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So scoute ich eine Eishockey-WM

Das Turnier aus Sicht eines Scouts - LAOLA1-Experte Freimüller erklärt:

So scoute ich eine Eishockey-WM Foto: © getty

Die Eishockey-Weltmeisterschaft geht in die Endphase, es geht bereits um die Medaillen.

Zeit für ein Fazit aus Sicht eines Scouts: Wie scoutet man eigentlich ein solches Turnier?

Der Wiener Bernd Freimüller, der die WM in Dänemark nicht nur als LAOLA1-Experte besucht, wirft einen Blick auf die Unterschiede zwischen europäischem und NHL-Scouting:

Die WM aus europäischer Sicht

16 Teams sind am Start, das sind bis zu 400 Spieler – eine Menge Holz, möchte man meinen. Aber eigentlich hatte ich dort weniger zu tun als bei so manch kleineren Turnieren oder Liga-Trips, denn die Zahl der ernsthaft zu scoutenden Teams verringert sich schnell.

Kanada, die USA, Schweden, Finnland, Russland oder Tschechien – natürlich schön, wenn man Cracks wie Connor McDavid, Sebastian Aho oder David Pastrnak (wieder) einmal live sieht. Aber diese Teams bestehen vor allem aus NHL-Cracks oder Spielern, die entweder nach Nordamerika gehen, KHL-Kandidaten werden oder in der jeweiligen Liga hochbezahlte Cracks sind. Mit der EBEL oder DEL werden sie nie etwas zu tun haben, Scouting-Reports sind da nur Fleißaufgaben. Insgesamt schrieb ich zwölf Reports von Spielern dieser Länder, und da die meisten über Extraliga-Spieler aus Tschechien. Einen Defender wie Michal Moravcik habe ich schon im Liga-Betrieb als einen der besten eingeschätzt, ein Follow-up-Report hier diente dazu, seine Einstufung auf einen NHL-Kandidaten hochzuheben. Auch ein alter Bekannter wie Libor Sulak (Ex-Znojmo) verdiente sich einen neuen Bericht.

Der finnische Defender Juuso Riikola fiel mir bei meinem Liiga-Trip im Oktober auch bereits positiv auf. Die Nominierung in ein stark besetztes Nationalteam bestätigte mich in meinen damaligen Eindrücken und resultierte in einem meiner lediglich drei finnischen Berichte.

Eine bessere Gelegenheit, diese Länder (ohne die Übersee-Teams) zu beobachten, wären die Vorbereitungs-Turniere. Hier stehen noch weniger NHLer im Weg und einige Spieler aus den Ligen, die dann den WM-Cut nicht schaffen, könnten über kurz oder lang doch interessant werden...

Einige Teams nicht interessant

Die Schweiz und Deutschland sind in sich geschlossene Märkte, ihre Cracks würden ebenfalls höchstens in bessere Ligen oder nach Übersee wechseln. Bei Deutschland konzentrierte ich mich vor allem auf die jungen Spieler aus Übersee, die ich das ganze Jahr nicht sehen kann. Auch bei Österreich hätte ich über die EBELer nur einen Bericht geschrieben, wenn meine bisherigen Noten zu hoch oder zu niedrig ausgefallen wären. Die Legionäre wie Dominic Zwerger, Konstantin Komarek, Patrick Obrist oder Lukas Haudum ergaben da schon eher Sinn, obwohl auch sie nicht unbedingt neue Facetten zeigten.

Belarus ist nicht nur wegen des Abschneidens ein toter Markt, auch von dort kommen fast nie Spieler nach Mitteleuropa. Korea? Ich zwang mir zwar zwei Reports ab, nützte deren Spiele gegen Deutschland und Lettland aber vor allem dazu, mich auf den Gegner zu konzentrieren. Beide Spiele waren zwar einseitig, aber trotzdem nicht wertlos, was bei Kantersiegen oft passieren kann.

