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Ben Finkelstein: Der gefinkelte Transfer der Vienna Capitals

Der Verteidiger ist in eineinhalb Monaten zum absoluten Schlüsselspieler der Wiener geworden. Warum? Das analysiert LAOLA1-Experte Bernd Freimüller.

Ben Finkelstein: Der gefinkelte Transfer der Vienna Capitals Foto: © GEPA

Noch selten hat ein Zugang in der win2day ICE Hockey League während der Saison gleich eine derart große Rolle übernommen wie Ben Finkelstein bei den Vienna Capitals.

Ein Scouting Report von LAOLA1-Experte Bernd Freimüller über den kleingewachsenen Offensivverteidiger:

Seine Karriere in Übersee

Er wurde aus der "Prep School" Kimball Union Academy 2016 von den Florida Panthers in der letzten Runde gedraftet. Ohne es wissen zu können, nehme ich an, dass er ein typischer Late Round Pick war, bei dem eine Dimension hervorstach und die waren sicher seine läuferischen und Stockfähigkeiten. Diese Schulen werden vor allem bei Turnieren und/oder von den Regionalscouts gescoutet, eher selten von der Spitze des Scouting-Staffs.

Das war noch nicht so ungewöhnlich, was folgte aber schon. Finkelstein verließ nach eineinhalb Saisonen sein College-Team St. Lawrence – Greg Carvel, der ihn einst angeworben hatte, war inzwischen nicht mehr Coach. Er verbrachte dann den Rest der Saison in der USHL, die ja eigentlich erst eine Zubringerliga für das College ist. Die Saisonhälfte bei Waterloo reichte schon für den Titel des Liga-Defenders des Jahres.

Er musste nach den Collegeregeln auch die erste Hälfte der nächsten Saison aussitzen, bevor er nach der vorgeschriebenen Übergangsphase von einem Jahr für das Boston College aufs Eis ging. Nach zwei Saisonen dort hatte er seinen Abschluss, die Florida Panthers hätten ihm nach der Saison einen Vertrag vorlegen müssen, worauf sie aber verzichteten und seine NHL-Rechte verfallen ließen. Damit endete eine sehr ungewöhnliche College-Karriere mit einem Wechsel und einem USHL-Stint dazwischen.

Erst sehr spät – im November 2020 – fand Finkelstein sein erstes Profiteam und das waren die Greenville Swamp Rabbits. 32 Punkte in 35 Spielen waren aber eine gute Visitenkarte für ein Team, in dem die heutigen Caps Matt Bradley und Matt Zimmer seine Vereinskollegen waren.

Im Sommer 2021 unterschrieb "Fink" (so sein Spitzname) einen AHL-Vertrag bei den Toronto Marlies, es reichte aber wieder nur zu einer ECHL-Saison beim Toronto-Farmteam Newfoundland Growlers. Die Marlies hatten damals ein Überangebot an kleinwüchsigen Defendern mit ihm, Brennan Kapcheck und Joseph Duszak, der heute in der KHL bei Dynamo Minsk sehr stark spielt.

Die Growlers gehören dank der finanziellen Mittel der Maple Leafs zu den Top-Organisationen der ECHL und mit Finkelstein hatten sie auch einen Top-Offensivverteidiger in ihren Reihen: 11 Tore und 51 Assists in 36 Spielen wären selbst für einen Stürmer eine ausgezeichnete Marke, reichten natürlich für das All-Star-Team der Liga.

Im letzten Sommer hatte Finkelstein schon einige Angebote aus Europa, darunter auch (mindestens) eines aus der ICE. Er versuchte aber doch noch, einen Fuß in die AHL zu bekommen, unterschrieb bei den Iowa Wild. Nach sechs Einsätzen und mehreren Healthy Scratches entschied er sich aber für die Vienna Capitals und eine Zusammenführung mit Bradley und Zimmer.

Seine Rolle bei den Vienna Capitals

Vom ersten Spiel an löste Finkelstein Alex Wall als Top-Defender ab, der in dieser Rolle öfters an seine Grenzen stieß. Chad Krys – schon länger und zum zweiten Mal verletzt – war ohnehin ein Flop. Vor allem im Powerplay stand der heute 25-Jährige seinen Mann, gab sofort einen echten Point Man. Doch nicht nur das: Seine Transition-Fähigkeiten halfen den Capitals ebenfalls und im Laufe der Zeit setzte ihn Coach Dave Barr sogar im Penaltykilling ein.

Wer bei den vielen Heimspielen der Caps in letzte Zeit vermutete, dass Finkelstein nie das Eis verlässt, lag nicht falsch – seine durchschnittliche Eiszeit beträgt über 27 Minuten pro Spiel (er erhielt bis jetzt auch nur eine kleine Strafe) und übertraf sogar mehrmals die 30-Minuten Marke. Mehr als ein Defender-Shift am Stück ohne ihn kommt selten vor.

Mit ihm im Lineup (sein Debüt stieg am 18. Dezember) gewannen die Caps neun von 17 Spielen (zuvor 11 aus 24), die erzielten Tore stiegen im Schnitt von 3,00 auf 3,69, die erhaltenen sanken von 3,13 auf 2,94, auch wenn die letzten Spiele große defensive Probleme im Team aufzeigten.

Finkelstein selbst legte wieder einmal einen Punkt-pro-Spiel-Schnitt hin, hält derzeit bei sieben Toren und 11 Assists in 16 Spielen. Es ist nicht verwegen zu sagen, dass die Caps ohne Finkelsteins Engagement nicht mehr im Rennen um die Top-6 wären.

