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Pichler in Florenz: "...und dann raucht sich der eine an"

Sascha Pichler war als Teenager bei Fiorentina. LAOLA1-Interview über die schwere Integration, Telefon-Rechnungen von 5.500 Euro, Durchschnittskicker Chiellini.

Pichler in Florenz: Foto: © getty

Vor knapp zwei Jahrzehnten war Fußball-Österreich noch nicht mit einer Vielzahl an Talenten gesegnet.

Sascha Pichler gehörte zu jenen, die hervorstachen.

Am Weg zum Meistertitel 2003 debütierte er 17-Jährig für Austria Wien, ein halbes Jahr später übersiedelte er nach Italien zu Fiorentina.

Der Traditionsklub aus Florenz, der am Mittwoch im Finale der Europa Conference League auf West Ham trifft (21 Uhr im LIVE-Ticker), war damals gerade auf dem Weg zurück in die Serie A.

Im italienischen Oberhaus schaffte es Pichler kurz vor seinem 19. Geburtstag immerhin ein Mal in den Spieltagskader, traf dann jedoch die einzige Entscheidung, die er heute nicht mehr wiederholen würde.

Ein LAOLA1-Interview mit zwei Jahrzehnten Abstand über die schwere Integration im Ausland, Telefon-Rechnungen von 5.500 Euro, Durchschnittsspieler Giorgio Chiellini, einen in der Kabine rauchenden Altstar und die mentale Härte, die es für das Profi-Geschäft benötigt hätte.

Pichler bei der U17-EM 2003 gegen Portugal
Foto: © GEPA

LAOLA1: Wie blickst du heute auf deine eineinhalb Jahre in Florenz zurück?

Sascha Pichler: Mit einem weinenden und einem lachenden Auge. Ich hatte damals in der Saison vor meinem Wechsel nach Italien mit 17 meinen ersten Bundesliga-Einsatz bei der Austria. So richtig wollte ich eigentlich gar nicht weg. Die Austria hat mir damals einen Jungprofi-Vertrag auf fünf Jahre angeboten – für ein bisschen Taschengeld. Mein damaliger Manager Max Hagmayr hat mich angerufen und gemeint: "Du, wir können nach Florenz fahren, die wollen dich haben, wir können sofort einen Vertrag unterschreiben." Also bin ich mit ihm runtergefahren, alles ging sehr schnell. Wir sind angekommen, gleich zu den medizinischen Tests ins Spital, dann gleich die Unterschrift unter dem Vertrag. Und dann war ich halt in Italien…(grinst).

LAOLA1: Wenn man sich in die damalige Zeit zurückversetzt: Es war die Stronach-Austria, bei der es der eigene Nachwuchs nicht immer einfach hatte. Fiorentina war am Weg zurück, aber immer noch in der Serie B. War es Bauchgefühl, das für die große Adresse Fiorentina gesprochen hat?

Pichler: Wir haben damals in der Akademie alle davon gesprochen, wie super es wäre, ins Ausland zu gehen. Es war die Zeit, als wir bei der U17-EM 2003 Dritter geworden sind. Unser Kollege Patrick Mayer war damals schon in Holland bei Vitesse Arnheim. Dann ruft dich dein Manager an und sagt dir, Fiorentina möchte dich haben. Außerdem waren wir der Meinung, dass wir aus besagtem Fünfjahres-Vertrag bei der Austria nach zwei, drei Jahren nur sehr schwer wieder rausgekommen wären. Natürlich ging es auch ums Ansehen. Man konnte sagen, man spielt im Ausland. Davon träumt jeder 17-Jährige. Fiorentina war zwar erst am Weg zurück, aber trotzdem eine große Nummer in Italien. Und die Vereinsfarben waren auch gleich (lacht).

"Die ersten zwei Monate waren richtig hart. Ich glaube, im ersten Monat hatte ich 5.500 Euro an Telefonrechnung mit meiner Mama."

