Portrait

Lando Norris: Das ganz andere Wunderkind

Mit anderem Background und Werdegang als sein Freund Max Verstappen hat Lando Norris in der Formel 1 seinen Weg zum möglichen Weltmeister erst machen müssen. Mittlerweile würde sich nicht mehr jeder mit ihm über den WM-Titel freuen.

Lando Norris: Das ganz andere Wunderkind Foto: © GETTY

Mit Max Verstappen haben sich die Sphären verschoben. Im Schatten des Niederländers geriet in Vergessenheit, dass anderen das Attribut "Wunderkind" anhaftete.

Lando Norris hatte es bei seinem Weg durch die Nachwuchskategorien auch inne. Nur fünf Saisons brauchte er, um von den Karts in die Formel 1 durchzurauschen.

Alle Augen wären auf ihn gerichtet – gäbe es Verstappen nicht.

So durfte alles etwas länger dauern. Gar nicht, die Daseinsberechtigung in der "Königsklasse" zu unterstreichen. Den ersten Podestplatz gab es schon im zweiten Jahr.

Der Siegesbann brach allerdings erst vor eineinhalb Jahren in Miami. Bis dorthin sammelte kein Fahrer vor Norris so viele Treppchen, ohne auf der obersten Stufe zu landen.

Der mittlerweile 26-Jährige schien zum Beweis zu werden, dass Talent spätestens am Gipfel des Motorsports allein nicht reicht. Die Kleinigkeiten, die Hoffnungsträger von Champions unterscheiden, schienen Norris zu fehlen.

Aber nun, im siebten Jahr, erhebt Norris endlich Anspruch auf den Weltmeister-Titel. Wobei das "endlich" relativ ist: Schneller war auch Verstappen nicht.

Wie auch eine enge Freundschaft die Beiden verbindet. Auf die Probe gestellt wurde sie öfter, seit Norris auch um Siege mitfährt. Doch sie hält beständig.

Background vs. Kleingeld

Die Erfolge als Wunderkinder, die Nationalitäten als Halb-Belgier – beiderseits dank der Mütter – und eine enge Freundschaft verbinden, obwohl die schon öfter auf die Probe gestellt wurde, seit auch Norris um Siege fährt. Die Ursprünge trennen.

Max Verstappen wurde als Sohn von Formel-1-Fahrer Jos und Sophie Kumpen, einer Kartfahrerin, in den Motorsport hineingeboren. Landos Eltern hatten mit Motorsport wenig am Hut, aber das nötige Kleingeld.

Das Vermögen von Vater Adam Norris beläuft sich auf rund 200 Millionen Pfund, das erleichterte den Einstieg in das kostspielige Hobby des Juniors. Als "Paydriver" wollte Junior aber nicht gelten, nur bis zur Formel 3 durfte die finanzielle Unterstützung helfen.

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mit seinem millionenschweren Vater Adam Norris
Foto: ©GEPA

Durchmarsch durch die Klassen...

Der eine quasi an der Rennstrecke geboren, der andere archetypischer Vertreter der Generation Z, selbst betitelt als "Vollzeit-Streamer und Teilzeit-Formel-1-Fahrer".

Als Kind war er kaum vom Computer zu trennen, erst kurz vor seinem siebenten Geburtstag sah Norris sein erstes Kartrennen. "Es sah cool aus, also wollte ich auch mal fahren", erzählte Norris einst. Die Bewunderung für Valentino Rossi, dessen Erkennungsfarbe Signalgelb Norris übernahm, half auch.

Damit blieb es nicht bei Gran Turismo auf der Playstation, auch wenn die Leidenschaft für die digitale Welt blieb. Als Mitgründer von "Quadrant", einem auf Gaming, Racing, Bekleidung und Content spezialisierten Unternehmen genau wie als Twitch-Streamer, was ihn für seine Fans immer nahbar hielt, ist sie bis heute sein zweites Zuhause.

Das reale Cockpit wurde sein primäres. 2007 begann die Kart-Karriere, 2014 machte er sich zum jüngsten Kart-Weltmeister der KF-Klasse.

Dann wurden die Untersätze rasend größer: 2015 schon der Titel in der britischen Formel 4, 2016 jene in der Toyota Racing Series und Formel Renault, 2017 in der europäischen Formel 3.

Alle auf Anhieb, noch einmal verdeutlicht.

...bis ganz nach oben

2018 reichte es in der Formel 2 "nur" mehr zum Vizemeister, aber da war der rasante Aufstieg schon am Gipfel angekommen. Bereits zuvor war es eine der ersten Aktionen von Neo-Geschäftsführer Zak Brown, den kometenhaften Aufsteiger unter Vertrag zu nehmen.

Und bei McLaren, einem Team im Aufbruch, war das Vertrauen in den Super-Youngster so hoch, dass er schon mit 18 Jahren einen Stammplatz in der Formel 1 bekam.

Zuvor waren nur zwei schneller dran als er – einer davon natürlich Max Verstappen.

Jugendliche Unbekümmertheit...

Und so schnell ihn der Weg in den großen Zirkus führte, so schnell flogen ihm auch die Fan-Herzen zu. Nicht nur des verjüngten und weiblicheren Publikums anno "Drive to Survive".

