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Scout nimmt Schwedens Liga unter die Lupe

Eindrücke, die LAOLA1-Scout Freimüller von der Schweden-Reise mitbringt:

Scout nimmt Schwedens Liga unter die Lupe Foto: © GEPA

Nachdem LAOLA1-Experte Bernd Freimüller 2018 die slowakische und tschechische Liga ausführlich analysierte, steht hier die höchste schwedische Spielklasse auf dem Prüfstand.

Was auffällt: In der "Svenska Hockeyligan" herrscht große individuelle Klasse, trotz der zahlreichen Abgänge in die NHL und KHL erneuert sich die Liga immer wieder von selbst. Die Rahmenbedingungen sind auf Top-Niveau, dem Zuschauer wird viel geboten.

Vor allem Eishockey-Experten bereitet die schwedische Liga viel Freude. Da kann es schon einmal vorkommen, dass das Scouten schnell mit dem Besuch eines Spielzeugladens verglichen wird.

Ein Flug nach Kopenhagen, dann Växjö, Örebro, Karlstad, Jönköping und Malmö, das ergibt einen Rhythmus wie zu meinen NHL-Zeiten: Den ganzen Tag im Zug oder Bus, dabei die Reports vom Vortag schreiben, Einchecken im Hotel und dann am Abend wieder ein Spiel mit 40 neuen Namen.

Schweden war immer schon das Land mit den besten Schedules – die Spiele sind über die Woche verstreut, wenn die SHL pausiert, spielen halt die Allsvenskan oder die Junioren.

Einige EBEL-Cracks mit SHL-Vergangenheit

Klar, für mich stehen jetzt etablierte Spieler im Vordergrund. So schön es ist, einen Nils Höglander (Draft 2019) oder Alexander Holtz (2020) zu sehen, viel Konzentration wende ich für sie nicht auf.

Umgekehrt sind die NHL-Scouts natürlich nicht an den Spielern interessiert, die ich genauer unter die Lupe nehme: Spieler ab Mitte 20, die vielleicht keine große Rolle spielen, ein oder zwei schwächere Saisonen hinter sich haben oder in einem Alter sind, wo sie ans Ausland denken (müssen). Die insgesamt 72 Reports meines Trips waren vornehmlich Spieler dieser Kategorien vorbehalten.

Nehmen wir die schwedischen Spieler her, die zuletzt in die EBEL kamen.

Karl Johansson bei Graz? Hatte in Växjö eine durchschnittliche Eiszeit von unter fünf Minuten. Robin Gartner? War beim Nachzügler Karlskrona ein Mitläufer. Robin Jacobsson? Hatte Jahre in der Allsvenskan und der schwächer gewordenen Liiga hinter sich. Einzig der Norweger Lars Haugen kam als gestandener SHL-Spieler nach Klagenfurt, Färjestads hat aber mit Markus Svensson und Adam Werner weiter zwei ausgezeichnete Goalies aufzubieten.

150 schwedische Top-Spieler nicht in SHL

Wenn schwedische Top-Spieler ins Ausland gehen, hat das zwei Gründe. Entweder ruft die NHL mit einem Profi-Vertrag oder Ligen wie Russland und die Schweiz winken mit großem Geld.

Die Zahlen sind beeindruckend und für jedes andere Land auch bedrückend: Über 100 schwedische Cracks sind in der NHL oder AHL engagiert, mehr als 40 in der KHL und NL. Dazu käme sicher auch noch der eine oder andere Spieler aus schwächeren Ligen wie Kölns Gustaf Wesslau, die jederzeit auch noch in der SHL spielen könnten. Es fehlen also knapp 150 der Top-Spieler, zehn Akteure pro Team.

Ist das Niveau der SHL also abgesunken? Nicht nach meinem Dafürhalten – während in der finnischen Liiga sehr viele schwache Teams und Spieler vertreten sind, waren die SHL-Spiele von sehr hohem Niveau und auch ziemlich ausgeglichen, einzig Schlusslicht Timra fiel gewaltig ab. Im Vergleich mit der KHL – die einzigen beiden Ligen, die die Europa-Spitze für sich in Anspruch nehmen können - halte ich die russischen Top-Teams für etwas stärker, die Breite in der SHL für zumindest gleichwertig.

