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Weltcup-Start bei 20 Grad: Hauptsache, die Optik stimmt

Klimawandel und Energiekrise zum Trotz: Den Verantwortlichen ist es nur wichtig, dass der Ski-Zirkus ein gutes (TV-)Bild abgibt.

Weltcup-Start bei 20 Grad: Hauptsache, die Optik stimmt Foto: © GEPA

Strahlend blauer Himmel, Sonnenschein, knappe 20 Grad am Thermometer. So hat mich Sölden am vergangenen Donnerstag empfangen. Da blieb die Winterjacke gleich mal im Koffer.

Ich bin ehrlich: Richtig Lust aufs Skifahren bekam ich da nicht.

Genau darauf zielt der frühe Saisonstart des Ski-Weltcups Ende Oktober aber ab, den Leuten Lust aufs Skifahren und vor allem aufs Ski kaufen zu machen. Die Ski-Industrie reibt sich schon die Hände.

14.500 Besucher – die zweitmeisten in der Geschichte der Gletscherrennen an einem Tag – schlängelten sich am Sonntag die Serpentinen hinauf bis auf knapp 3.000 Meter Höhe, um bei angenehmen Temperaturen im zweistelligen Plusbereich eine Ski-Party zu feiern.

Die Betonung liegt hier eher auf Party als auf Ski. Zwar hatte ein Großteil der Zuschauer die rot-weiß-rote Flagge auf ihre Wangen gemalt, bei der Frage nach ihren Podest-Tipps für das Rennen lautete die Antwort aber nicht selten: "Ich weiß gar nicht, wer alles mitfährt."

Egal, Hauptsache die Optik stimmt. Hauptsache der Ski-Zirkus gibt ein gutes (TV-)Bild ab.

FIS-Verantwortliche, Organisatoren, Einheimische – mit wem man in Sölden auch spricht, alle wollen nur das eine: "Schöne Bilder in die Welt hinaus schicken." Eh klar, man lebt ja vom Ski-Tourismus.

Aber darf man deshalb das aus dem Blick lassen, was nicht auf den TV-Bildern zu sehen ist?

Die Rechnung wurde ohne Mutter Natur gemacht

Ein Gletscher, der sich Jahr für Jahr immer weiter zurückzieht. Das Grün und Geröll, das das weiße Schneeband umgibt, das hauptsächlich dank Schnee aus dem vergangenen Winter und Kunstschnee in die Landschaft gemalt werden konnte. Der Naturschnee alleine hätte nie und nimmer ausgereicht.

Zum Glück hatte man "eine gute Woche" im September, in der es rund einen Meter geschneit hat und kalt genug war, um den Gletscher zu beschneien, erzählt mir ein Hiesiger. Ansonsten hätte es für die Rennen ähnlich düster ausgesehen wie für den Glühwein-Verkäufer, der auf seinen warmen Getränken sitzengeblieben ist.

All das ist auf den Aufnahmen der Drohne, die über dem Zielgelände auf dem Rettenbachferner ihre Kreise zieht, nicht zu sehen.

Sölden sei eine "Institution", antwortet FIS-Präsident Johan Eliasch im LAOLA1-Interview, das in Kürze veröffentlicht wird, auf die Frage, ob Ski-Rennen im Oktober angesichts der Klima- und Energiekrise noch zeitgemäß sind. Daran zu rütteln, käme dem Milliardär nie in den Sinn.

Lieber noch weitere Rennen Ende Oktober/Anfang November in den Kalender pressen, um diesen so gut es geht aufzublasen und die "Lücken" zu füllen. Die Rechnung ist ja eine einfache: Je mehr Rennen, desto mehr TV-Übertragungen und Werbung, desto mehr Geld fließt.

Diese Rechnung hat die FIS aber ohne Mutter Natur gemacht. Von den ersten vier Saisonrennen sind drei buchstäblich ins Wasser gefallen.

Am Gletscher in Sölden standen die Fans maximal im Wasser statt im Schnee
Foto: © GEPA

Riesentorlauf der Frauen in Sölden: Abgesagt. Die beiden Abfahrten der Männer am Matterhorn: Abgesagt. Jene der Frauen am ersten November-Wochenende wackeln gewaltig.

In Sölden spülte am Samstag eine Mischung aus Schnee und Regen das Auftakt-Rennen der Frauen davon. Auch die neue Abfahrts-Strecke am Matterhorn, das Prestigeprojekt von FIS-Boss Eliasch, konnte für die Männer nicht renntauglich gemacht werden, nachdem zu viel Regen statt Schnee gefallen ist. Der Gletscher darf nicht künstlich beschneit werden.

FIS-Renndirektor Markus Waldner spricht sogar öffentlich von "Fehlern in der Planung", das Spektakel am Matterhorn sei zu früh in der Saison angesetzt worden.

Sind das wirklich die Bilder und vor allem Schlagzeilen, die man in die Welt schicken will?

Eine Frage der Glaubwürdigkeit

Der Ski-Weltcup in seiner aktuellen Form gerät immer mehr unter kritischer Beobachtung. Da hilft es auch nichts, dass FIS-Boss Eliasch bei jeder sich bietenden Gelegenheit von Nachhaltigkeit und ökologischem Fußabdruck spricht, ganz oben steht für den Geschäftsmann letztlich die Gewinnmaximierung. 

Oder wie passt es mit dem Nachhaltigkeits-Gedanken zusammen, dass die Männer in dieser Saison zwei Mal (November und März?) nach Amerika fliegen? 

Felix Neureuther schlug bereits vor einem Jahr Alarm und warnte davor, dass der Skisport Gefahr laufen würde, seine Glaubwürdigkeit zu verlieren.

Vor Kurzem zog Marcel Hirscher nach und fragte im Hinblick auf den Saisonstart im Oktober: "Muss das sein?"

Der achtfache Gesamtweltcup-Sieger ist längst nicht der einzige, der eine Verschiebung des Weltcups fordert. Warum nicht erst Mitte, Ende November in die Saison starten und dafür die zumeist noch guten Bedingungen in den hochalpinen Zonen im April nutzen.

Die Bilder, die man in die Welt hinausschicken könnte, wären wohl genauso schön.

Als ich Sölden am Sonntag verließ, gab es blauen Himmel, Sonnenschein und 17 Grad am Thermometer.

Richtig Lust aufs Skifahren hatte ich noch immer nicht.

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