Sascha Pichler

LAOLA1: Der Wechsel fand rund um deinen 18. Geburtstag statt. Was macht es in diesem Alter mit einem, wenn man von einem Tag auf den anderen im Ausland unter Vertrag steht?

Pichler: Damals – und es ist auch schon wieder fast 20 Jahre her – hat in Italien fast niemand Englisch gesprochen. Das dürfte sich inzwischen geändert haben. Im Nachwuchsteam war ich der einzige Ausländer. Die ersten zwei Monate waren richtig hart. Ich glaube, im ersten Monat hatte ich 5.500 Euro an Telefonrechnung mit meiner Mama. Wir waren dann gleich zwei Wochen auf Trainingslager und ich bin krank geworden. Das war vermutlich eine mentale Geschichte – weg von daheim, man kennt keinen, gleich ins Trainingslager. Ich bin dort eine Woche am Zimmer im Bett gelegen. Das war nicht optimal. Nach drei Wochen habe ich zu Max Hagmayr gesagt: "Max, bitte, ich möchte unbedingt wieder zurück! Die sollen meinen Vertrag zerreißen!" Er hat gesagt, dass es schon werden wird, meine Mutter hat mich dann auch öfter besucht. Mit der Zeit ist es eigentlich richtig gut geworden. Ich habe die Spieler besser kennengelernt und mich integriert gefühlt.

LAOLA1: Hast du von Beginn an bei den Profis trainiert oder anfangs ausschließlich mit dem Primavera-Team?

Pichler: Ich war zu Beginn in der Primavera. Damals war es so: Du hast jeden Mittwoch gegen die erste Mannschaft gespielt, dabei konnte man sich zeigen. In der zweiten Saison habe ich immer oben mittrainiert, war auch ein Mal in der Serie A auf der Bank und bin öfter als 19. Spieler mitgefahren, falls noch jemand krank wird.

Die Verpflichtung von Tomas Ujfalusi half
Foto: © GEPA

LAOLA1: Du bist damals im "Ballesterer" zitiert worden, dass die Mitspieler anfangs ein bisschen arrogant waren. Heute sind junge Legionäre normal. Hat man damals nicht unbedingt auf einen Teenager aus Österreich gewartet?

Pichler: Die Leute im Verein waren gar nicht arrogant, aber mit den Mitspielern hat es als einziger Ausländer eben eine gewisse Kennenlernphase gebraucht. Ich war einer der Jüngsten, die meisten waren eine Spur älter. Vielleicht haben sich einige auch bedroht gefühlt, dass da irgendeiner aus Österreich kommt und ihnen quasi den Platz wegnehmen will. Aber das war nur am Anfang so. Mit einigen Spielern von damals stehe ich heute noch im Kontakt, zwei oder drei waren mich auch schon in Wien besuchen. Das ist richtig cool nach so langer Zeit. Aber damals haben sie es mich am Anfang schon ein wenig spüren lassen.

LAOLA1: Was darf man sich darunter vorstellen?

Pichler: Am Anfang schließen sie dich eher aus, du bist meistens alleine unterwegs. Wie es eben im Fußball sein kann, häkeln sie dich ein bisschen. Es war schwer, in diese Gruppe zu finden, das war aber natürlich auch der Sprachbarriere geschuldet.

Chiellini war bei Fiorentina noch Linksverteidiger
Foto: © getty

LAOLA1: Im Sommer 2004 ist Fiorentina in die Serie A aufgestiegen, und es wurde ein Spieler verpflichtet, der nur eine Spur älter als du ist – und zwar ein gewisser Giorgio Chiellini. Wie sind deine Erinnerungen an ihn?

Pichler: Wir haben uns damals eigentlich alle gedacht: ein Durchschnittsspieler, einer für die Serie B. Der hat nur laufen können, hat immer Kraft gehabt. Aber wenn man in die Zukunft geschaut hat, wäre niemand auf die Idee gekommen, dass er einmal Europameister, vielfacher Meister und Juventus-Kapitän wird. Da hätte damals jeder sehr viel Geld verloren.

LAOLA1: Bei euch war er Linksverteidiger.

