), wartet man seit fast 20 Jahren auf den großen Wurf. 2008 gewann man zwar den Ligapokal, dieser hat aber nicht das Prestige anderer Titel.
Antonio Conte hinterfragte noch während seiner Zeit in Nordlondon: "20 Jahre ist dieser Besitzer da und sie haben nie etwas gewonnen – warum?" Der Italiener bezog sich auf Levy, der seit 2001 Präsident der Spurs ist. "Sie können den Trainer tauschen, aber die Situation wird sich nicht ändern", hatte Conte mit seiner Prophezeiung bis jetzt recht.
Mehr Investitionen, mehr Fehlkäufe
Ein Schritt zurück zu Contes Vor-Vor-Vorgänger: Mauricio Pochettino war der letzte Spurs-Coach, der über 100 Spiele an der Seitenlinie stand und auch wirklich funktionierte. Unter ihm landeten die Spurs regelmäßig in den Top Vier der Premier League, standen im CL-Finale.
Was Pochettino nicht erhielt, war die Unterstützung vom Verein in Form von Investitionen in den Kader. Die gab es erst ab 2019, und umgehend tätigte man mit Ndombele (62 Mio.) den ersten Fehleinkauf. Unter Mourinho und Conte sollten noch weitere Transferflops folgen.
Die Zugänge der letzten beiden Jahre spielen auch aktuell noch eine große Rolle. Dabei gibt es aber immense Probleme: Der Preis ist oftmals viel zu hoch, das Outcome hingegen viel zu gering. Außerdem fokussiert sich Tottenham vorrangig auf Talente. Wenn Erfahrung geholt wird, dann nur Premier-League-"Mittelmaß", aber für ordentliches Geld.
Trainerwechsel versus Konstanz auf der Bank
Um wieder den Bogen auf den kommenden Gegner aus Manchester zu spannen: Mit Ruben Amorim steht seit November bereits der dritte Trainer der laufenden Saison an der Seitenlinie im Old Trafford.
Ende Oktober wurde Erik ten Hag entlassen, dazwischen fungierte für vier Spiele Ex-Stürmer Ruud van Nistelrooy als Interimstrainer. An der Situation änderte sich jedoch relativ wenig. Während van Nistelrooy immerhin drei Siege und ein Remis holte, liegt der Punkteschnitt von Amorim (1,44) nur knapp über jenem von ten Hag (1,21).
In der Premier League ist United unter dem Portugiesen mittlerweile auf Rang 16 abgestürzt, in den vergangenen 26 Ligaspielen gab es nur sechs Siege, der letzte ist zwei Monate her.
Der richtige Trainer am falschen Ort?
Amorim versuchte seit seiner Ankunft im November spielerisch eine neue Ära einzuleiten.
Der 40-Jährige kam mit dem Empfehlungsschreiben als ungeschlagener Tabellenführer mit Sporting Lissabon auf die Insel, ein halbes Jahr später ist von diesem Glanz nichts mehr übrig.
"Es ist mir peinlich" und "Wir sind die schlechteste United-Mannschaft der Geschichte" – sind nur einige von vielen vielsagenden Sätzen, mit denen der Trainer seine Zeit in Manchester beschreibt.

Und das, obwohl Amorim bei seiner Ankunft das System komplett über den Haufen warf und ein für United sehr ungewöhnliches 3-4-2-1-System implementierte. Der Plan: Dominanz durch Spielkontrolle. Die Realität: Ein System, dass der Kader schlichtweg nicht hergibt.
Es mangelt an echten Wingbacks, ballsicheren Innenverteidigern und mit Ausnahme von Bruno spielstarken Halbzehnern. Amorim scheiterte – nicht allein an sich, sondern am Konstrukt, das ihn umgab.
Von Anfangseuphorie zu neuen Abgründen
So schnell wie nur wenige vor ihm zog Ange Postecoglou die Spurs-Fans auf seine Seite. Als unbekannter Trainer ohne Erfahrung in den Top-Fünf-Ligen gekommen, legte der Australier einen Traumstart hin.
Aber nicht nur das. Der "Angeball" wusste auch optisch zu überzeugen. Diese Aggressivität gegen den Ball, dieses Tempo mit dem Ball kannten die Anhänger nicht aus den spielerisch zähen Zeiten unter Mourinho und Conte.

Postecoglous System ist überaus intensiv gegen und mit dem Ball. Es basiert auf einem flachen Aufbau, vertikalem Offensiv- und variablem Positionsspiel. Dabei agieren die Spurs risikoreich mit einer hohen letzten Linie – das kann aufgehen, solange man auch offensiv so stark wie zu Beginn der letzten Saison ist.
Doch bereits während der Spielzeit 2023/24 durchschauten Gegner den "Angeball". Die Spielweise wurde spätestens heuer zu ausrechenbar. Dazu kommen etliche wichtige Ausfälle: Beide Torhüter fielen zeitweise aus, zudem klagten die Spurs über zahlreiche Ausfälle in der Defensive.
Die Defensive der Spurs und ihre absolvierten Spiele:
Spieler | Position | Gespielte Spiele | Verpasste Spiele | Verletzung |
---|---|---|---|---|
Christian Romero | Innenverteidiger | 25 | 27 | Oberschenkel, Zehe, Knöchel |
Micky van de Ven | Innenverteidiger | 20 | 29 | Oberschenkel, Knie |
Kevin Danso (ab Winter) | Innenverteidiger | 12 | 6 | Oberschenkel |
Ben Davies | Innenverteidiger | 26 | 12 | Oberschenkel |
Radu Dragusin | Innenverteidiger | 28 | 25 | Knie |
Destiny Udogie | Linksverteidiger | 34 | 13 | Oberschenkel |
Sergio Reguilon | Linksverteidiger | 5 | keine | keine |
Djed Spence | Rechtsverteidiger | 32 | 8 | Leiste |
Pedro Porro | Rechtsverteidiger | 49 | keine | keine |
Archie Gray | Rechtsverteidiger | 43 | keine | keine |
Nimmt Postecoglou Verletzungen in Kauf?