Elf Teams mit überschaubarem Spielerpotenzial für mich – so kurios es klingt: Kanada und Korea haben für mich denselben Wert bei einer WM, auch wenn sich der Unterhaltungswert natürlich kategorisch unterscheidet.

Konzentration auf ein Quintett

Es bleiben also fünf Teams übrig: Frankreich, Norwegen, Dänemark, Lettland und die Slowakei, die auch 56 meiner 98 WM-Reports ausmachten. Sie alle haben eines gemeinsam: Die meisten ihrer Spieler wollen ins Ausland, sollte es für bessere Ligen nicht reichen, wird auch die EBEL oder DEL zu einem Thema. Und das dann auch zu vernünftigen Preisen.

Die meisten Reports schrieb ich über Lettland, nämlich 17. Die beiden Spiele gegen Korea und die USA waren auch ideal – einmal überlegen, einmal etwas unterlegen, sowohl Offensive als auch Defensive wurden gefordert. Natürlich kenne ich die meisten Spieler, aber selbst da kann man den aktuellen Leistungsstand überprüfen oder einen neueren Namen wie Defender Uvis Janis Balinskis (spielte nur eine U20-WM) wohlwollend begutachten.

Wie wichtig die richtigen Spiele sein können, zeigte sich am Beispiel Norwegens: 0:7 gegen Finnland, 0:5 gegen Kanada – wie will man da die Spieler fair beurteilen? Will man Goalie Lars Haugen dafür bestrafen, dass er gegen McDavid schlecht aussieht? Ist Stürmer Valkae Olsen, der auch in der EBEL angeboten wurde, ein neuer Sondre Olden? Da muss man schon gewaltig zwischen den Zeilen lesen, fast alle Norweger – deren Nationalteam ohnehin schon genug Probleme hat – standen hier auf verlorenem Posten.

Dänemark war diesmal fast zu gut besetzt: NHL- und KHL-Cracks sind eben vergebene Liebesmüh. Julian Jakobsen und Morten Madsen waren aber zwei in der DEL bereits bekannte Spieler, die auf der Suche nach neuen Arbeitgebern sind.

Frankreich war wie immer schwer zu scouten – die Topguys wie Stephane da Costa, Yohann Auvitu oder Damien Fleury (kehrte überraschend nach Grenoble zurück) haben genug Angebote, der Rest waren eher harte Arbeiter wie die mir aus der tschechischen Extraliga bekannten Sacha Treille oder Jordann Perret.

Die Slowakei? Wenige Spieler aus Übersee, den Rest kenne ich aus Tschechien oder der eigenen Liga. Die Tatsache, dass lediglich ein KHL-Crack im Aufgebot stand (und gar keiner von Slovan Bratislava), wurde dort natürlich kontrovers diskutiert. Cracks wie Patrik Svitana, David Buc oder David Bondra wären sicher für EBEL-Teams zu haben. Die WM war eine gute Möglichkeit, sie auf einem höheren Niveau zu sehen.

Fünf Teams also, die von großem Interesse sind, das ändert sich auch von Jahr zu Jahr kaum. Slowenien ist von den Schwellenländern am ehesten noch ein interessanter Markt, sind die Spieler dort meist sehr billig und für fast jedes Engagement zu haben. So schön sich ein WM-Besuch auch anhört – die meisten DEL-Manager oder -Coaches, mit denen ich gesprochen habe, verzichten immer öfters auf einen Besuch und investieren ihr Geld lieber in Reisen nach Übersee oder Europa-Besuche während der Saison. Ein WM-Besuch alle zwei Jahre ist eigentlich ein guter Kompromiss.

Die WM aus NHL-Sicht

Die 31 NHL-Teams sehen diese WM natürlich unter anderen Gesichtspunkten – Russland etwa, für mitteleuropäische Teams völlig uninteressant, ist hier sehr wichtig. So sagte etwa Florida-General-Manager Dale Tallon vor dem Turnier: "Ich habe letztes Jahr Evgeny Dadonov gefunden, und ähnliches versuche ich heuer." Die KHL hat durch die Rubel-Krise etwas an Reiz verloren, mehr Russen als zuvor hoffen auf eine (zweite) Chance in Übersee, so wie Dadonov, der schon einmal für die Panthers gespielt hatte, damals aber nicht glücklich wurde.

