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Traumberuf NHL-Scout? Nicht immer!

Bernd Freimüller über die unangenehmen Seiten des Berufs:

Traumberuf NHL-Scout? Nicht immer! Foto: © getty

Zu Eishockeyspielen zu fahren und dafür bezahlt zu werden - hört sich doch wie ein Traumjob für jeden Eishockeyfan an. Ist es auch, aber ein Blick auf die Anforderungen kann das Ganze schon wieder relativieren.

Nehmen wir als Beispiel einen Fulltime NHL-Scout, der in Schweden lebt. Fulltime heißt, dass er mit diesem Job seine Brötchen verdient, also nicht nach seinem normalen Beruf noch abends zu Spielen hetzen muss.

Das heißt auch, dass er natürlich für kein anderes NHL-Team arbeiten darf (Konkurrenzklausel), eigentlich auch keinen europäischen Teams mit Rat und Tat zur Seite stehen darf - das wird aber mitunter umgangen. Er bekommt ein Jahres-Honorar (keine Anstellung, er ist ein "Independent Contractor", muss sich also selbst um Steuern und Sozialversicherung kümmern), alle Spesen werden ihm aber ersetzt. Die meisten Teams kommen für die Ausgaben (Flüge, Hotels, Zugfahrten, eventuell Tickets) 1:1 auf, andere haben eine bis zu einer gewissen Höchstgrenze festgelegte Spesenpauschale.

Wie gesagt, hört sich gut an, du fährst zu Spielen auf fremde Kosten, verdienst dir damit deinen Lebensunterhalt. Nur: Was wird dafür verlangt?

 

Eishockey rund um die Uhr:

Um wieder zum schwedischen NHL-Scout zurückzukommen: Er ist von Anfang August (Ivan-Hlinka-Turnier) bis wenigstens zur U18-WM im April durchgehend im Einsatz, möglicherweise auch bis zur A-WM im Mai.

Ein typischer Schedule sieht so aus: Eine Woche in Finnland - fünf Tage daheim, aber mit täglichen Spielen - eine Woche in Russland - wieder ein paar Spiele in Schweden, vielleicht mit ein oder zwei Ruhetagen garniert - einige Spiele in Tschechien, gepaart mit einem Abstecher nach Deutschland oder Schweiz. Danach beginnt die Chose wieder von vorne.

Das ergibt etwa 25 Spiele pro Monat (bei Turnieren oder an Wochenenden natürlich mehr als eines am Tag), über die Saison gesehen zwischen 180 und 230 Spiele, je nach Arbeits-Eifer des Scouts. Das macht zu Beginn natürlich Spaß, irgendwann wird es aber zur Routine, die nicht jedermanns Sache ist.

Das Ganze erinnert mich an die Story eines englischen Theaterschauspielers, der seine unsichere Existenz gegen die eines Theaterkritikers (Fixgehalt, zwei jährliche Trips nach New York) eintauschen hätte können. Nach kurzer Bedenkzeit sagte er ab - sein Grund: "Spätestens, wenn ich zum fünfzigsten Male im Jahr den 'Sommernachtstraum' sehe, würde ich es bereuen."

So ist es auch im Eishockey - ein oder zweimal in der Woche zu Spielen zu gehen, ist eine lustige Abwechslung, aber ein Spiel an fast jedem Tag? Keine freien Wochenenden während der Saison, auch kaum freie Abende (am ehesten noch Montage) - nicht jeder kommt damit zurecht.

Vor allem Familienväter müssen sich klar sein: Die Erziehung der Kinder liegt oft beim Partner, der Vater schaut ab und an vorbei. Von der Organisation wird volle Hingabe zum Beruf vorausgesetzt, schließlich gilt das ja auch für deine Vorgesetzten. Deine Frau ist krank und du musst dich zwei Wochen um dein Kind kümmern? Familienfeiern an Wochenenden? Hochzeiten von Freunden? Kein Head Scout möchte so etwas zu oft hören oder zu viele Lücken in deinem Schedule entdecken. Natürlich gibt es Akutfälle, dass du dich kurz ausklinken musst, aber oft darf so etwas nicht vorkommen, sonst wird dir zu Saisonende ein anderer Beruf nahegelegt.

