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Benjamin Karl: Das emotionale Lebensprojekt

Es beginnt mit einem Zettel, es endet mit Gold. Und nun das große Genussprojekt?

Benjamin Karl: Das emotionale Lebensprojekt Foto: © GEPA

Benjamin Karl ist eine Ausnahme-Erscheinung in zweierlei Hinsicht.

Kaum ein anderer Sportler in Österreich polarisiert wie er, für viele gilt er ob der oft geübten Hervorhebung seiner Person sogar als arrogant. Auf der anderen Seite freilich stehen die sportlichen Erfolge des 36-Jährigen, diese wurden seinen nicht selten als hochtrabend angesehenen Ansagen meist gerecht. Mit dem Olympiasieg im Parallel-Riesentorlauf lieferte er am Dienstag nun aber sein Meisterstück.

Das in Secret Garden im Großraum Zhangjiakou bei den Winterspielen in China eingefahrene Gold sieht Karl als Endstation eines Lebensprojektes. Aus Wilhelmsburg nur wenige Kilometer von Sankt Pölten entfernt und damit aus keiner klassischen Wintersport-Gegend, ist der fünffache Weltmeister bereits als Zehnjähriger dem Snowboard-Sport verfallen und hat sich damals den Wunsch nach dem Olympiasieg auf einen Zettel geschrieben.

Es dauerte, bis er nun diesen Zettel zu den Akten legen darf. Doch schon der Weg dahin war mit zahlreichen Triumphen gepflastert und fast scheinen diese nun als Steigleiter zum größtmöglichen Erfolg eines Athleten in einer olympischen Sportart.

Erst im Vorjahr hat sich Karl in Rogla in Slowenien mit seinem fünften WM-Titel auf dieser Ebene zum erfolgreichsten Sportler gekürt, nun ist er der einzige Parallel-Snowboarder mit einem kompletten Olympia-Medaillensatz.

Voller Fokus "auf das eine Rennen"

Mittlerweile ist Karl ein Urgestein im Snowboard-Zirkus, seit 2005 ist er im Weltcup dabei. Nur vier Jahre später krönte er sich in Gangwon in Südkorea erstmals zum Weltmeister, verteidigte seinen Slalom-Titel zwei Jahre danach in La Molina in Spanien mit Erfolg und doppelte da mit dem Riesenslalomsieg nach.

Auch bei den darauffolgenden Weltmeisterschaften 2013 in Stoneham gewann der Wahl-Osttiroler Riesentorlauf-Gold, WM-Gold Nummer fünf folgte eben im Vorjahr. Auf Olympia-Ebene nannte er Silber 2010 in Vancouver sein Eigen, 2014 in Sotschi wurde es Bronze.

Den nunmehrigen Lienzer zeichnet es aus, dass er Herausforderungen liebt und sich so sehr in Aufgaben hineinkniet, bis er sie zu seiner Zufriedenheit löst. So ging er diese Saison das Projekt Olympia-Gold an.

"Für mich gibt es heuer nur das eine Rennen - ich habe Weltcupsiege, ich habe Gesamtweltcup-Siege", hatte Karl im APA-Gespräch gesagt. "Was zählt und nur einmal in vier Jahren ist, ist Olympia. Auf das habe ich es auch ausgelegt. Ich glaube, ich habe keine Kräfte vergeudet."

Beim Interview fließen die Tränen

Dabei legt er grundsätzlich selbst Hand am Material an, will für den Ausgang seiner Rennen zur Gänze selbst verantwortlich sein.

"Die größte Arbeit und die größte Schrauberei ist bei mir immer der Schuh und die Bindung", betonte Karl, und diesmal griff er gleich zu einem gänzlich neuen Brett. Erst vor zwei Wochen habe er sich zum Markenwechsel entschieden und damit einen nach eigenen Angaben entscheidenden Puzzlestein zum Olympia-Sieg gefunden.

Mit dem in der Tasche hat Karl in seinen ersten Interviews auch mal Emotionen gezeigt, Tränen flossen vor allem beim Dank an seine Familie und an seine Mutter. Ohne die würde er nicht dastehen, sie habe er bei der Gründung einer Familie in den Anfängen seiner Zwanziger verlassen.

Seine Familie, das ist zum einen seine Frau Nina, Tochter des Ex-Abfahrers Werner Grissmann. Zum anderen sind das deren Kinder, die neunjährige Benina (Mix aus Benjamin und Nina) und die dreijährige Pia.

Der Halt der Familie

Seine Familie stand ihm zur Seite, als er Ende Juni 2021 mit seinem Wagen bei Aquaplaning in den Gegenverkehr geriet und dabei eine Person zu Tode kam. Der Sportler nahm einerseits psychologische Hilfe in Anspruch, um das Erlebte möglichst zu verarbeiten.

Zum anderen besuchte er die Familie des Todesopfers, um sich zu entschuldigen und zu reden. Niemand der Hinterbliebenen habe ihm die Schuld am Unfall gegeben, auf der anderen Seite gab ihm die Familie Halt.

Diese Familie habe sein Leben in den vergangenen zehn Jahren grundsätzlich total verändert, wie Karl einräumte. "Damals ist es nur um Snowboarden gegangen, ich habe nichts Anderes im Kopf gehabt", erzählte er.

"Meine Karriere hatte erst begonnen. Es war kein Grund, mir Gedanken zu machen, was danach passiert. Ich habe eine glückliche Beziehung gehabt mit der Nina, frisch verliebt. Es war eine sehr schöne, freie, unbescholtene Zeit."

Genussprojekt Olympia 2026?

Die Kinder hätten dann vieles verändert. Da sei Schlafentzug und fehlende Regenerationszeit gewesen, die wunderbaren familiären Momente aber seien klar im Vordergrund.

"Wir verstehen uns immer besser,", berichtete er über die Beziehung zu seiner Frau, "die Kinder werden älter und selbstständiger. Man kann mit ihnen so coole Sachen machen. Das sind glückliche Momente, wenn man mit seinen eigenen Kindern Sport machen kann, selbst nicht zurückstecken muss."

Ans Aufhören denkt Karl nach seinem Olympiasieg nicht, die Spiele 2026 in Mailand/Cortina d'Ampezzo sind für ihn absolut ein Thema.

"Ich habe aber jetzt das Gefühl, es kann mir keiner mehr etwas wegnehmen. Alles, was kommt und wie ich mich auch entscheide, die restliche Karriere kann ich jetzt noch richtig genießen. Ich glaube, dass es noch schön werden kann. Es könnte ein Genussprojekt werden für 2026." Nach Ende des Lebensprojekts hat Karl also schon einen neuen Plan.

Karls Gold-Fahrt im Video:

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