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Es ist ein bunter Haufen, der für die NHL bei einer WM scoutet. GMs wie Dale Tallon oder Kenny Holland (Detroit), Assistant GMs wie Ross Mahoney (Washington), Pro Scouts aus Übersee oder Europa sowie einige europäische Amateur-Scouts, deren Saison eigentlich schon mit der U18-WM beendet war. Wer kommt, hängt natürlich stark davon ob, ob die Teams in den Playoffs dabei sind oder nicht. Nach Torontos Ausscheiden hatte etwa Coach Mike Babcock noch genug Zeit, um nach Kopenhagen zu jetten.

Natürlich sollten alle Übersee-Beobachter von ihren europäischen Scouts instruiert sein, wer hier an der WM von Interesse ist. Einige Free Agents wie etwa Dominik Kahun waren aber schon vor dem Turnier vergeben. Doch oft kommt es dazu, dass sich während der WM einige Beobachter in "neue" Spieler verlieben, vor allem aus eher schwächeren und wenig gescouteten Ländern.

Bestes Beispiel dafür: Der ungarische Goalie Adam Vay stand vor zwei Jahren bei Debrecen in der ungarisch-rumänischen MOL-Liga im Kasten. Bei seinem WM-Debüt wehrte er sich für die natürlich klar unterlegenen Ungarn beim 0:3 gegen Finnland und 1:5 gegen die USA tapfer. Das und seine Größe von 1,96 Metern reichten, dass eine NHL-Stampede zur ungarischen Kabine einsetzte. Frank Banham zog seine Umschulung zum Agenten gleich vor und ergriff die Gelegenheit beim Schopf, um für seinen Mitspieler zwischen Tür und Angel einen Deal auszuhandeln. Minnesota machte dann das Rennen. In den zwei Jahren seitdem kam Vay kaum über die ECHL hinaus und versenkte zuletzt die ungarischen Aufstiegshoffnungen mit einem schweren Fehler im Entscheidungsspiel der B-WM.

Verpasste Chance für Absager?

Bei der WM ist also vieles möglich, kurze, aber heftige Liebesaffären können zu Vertragsabschlüssen führen – etwas, das einige österreichische oder deutsche Cracks, die Turniere leichtfertig absagen, offenbar nicht realisieren.

Doch nicht nur frisches Blut wird bei der WM gesucht: Auch bereits gedraftete Spieler werden nochmals beobachtet, egal ob fremde oder die eigenen. Kenny Holland etwa konnte aus nächster Nähe beobachten, ob er seine überalterte blaue Linie nächste Saison mit Sulak, Filip Hronek oder gar beiden auffrischen will. Hronek spielte die ganze Saison im Detroit-Farmteam in Grand Rapids, Sulak erst am Ende der Saison.

Ein Kuriosum bemerkte ich bei jeder WM: Am Hauptspielort sind immer weit mehr Scouts zugegen als in der kleineren Stadt. So war es mit Prag und Ostrava, diesmal auch mit Kopenhagen und Herning. Große Unterschiede zwischen den Gruppen bestehen ja in der Spielstärke nie und der Jet Lag erklärt auch nicht ganz, warum es nach dem Transatlantik-Flug auf einen Drei-Stunden-Trip per Zug noch ankommt. Ein alter Freund von mir sagte mir auch zu WM-Beginn, dass er nur die Kopenhagen-Gruppe covern würde, das schlechte Gewissen war ihm aber anzumerken: "Ich würde schon gerne Teams wie Finnland sehen." Er änderte dann auch seine Pläne und lief mir nach einem Spiel in der Fanzone in Herning über den Weg. Improvisation ist also bei der Reiseplanung wie auch bei der Einschätzung der Spieler oft gefragt...

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