Ich könnte mich auch nicht erinnern, dass je ein Scout etwa bei einem wichtigen Turnier gefehlt hat, kleine Krankheiten gehören einfach dazu und sind kein Verhinderungsgrund. Nochmals: Von August bis April wird volle Hingabe erwartet, im Sommer ist dann Entspannung angesagt, wobei aber nur der Juli eigentlich ohne jeglichen Termin (Meetings oder Draft) dasteht.

 

Berichte und Listen:

Ein Bier in der Hand, im Schwatz mit dem Nachbarn, dazwischen wird bei Toren gejubelt - jeder Fan kann sein Spiel nach Gutdünken gestalten, schließlich zahlt er dafür.

Als Scout sieht es da ganz anders aus: Meist sind sie über die Arena verstreut, sitzen alleine, natürlich ohne Bier und auf das Spiel konzentriert. Wer gewinnt, ist ihnen völlig egal, es geht ganz einfach um die Einzelleistungen der Spieler, wie viele sie an einem Tag auch beobachten. Einige schreiben wie wild mit (aber nur bei Spielunterbrechungen), andere sitzen wie die Ölgötzen über 60 Minuten - Gefühlsäußerungen selbst beim schönsten Tor gibt es von ihnen keine und angesprochen wollen sie während des Spiels schon gar nicht werden.

Ihre eigentliche Arbeit beginnt aber nach dem Spiel. Schließlich müssen ihre Reports in den Computer eingetippt werden und das doch einigermaßen zeitnah. Und diese Berichte müssen auch Hand und Fuß haben - nicht jeder Scout ist gleichzeitig auch ein Schriftsteller, aber "hat zwei Tore geschossen und gut gespielt" wird nicht reichen. Es läuft immer wieder auf die gleich Frage hinaus: Wird der Spieler in ein paar Jahren in der NHL spielen können und wenn ja, in welcher Rolle? Das sollte der Kern jedes Reports sein, vor allem gegen Ende der Saison, wenn der Draft schon vor der Türe steht. Die Berichte müssen nicht endlos sein, aber Phrasen und nichtssagende Äußerungen will kein Director of Scouting, der über die Saison Tausende von Reports lesen muss, über sich ergehen lassen. Je individueller und mehr auf den Kern gebracht, desto besser, vor allem bei Spielern, die eher wenige Viewings haben.

Zu den knapp eintausend Reports, die jeder Scout jedes Jahr schreibt, kommen auch noch Listen dazu. Unser schwedischer Fulltimer ist natürlich nicht nur für sein eigenes Land zuständig, sondern auch für die anderen europäischen Ligen. Alle 14 Tage schickt er seine Länder- und Gesamtlisten an seine Chefs. Da heißt es - vor allem gegen Ende der Saison - "Butter bei den Fischen": Du musst dich auf die Reihenfolge der Spieler festlegen, vor allem in den Top-Positionen. Die fallen aber auch immer leichter, ob Nummer 20 wirklich besser als Nummer 22 ist, ist dagegen oft eine Frage, die einen Scout lange beschäftigt.

Alles in allem: Die Spiele selbst sind nur ein Teil deines Jobs, die Berichte und Listen ein wichtigerer. Wenn du schon in der Schule Hausaufgaben immer hinausgezögert oder gar nicht geschrieben hast, wirst du auch als Scout Probleme haben. Und sehr gute Englisch-Kenntnisse (in Wort und Schrift) sind sowieso Voraussetzung, die Zeiten, als vor allem russische Scouts nur "Player good" sagen konnten, sind schon lange vorbei.

