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Virtanen und Co.: Warum Europa ihr persönliches Elba ist

Wegen ihrer Skandal-Geschichten sind vier nordamerikanische Cracks in Übersee nicht mehr gern gesehen. In Europa wissen sie aber zu überzeugen.

Virtanen und Co.: Warum Europa ihr persönliches Elba ist Foto: © getty

Vier nordamerikanische Cracks, deren Namen in Übersee verbrannt zu sein scheinen, spielen heute in Europa.

LAOLA1-Experte Bernd Freimüller mit einem Blick darauf, warum sie ihr persönliches Eishockey-Elba anstreben mussten und wie sie performen:

Mitch Miller (D, 21, HK 32 Liptovsky Mikulas, Slowakische Extraliga)

Seine Backstory auf und neben dem Eis:

Der Offensivverteidiger wurde 2020 in der vierten Runde von den Arizona Coyotes gedraftet – der Aufschrei ertönte umgehend: Miller hatte nämlich Jahre zuvor einen geistig behinderten Mitschüler über Jahre gequält und gedemütigt. Die Details, die öffentlich wurden, waren gruselig, vor Gericht ging die Sache jedoch nicht.

Diese Geschichte war zum Draftzeitpunkt keineswegs ein Geheimnis, viele Teams nahmen Miller – trotz seines unzweifelhaften Talents – nicht auf ihre Liste auf. Arizona kam nach dem Draft unter Druck, als eine Lokalzeitung die Geschichte veröffentlichte.

Die Coyotes standen noch einige Zeit zu Miller, CEO Xavier Gutierrez wollte ihn sogar als Leader gegen "Bullying" und Rassismus (Millers Opfer war schwarz) an die Front schicken.

Aufgrund des öffentlichen Drucks knickten die Coyotes drei Wochen nach dem Draft ein und gaben die Rechte für den US-Amerikaner frei. Auch die Universität von North-Dakota, für die er spielen sollte, wollte mit ihm nichts mehr zu tun haben.

Einer Saison ohne Team folgte dann 2021/22 eine in der USHL, seine Scorerzahlen (75 Punkte in in 60 Spielen) zeugten von seinem Offensivtalent. Die Boston Bruins nahmen den Free Agent dann im November 2022 unter Vertrag. Sie rechtfertigten dies damit, dass sich Miller bei seinem Opfer entschuldigt hätte, was von dessen Familie aber dementiert wurde.

Den abermaligen Aufschrei beendete NHL-Boss Gary Bettman, indem er Miller aus der Liga ausschloss. Die Bruins, die den Drei-Jahres-Vertrag aufgelöst hatten, mussten Miller jedoch auszahlen, was erst eine Zeitungsgeschichte Monate später an die Öffentlichkeit brachte.

Wie geht es ihm im Exil?

Miller unterschrieb im letzten Sommer in Liptovsky Mikulas, einem Kleinstädtchen am Fuße der Hohen Tatra und über Jahre in der Extraliga gegen den Abstieg kämpfend. Als rechtschießender PP-Spezialist dominiert er auch die slowakische Liga, 29 Punkte in 19 Spielen bedeuten sogar die Spitze in der Scorerliste.

Angeblich ist das KHL-Team AK Bars Kazan an ihm interessiert.

Ben Johnson (C, 29, HC Nove Zamky, Slowakische Extraliga)

Seine Backstory auf und neben dem Eis:

Der Center wurde 2012 von den New Jersey Devils aus der OHL gedraftet, spielte nach einem weiteren Juniorenjahr für das Farmteam der Devils in Albany. Doch während dieser Zeit wurde Johnson wegen Vergewaltigung an einer 16-jährigen in Windsor (wo sein Juniorenteam beheimatet war) angeklagt und im Oktober 2016 schuldig gesprochen.

Johnson kam nach zwei Jahren seiner Drei-Jahres-Strafe wegen guter Führung frei, schloss sich danach dem ECHL-Team Cincinnati Cylones an. Nach einer spielfreien Corona-Saison spielte er in derselben Liga für Kansas City, ehe er im Sommer 2022 nach Nove Zamky übersiedelte, wo er die ganze Saison absolvierte.

Die Krefeld Pinguine nahmen ihn im letzten Sommer unter Vertrag, ohne auf seine Vorgeschichte einzugehen. Diese kam aber natürlich sofort ans Tageslicht, angesichts des medialen Aufschreis verteidigte Sportdirektor Peter Draisaitl den Spieler, der in den letzten Jahren für keinerlei Aufsehen gesorgt hatte und mit seiner hochschwangeren Frau nach Krefeld übersiedelt wäre.

Wenige Tage nach der Bekanntgabe des Transfers knickten die Pinguine jedoch ein und lösten den Vertrag mit Johnson wieder auf.

Wie geht es ihm im Exil?

Johnson unterschrieb vor wenigen Tagen abermals in Nove Zamky, wo man mit seiner Vergangenheit offenbar keine Probleme hat. Ich habe ihn in seiner ersten Extraliga-Saison öfters gesehen, er war dort ein spielstarker Center mit brauchbaren Skills und guter Einstellung und gehört sicher zu den besseren Mittelstürmern der Extraliga.

Jake Virtanen (W, 27, Fischtown Penguins, DEL)

Seine Backstory auf und neben dem Eis:

Jake Virtanen ist sicher der Spieler mit dem eindrucksvollsten Lebenslauf in dieser Aufzählung.

Nach starken WHL-Leistungen wurde er 2014 von den Vancouver Canucks an sechster Stelle gedraftet. Nach einem weiteren Juniorenjahr schaffte er sofort den Sprung in die NHL, wo er als körperlich starker Winger mit etwas Offensive sechs komplette Saisonen absolvierte.