Bei der hohen Verteidigungslinie war van de Ven ein wichtiger Faktor, weil er mit seinem Tempo große Löcher stopfen konnte. Der Niederländer verpasste aber 16 PL-Spiele.
Obendrein fehlten noch zahlreiche andere Defensivspieler, sowie Torhüter. Weshalb im Winter (Neuzugänge Danso und Kinsky) doppelt nachgebessert werden musste. Maddison, Son, Solanke und Odobert – neben Johnson die Stammoffensive, kämpften allesamt mit Verletzungen.
Reines Pech ist die Vielzahl der Verletzungen, allen voran im muskulären Bereich, aber nicht. "Angeball" ist eben unglaublich intensiv, das zeigte sich bereits bei Postecoglous Ex-Klub Celtic, wo er ebenso mit etlichen Ausfällen zu kämpfen hatte.
Viel Improvisation durch große Verletzungssorgen
Auch bei Manchester United kann man nicht alles auf falsche Taktiken und Flop-Transfers schieben.
Mit Martinez, Yoro, Lindelöf, Evans, Shaw und Malacia fehlten sechs Verteidiger einen Großteil der Saison. Immer wieder musste Amorim improvisieren und verhalf so Talenten wie Heaven oder Amass zu ihrem Profi-Debüt.
Im Mittelfeld offenbarte sich jedoch das nächste Problem: Zwar ist Youngster Mainoo der Shootingstar des letzten Jahres, neben ihm fehlt es jedoch an Erfahrung. Casemiro wirkte über seinem Zenit, Neuzugang Ugarte enttäuschte.
Und im Sturm? Weder Ex-Sturm-Torjäger Hojlund (4 Ligatore), noch Zirkzee (3 Ligatore) erfüllten die Erwartungen, wurden aber für zusammen 120 Millionen Euro verpflichtet.
Die Defensive der "Red Devils" und ihre absolvierten Spiele:
Spieler | Position | Gespielte Spiele | Verpasste Spiele | Verletzung |
---|---|---|---|---|
Leny Yoro | Innenverteidiger | 32 | 26 | Knöchel |
Lisandro Martinez | Innenverteidiger | 32 | 22 | Kreuzbandriss |
Matthijs de Ligt | Innenverteidiger | 42 | 8 | Knie, Fuß |
Harry Maguire | Innenverteidiger | 37 | 11 | Wade |
Victor Lindelöf | Innenverteidiger | 23 | 20 | Fuß |
Jonny Evans | Innenverteidiger | 12 | 21 | Muskel |
Luke Shaw | Linksverteidiger | 10 | 43 | Knie, Muskel |
Tyrell Malacia | Linksverteidiger | 21 | 20 | Knie |
Diogo Dalot | Rechtsverteidiger | 51 | 5 | Wade |
Noussair Mazraoui | Rechtsverteidiger | 54 | keine | keine |
Lichtblick Europa – Im Duell der Krisen-Klubs in die Königsklasse
Die Ironie der Geschichte? Während ManUnited und Tottenham in der Liga straucheln, läuft es in Europa.
2023/24 wurde Manchester United in der Liga Achter und qualifizierte sich nur aufgrund des FA-Cup-Gewinns für die Europa League. Die Spurs zogen als Fünfter in die EL ein.
"Ich gewinne immer etwas in meinem zweiten Jahr"
Heuer werden die "Red Devils" wohl 16., die Londoner könnten gar dahinter auf Rang 17 landen. Und trotzdem kann sich einer der beiden mit einem Sieg im EL-Finale am Ende sogar für die Champions League qualifizieren.
Ein kurioses Wechselbad. Nach einem überzeugenden 7:1 im Hin- und Rückspiel gegen Athletic Bilbao steht ManUnited zum dritten Mal in acht Jahren im Finale der Europa League. In dieser Spielzeit sogar ohne Niederlage.
Es wäre der groteske Höhepunkt einer sportlich tragischen Spielzeit. Für Tottenham weitaus mehr. Die Jagd nach dem ersten großen Titel in den 2000ern wäre endlich geschafft - in einer Saison, in der den Spurs so rein gar nichts gelingt.
Vielleicht hatte Postecoglou am Ende ja doch recht, als er im September 2024 meinte: "Normalerweise gewinne ich in meiner zweiten Saison etwas. Ich korrigiere mich - ich gewinne nicht gewöhnlich, sondern immer etwas in meinem zweiten Jahr." So viel ist sicher: Eine Serie wird definitiv am 21. Mai enden.
Die bisherigen Saisonduelle:
Wettbewerb | Duell | Tore |
---|---|---|
Premier League, Runde 25 | Tottenham - Manchester United 1:0 | Torschütze: James Maddison |
EFL-Cup, Viertelfinale | Tottenham - Manchester United 4:3 | Torschützen: Kulusevski, 2x Solanke, Son bzw. Zirkzee, Diallo, Evans |
Premier League, Runde 6 | Manchester United - Tottenham 0:3 | Torschützen: Johnson, Kulusevski, Solanke |
Im Video: Was wäre wenn - Welches Spiel willst du nochmal erleben?