 

Klare Aussagen:

Nicht nur in deinen Berichten und Listen, sondern vor allem bei den Meetings ist deine Expertise gefragt - für die wirst du ja schließlich bezahlt. Natürlich solltest du den Leuten, die nicht deiner Meinung sind, nicht gleich mit dem Hintern ins Gesicht fahren, aber genauso schlecht ist es, dauernd herumzulavieren. Dein GM hat einen schwedischen Spieler nur einmal gesehen, sich aber in ihn verliebt. Es liegt dann am Area-Scout - in diesem Fall unser Schwede - ihm zu widersprechen, nachdem er den Spieler knapp 20 Male gesehen hat und nichts von ihm hält. Das erfordert natürlich Traute, ist aber Teil deiner Job-Beschreibung.

Einige Head Scouts oder GMs fordern vor allem neue Scouts gerne heraus, mahnen mit Widerspruch klare Meinungsäußerungen ein. Leute, die gerne mit dem Strom schwimmen und beim Gedanken an Widerspruch schon fast in Ohnmacht fallen, sind für diesen Beruf nicht geeignet. Umgekehrt solltest du natürlich auch die Einschätzungen deiner Mitstreiter respektieren - wenn alle anderer Meinung sind, kannst du ja nach den Mid-Season-Meetings den Spieler in Frage nochmals beobachten und gegebenenfalls deine Einschätzung etwas abändern. Wenn nicht, auch gut.

Bei Spielern deines Beobachtungsgebiets sollte deine Einschätzung als letzte Instanz gelten, nicht so bei Spielern etwa aus Übersee. Da ist es durchaus auch zulässig zu sagen: "Ich habe zu wenig von ihm gesehen." Ein Spiel macht dich meist nicht zum Experten, dazu passend auch ein sehr weiser Satz, den mir ein GM einmal sagte: " A little bit of knowledge is a very dangerous thing."

 

Der Scout als Reisebüro:

Einige Teams buchen zumindest die Flugreisen für ihre Scouts - ich kenne ein NHL-Team, wo die Frau des Besitzers ein Reisebüro betreibt und sich so einen guten Nebenverdienst macht, auch weil die von ihr gebuchten Flüge meist um einiges teurer sind als im freien Verkauf.

Aber in den meisten Fällen sind die Scouts für ihre eigenen Reisen zuständig, bei etwa 100-120 Hotelnächten pro Saison keine Kleinigkeit. Wenn ihre Budgets unbegrenzt sind, können sie natürlich auch im letzten Moment noch Flugreisen und Hotelbuchungen vornehmen, meist ist das aber anders. Zu meinen Zeiten in Atlanta war immer Sparen angesagt, da macht man mit der Zeit eine Ausbildung zum Ein-Mann-Reisebüro durch.

Wann bucht man am besten billige Flüge? Soll man gar zwei Reisen buchen und die Rückflüge verfallen lassen? Wie kommt man zum besten Preis für ein Hotel - über deren Website oder eine allgemeine Buchungsseite? Sollte das Hotel näher zur Halle oder zur Bahnstation gelegen sein? Buchst du das Bahnticket in Schweden fix (keine Rückerstattung möglich) oder lässt du dir doch eine Hintertür offen? Deine Organisation hat mit einer Leihwagenfirma ein Abkommen - ist das aber trotzdem der beste Preis?

Alles natürlich immens zeitaufwendig und nicht unbedingt der unmittelbare Teil des Scouting-Business, aber vor allem bei eingeschränkten Budgets dringend notwendig. Soll dir ja nicht passieren, dass du dir mit der Flugbuchung zu einem Turnier zu lange Zeit lässt und dann nur mehr Business-Class-Tickets frei sind. Falsche Einschätzungen von Spielern gehören einfach dazu, krasse Fehler bei Reiseplanungen sind aber unentschuldbar - von diesen Erfahrungen profitiere ich als selbständiger Scout heute noch.

 

Dies sind nur einige der Anforderungen an NHL-Scouts, diese Voraussetzungen sind unverhandelbar. Hört sich der Job immer noch nach einem Traumberuf an?

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