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Das Verletzungs-Dilemma im Ski-Weltcup

Kaum ein Rennwochenende ohne Verletzte. Das Problem und keine Lösung:

Das Verletzungs-Dilemma im Ski-Weltcup Foto: © GEPA

Stürze und Verletzungen gehören im Skisport dazu - leider. Alleine in den letzten drei Tagen waren im Weltcup gleich mehrere Opfer zu beklagen.  

In Kitzbühel erwischte es mit Max Franz und Kjetil Jansrud prominente Namen, auch Conny Hütter verpasst nach ihrem Sturz in Garmisch die WM. Erst vor kurzem zogen sich Spitzen-Athletinnen wie Anna Veith oder Stephanie Brunner zum wiederholten Mal einen Kreuzbandriss zu. Die Liste der Verletzten ist auch in dieser Saison lang. 

„Ich finde es für den Sport nicht gut, dass es bei fast jedem Weltcuprennen einen Schwerverletzten gibt und dass man sich mittlerweile an Kreuzbandrisse gewöhnt hat, weil sie so häufig vorkommen. Aber Kreuzbandrisse sind schwere Verletzungen“, sagt Stephan Eberharter bei LAOLA1.

Der Olympiasieger und dreifache Weltmeister, der 1993 bei einem Sturz in Gröden selbst eine schwere Knieverletzung erlitt, beobachtet die Entwicklung im Skisport mit Sorge. 

Die Katze beißt sich in den Schwanz

Dass die Veranstalter - egal an welchem Ort - alles Menschenmögliche für die Sicherheit der Läufer unternehmen, ist klar. Das Problem ist ein anderes, wie Eberharter erklärt:

"Im Weltcup braucht man eine harte Piste, weil zum Beispiel bei einer Abfahrt jeden Tag mehr als 100 Leute über die Piste gehen und das nicht nur beim Rennen, sondern schon bei der Besichtigung und den Trainings. Mit normalem Pulverschnee würde die Piste nie und nimmer halten. Also braucht es eine brettelharte Piste, damit man überhaupt ein Rennen fahren kann, in dem es auch eine Chancengleichheit gibt. Das gleiche gilt für Slalom und Riesenslalom. Wenn man da eine Piste mit normalem Pulverschnee hätte, bräuchte ab Nummer 5 keiner mehr fahren, weil alle drei Sekunden Rückstand hätten, weil die Piste nicht halten würde.“

Damit auf diesen harten und eisigen Pisten auch ansehnlich Skigefahren werden kann, braucht es das entsprechende Material. „Man braucht einen messerscharfen Ski, um sich auf diesen Eisplatten halten zu können, sonst hat man keine Chance."

Eine noch größere Rolle als im Speed-Bereich spielt das Material in den technischen Disziplinen.

"Die Körper der Rennläufer sind ausgereizt, noch mehr trainieren als ein Marcel Hirscher kann man nicht."

Stephan Eberharter

„Die Carving-Ski sind extrem giftig. Wenn man sich da zu weit hinten reinsetzt, versucht man sich natürlich nach vorne zu drücken, das Knie wird gestreckt und das Kreuzband ist ab. Das große Problem im Slalom und RTL sind die enormen Fliehkräfte. Die Körper der Rennläufer sind ausgereizt, noch mehr trainieren als ein Marcel Hirscher kann man nicht. Die Damen sind vom Körperbau her anders gebaut als die Männer, die erwischt es öfter“, so Eberharter. 

Anna Veith riss sich ihr Kreuzband im RTL-Training ohne zu Sturz gekommen zu sein, sie hatte nach einem Schwung lediglich einen Schlag abbekommen. Auch Max Franz wurde in Kitzbühel ein Schlag zum Verhängnis - Fersenbeinbruch.

„Das ist das Dilemma, das der Skisport gerade hat“, sagt Eberharter. „Da beißt sich die Katze in den Schwanz.“

Lösung? "Da rennst du gegen eine Wand"

Klar ist: "Es muss definitiv was passieren.“ Die Frage ist nur was? „Die Lösung muss von ganz oben kommen, von der FIS“, findet Eberharter. 

