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Zenica: Der Hexenkessel mit viel Patina

Auf das ÖFB-Team wartet ein Stadion zwischen Bruchbude und Retro-Charme. Doch warum wird hier überhaupt gespielt? Eine Spurensuche:

Zenica: Der Hexenkessel mit viel Patina Foto: © getty

Eine Handvoll Sicherheitskräfte lümmeln gelangweilt auf ihren Campingstühlen herum, ein Pärchen turtelt auf einer Parkbank 30 Meter vor dem Stadion, ein paar Passanten schleppen ihre Einkäufe in Plastiksackerln nachhause.

Am Montagnachmittag deutet nichts darauf hin, dass hier in etwas mehr als 24 Stunden der Teufel los sein wird. Einzig die zahlreichen Absperrgitter, die teilweise sehr wirr positioniert sind, weisen darauf hin, dass hier sehr bald mal ein paar Menschen erwartet werden.

"Da brauchst du Connections"

13.600 werden es am Dienstagabend sein, wenn Bosnien-Herzegowina im Stadion Bilino Polje in Zenica das ÖFB-Team zum ersten Showdown in der WM-Quali empfängt.

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"Wenn sie schlecht spielen, kommen da vielleicht 5.000 Leute. Aber nach den vier Siegen ist die Euphorie groß, da brauchst du Connections, um zu Karten zu kommen", sagt Amer.

Wenn das Nationalteam kommt, sind Zenicas Straßen voll
Foto: © getty

Der Taxifahrer erwartet, dass die Strecke vom 70 Kilometer entfernten Sarajevo statt der üblichen 50 Minuten vor dem Spiel mindestens zwei Stunden in Anspruch nehmen wird.

Warum hier?

Doch warum tragen Edin Dzeko und Co. ihre Länderspiele in der viertgrößten Stadt des Landes aus?

Das hat mehrere Gründe. Einerseits kommen gar nicht so viele Stadien infrage. Zenica liegt im Herzen des Landes. Eines komplizierten Landes.

Die multiethnische Bevölkerung besteht aus Bosniaken, Kroaten und Serben. Die meisten Kroaten und Serben würden ihre Gebiete lieber dem jeweiligen "Mutterland" anschließen, haben für das bosnische Nationalteam wenig übrig.

Somit ist Banja Luka, mit 185.000 Einwohnern größer als Zenica (110.000), etwa kein Thema, ist es doch Teil der Republika Srpska.

Während im gesamten Land rund die Hälfte der Bevölkerung Bosniaken sind, dürfte der Anteil in Zenica bei mindestens drei Viertel liegen.

Warum nicht Sarajevo?

Doch das erklärt nicht, warum in der Hauptstadt Sarajevo seit Juni 2021 kein Spiel mehr ausgetragen wurde. In Sarajevo gibt es das Stadion Asim Ferhatovic Hase, das zwar 35.000 Menschen Platz bietet, aber die UEFA-Vorgaben aktuell nicht erfüllt.

Es ist nicht mehr alles picobello

Wesentlich moderner ist da schon das Stadion Grbavica, Heimstätte von Zeljeznicar Sarajevo, das wegen Umbauarbeiten zuletzt aber länger nicht zur Verfügung stand.

Und dann gibt es da auch noch den Umstand, dass das bosnische Nationalteam seine Trainingslager für gewöhnlich in Zenica abhält.

Eine historische Spielstätte für Bosnien

Überhaupt ist Zenica eine historische Spielstätte dieser noch jungen Nation. Das allererste Heimspiel des Nationalteams – ein 0:0 gegen Albanien im April 1996 – ging hier über die Bühne.

Von 1996 bis 2006 verlor Bosnien im nach einem Stadtteil benannten Stadion Bilino Polje kein einziges Heimspiel, dann kam Ungarn und gewann mit 3:1. Seither setzte es in Zenica einige Niederlagen, unter anderem auch gegen Luxemburg, Georgien, Finnland und Zypern.

Doch die Menschen in dieser Stadt sind Kummer gewohnt, wenn es um Fußball geht. Zumindest in der jüngeren Vergangenheit.