Pichler: Wie man so schön sagt: Ein Kerzengrader! Wirklich nichts Außergewöhnliches, gar nichts! Keiner hätte sich gedacht, dass er so eine Weltklasse-Karriere hinlegt. So ehrlich muss man sein. Aber es ist heute noch so, dass es immer wieder die schaffen, die im Nachwuchs nicht als Supertalent gegolten haben.

LAOLA1: Welche Kollegen aus der Serie-A-Saison sind dir besonders in Erinnerung geblieben?

Pichler: Als ich in die Erste raufgekommen bin, war es für mich super. Tomas Ujfalusi wurde vom HSV verpflichtet, mit ihm konnte ich mich auf Deutsch unterhalten. Ehrlicherweise fühlt man sich schon sehr klein, wenn man mit gewissen Spielern auf dem Platz steht. Fabrizio Miccoli, Hidetoshi Nakata, Martin Jörgensen, Javier Portillo, Valeri Bozhinov, Enzo Maresca, Dario Dainelli, Angelo Di Livio war auch noch da – das war halt schon richtig gut! Alleine deshalb würde ich es im Nachhinein wieder genauso machen. Bei Di Livio habe ich als junger Spieler schön geschaut.

"Man soll zwar nie etwas aus der Kabine ausplaudern, aber ich bin damals mit 18 in die Kabine gekommen und nach dem Training zündet sich Di Livio eine Zigarette an."

Sascha Pichler

LAOLA1: Weshalb?

Pichler: Man soll zwar nie etwas aus der Kabine ausplaudern, aber ich bin damals mit 18 in die Kabine gekommen und nach dem Training zündet sich Di Livio eine Zigarette an. Du kennst die Leute eigentlich nur aus dem Fernsehen und denkst dir: Alles Vollprofis! Aber okay, er war damals schon 37, ihm wird es vielleicht schon relativ egal gewesen sein.

LAOLA1: Du bist bei einem Serie-A-Match im Spieltagskader gewesen, am 15. Jänner 2005 beim 1:1 in Brescia. Hattest du zum damaligen Zeitpunkt das Gefühl, dass jetzt deine Zeit kommt?

Pichler: Wir hatten ein ganz normales Abschlusstraining. Auf einmal ist der sportliche Leiter mit Trainer Sergio Buso zu mir gekommen: "Du bist im Kader und sitzt auf der Bank." Dann waren wir auch schon am Weg zum Flughafen. Natürlich liegt man dann am Abend vor dem Match am Zimmer und malt sich aus, was alles passieren könnte. Es war klar, dass es schwer wird, ein paar Minuten zu bekommen, wenn der Spielverlauf nicht passt. Der Trainer ist nach dem Spiel zu mir gekommen und hat sich quasi gerechtfertigt. Er hat gemeint: "Sascha, tut mir leid, ich hätte dich gerne reingehaut, aber der Spielverlauf hat es nicht zugelassen. Mach weiter so!" Das fand ich super von ihm.

LAOLA1: Schiedsrichter dieser Partie war übrigens ein gewisser Pierluigi Collina.

Pichler: Wirklich? Daran kann ich mich gar nicht mehr erinnern.

LAOLA1: Mit knapp zwei Jahrzehnten Abstand: Wie nah warst du von deinem Gefühl her dran?

Pichler: Schwer zu sagen. Vielleicht hat das Quäntchen Glück gefehlt. Nehmen wir das Brescia-Spiel: Wenn du 2:0 führst, kommst du vielleicht die letzten zehn Minuten rein, dann gelingt dir etwas und es schaukelt sich auf. Es war dann jedoch so, dass der Verein nach meiner zweiten Saison einen Umbruch hatte. Ich habe ein Probetraining bei Leeds United absolviert und beim VfB Stuttgart in der zweiten Mannschaft. Die Stuttgart Amateure wollten mich unbedingt haben. Ich habe jedoch die einzige Entscheidung getroffen, die ich im Nachhinein anders machen würde. Ich habe den LASK den Stuttgart Amateuren vorgezogen.

