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ÖHB-Coach Johannesson: Alles Willensfrage

ÖHB-Teamchef über die vergangene EM und Defizite des Teams:

ÖHB-Coach Johannesson: Alles Willensfrage Foto: © GEPA

Die EURO 2018 verlief für das ÖHB-Nationalteam nicht nach Wunsch. In einer schwierigen Gruppe mit Weltmeister Frankreich, Vizeweltmeister Norwegen und Weißrussland scheiterte man punktelos in der Vorrunde.

Das "Entscheidungsspiel" gegen Weißrussland gleich zu Beginn der Endrunde ging hauchdünn 26:27 verloren. Doch in der anstehenden WM-Qualifikation kommt es pikanterweise zur Chance der Revanche.

Am Sonntag in Minsk und Mittwoch in der Wiener Erste Bank Arena (20:15 Uhr, LIVE auf LAOLA1.tv) will man sich in zwei Spielen mit der Qualifikation für Deutschland und Dänemark 2019 "entschädigen". Aber nicht nur durch die Niederlage im EM-Duell ist man vor Belarus gewarnt.

Im LAOLA1-Interview arbeitet der isländische ÖHB-Teamchef Patrekur Johannesson das vergangene Großereignis noch einmal auf, spricht über Weißrussland und darüber, was der Mannschaft bis zur Heim-Europameisterschaft in eineinhalb Jahren noch fehlt.

LAOLA1: Fast genau fünf Monate sind seit der EURO 2018 vergangen. Wie viel Analyse-Arbeit haben Sie in diesem Zeitraum investiert?

Patrekur Johannesson: Sehr viel, aber das ist normal. Wir haben vor der Europameisterschaft viel Vorbereitung gemacht, es war eigentlich alles okay. Wir wollten viel, mental wie sportlich. Wir hatten unser "Finale" gegen Weißrussland gleich am Anfang. In diesem Spiel war dann trotzdem ein bisschen Hektik drin. Wir waren dran, aber haben nicht clever genug gespielt. Wir hätten dieses Spiel gewinnen können, aber es ist viel zusammengekommen. Wir sind von den Top-Nationen noch ein bisschen entfernt, aber zu Weißrussland ist es nicht so ein großer Abstand, obwohl das auch eine gute Mannschaft ist. Deren Spieler spielen fast alle regelmäßig Champions League. Wir haben eben ein junges Team, aber das kann jetzt wieder zeigen, was es dadurch gelernt hat.

LAOLA1: Was hat die Analyse auf der taktischen Seite ergeben? Die Flügelspieler hatten einen unerwartet schweren Stand in Kroatien.

Johannesson: Genau, im Angriff ging zu viel durch die Mitte und über Nikola Bilyk. Die Flügel hatten wenige Würfe und dann noch eine schlechte Quote. Wir haben sehr wenige Kontertore gemacht. Das war so nicht geplant, unser Spiel läuft seit jeher viel über die Flügel. Das ist passiert, weil die Gegner lieber in der Mitte Platz gelassen haben. Die wussten ja, dass die Flügel unsere Stärke sind. Wir hatten einen anderen Spielplan. Ich bin ja auch Vereinstrainer in Island, dort macht meine Mannschaft (UMF Selfoss, Anm.) die zweitmeisten Tore. Ich will aggressiv abwehren lassen.

Es ist ein Prozess, und das Team wird drei bis fünf Jahre brauchen, um top zu werden, wenn alle richtig arbeiten. Aber ich will das nicht schönreden, die anderen Mannschaften waren einfach besser.

LAOLA1: Viel an der taktischen Einstellung entstand also aus einer Reaktion heraus.

Johannesson: Wir waren in den Zweikämpfen nicht stark. Räume waren da, aber mit Ausnahme von Niko (Bilyk, Anm.) haben wir zu wenige Zweikämpfe gewonnen. Ob es an der Taktik oder den Einzelspielern lag? Ich denke, es war eine Mischung. Bei Welt- und Europameisterschaften, oder auch in der Champions League ist es eben schwieriger als in der spusu HLA, ein Eins-gegen-Eins zu gewinnen. Da kommt es immer zum Punkt der körperlichen Fitness. Körperlich starke Beine, aber auch Schnelligkeit – so ist Handball heute. Es besteht nicht nur aus Laufarbeit.

LAOLA1: Dazu kamen ungünstige Spielverläufe mit einigen Strafen.

Johannesson: Kein Vorwurf an die Spieler, es wollte eben jeder. Aber es waren viele dumme Strafen dabei. Man muss ein bisschen Lockerheit finden. Will man zu viel, verkrampfst du, so kann man nicht Handball spielen. Die Mannschaft, wie sie jetzt zusammenspielt, hat etwa 2016 miteinander angefangen und 2017 schon die EM-Qualifikation geschafft. Es ist ein Prozess, und das Team wird drei bis fünf Jahre brauchen, um top zu werden, wenn alle richtig arbeiten. Aber ich will das nicht schönreden, die anderen Mannschaften waren einfach besser.

VIDEO - Unser Experte hat sich die Weißrussen vor dem EM-Duell angesehen:

LAOLA1: Welche positiven Dinge nehmen Sie mit?

Johannesson: Dass die Spieler so etwas einmal so jung erlebt haben. Die letzte Generation war zum ersten Mal bei einem Großereignis dabei, da waren die wichtigsten Spieler 30 Jahre alt. Sie haben gesehen, dass bei Frankreich jeder Spieler 100 Kilo hat und trotzdem schnell ist. Sie haben gesehen, wie die Weltspitze spielt. Das war vor allem für die HLA-Spieler wichtig. Es ist mittlerweile etwas ganz anderes auf diesem Niveau, als ich noch gespielt habe, konntest du die körperliche Sache lockerer angehen.