Sehr hohes Niveau auf dem Eis

Atemberaubend ist weiter das Tempo in Schweden – es gibt kaum Zeit zum Luftholen, wer eisläuferisch nicht mithalten kann, geht unter. Das Ganze aber mit sehr gutem Eishockey-Verstand und Händen, einfältige oder langsame Spieler haben hier kein langes Leben.

Unglaublich, wie sich die SHL trotz der unzähligen Abgänge Jahr für Jahr von innen erneuert. So verlor HV 71 etwa im letzten Sommer gleich acht (!) Spieler an die NHL, trotzdem gehören sie weiter zu den Spitzenteams. Schweden dominierte den europäischen Talente-Nachschub der letzten Dekade eindeutig, auch wenn dies nur selten in U18- oder U20-WM-Titeln mündete.

Das war nicht immer so - ich erinnere mich an Zeiten, in denen Schweden hinter Finnland angesiedelt war. Doch nach einigen schwachen Ergebnissen fand ein Umdenken statt, das vor allem in einer Konzentration auf das Eislaufen und individuelle Skills resultierte, Finnland adaptierte dieses Konzept vor einigen Jahren für sich.

Youngsters teilweise in spieltragenden Rollen

Die EBEL wartete zuletzt mit einer erstaunlichen Statistik auf, dass sie mehr U24-Spieler (= Nullpunkter) zum Einsatz brächte, als die SHL.

Wie so viele EBEL-Stats halte ich auch diese für reinen Humbug, selbst wenn die Statistik hierzulande die vierten Linien und die vor sich hin rostenden Ersatz-Goalies mit einbezieht. Im Schnitt kam ich bei den zehn SHL-Teams, die ich gesehen habe, auf fast acht Spieler, davon viele U20-Cracks in spieltragenden Rollen.

In aller Fairness zur EBEL: So gut die SHL auch ist - der Unterschied zwischen ihr und der EBEL ist zwar groß, aber nicht annähernd so groß wie jener des schwedischen Nachwuchses zu den heimischen Youngsters.

Egal in welcher Altersstufe, ihre Teams würden mit den unseren den Boden aufwischen, wozu es aber aber ohnehin nie kommt. Da hätte es auch gar nicht des überschwänglichen Lobes von Graz-Coach Doug Mason über Anton Sundin anlässlich seines Kurz-Gastspiels gebraucht: Ein U20-Stammspieler einer Talenteschmiede wie Frölunda wird seinem österreichischen Gegenpart in 49 von 50 Fällen überlegen sein.

Einige der Abgänge wurden natürlich mit Legionären aufgefüllt – die SHL ist weder eine xenophobe noch ausländerlastige Liga.

80 Gastarbeiter verdienen in Schweden ihr Geld, das sind mehr als sechs pro Team und ungefähr so viele wie bei den Top-Mannschaften in der Schweiz. Örebro und Växjö etwa hatten bei meiner Reise je neun in ihren Lineups. Das ist vor allem bei Växjö nichts Außergewöhnliches – ihren Meistertitel 2014/15 gewannen sie mit 13 Legionären im Lineup. Neben 19 Finnen verdienen knapp 40 Nordamerikaner hier ihr Geld, natürlich mit höchst unterschiedlichen Hintergründen.

So kam etwa ein Jason Garrison heuer sogar während der Saison direkt aus Edmonton zur Djurgarden – ist er aber wirklich ein besserer SHL-Spieler als Rögles Kodie Curran, der sich aus dem kanadischen College über Dänemark und Norwegen hochdiente? Das ist durchaus eine Parallele zur EBEL - aus der Herkunft lässt sich oft nicht auf die Ligatauglichkeit schließen.