Seine Stärken

Finkelstein ist ein Spieler, den man schon nach einem, spätestens zwei Spielen beurteilen kann und da bedarf es gar nicht großer Scouting-Fähigkeiten. Seine Stärken liegen natürlich in der Offensive und in seinen läuferischen Fähigkeiten. Er reagiert schnell auf "loose pucks", kann die Scheibe schnell passen, aber vor allem selbst nach vorne tragen und so das Spiel in die gegnerische Hälfte verlagern. Sein bevorzugter Move ist ein Rush über die rechte Seite, wo er ungefähr in der Mitte der Offensivzone seine Hüften öffnet, einen Pass andeutet.

 

(Text wird unterhalb fortgesetzt)

Öffnet sich hier ein Loch, kommt auch die Vorlage, ansonsten fährt er weiter Richtung Torlinie. Von dort scorte er schon zweimal aus schwierigen Winkeln, wo er das "Inverted VH" der gegnerischen Goalies ausnutzte, kann aber auch weiter in Richtung des Tores ziehen. Sollten die Plays nicht aufgehen, lungert er noch gerne im Offensivdrittel herum, wartet auf die zweite Welle, kann aber auch schnell wieder zurückkommen. Natürlich ist er auch ein begeisterter "Trailer", der sich in Angriffe als dritter oder vierter Mann einschaltet.

Im Powerplay ist Finkelstein ein Top-Point-Man in unserer Liga mit einem niedrigen Ruhepuls. Er kann Pässe von dort in alle Richtungen machen und bewegt stets seine Beine, kann Richtung der beiden Halfwalls ausweichen, so gegnerische PK-Formationen zum Verschieben zwingen. Er verfügt über keinen großen Slapshot, dafür aber über einen genauen Wrister, der noch gefährlicher ist, weil er Richtung gegnerisches Tor driften und damit die Schussdistanz verkürzen kann.

Seine Schwächen

Wie gesagt, Finkelstein ist ein leichtfüßiger Mann mit einem sehr effektiven Antritt, für das nordamerikanische Hockey auf höchstem Niveau fehlt es ihm vielleicht etwas an Explosivität. Er tendiert auch eher zum europäischen Stil des Eislaufens in weiten Bögen anstatt des "Stop-and-Start"-Stils der kleineren nordamerikanischen Eisflächen.

Defensiv hat er natürlich vor allem gegen körperlich starke Spieler seine Probleme, das sah man etwa am Sonntag gegen Salzburg, die ihn stets bearbeiteten. Er ist aber in Zweikämpfen keineswegs feig, muss aber hoffen, dass er mit dem Stock oder seine Kollegen mit dem Körper die Scheibe freisprengen, sodass er das Eis wieder Richtung gegnerisches Drittel neigen kann. Wenn er seine Position verlässt und durchs Defensivdrittel driftet, kann es aber abenteuerlich werden.

Natürlich muss ein Spieler wie er mit einem körperlich starken Defensiv-Defender gepaart werden, das ist Mario Fischer in Wien. Wenn dieser aber großen Checks nachjagt (und wie in Klagenfurt Mitspieler Niki Hartl fast enthauptet), tun sich große Lücken auf, die Finkelstein eben nicht mit Muskelkraft oder einem übermäßig aktiven Stock (oft ein Hilfsmittel kleinerer Spieler) entschärfen kann.

Finkelstein war immer ein Minute-Munching-D (Fachbegriff für einen Spieler, der viele Minuten abreißen kann) – ob er aber die Riesen-Eiszeit in Wien ohne Substanzverlust vertragen kann, wird sich zeigen, immerhin kommt bald eine Pause. Überraschend, dass er trotz der vielen Alternativen gefühlt auch jedes PK startet. In der Endphase (und nicht nur da) eines knappen Spiels wie gegen Salzburg geht er höchstens kurz zum Luftschnappen vom Eis. Mir fällt kaum ein anderer Defender in der Liga ein, von dem sich ein Team so abhängig gemacht hat.

Seine nächste Station

Der Sommer wird für Finkelstein sehr interessant: Ein rechtsschießender Defender mit hervorragenden Scorerzahlen ist für viele Teams im In- und Ausland interessant. Selbst KHL-Teams mit ihren tiefen Taschen leisten sich in Ermangelung von heimischen Alternativen gerne solche Spieler und sehen dabei über defensive Defizite hinweg.

Klar ist aber, dass ein Coach damit zufrieden sein sollte, dass er einen Nummer-1-Powerplay-Defender in seinen Reihen hat. Rollt er mit seinen Augen und beruft nach dem ersten schlechten Coverage stundenlange Videosessions ein, hat er das Scouting-Profil Finkelsteins nicht erhalten und hilft weder sich selbst noch dem Spieler.

Es wird interessant zu sehen, welche Angebote bei "Win Management" (seiner Agentur) nach der Saison eingehen werden. Zeigen sich auch bessere und finanzkräftigere Ligen interessiert oder werden diese von seinen Schwächen abgeschreckt? Der Wunsch, einen Finkelstein mit mehr Größe, Gewicht und Defensive zu finden, ist legitim, vor allem für Teams mit limitierten Mitteln schwer in die Tat umzusetzen.

Vom erstmaligen Europa-Engagement Finkelsteins bei den Vienna Capitals haben aber auf jeden Fall beide Seiten profitiert...

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