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Canadi: Mit "Rapid-Modell" zur Tabellenführung

Wie Atromitos mit dem "Rapid-Modell" Tabellenführer wurde. Interview:

Canadi: Mit Foto: © GEPA

Der Fußball ist unberechenbar.

Vor wenigen Monaten war Damir Canadi noch der Buhmann, der den SK Rapid Wien nicht aus der Krise befreien konnte und danach vor allem auf persönlicher Ebene attackiert wurde.

Mittlerweile ist der 47-jährige Wiener Trainer von Atromitos, griechisch für "die Furchtlosen", die sich trauten, den Taktikfuchs trotz übler Nachrede nach Athen zu holen.

Das Ergebnis: Der Klub ist nach zehn Spielen ungeschlagen, hat AEK und Olympiakos besiegt und ist historischer Tabellenführer. Die Euphorie geht sogar soweit, dass Canadi als erster Atromitos-Trainer der Geschichte mit Sprechchören besungen wird.

Im großen LAOLA1-Interview spricht Canadi über die Gefühlsachterbahn seit seiner Zeit bei Rapid, den Erfolgslauf in Athen und warum er dort gleich arbeitet wie bei seinen bisherigen Klubs.

LAOLA1: Wie oft müssen Sie sich derzeit kneifen, wenn Sie auf die Tabelle und diese Erfolgsserie schauen?

Damir Canadi: Wir freuen uns natürlich sehr über die Situation und sind glücklich, dass es so läuft. Das war sicher nicht zu erwarten, auch weil es im Sommer einen großen Umbruch gegeben hat mit einem neuen Trainer und 15 neuen Spielern. Aber die Mannschaft hat voll mitgezogen, war sehr lernwillig und hat einen sehr guten Job gemacht. In der Meisterschaft konnten wir uns stetig steigern.

LAOLA1: Um die Sensation greifbar zu machen: Wie sehen Sie das Kräfteverhältnis zwischen Atromitos und Top-Klubs wie Panathinaikos, Olympiakos, AEK oder PAOK?

Canadi: Mit Österreich kann man es nicht vergleichen, die Dimension hier ist noch einmal viel größer. Wir reden ja hier von Klubs wie Olympiakos, die ständig Champions League spielen. Dazu kommen Topklubs mit großen Budgets wie Panathinaikos, PAOK oder AEK Athen. Mit diesen Klubs können wir finanziell natürlich nicht annähernd mithalten. Aber jetzt haben wir 20 Punkte nach 10 Spielen – das ist natürlich hervorragend. Wir hatten im ersten Saisondrittel einen guten Start, im zweiten wird man sehen, wo es hingeht. Die Zielsetzung war schon davor ein Platz in den Top 5. Atromitos ist nicht so unbekannt, sie haben 2013/14 in der EL-Quali gespielt. Es ist ein sehr gut geführter Klub, der keinen Riesen-Namen, aber schon große Tradition hat und Respekt genießt. Ich habe das auch erst lernen müssen, ich kannte den Klub auch nicht so gut.

LAOLA1: Selbst Platz 5 klingt nach einem hochgesteckten Ziel. Immerhin gibt es jedes Jahr große Konkurrenz um den Platz des ersten Verfolgers der Top 4.

Canadi: Ja, mit Xanthi spielten wir zuletzt gegen einen direkten Konkurrenten, auch Asteras Tripolis ist finanziell über uns zu stellen. Wir haben es bisher gut hingebracht. Wir hatten überhaupt keine Verletzten, keine Rote Karte und können derzeit das Optimale aus der Mannschaft herausholen. Das ist momentan sicher auch der Schlüssel zum Erfolg. In der Breite sind wir natürlich nicht so aufgestellt wie die Top-Klubs.

"Die Berichterstattung, vor allem wie ich als Mensch dargestellt wurde, war unter der Gürtellinie. Das hat wehgetan."

LAOLA1: Zehn Spiele ungeschlagen, Olympiakos und AEK schon geschlagen, historische Tabellenführung. Wie wird dieser Sensationslauf in Griechenland wahrgenommen?

Canadi: Das ist eine Riesensache! So etwas hat es ja noch nie gegeben, dass ein Außenseiter zweimal auswärts gegen solche Teams gewinnt. Das Echo ist dadurch riesengroß. Eine angenehme Situation, dafür arbeiten wir. Wenn der Erfolg bestätigt wird, sind wir alle sehr dankbar und glücklich. Jetzt stehen dann mit PAOK und Panathinaikos zwei weitere große Namen vor der Tür.

LAOLA1: War es für Sie eine Überwindung, sofort wieder als Trainer weiterzumachen, noch dazu in Griechenland, und eine Reise ins Ungewisse zu starten?