Die SHL gab schon vor Jahren auf, zwischen EU- und Nicht-EU-Legionären zu unterscheiden, es gibt heute in Schwedens Eishockey keine Ausländerbeschränkung mehr.

Große Euphorie auf den Rängen

Wie immer ein Vergnügen sind die Hallen, die ich schon seit Jahren oder Jahrzehnten kenne, die Sightlines sind immer ein Traum. Einzig Mora und Ängelholm (Rögle) habe ich nicht als so toll in Erinnerung. Alle Hallen waren gut gefüllt, vor allem Jönköping kenne ich nie anders als bis zum Rand gefüllt. Auch in der bombastischen Malmö Arena waren über 11.000 Fans bei einem Montagsspiel sehr bemerkenswert. Und das alles trotz großer TV-Präsenz, neben den Eishockeysamstagen in Staatsfernsehen können alle Spiele per Pay-TV empfangen werden.

Die TV-Gelder (4,5 Millionen Euro pro Team) sollten in Zukunft etwas mehr in Richtung Allsvenskan und dem weiteren Unterbau verteilt werden, denn der Übergang zwischen den Ligen kann durchaus fließend sein. Ein (zugegeben extremes) Beispiel: Vor vier Jahren spielte Joel Persson noch in der vierthöchsten, vor zwei Jahren noch in der dritthöchsten Leistungsstufe. Der heute 24-jährige erspielte sich schon im Vorjahr in seiner ersten Saison bei Växjö den Ruf als einer der besten PP-Defender der Liga und einen NHL-Kontrakt bei den Edmonton Oilers, die ihn heuer aber noch in der SHL beließen.

Bis auf 18-Minuten-Pausen gehen die Spiele kompakt über die Bühne, es gibt auch nur ein TV-Timeout pro Drittel. Die Spiele sind schnell, auch durchaus körperbetont, aber mit wenig Dummheiten oder Lamentieren. Bei meinem ersten Spiel Växjö gegen Brynas fühlte ich mich aber als "Slapshot" erinnert: Nach 20 Sekunden musste der erste Spieler verletzt vom Eis, nach 50 Sekunden der nächste mit einer Spieldauerdisziplinarstrafe. Alles nur dumme Zufälle, die Schiris hatten sonst wenig zu tun. Calls nach Videobeweisen, die aber vom Supervisor durchgeführt werden, machen sie per Mikrofon, wie in der NHL scheint das Funktionieren aber Glückssache zu sein.

Wie in Tschechien werden übrigens alle Spielszenen am Videotron sofort wiederholt, egal um es sich um ungeahndete Fouls oder umstrittene Entscheidungen handelt. Ein riskantes Unterfangen, werden Fans und Spieler dadurch oft aufgeganselt.

Legionär Komarek stellt sich gut an

Am letzten Tag konnte ich noch Konstantin Komarek auf die Kufen sehen. Der Wiener ist bei Malmö, die eine sehr gute Saison hinlegen, ein Schlüsselspieler und auch im ersten PP-Unit im Einsatz. Wenn man sich wie er über Jahre in der SHL hält, hat man schon vieles richtig gemacht. Bemerkenswert auch, wie sehr er trotz Gehirnerschütterungen und Hüftproblemen weiter den Zweikampf sucht.

Mehrere Spieler wie ihn würden unserem Eishockey immens gut tun, doch die Erfolge unserer immer weniger werdenden Eishockey-Eporte halten sich ja leider in Grenzen. Folgt ihm Peter Schneider aber in der nächsten Saison nach?

Von allen europäischen Ländern macht das Scouten in Schweden am meisten Spaß – freundliche Leute, die alle perfekt Englisch sprechen, ein durchgehend hohes Niveau in allen Ligen und ein gutes Verkehrsnetz. Selbst wenn dem Eishockey hier jährlich einige Gliedmaßen abgeschlagen werden (=Transfers nach Nordamerika), ersetzt es diese immer wieder mühelos von selbst. Beim Scouten in Schweden fühlt man sich wie ein Kind im Spielzeugladen – man weiß gar nicht, wohin man zuerst schauen soll...


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