In Leistungszentren wie Tirrenia (bei Pisa) oder Bordighera werden seitdem junge Spielerinnen und Spieler ganzheitlich gefördert – mit moderner Trainingsmethodik und Sportpsychologie.
Riccardo Piatti als Wegbereiter
Ein Schlüsselname in diesem Zusammenhang ist Riccardo Piatti, einer der bekanntesten Trainer Italiens.
Der 67-Jährige arbeitete mit Weltstars wie Novak Djokovic und Milos Raonic und betreute später auch Jannik Sinner.
Im Sog seiner Erfolge entstand eine neue, professionelle Trainingskultur, die den italienischen Nachwuchs systematisch an die Weltspitze heranführte.
Vorbilder inspirieren junge Talente
Denn immer größere Erfolge auf internationaler Ebene stärkten auch das Selbstvertrauen und den Glauben vieler Spieler. Den Anfang machten die Frauen:
Francesca Schiavone gewann 2010 die French Open, Flavia Pennetta 2015 die US Open, und Roberta Vinci schrieb Geschichte, als sie 2015 im Halbfinale von Flushing Meadows Serena Williams besiegte.
Diese Siege zeigten dem ganzen Land: Italiener können Grand Slams gewinnen. Sie inspirierten viele junge Menschen, zum Schläger zu greifen – Burschen wie Mädchen gleichermaßen.
Bei den Männern setzten Matteo Berrettini (Wimbledon-Finale 2021) und Sinner (Australian-Open-Sieg 2024) diese Erfolgsgeschichte fort.
Sinner führte Italien 2023 sogar zum zweiten Davis-Cup-Sieg der Geschichte – 47 Jahre nach dem Triumph von Adriano Panatta 1976. Diese Symbolkraft kann man kaum überschätzen: Tennis ist in Italien endgültig zu einer Nationalsportart auf Augenhöhe mit Fußball geworden. 2024 verteidigte Italien diesen Titel sogar.
Verband fördert Turnierlandschaft in einzigartigem Ausmaß
Der Verband fördert außerdem seit vielen Jahren zahlreiche nationale Turniere auf allen Ebenen – von Junioren bis zu den ATP-Challenger-Events.
So können junge Spieler im eigenen Land regelmäßig Wettkampf-Erfahrungen und Weltranglisten-Punkte sammeln, ohne gleich weite Reisen auf sich nehmen zu müssen.
Dieses dichte Turniernetz ist in Europa fast einzigartig (Tennis-Turniere im Ländervergleich >>>) und bildet die Grundlage für den breiten Erfolg. Nur Frankreich oder Spanien können ihren Spielern ein ähnliches Angebot bieten.
160 Italiener im ATP-Ranking
Dementsprechend breit ist Italien im ATP-Ranking auch in der Spitze aufgestellt. Mit Sinner und Musetti verfügen unsere Nachbarn nicht nur über zwei Top-10-Spieler, sondern auch gleich über neun Top-100-Akteure. Unglaubliche 160 Italiener sind alleine bei den Männern in der Weltrangliste gelistet.
Zum Vergleich: Österreich hat gerade einmal 24 Spieler im ATP-Ranking und mit Filip Misolic aktuell nur einen Athleten in den Top 100.
Jürgen Melzer "wäre gerne Italien"
"Ich hätte auch gerne mehr und wäre gerne Italien", gibt ÖTV-Sportdirektor und Davis-Cup-Kapitän Jürgen Melzer vor dem Davis-Cup-Viertelfinal-Duell gegen Gastgeber Italien in Bologona (19. November) zu.
"Die Voraussetzungen sind dort aber eben andere. Die Italiener haben wirklich ein super System gefunden, das wir aber gar nicht kopieren können", erklärt der ehemalige Weltranglisten-Achte.
Wenn du als Verband kein großes Turnier besitzt, werden dir als Verband irgendwann mal die finanziellen Mittel ausgehen, wenn du nicht eine extrem großzügige Regierung hast.
Der italienische Verband profitiert stark vom 1000er-Turnier in Rom, das nicht nur die Tennis-Begeisterung im Land befeuert, sondern auch jährlich Geld in die Kassen spült, womit wieder kleinere Turniere gefördert werden können.
"Wir haben nicht den Zugang zu diesen Turnieren, die sie haben und auch eine ganz andere Turnierlandschaft, die natürlich langsam wachsen kann. Wenn du als Verband aber kein großes Turnier besitzt, werden dir als Verband irgendwann mal die finanziellen Mittel ausgehen, wenn du nicht eine extrem großzügige Regierung hast. Deshalb müssen wir da kleinere Brötchen backen", beschreibt Melzer im Gespräch mit LAOLA1 die rot-weiß-roten Herausforderungen.
In ähnlich großen Ländern wie den Niederlanden, Slowakei oder Tschechien gäbe es deutlich höhere Förderungen der öffentlichen Hand.
Gutes Scouting ist gefragt
"So blöd das klingt, im Spitzensport ist eben die finanzielle Situation sehr wichtig. Wenn du breitgefächerter fördern kannst, dann erwischt du einfach mehr Talente. Bei uns ist es sehr zentral gesteuert. Du erhältst dadurch nur auf wenige Zugriff, wodurch dir ein paar durch die Finger gehen, weil du nicht so in die Breite gehen kannst. Das bedarf eines sehr guten Scoutings, aber manche bekommst du einfach nicht so gut unter die Augen, um zu sehen, wie gut der oder die wirklich ist. Da müssen wir schauen, dass wir besser werden."
Ein schwieriges Unterfangen. Schließlich sollten Kinder und Jugendliche so früh wie möglich gefördert werden. Trainer wie Günter Bresnik oder Wolfgang Thiem betonen immer wieder, dass das technische Grundgerüst mit 14 Jahren passen sollte, um sich danach auf andere Feinheiten in der Ausbildung konzentrieren zu können.
Oft ist das Potenzial von 10- bis 14-Jährigen aber nicht immer richtig einzuschätzen. Kinder mit späteren Entwicklungssprüngen könnten in Österreich also leichter aus dem System fallen als in einem Land mit den Möglichkeiten von Italien.
"Es ist natürlich trotzdem schön, über die Grenze zu schauen und zu sehen, was möglich wäre", so Melzer. "Man muss sich immer an den Besten orientieren und sich gewisse Dinge abschauen. Auch wenn man das selbst in einer abgespeckten Version machen muss."
Österreich als "Little Italy"?
Seit seinem Amtsantritt im Jänner 2021 versucht Melzer in seiner Funktion als ÖTV-Sportdirektor die Turnierlandschaft in Österreich auszubauen. Jahrelang fand hierzulande kein einziges Challenger-Event statt. In den letzten Jahren etablierten sich mit Tulln, Mauthausen oder Bad Waltersdorf einige neue Standorte.
Österreich als "Little Italy"? Es könnte uns zumindest im Tennis wahrscheinlich nichts Besseres passieren. Aktuell scheint es zumindest so, dass wir hierzulande aber sowieso bereits zumindest bei einem Einzelfall vom Aufschwung des italienischen Tennis profitieren.
Schließlich trainiert mit Lilli Tagger eine unserer größten Nachwuchs-Hoffnungen bereits seit einigen Jahren in unserem südlichen Nachbarland.
Unter der Ägide der ehemaligen Paris-Siegerin Francesca Schiavone versucht sie von der Nähe von Mailand aus den Sprung in die Weltspitze zu schaffen. Ihren italienischen Manager Alex Vittur teilt sie sich mit Superstar Jannik Sinner.