LAOLA1: Was war der erste Gedanke, als klar wurde, dass es in der WM-Qualifikation wieder gegen Weißrussland geht?

Johannesson: Ich sage es ehrlich: 'Okay, dann muss ich nicht wieder 15 Spiele analysieren' (lacht). Es ist eine gute Mannschaft, vielleicht hätte es auch einfachere Gegner gegeben. Aber das habe ich schon vor dem WM-Playoff gegen Norwegen, das wir dann für uns entschieden haben, gesagt: Das war das Beste, was uns passieren konnte! Die waren damals noch nicht so weit wie jetzt. Ich habe keine Angst, zu verlieren. Ich gebe alles, und was herauskommt, kommt heraus. So muss man denken. Für Trainer ist es eben eine verrückte Arbeit mit viel Risiko, nicht nur im Handball. Wenn ich denke, dass ich vielleicht verliere und dann meinen Job los bin, werde ich verrückt. Ich weiß, was ich kann, und mache einfach weiter. Ich bin schon lange in Österreich und nehme solche Aufgaben immer gerne an, auch die jetzige gegen Weißrussland.

LAOLA1: Was wissen Sie jetzt über Weißrussland, was man vor der EURO vielleicht noch nicht wusste?

Johannesson: Ich weiß einfach alles über Weißrussland. Sie haben in Porec genau das gespielt, was wir erwartet haben.

LAOLA1: Die mögliche WM-Qualifikation ist auch deswegen so wichtig, weil es das letzte Großereignis vor der Heim-Europameisterschaft 2020, die man gemeinsam mit Norwegen und Schweden austrägt, wäre. Welche richtig großen Baustellen sehen Sie mit der Mannschaft noch offen?

Johannesson: Ich muss ehrlich sagen – die Spieler müssen im athletischen Bereich noch richtig, richtig nachlegen. Das sage ich aber seit vielen Jahren. Im Nationalteam kannst du in diesem Bereich keine Arbeit machen, da geht es um die anderen 330 Tage im Jahr. Nikola Bilyk hat in zwei Jahren 10-15 Kilo Muskeln zugelegt, dann können das die anderen auch. Das ist nur eine Willensfrage. Wir haben nicht die Auswahl an Spielern wie Dänemark oder Island, da muss sich jeder einzelne ins Zeug legen, sonst wird es schwer. Frankreichs Kader hat im Schnitt 98 Kilo – bei uns sind es 90! Mich hat überrascht, wie viel Unterschied noch da ist. Trotzdem sind deren Spieler noch schnell. Ich war beim Final Four der Champions League in Köln. Montpellier, Nantes, Paris – deren Spieler sind Maschinen! Aber was sie taktisch gespielt haben, das spielen wir auch. Es bringt nur wenig, wenn du topfit bist, aber keine Sperre stellen kannst. Um die Frage zu klären, was man spielt, braucht man einen guten Trainer. Und der braucht ein gutes Fundament, wenn man ein Haus bauen will. In Island, wo ich in einer Akademie arbeite, bringen wir den Jungs und Mädchen schon ab 15 Jahren die richtige Technik für das Krafttraining bei.

Ich muss ehrlich sagen – die Spieler müssen im athletischen Bereich noch richtig, richtig nachlegen. Das sage ich aber seit vielen Jahren. Im Nationalteam kannst du in diesem Bereich keine Arbeit machen. Nikola Bilyk hat in zwei Jahren 10-15 Kilo Muskeln zugelegt, dann können das die anderen auch.

LAOLA1: Gibt es abseits dieser Sache, die man im Nationalteam kaum beeinflussen kann, einen Fahrplan für die eineinhalb Jahre zur Heim-Europameisterschaft?

Johannesson: Klar habe ich 2020 schon im Kopf, aber als Trainer muss ich von Spiel zu Spiel denken. Zum Glück habe ich mit Österreich viel gewonnen, sonst wäre ich ja schon weg. Nach den Spielen zur WM-Qualifikation setzen wir uns noch einmal alle zwei Tage lang zusammen. Ich muss wissen, welche Spieler hundertprozentig mitmachen wollen. Wenn sich jemand verletzt, haben wir mit unserem Kader schon jetzt ein bisschen Probleme. Daher muss jeder zu hundert Prozent wollen. Eine EM daheim zu spielen, ist schon eine Motivation, aber das muss jeder für sich wissen. Im Sport kannst du halt schwer planen. Österreich ist bei der Fußball-WM nicht dabei, aber schlägt Deutschland. Island hat auch nicht die beste Qualifikation gespielt, aber sie mit Teamgeist und einem guten System geschafft. Das versuche ich auch bei uns zu vermitteln, das war immer mein Plan mit Österreich. Ich wusste schon, dass es auf jeder Position in anderen Ländern bessere Spieler gibt. Trotzdem haben wir jetzt schon drei Qualifikationen für Großereignisse miteinander geschafft, mehr als jede andere Ballsportart in Österreich in diesem Zeitraum. Das war nicht nur, weil einzelne Spieler oder ich so super waren, sondern die ganze Mannschaft.

LAOLA1: Der Fußball-Seitenhieb verrät: Die nächsten zwei Wochen werden Sie auf jeden Fall mit Island vor dem Fernseher mitfiebern?

Johannesson: Ja klar, am 16. Juni ist unser erstes Spiel gegen Argentinien, gegen Lionel Messi!

>>> Österreich - Weißrussland: 13. Juni, 20:15 Uhr LIVE auf LAOLA1.tv <<<

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