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Warum Europas "Fußballzwerge" plötzlich gefährlich sind

Der kommende Gegner Österreichs, San Marino, und andere vermeintliche "Zwerge" haben längst mehr zu bieten als nur biedere Abwehrschlachten. Warum dem so ist:

Warum Europas Foto: © GEPA/getty

San Marino sorgt im Herbst 2024 für einen Paukenschlag: Der "Zwergstaat" steigt in die Nations League C auf. Luxemburg, 2006 noch letzter der FIFA-Weltrangliste, fährt beinahe zur EM und die Färöer Inseln stellen mittlerweile ein Team, in dem mehr als die Hälfte des Kaders Profis sind.

Europas einstige Fußball-Zwerge sorgen mittlerweile in wachsender Regelmäßigkeit für Überraschungen und stehen längst für mehr als biedere Abwehrschlachten.

Doch wo liegen die Gründe dafür? LAOLA1 begibt sich auf Spurensuche und zieht dafür drei "Zwerge", die in der jüngeren Vergangenheit für Aufsehen sorgten, heran: Luxemburg, die Färöer Inseln und den kommenden ÖFB-Gegner San Marino.

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Gemeinsamkeiten trotz unterschiedlicher Wege

(Text wird unter dem Video fortgesetzt)

Was all diese Kleinstaaten gemeinsam haben, liegt schon ob der Fakten auf der Hand: Man macht dort aus wenig sehr viel.

Die Wege, wie man dorthin kommt, unterscheiden sich, es gibt allerdings einige gemeinsame Nenner, die sich überschneiden.

Zunächst einmal wurde in allen Ländern in Infrastruktur sowie Trainer- und Spieler-Ausbildung investiert. Daran geknüpft ist das Thema Nachwuchsförderung, die durch die verbesserten Bedingungen wesentlich an Qualität gewonnen hat.

In diesem Zusammenhang profitierten die kleinen Nationen vom "UEFA HatTrick-Programm". Bei diesem werden UEFA-Einnahmen aus den EM-Endrunden an die Verbände zur Realisierung langfristiger Entwicklungsprojekte ausgeschüttet.

Weiters spielt das Thema Konstanz eine zentrale Rolle. Personen sind teils seit Jahrzehnten im Amt. Diese wiederum sind für einen Mentalitätswandel verantwortlich. Die Erfolge der letzten Jahre zahlen zudem auf das eigene Selbstvertrauen ein.

Nicht unwesentlich ist auch die Einführung der UEFA Nations Legaue, durch welche diese Länder die Möglichkeit bekommen haben, sich mit Teams auf Augenhöhe zu messen. Dadurch können sie ihre Spielanlage offensiver ausrichten, was letztlich die fußballerische Weiterentwicklung fördert.

Luxemburgs langer Weg aus dem Fußball-Niemandsland

Wir schreiben den 27. Mai 2006. Luxemburgs Spieler schleichen geschlagen über den Rasen des alten Freiburger Dreisamstadions. Gegen Deutschlands WM-Elf kassiert man eine 0:7-Klatsche. Die "Roud Leiwen" sind zu diesem Zeitpunkt Letzter der FIFA-Weltrangliste – und verfügen mit Jeff Strasser (Borussia Mönchengladbach) über genau einen Profi im Ausland.

"Unter der Woche werden viele Spiele gegen Vereine wie Köln, Gladbach, Saarbrücken oder Lüttich organisiert – das bringt die Spieler enorm weiter"

Jeff Strasser über die Luxemburger Akademie

Doch einer glaubt schon damals an eine bessere Zukunft: Paul Philipp – ehemaliger Nationalspieler, späterer Teamchef und seit 2004 Verbandspräsident. Bereits 2001 hatte er den Aufbau einer nationalen Akademie vorangetrieben, in der junge Talente unter der Woche trainieren und nur am Wochenende für ihre Klubs spielen.

"Unter der Woche werden viele Spiele gegen Vereine wie Köln, Gladbach, Saarbrücken oder Lüttich organisiert – das bringt die Spieler enorm weiter", erklärte Strasser, heute Coach von Progres Niederkorn, im "Kicker".

Der Effekt: Luxemburgs Talente wecken zunehmend das Interesse ausländischer Klubs – viele wechseln schon als Teenager ins Ausland.

Jeff Strasser war lange Zeit das einzige fußballerische Aushängeschild Luxemburgs.
Foto: © getty

Das Ergebnis dieser Strategie gipfelte im bislang größten Erfolg: dem EM-Quali-Playoff gegen Georgien im Frühjahr 2024 – auch wenn man sich dort mit 0:2 geschlagen geben musste.

Inzwischen ist Luxemburgs Nationalelf fast ausschließlich mit Legionären besetzt. "Wenn du eine ganze Mannschaft von im Ausland tätigen Profis hast, ist es logisch, dass die Resultate irgendwann kommen", so Strasser.

Neben dem stabilen Verbandskurs ist auch Teamchef Luc Holtz ein Erfolgsfaktor: Der 54-Jährige steht seit 2010 an der Seitenlinie. "Er hat die höhere individuelle Qualität zu einer funktionierenden Mannschaft geformt", lobt Strasser.

Eine Teilnahme an einer EM oder WM werde trotzdem nicht zur Selbstverständlichkeit, warnt Philipp: "Wir sind ein Dorf, wir werden niemals Weltmeister werden. Wir sind klein – und werden immer klein sein."

Färöer: Fußball vom Volk fürs Volk

Bevor Luxemburg seinen großen Aufschwung erlebte, galten die Färöer Inseln als "Größter unter den Kleinen".