Canadi: Es ist mir nicht so leicht gefallen, so schnell wieder in einen Job einzusteigen. Die Berichterstattung, vor allem wie ich als Mensch dargestellt wurde, war unter der Gürtellinie. Das hat wehgetan. Ich wollte eigentlich bis zum Winter Pause machen, aber Atromitos hat mich überzeugt. Ich bin sehr froh über diese Entscheidung, weil ich es dann viel besser verarbeiten konnte.

LAOLA1: Wie erklären Sie sich, dass es unter ihrem Nachfolger Goran Djuricin nun bei Rapid läuft?

Canadi: Für Erklärungen bin ich jetzt einfach zu weit entfernt, aber man sollte vielleicht einmal hinterfragen, warum es bei Rapid nicht funktioniert hat. Es klappt ja erst richtig gut, seit die vier Neuzugänge da sind, mit Schobesberger und Ljubicic sogar sechs. Davor stand der Klub auf Platz acht.

LAOLA1: War es Ihnen wichtig, sich sofort wieder zu beweisen, um nicht aufs Abstellgleis zu geraten? Haben Sie deshalb Atromitos als Chance gesehen?

Canadi: Ich habe andere Angebote ausgeschlagen, die mir nicht getaugt haben. Atromitos war dann eine sehr reizvolle Aufgabe, weil sich der Verein extrem bemüht hat. Der Präsident und der Sportdirektor haben mich anhand der 17 Jahre im Job bewertet, zwischen den Zeilen gelesen und haben sich von der Art der Berichterstattung bei Rapid nicht blenden lassen. Die Herausforderung war groß. Die 16er Liga hat mich interessiert. Die Möglichkeit, sich mit den großen Klubs messen zu können, ist spannend. Und der Kader ist sehr reizvoll, da ich alles neu zusammenstellen konnte. Das Trainingszentrum ist top. Das hat mich alles überzeugt. Diesen neuen Weg wollte ich gehen.

"Es geht nicht nur ums Taktische, sondern um Vertrauen, Ehrlichkeit und Offenheit. Ich habe mich nie anders charakterisiert und arbeite mit demselben Modell wie Rapid."

LAOLA1: Sie betonen immer, dass sie sich treu bleiben. Haben Sie trotzdem etwas verändert, nachdem es bei Rapid nicht nach Wunsch gelaufen ist?

Canadi: Nein, ich habe mich als Mensch nicht verändert und gehe hier nicht anders damit um als bei Simmering, Fortuna, Donau, Lustenau, Altach oder Rapid. Ich arbeite mit denselben Methoden, das hat bei acht Mannschaften sehr gut funktioniert. Ich bewege auf mentaler Ebene in der Gruppenführung extrem viel. Es geht nicht nur ums Taktische, sondern um Vertrauen, Ehrlichkeit und Offenheit. Ich habe mich nie anders charakterisiert und arbeite mit demselben Modell wie Rapid. Aber wenn etwas nicht passt und ich erkenne eine Komfortzone oder Zufriedenheit in einem Team, ist es meine Aufgabe als Trainer, das anzusprechen. Auch wenn dann ein paar beleidigt sind.

LAOLA1: Was war sportlich für Sie der Grund, dass es nicht geklappt hat? Viele Verletzte? Die dadurch sinnbildlich gewordene Dreierkette?

Canadi: Mittlerweile spielen viele Teams in ganz Europa mit Dreierkette - das ist Flexibilität. Faktum ist, es waren viele Führungsspieler angeschlagen, Stefan Schwab war mit Knöchelbruch out, Schobesberger, Murg, Schaub ständig verletzt, daher waren keine Außenbahnspieler da. Schrammel war ständig angeschlagen, ich hatte keine Außenverteidiger. Man braucht sich nur die Aufstellungen anschauen. Wöber war als linker Außenverteidiger geplant, den habe ich dann nach innen geholt, um ihm noch nicht so eine große Verantwortung zu übergeben und ihn zu entwickeln. Da war keine optimale Planung möglich, deshalb habe ich versucht, es zu verändern, der Verein hat sich weiterhin darauf fokussiert. Spieler, die teilweise gegangen und gekommen sind, waren schon im Vorhinein geplant. Alles in allem war es nicht leicht. Ich bin dennoch dankbar für die Erfahrung.

LAOLA1: Kann man Atromitos vielleicht mit Altach vergleichen? Gibt es da Parallelen?

Canadi: Nein, die Vereine sind unterschiedlich aufgestellt. Es ist auch von der Denkweise in Griechenland ganz anders, weil man hier keine Zeit hat, junge Spieler zu entwickeln, es gibt keine Akademien. Hier geht es darum, Ziele rasch zu erreichen. Wenn ich mich nicht täusche, wurden zehn Trainer entlassen. Da sieht man auch, dass es nur um Erfolg geht. Alle versuchen in den Europacup zu kommen. Die Top 4 sind normalerweise gesetzt. Heuer schwächelt Panathinaikos ein bisschen, die anderen werden noch kommen. Gerade Olympiakos ist da ganz vorne und AEK ist für mich derzeit das beste griechische Team mit den meisten Möglichkeiten. Das ist auch der Unterschied zu Österreich. Da gibt es keine Entwicklung, die wechseln im Sommer einfach fünf bis acht Spieler.