Lando trat so auf, wie ein Streamer eben zu seinem Publikum kommt: Frisch, frech, unbekümmert und nahbar. Unvergessen der Lachflash mit Co-Sunnyboy Daniel Ricciardo bei einer der ersten Pressekonferenzen, der Auslöser: Eine vermeintlich heimliche Nachfrage zu seinen Schamhaaren.

Auch mit Teamkollege Carlos Sainz passte die Chemie, "Carlando" wurde schnell zum Kult-Duo.

VIDEO - Die legendäre Pressekonferenz

(Artikel wird unterhalb fortgesetzt)

...und Leichtsinn

Auch am Asphalt lief es gut: Die Ansprüche konnte er lange übererfüllen, punktete beständig und brachte den McLaren im zweiten Jahr in Österreich auch schon auf das Podest. Das Vertrauen in den Teenager war gerechtfertigt.

Die Formel-1-Welt litt mit, als Norris in Sotschi 2021 seinen ersten Sieg wegwarf. Bei Regen verzichtete er auf einen Boxenstopp – und drehte sich in der Folge weg. Die jugendliche Leichtigkeit wurde zum Leichtsinn.

Es blieb lange der Plafond. Und es wurden Zweifel laut, ob Norris das Zeug zum Weltmeister habe. Kleinere und größere Fehler verhinderten den ersten Sieg lange, unter Druck wich die Coolness oft der Ungeduld.

110 Rennen dauerte es, bis der Brite zum Grand-Prix-Sieger wurde. Aber seit Miami 2024 haben sich die Dinge umso mehr beschleunigt.

Eine seltene Art der Rivalität

Plötzlich im besten Auto des Feldes sitzend, folgte noch im Jahr des ersten Sieges der WM-Anspruch. Und damit endgültig das Duell mit Freund Max Verstappen.

Die Kollision von Spielberg 2024 war die bis dahin gröbste Belastungsprobe der Beziehung, doch auch dem hielt sie stand.

Es ist eine gesunde Rivalität, der stellenweise sogar Freude über die Errungenschaften des anderen beiwohnt.

Teamkollege oder doch Antagonist?

Mit dem Erfolg wandelte sich allerdings auch Landos Image etwas. Auch, weil er mit Oscar Piastri 2023 einen Teamkollegen zur Seite bekam, der auf Anhieb ebenbürtig war und Norris‘ Weg durch seinen Aufstieg etwas relativierte.

Dazu ist Piastri auch charakterlich ein Gegenentwurf, durch andere Eigenschaften überzeugt. Einer natürlichen Coolness, auch wenn der Australier auch seine Fehler macht.

"Es ist schwierig, jemanden zu schlagen, der in das Cockpit hineingeboren wurde."

Norris über Verstappen

Norris hingegen lässt seinen Emotionen gerne einmal raus. Und schämt sich in der hochpolierten Welt der Formel 1 auch nicht dafür, offen über mentale Belastungen zu sprechen.

An Renntagen sei er vor Nervosität oft kaum in der Lage, etwas zu sich zu nehmen. Nervosität sei ein ständiger Begleiter, auch nach Jahren in der "Königsklasse".

Eine Schwäche – oder doch eine Stärke, so damit umzugehen? Es ist Angriffsfläche für seine Kritiker, doch als Botschafter und Spendensammler von Organisationen wie "Our Frontline" unterstreicht er die Bedeutung dieses Themas für ihn.

McLarens Liebkind?

Dass er zuletzt etwas an Popularität einbüßte, hat andere Hintergründe: Ein Gefühl der Bevorzugung durch McLaren.

Als Brite sei er für das Team besser zu vermarkten, und als Brown-Zögling der ersten Stunde liege den Verantwortlichen auch mehr daran, den "Eigenbau" zum Weltmeister zu machen, anstelle des "Quereinsteigers" Piastri.

Zumal Norris mittlerweile mit 151 Rennen der längstdienende Fahrer in der illustren Historie des Rennstalls ist. Vor Namen wie Jenson Button, Mika Häkkinen, Lewis Hamilton, Alain Prost, Ayrton Senna, Fernando Alonso, Kimi Räikkönen, Niki Lauda, James Hunt und Emerson Fittipaldi.

Weniger nahbar - wie ein Champion eben sein muss?

Offiziell gibt es so eine Bevorzugung selbstverständlich nicht, manche Entscheidung des Kommandostandes hatte aber seinen Beigeschmack. Prominent etwa die Kontroverse in Monza, als Piastri einen schlechten Boxenstopp des Teamkollegen ausbaden und ihn vorbeilassen musste.

Lando Norris anno Ende 2025 werden diese Ansichten allerdings nicht so nahe gehen wie sie es in den Jahren zuvor getan hätten. Zu Jahresbeginn habe er sich zu viele Gedanken gemacht, wie ihn die Menschen wahrnehmen.

"Ich habe gelernt, besser damit umzugehen", unterstrich der WM-Führende jüngst. Und offenbarte dabei jene Coolness, die ihm so lange abgesprochen wurde.

Ob er sie wirklich verinnerlicht hat – dafür wird Abu Dhabi zur Feuerprobe.

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