Die Fähringer legten insbesondere in den letzten 20 Jahren eine starke Entwicklung hin. Jene Zeiten, in denen sich Josef Hickersberger den unliebsamen Beinamen "Färöer-Pepi" einhandelte, sind längst vorbei. Ein Sieg der Fähringer gegen größere Nationen ist längst keine Sensation mehr.

Siege der Färöer über Favoriten, wie hier in Landskorna über Österreich, bleiben die Ausnahme. Sensation sind sie aber keine mehr.
Foto: © getty

Die Grundlage für diesen Wandel wurde allerdings schon vor der ÖFB-Blamage in Landskrona gelegt.

Damals begann der färöische Verband gezielt in die Infrastruktur zu investieren: Kunstrasenplätze, Flutlichtanlagen und Fachkräfte aus dem Ausland sorgten für professionelle Rahmenbedingungen und eine bessere Trainerausbildung.

Heute ist Fußball auf den 18 Inseln Volkssport. Rund 15.000 der knapp 50.000 Einwohner sind aktiv involviert – ob als Spieler, Trainer, Funktionär oder Fanvertreter. "Im färöischen Fußball ist Platz für alle", betont Verbandspräsident Christian Andreasen, seit 2010 im Amt. Ziel sei es, die höchste Teilnahmequote weltweit zu erreichen.

Färöer: Auch die Klubs ziehen nach

Auch Mentalität und Selbstverständnis haben sich verändert. "Der färöische Fußball muss sich etwas zutrauen und sich hohe Ziele setzen", fordert Andreasen. Ex-Profi Kevin Schindler (u.a. Bremen, St. Pauli), der 2021 in Torshavn coachte, beschreibt die Menschen als "extrem motiviert, alle wollen immer trainieren", mit großem Nationalstolz.

Auch die Qualität der heimischen Liga steigt stetig. Im Sommer 2023 schrieb KI Klaksvik Geschichte: als erster färöischer Klub qualifizierte man sich für den Europacup. In der Conference League gelang daraufhin im Oktober mit einem 3:0 über Olimpija Ljubljana der erste färöische Europacup-Sieg.

Ein Schlüssel liegt in der frühen Förderung: Spieler rücken oft mit 16 oder 17 Jahren in den Profibetrieb auf, sind mit 18 Stammspieler, manche schaffen den Sprung ins Ausland - wovon wiederum das Nationalteam profitiert.

Dieses bewies erst unlängst, dass es für jeden Gegner eine Gefahr sein kann. Beim EM-Quali-Auftakt im März verlangten die Fähringer Tschechien alles ab – erst ein später Treffer von Patrik Schick entschied die Partie mit 2:1.

San Marino: Ein Zwerg muckt auf

Für die jüngsten Sensationen sorgte San Marino, der Zwergstaat ist mittlerweile Teil der Nations League C.

Wie Luxemburg investierte auch das fünftkleinste Land der Welt in eine nationale Akademie, die alle Jugendmannschaften bis zur U19 betreut. Inzwischen stammen rund ein Drittel der Nationalspieler von dort.

San Marino profitierte besonders vom "UEFA-HatTrick-Programm" und der Einführung der Nations League. Die Fördergelder flossen in die Akademie sowie in das umfassend modernisierte Nationalstadion.

Jugend forscht: San Marino stellte 2024 das jüngste Nationalteam Europas.
Foto: © getty

"Die Unterstützung der UEFA war entscheidend", sagt Verbandspräsident Marco Tura. Sie habe die Mentalität und Vision des Landes für den Fußball grundlegend verändert – wirtschaftlich, strukturell und technisch.

Dank der Nations League gelang es San Marino von "einem defensiven zu einem offensiveren Stil überzugehen und unsere Mentalität und Spielphilosophie zu verändern", so Tura. Dies bildete die Grundlage, entscheidend für die jüngsten Erfolge ist allerdings ein tiefgreifender Umbruch im Kader.

Seit seinem Amtsantritt im Dezember 2023 setzt Teamchef Roberto Cevoli konsequent auf Jugend. Im Vorjahr nominierte er die mit einem Schnitt von 24 Jahren jüngste Nationalmannschaft Europas.

"Dieser Erfolg ist die Erfüllung eines Ziels, das ich mir gesetzt habe, als ich diese Reise begann", erklärte Cevoli nach dem Nations-League-Aufstieg.

Ein Symbol für San Marinos Aufschwung ist Nicola Nanni, der einzige Profi im Kader. Der Mittelstürmer stammt aus der eigenen Akademie, spielt inzwischen bei Torres Calcio in der Serie C – und traf im Herbst 2024 entscheidend gegen Gibraltar und Liechtenstein.

Fazit: Der "David" lernt das Spiel

Wurden die "Kleinen" einst belächelt, hat sich das in den letzten 20 Jahren deutlich verändert. Die drei genannten Beispiele entwickeln sich besonders positiv.

Luxemburg, die Färöer und San Marino zeigen, dass gezielte Investitionen, klare Strukturen und langfristige Strategien auch im Kleinen große Wirkung entfalten können.

Talente werden systematisch gefördert, Trainer professionell ausgebildet, neue und hochwertige Infrastruktur geschaffen. All das mit einem klaren Plan, über viele Jahre hinweg. Der Abstand zu den "Großen" ist nach wie vor gegeben, aber er wird zunehmend kleiner.

Davon können andere kleine Fußball-Nationen lernen. Nicht alle "Fußball-Zwerge" machen bereits derartige Schritte nach vorne, insgesamt lässt sich aber überall ein klarer Aufwärtstrend in Sachen Professionalisierung beobachten.

Erfolg wird mehr und mehr planbar, auch im Kleinen. Wer die einstigen "Fußball-Zwerge" heute noch unterschätzt, tut dies auf eigene Gefahr. Denn auch sie können mittlerweile richtig gut Fußballspielen - wenn man sie lässt.



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