LAOLA1: Große Stars sucht man bei Atromitos vergeblich, zudem wird Griechen oft fehlende Disziplin nachgesagt. Wie konnten Sie das Team trotzdem stabilisieren?

Canadi: Über Kommunikation und Vertrauen. Von den 15 neuen Spielern haben zehn perfekt funktioniert. Der Sportdirektor hat mich sehr unterstützt - gerade bei den griechischen Spielern - und hat mir gute Informationen über den Typus gegeben, den ich mir gewünscht habe. Wir haben sicherlich auch ein bisschen Glück gehabt und gute, junge Spieler erwischt.

LAOLA1: Wieviel Grieche steckt schon in Ihnen? Sprechen Sie schon ein wenig Griechisch?

Canadi: Lesen und Verstehen kann ich nichts, außer Danke und Bitte. Aber auf Englisch funktioniert die Kommunikation gut, da unterstützt mich auch Eric Orie (Anm.: Co-Trainer). Die Jungs sind auch sehr willig und machen einen guten Job am Trainingsplatz. Der Schlüssel ist hier sicher die gute Energie und der sehr respektvolle Umgang.

LAOLA1: Sonne, Strand und Meer – wie lebenswert ist es in und um Athen abseits des Fußballs?

Canadi: 24 Grad sind im November natürlich ein Traum, das sind Top-Bedingungen. Athen ist eine supertolle Stadt, das Meer hat mich positiv überrascht. Es sind tolle Strände und Restaurants, das habe ich nicht so erwartet in der Großstadt. Ich wurde in vielerlei Hinsicht positiv überrascht.

"Mittlerweile wissen wir, dass es eine georgische Bande war, bei der die Polizei zwölf Autos sowie Bargeld und Schmuck im Wert von einer Million Euro gefunden hat. Sie war auch sehr aggressiv anderen Familien gegenüber. Wir hatten wirklich Glück."

Canadi über den Einbruch in seinem Haus

LAOLA1: Wie sehr beschäftigt Sie noch der Einbrauch in Ihrem Haus?

Canadi: Das steckt heute noch in uns drin, aber so etwas kann auch in Österreich passieren. Mittlerweile wissen wir, dass es eine georgische Bande war, bei der die Polizei zwölf Autos sowie Bargeld und Schmuck im Wert von einer Million Euro gefunden hat. Sie war auch sehr aggressiv anderen Familien gegenüber. Wir hatten wirklich Glück. Das Positive ist, dass uns nichts passiert ist. Wir haben geschlafen und haben davon nichts mitgekriegt. Mental muss man es erst einmal verarbeiten, gerade meine neunjährige Tochter. Aber die Zeit hilft einem da drüber. Meine Familie ist nicht fix mit mir nach Griechenland gezogen, aber immer wieder da. Gleichzeitig fliege ich auch immer wieder einmal nach Hause.

LAOLA1: Sie haben – wie Sie es schon öfter zu tun gepflegt haben – nur einen Einjahresvertrag unterschrieben. Können Sie sich vorstellen, länger in Griechenland zu bleiben?

Canadi: Natürlich, weil es wirklich toll ist. Der Verein kann sich auch jetzt schon vorstellen, etwas Längerfristiges anzustreben. Aber ich lasse das auf mich zukommen und mache mir keinen Stress. Fußball ist so kurzlebig, in Griechenland kann man nur von Woche zu Woche schauen. Das ist uns bewusst. Aber der Verein hat signalisiert, weitermachen zu wollen.

LAOLA1: Eigene Sprechchöre für Sie als Trainer, feiernde Fans vor der Geschäftsstelle – ist das der beste Beweis, dass man richtig gute Arbeit geleistet hat?

Canadi: Es wurde hier noch nie ein Trainer besungen. Ich war sehr überrascht und konnte mit der Situation gar nicht richtig umgehen und war überfordert. Aber natürlich ist es eine Bestätigung, jeder freut sich über positives Feedback. Dann weiß man, dass man am richtigen Weg ist. Da geht es gar nicht um meine Person, sondern darum, dass die Mannschaft auf dem richtigen Weg ist. Wir haben einige Rekorde aufgestellt, das hat Atromitos auch noch nicht so erlebt. Der Präsident ist auch sehr happy, wenn er als Tabellenführer durch Athen spazieren kann. Fußball wird hier gelebt. Die Fans singen mit Stolz die Vereinshymne und opfern alles dafür auf. Das gibt es bei uns nicht.

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