Goldene Zeiten...

Der ortsansässige NK Celik ist in Zenica allgegenwärtig. Der 1945 gegründete Verein erlebte Anfang der 1970er-Jahre seine Hochzeit.

Celiks Titel an einer Stadionwand verewigt

1971 gewann er dank eines 3:1 im Finale gegen Austria Salzburg den Mitropacup. Unmittelbar darauf begannen in der Arbeiterstadt, die dank Kohleminen und Stahlfabriken lange Zeit eines der wirtschaftlichen Aushängeschilder Jugoslawiens war, die Arbeiten am Stadion Bilino Polje.

Nach nur acht Monaten war es fertig.

Gerade rechtzeitig, denn das Eröffnungsspiel war gleichzeitig das Rückspiel im Finale des Mitropacups. Nach einem torlosen Remis in Florenz feierte Celik vor 35.000 Fans einen 1:0-Erfolg gegen die Fiorentina und gewann den Bewerb zum zweiten Mal in Folge.

Das Spiel steht als bestbesuchtes in diesem Stadion in den Geschichtsbüchern, der Einbau von Sitzplätzen verhinderte schon bald ähnliche Zahlen.

...und der tiefe Fall

Celik zeigte nach dem Zerfall Jugoslawiens mit drei bosnischen Meistertiteln in Folge (1995-1997) noch einmal auf, doch schon bald ging es bergab.

Der klassische Mitgliederverein – in Bosnien-Herzegowina extrem selten – startete wegen argen finanziellen Problemen 2020 nur noch in der vierthöchsten Spielklasse, hat sich zuletzt bis in die zweite Liga hochgearbeitet.

Die Geschichte der glorreichen Rückkehr in die Erstklassigkeit soll schon bald zu Ende geschrieben werden.

Der GAK ist auch da

Regelmäßig kommen Besucher aus Graz

Irgendwie liegt es da fast schon auf der Hand, dass die Ultras von Celik eine enge Fanfreundschaft mit jenen des GAK haben. Am Stadion in Zenica ist in der Kurve sogar ein GAK-Graffiti zu sehen. In der Stadt lassen sich an vielen Ecken GAK-Pickerl finden.

Zum Länderspiel gegen Österreich werden wieder einige Grazer erwartet. Sie werden sich das Tollhaus, in das sich das Stadion, das an klassische britische Spielstätten erinnert, bei Ländermatches verwandelt, nicht entgehen lassen.

"Das ist ein kleines Stadion, wo es zur Sache geht, ein Hexenkessel"

David Alaba

Das ist ein weiterer Grund, warum Bosnien seine Heimspiele gerne dort austrägt. Die Nähe der Tribünen zum Spielfeld sorgt dafür, dass ein echter Heimvorteil entstehen kann.

"Die Atmosphäre wird aufgeladen sein", ist sich Ralf Rangnick sicher. David Alaba ergänzt: "Das ist ein kleines Stadion, wo es zur Sache geht, ein Hexenkessel."

Erwartete Emotionen

Das will sich der in Österreich aufgewachsene bosnische Internationale Amar Dedic zunutze machen: "Wir sollten nicht vergessen, dass wir zu Hause spielen, vor unseren Fans, das müssen sie spüren."

Es soll heiß hergehen. Das ist das Ziel der Hausherren. Rangnick meint: "Wir wissen, was da auf uns zukommt. Natürlich werden sie versuchen, das Spiel auch emotional auf einem gewissen Niveau zu halten. Das sind wir gewohnt, unsere Spieler kennen das aus ihren Vereinsmannschaften. Ich mache mir keine Sorgen, dass uns das beeindruckt."

Es wird ein Spiel in einem Stadion, wie man es auf diesem Niveau nur noch selten sieht. Die einen nennen es Bruchbude, die anderen erliegen seinem Retro-Charme, der Patina, die es längst angesetzt hat.

Nur in einem sind sich alle einig: Wer hier war, vergisst es nicht so schnell.


Dieser Bosnien-Kader nimmt es mit Österreich auf

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