Mit dem Wissen von heute würde Pichler nicht zum LASK wechseln
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LAOLA1: Das war im Sommer 2005. War der damalige Gedanke, dass eine Rückkehr nach Österreich für die Entwicklung besser ist?

Pichler: Wenn ich dir den Grund sage, wirst du lachen. Ich war damals drei, vier Wochen in Linz – bei Max Hagmayr oder bei Freunden. Und ja, dann lernst halt ein Mädel kennen… Das war nicht der einzige, aber schon ein sehr großer Grund, warum ich mich für den LASK entschieden habe.

LAOLA1: Auch das kann ein Motiv sein, Fußballer sind auch nur Menschen. Es wird ja nicht der Grund gewesen sein, warum es beim LASK nicht funktioniert hat, oder?

Pichler: Als ich zum LASK gekommen bin, war gerade Werner Gregoritsch Trainer. Ich habe ihn recht cool gefunden. Wir hatten damals einen sehr guten Kader mit Spielern wie Ivica Vastic. Irgendwie habe ich mir schnell einen Ruf aufgebaut. So wie vieles interpretiert wurde, hat es nicht gestimmt. Aber ich muss zugeben, es war schon so, dass ich mir damals sehr wenig sagen habe lassen. Vielleicht habe ich geglaubt, dass ich alles besser weiß. Ab und zu hat auch der Respekt gefehlt. Dann wird es halt schwer, wenn du nicht um zwei Klassen besser bist als die anderen.

"Vielleicht war ich auch einfach im Kopf zu schwach, mental nicht gut genug. Man hat auf einmal so viele Schulterklopfer. Wenn du grün hinter den Ohren bist, lässt man sich sehr viel einreden."

Sascha Pichler

LAOLA1: Warum hast du unterm Strich das Versprechen, das deine Karriere früh abgegeben hat, nicht einlösen können? Warst du zu jung zu erfolgreich?

Pichler: Im Nachhinein, ja. Vielleicht war ich auch einfach im Kopf zu schwach, mental nicht gut genug. Man hat auf einmal so viele Schulterklopfer. Wenn du grün hinter den Ohren bist, lässt man sich sehr viel einreden. Wie gesagt: Ich hätte von der Austria nicht weggehen müssen. Aber dieser Fünfjahres-Vertrag – sie haben mir 500 Euro angeboten. Da habe ich gesagt, das unterschreibe ich nicht. Als 17-Jähriger will man keine 10.000 Euro verdienen, aber wenn dann ein Angebot aus Italien kommt, bei dem du ein wenig mehr als das verdienst, was dir dein Heimatverein anbietet, hörst du dir das an. Und du hörst natürlich auch sehr viel auf den Manager. Das Ausland war der Traum, überhaupt bei so einem Verein in einem Land, in dem die Leute den Fußball richtig leben und in einer schönen Stadt, in der es auch im Winter relativ angenehm ist. Das hat schon gepasst, bei Fiorentina.

LAOLA1: Wie schaut dein Leben heute aus?

Pichler: Ich arbeite für eine private deutsche Fußball-Schule namens "Die Fußballprofis". Wir haben Stützpunkte in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Ich leite den Stützpunkt in Bisamberg, in der Nähe von Wien, bin aber auch für andere Stützpunkte mitverantwortlich. Zusätzlich bin ich beim 1. FC Bisamberg sportlicher Leiter und Co-Trainer von Thomas Flögel.

LAOLA1: Ist der Gedanke, es als Trainer noch mal im Profifußball zu versuchen, vorhanden?

Pichler: Momentan würde es sich nicht mit meiner Arbeit für die Fußball-Akademie vereinbaren lassen. Ich könnte mich auch sehr gut mit der Rolle des Co-Trainers anfreunden. In Bisamberg konnte ich von guten Trainern wie Andreas Lipa oder Flögel sehr viel lernen. Aber ja, der Gedanke ist da. Im Fußball kann man eh nie etwas ausschließen, es kann so vieles so schnell passieren.


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