"Du musst äußerst vorsichtig sein. Halte immer Ausschau, ob sich ein Motorrad nähert. Und: Stehe nie mit dem Rücken zum Geschehen."
Schade, also kein Selfie. Die Anweisungen der äußerst netten Dorna-Mitarbeitern sind unmissverständlich, aus gutem Grund. Man will einerseits nicht sich selbst in Gefahr begeben, aber natürlich auch nicht die Fahrer.
Dann wird ein kleiner Traum wahr. Die Zusatzkarte wird ausgehändigt, damit geht es am Samstag für das zweite Freie Training der MotoGP in die Boxengasse. Die Aufregung steigt minütlich, unzählige Gedanken schwirren durch den Kopf.
Immer wieder denke ich mir: "Stell ja keinen Blödsinn an!" Sonst drohen horrende Sanktionen. Etwa, dass man nie wieder für das Event akkreditiert wird.
Hinaus in die Boxengasse
Die Moto2 schließt ihr Training gerade ab, als ich meinen Weg durch das Fahrerlager bahne. "Deutlich mehr los als die letzten Tage", schießt es mir in den Kopf.
Die Sonne strahlt über dem Murtal, es ist wieder drückend heiß. Nur wenige Momente später durchschneidet lautes Dröhnen die Luft. Die Motoren werden angelassen, ich darf keine Zeit mehr verlieren, will ich doch jede Sekunde aufsaugen.
Durch einen Gang unterhalb des Podiums geht es Richtung Boxengasse, am Ausgang stehen zwei Security-Mitarbeiter. Daneben ist auf einem Zettel klipp und klar festgehalten, wer durch die Glastür schreiten darf - und wer nicht.
Kurzer Augenkontakt, kurzer Blick auf die Zusatzkarte, ein bejahendes Nicken. Es geht raus in die Pit Lane!
Lärm, Power und pure Gänsehaut an der Boxenmauer
Etliche Bikes werden gerade aus ihren Boxen gerollt, nur einer darf noch nicht: Jack Miller. Der Australier muss die ersten fünf Minuten aussitzen, weil er am Freitag im Training mit seinem am Heck rauchendem Bike noch bis zur Box fuhr.
So ein MotoGP-Bike aus nächster Nähe zu betrachten, ist unfassbar. Rund 260 PS stark, 157 Kilogramm leicht, ein 1.000 ccm großer Viertakt-Saugmotor. Drehen die Piloten das Gas auf, werden die Zweiräder zu wahren Raketen und erreichen bis zu 365 km/h.
"Da helfen nicht einmal mehr die mitgebrachten Ohrstöpsel, die ich mir mit jedem vorbeizischenden Bike immer tiefer in meinen Gehörgang drücke."
Der Lärm ist erdrückend und wird ohrenbetäubend, als ich mich an die Boxenmauer stelle. Da helfen nicht einmal mehr die mitgebrachten Ohrstöpsel, die ich mir mit jedem vorbeizischenden Bike immer tiefer in meinen Gehörgang drücke.
Neben mir steht ein Yamaha-Mitarbeiter, er schmunzelt leicht. Ich frage ihn: "Wie gewöhnt man sich daran?" Die Antwort: "Gar nicht, genieß es einfach." Lässt sich auch leicht sagen, wenn man übergroße und schalldichte Kopfhörer aufhat.
Die bestehende Gefahr eines Tinnitus nehme ich liebend gerne auf mich. "Geil!", denke ich mir jedes Mal, wenn es im Ohr klingelt, weil auf der Start-Ziel-Gerade wieder auf über 300 km/h beschleunigt wird.
Auge in Auge mit den MotoGP-Stars
Weg von der Boxenmauer, Alex Marquez wird von einem Crew-Mitglied in Empfang genommen. Er fährt direkt an mir vorbei, Stille. Der Motor ist bereits abgestellt. Ich kann nicht anders, als ein kurzes Video zu machen. Das glaubt mir ja sonst niemand.
Direkt im Anschluss steuern Francesco Bagnaia und Marc Marquez die Ducati-Box an. Sofort eilen mehrere Mitarbeiter heraus, stabilisieren das Bike. Wieder stehe ich gleich daneben, perfekte Aussicht auf jeden kleinen Handgriff.

Und Bagnaia? Hätte er das Visier nicht runtergeklappt, könnte ich ihm direkt in die Augen sehen. Fokussiert marschiert er zu seinem Platz, der Helm wird abgezogen. Das Bike wird in der Zwischenzeit abgestellt, die Reifen gewechselt und kleine Anpassungen vorgenommen.
Mein Blick ist starr auf die Arbeiten gerichtet. Es ist faszinierend, was das Team rund um den Fahrer täglich leistet. Ich werde aus dem Bann rausgezogen, bei VR46 wird das Motorrad von Fabio Di Giannantonio aus der Box gerollt.
Per Anlasser wird der Motor gestartet, erst dann kommt Di Giannantonio und wirft sich auf seine Ducati. Wieder dieses Dröhnen im Ohr, aber auch Gänsehaut am ganzen Körper. Da schlägt das Herz höher!
Zwischen Sturz und Showtime
Ich gehe die Boxengasse hinab und lande bei KTM. Glück bringe ich keines mit, Sekunden später klappt bei Supertalent Pedro Acosta in Kurve 1 das Vorderrad ein. "Argh!", hallt es aus der Box.
Der Moto3- und Moto2-Weltmeister fährt das Bike eigenständig an die Box, der Schaden ist überschaubar. Ich gehe lieber wieder, bevor es noch einen weiteren Fahrer erwischt.

Bei Ducati wird eifrig gewerkt, die Zeit verstreicht. Ich schaue auf die Uhr: "Was, nur mehr 10 Minuten?!" Schöne Dinge vergehen eben viel zu schnell.
Deshalb nichts wie weiter, diesmal zu Aprilia. Hier ein Kameramann, da ein TV-Reporter, dort ein Fotograf - da tut sich etwas. Ein Mitarbeiter kommt heraus, Jorge Martin folgt kurz darauf. Der Weltmeister geht nochmal in die Kniebeuge, stretcht seinen Körper durch.
Das Ritual ist vollzogen, der Motor an. Und bei mir zieht wieder die Gänsehaut auf.
Dankbarkeit im Ohr, Sehnsucht im Herzen
Das Training neigt sich dem Ende zu, und damit auch mein Besuch in der Boxengasse.
Auf dem Weg zur ominösen Glastür komme ich nochmal bei Yamaha vorbei, hier werden schon die letzten Vorbereitungen für das Qualifying getroffen. Dessen Ende sollte enttäuschend sein, Ex-Weltmeister Fabio Quartararo wird als bester Pilot nur 16.
Bevor ich endgültig wieder Richtung Fahrerlager schreite, sauge ich ein letztes Mal diese unbeschreibliche Atmosphäre auf. Glastür auf, gefühlt blasen meine Ohren einmal kräftig durch und sind dankbar, dass es endlich vorbei ist.
Jede andere Faser meines Körpers schreit hingegen: "Ich will wieder raus!" Darf ich aber nicht. Was bleibt, sind Erinnerungen für die Ewigkeit, zum Glück kein Tinnitus sowie einige Videos auf meinem Handy, die wir aus rechtlichen Gründen leider nicht hier teilen dürfen.
Ein Gefühl dominiert letztendlich: Dankbarkeit. Dankbarkeit dafür, solche Momente erleben zu können. Und solche Geschichten für all unsere Leser:innen aufbereiten zu dürfen.
Nächstes Jahr auf ein Neues!