Als er noch in Vancouver unter Vertrag stand, tauchten Meldungen über eine angebliche Vergewaltigung aus dem Jahre 2017 auf, die allerdings erst im April 2021 an die Öffentlichkeit gebracht wurde.

Virtanen wurde im Juli 2022 in Vancouver von einem Geschworenengericht in allen Anklagepunkten freigesprochen. Wie Johnson bestand er auch bis zuletzt darauf, dass es sich um einvernehmlichen Sex gehandelt hatte, wobei bei Johnson auch noch Alkohol beim Mädchen im Spiel war.

Seine Exilzeit hatte aber schon vor dem Prozess begonnen: Die Canucks hatten seinen Vertrag, den sie aber auszahlen mussten, im Mai 2021 aufgelöst, ein Try-Out in Edmonton verlief im Sande.

Virtanens Stationen in Europa hießen dann Spartak Moskau und EHC Visp, vom Schweizer Zweitligisten übersiedelte er knapp vor Transferschluss im Februar 2022 nach Bremerhaven. Es folgte natürlich ein Shitstorm in den sozialen und analogen Medien ("Klub ohne Skrupel", so eine der Schlagzeilen), die Penguins knickten aber nicht ein.

Wie geht es ihm im Exil?

Virtanen überragte nicht, war aber mit seiner physischen Präsenz sehr wohl ein Faktor, sodass er im Sommer einen neuen Vertrag bekam. Heuer steht er mit 14 Punkten (4 Tore) aus 20 Spielen gut da, Bremerhaven belegt den dritten Platz der DEL.

Von irgendwelchen Exzessen (in Visp wurden ihm auch Probleme und Auseinandersetzungen mit Mitspielern nachgesagt) ist in Bremerhaven nichts bekannt. Ich frage mich auch, wie groß die Schnittmenge jener ist, die ihn erst in Social Media verurteilten, um ihm dann im August ein Geburtsständchen darzubieten.

Alex Formenton (W, 24, HC Ambri-Piotta, National League Schweiz)

Seine Backstory auf und neben dem Eis:

Abseits des Eises liegt gegen ihn offiziell noch nichts vor, Formenton ist im Gegensatz zu Johnson oder Virtanen weder angeklagt noch verurteilt, es gibt auch keine bestätigten Grusel-Stories wie bei Miller.

Die Ottawa Senators drafteten Formenton 2017 aus der OHL an 44. Stelle. Nach einem weiteren Juniorenjahr begann sein Entry-Level-Deal ein Jahr später mit einer Saison im Farmteam Belleville.

In der Saison darauf absolvierte er schon 20 Spiele bei den Senators, in der Saison 21/22 erzielte er 18 Tore in 79 NHL-Spielen, hatte damit also ausgezeichnete Karten für die (lukrative) Verlängerung seines Entry-Level-Deals. Doch die passierte nie, mit 1. Dezember 2022 lief für Formenton die Chance aus, in dieser Saison in der NHL aufzulaufen.

Vertragsstreitigkeiten gibt es immer wieder, aber die werden dann doch einmal beigelegt. Formenton war und ist ein Restricted Free Agent der Ottawa Senators, kann also ohne deren Einverständnis zu keinem anderen NHL-Team wechseln.

Das wissen Spieler und Agenten auch, es kommt daher immer zu einer Einigung über einen kurz- oder langfristigen Vertrag, im Extremfall einen Trade. Was also steckt hinter dem Fall?

Formenton gehörte zum kanadischen U20-Nationalteam, das bei der WM 2018 die Goldmedaille gewann. Doch dieses Team machte auch andere Headlines: Nach einem Hockey Canada Event im Juni 2018 in London (Ontario) ging eine Frau im April 2022 damit an die Öffentlichkeit, dass sie von acht Männern insgesamt und fünf Mitgliedern dieses Teams missbraucht wurde.

Die Ermittlungen der dortigen Staatsanwaltschaft, Hockey Canada bzw. der NHL, die sich auch dieser Sache annahm, brachten bis heute – also 2023 – kein offizielles Ergebnis. Alle Spieler dieses Teams wurden einvernommen, einige davon beteuerten durch ihre Agenten ihre Unschuld. Nicht so Formenton, von ihm gibt es bis heute kein offizielles Statement zu dieser Sache.

Wie sich herausstellte, hatte Hockey Canada die Frau mit einer Abschlagszahlung abgelten wollen, das wurde bekannt, eine Rücktrittswelle folgte und der Verband ist bis heute nicht zur Ruhe gekommen. Auch die "London Police" musste den Fall, den sie bereits ohne Anklage abgelegt hatten, auf öffentlichen Druck wieder aufnehmen.

Bis heute gibt es kein offizielles Ergebnis, doch die Aussage vom (inzwischen gefeuerten) Senators-GM Pierre Dorion, dass die Ermittlungen in diesem Fall und die Vertragsstreitigkeiten nichts miteinander zu tun hätten, glaubte natürlich kein Mensch. Formenton ist zwar nicht de jure, aber de facto aus der NHL verbannt.

Wie geht es ihm im Exil?

Formenton unterschrieb im Dezember 2022 für Ambri, erzielte dann noch 10 Tore in 22 Spielen. Heuer ein ähnliches Spiel, allerdings mit einem früheren Ende: Nachdem auch im Sommer keine NHL-Angebote kamen, kehrte er im Oktober nach Ambri zurück, sein Vertrag gilt erstmal für zwei Monate.

Die mangelnde Vorbereitung ist natürlich immer ein Nachteil für ihn, als Komplett-Paket ohne große Schwächen kann er aber in allen Situationen spielen.

Vier nordamerikanische Crack also mit verschiedenen Backstories, die alle Europa zu ihrem persönlichen Elba machen mussten. Werden weitere folgen (müssen)?


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