Der Ski-Weltverband versucht seit Jahren, die Anzahl der Verletzungen zu minimieren. Längere Ski, größerer Radius, Airbags, Änderungen bei der Kurssetzung sowie der Pistenpräparierung - in nahezu allen Bereichen wurde bereits der Hebel angesetzt. 

Für Hannes Reichelt, seit 17 Jahren im Weltcup dabei, zu wenig. „In Sachen Sicherheit ist die Weiterentwicklung bedenklich. Auch in dieser Saison gibt es wieder viel zu viele Verletzungen", sagt der Speed-Spezialist. 

"Wir Läufer haben einige Vorschläge gemacht. Vor allem, was die Rennanzüge betrifft. Dicker, schnittfest sollten sie sein und mit Protektoren ausgestattet. Geschehen ist leider so gut wie nichts", kritisiert Reichelt. "Da rennst du gegen eine Wand."

"Das ist besorgniserregend"

Rund 15 Läufer aus den Top 40 der Weltcup-Startliste der Abfahrt (herangezogen Liste zu Saisonbeginn/Anm.) sind derzeit verletzt. "Klar ist das besorgniserregend. Mit ein paar Verletzungen rechnet man, aber dass das gerade in letzter Zeit so stark zunimmt, da muss sich die FIS in meinen Augen das Programm einmal überlegen. Das ist sehr tough vor der WM und mit der WM geht es gleich weiter", sagt ÖSV-Herren-Cheftrainer Andreas Puelacher

Dazu kommt, dass die Läufer sich am Limit bewegen, egal wie eisig und ruppig eine Piste ist. Deshalb müsse man unter anderem versuchen, die Pisten so gut wie möglich zu präparieren. "Man muss einfach versuchen, diese Quellen, wo was passieren könnte, noch mehr auszuschließen", fodert Puelacher. 

"Jedes Rennen verlieren wir zwei Läufer, da müssen wir uns Gedanken machen. Es ist unser Job für die Zukunft, in die richtige Richtung zu arbeiten und diese Zahl zu minimieren."

FIS-Renndirektor Markus Waldner

Markus Waldner, Chef-Renndirektor der FIS, zeigt sich in Kitzbühel einsichtig. "Jedes Rennen verlieren wir zwei Läufer, da müssen wir uns Gedanken machen. Es ist unser Job für die Zukunft, in die richtige Richtung zu arbeiten und diese Zahl zu minimieren", sagt er und spricht u.a. Pistenpräparierung und Ausrüstungsmaterial an.

Dass die FIS um die Sicherheit der Athleten bemüht ist, ist klar, aber das Produkt „Ski-Weltcup“ muss sich am Ende des Tages auch gut verkaufen lassen. Die Rennen sollen für die Zuschauer nicht langweilig werden, das Spektakel gehört zum Skisport dazu. 

„Wenn man zum Beispiel beim Material etwas ändert, können die Läufer nicht mehr so fahren wie jetzt, sondern eher so wie in den 70ern. Das will ja auch keiner“, merkt Eberharter an. 

"Dann machen wir Familien-Skifahren“

Ein Patentrezept gegen Verletzungen wird es sowieso nie geben. „Wir können das Risiko vielleicht minimieren, aber nicht gänzlich ausschalten, weil das zum Rennsport dazugehört. Wenn die Läufer kein Risiko nehmen müssten, dann ist es auch kein Rennsport mehr, dann machen wir Familien-Skifahren“, findet der zweifache Kitzbühel-Sieger. 

Wie die Zahl der Verletzungen minimiert werden kann, ohne dem Skisport seine Attraktitvät zu nehmen, ist eine Frage, die alle Beteiligten wohl noch lange beschäftigen wird. 

Eberharter: „Ich sehe auf Dauer kein Licht am Ende des Tunnels, weil es fast keine Lösung gibt.“

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