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Die ICE und ihr "Casebook": Das sind die Tops und Flops

Die Liga leistete sich in der Vergangenheit hinsichtlich des Regelwerks einige Eigenheiten. Bernd Freimüller erklärt, welche ein Erfolg oder ein Flop waren.

Die ICE und ihr Foto: © GEPA

Die EBEL bzw. win2day ICE Hockey League und ihr Regelwerk - ein seit Jahren faszinierendes und stets im Wandel befindliches Thema.

LAOLA1-Experte Bernd Freimüller mit einem Blick auf einige Eigenheiten, die sich die Liga mittels ihrer "Casebooks" leistete und ob diese ein Erfolg oder ein Flop waren:

Was sind Casebooks überhaupt?

Grundsätzlich Ergänzungen zum Regelwerk, die Beispiele geben, Erklärungen liefern und Unklarheiten beseitigen sollen. Auch die IIHF leistete sich lange Zeit so eine Fibel, ehe diese in ihrem Regelbuch aufging.

Im Fußball wären die Äquivalente dazu die sogenannten "Lehrbriefe" (etwa beim DFB). Was beim Fußball aber gar nicht ginge, von der IIHF jedoch geduldet wird: Änderungen zum internationalen Regelbuch, die sich fast alle Ligen leisten, keine jedoch so extensiv wie die ICE.

Auch hier ein Vergleich zum Fußball: Das wäre so, als ob in Österreich etwa ein Handspiel mit indirektem Freistoß geahndet würde, in der Slowakei etwa die "Hand" erst beim Ellbogen beginne und in Ghana Hands im Strafraum immer mit einer Roten Karte zu bestrafen wäre.

So ein Chaos wäre bei der FIFA undenkbar, bei der IIHF - vielleicht nicht so extrem wie hier beschrieben - dagegen gang und gäbe.

Wie erstellt die ICE ihre Casebooks?

In den meisten Fällen so, dass Regeln von der NHL (ohnehin nicht unter Jurisdiktion der IIHF) übernommen werden, oft wortwörtlich und per "Paste and Copy".

Sobald diese Regeln dann auch von der IIHF übernommen werden (vor allem bei der großen Änderungswelle 2021), können sie aus dem ICE-Casebook verschwinden. Dadurch verändert sich auch der Umfang dieser Fibel ständig - von 16 Seiten (2019/20) bis zu 44 Seiten eine Saison danach!

Vieles davon dient der Erklärung - vor allem Verlängerung, Shootouts, Regeln zu Faustkämpfen und die immer mehr ausufernden Erklärungen zur "Goaltender Interference" nehmen viel Platz ein, in den letzten Jahren auch die Video Reviews.

Bei Unklarheiten zu Regelfragen gilt in der ICE folgendes: Erst das Casebook zur Hand nehmen, wenn dort nichts steht, gilt das IIHF-Regelbuch. Umgekehrt kann man sich leicht aufs Glatteis begeben.

Diese Casebooks werden von Lyle Seitz gemeinsam mit dem jeweiligen Schiedsrichterboss (Greg Kimmerly bzw. Tom Kowal) erstellt und online im Gamebook publiziert. Die Amtssprache ist Englisch.

Die größten Ausreißer

2013/14: Von Icings waren auch sogenannte "Receivable Passes" ausgenommen - sprich Pässe und nicht Befreiungsschläge, die aber vom Forward nicht erreicht wurden. Die Unterscheidung war unmöglich, die Regel hielt nur eine Saison.

2015/16: Erstmals ergänzte eine "Coaches Challenge" die automatische Videoreview durch die Refs. Es sollte dies ein Monster werden, das bis heute immer mehr Nahrung bekam. Neben mittlerweile elf Gründen zur Überprüfung von Toren kamen 19/20 die sogenannten "Missed Calls" (z.B. Handpass oder Hoher Stock im Angriffsdrittel) und Abseits (21/22) dazu.

Peinlich dabei: 20/21 hätte jeder Coach jedes Tor beanstanden können, mehr als den Verlust eines Timeouts hätte er nicht zu befürchten gehabt. Dieses Regelloch wurde schnell geschlossen, allerdings: die erste verlorene Coaches Challenge hat weiter keine negativen Konsequenzen (kleine Strafe), die ICE steht damit im Widerspruch zur NHL und IIHF. Timeouts spielen seit Beginn der letzten Saison bei Coaches Challenges keine Rolle mehr.

2016/17: Unsportliches Verhalten wurde (mit wenigen Ausnahmen) mit kleinen Strafen und nicht mit Disziplinarstrafen geahndet, die IIHF zog später nach.

2017/18: Matchstrafen wurden zugunsten von 5 und Spieldauer abgeschafft, mit Ausnahmen für krasse Fälle wie "Kicking" oder "Biting". Auch diese verschwanden 22/23, die IIHF zog im heurigen Sommer nach. Auf das jeweilige Spiel hatte dies ohnehin nie Konsequenzen.

2017/18: Einer der krassesten Eingriffe, gleichzeitig wohl auch der größte Flop: Für sogenannte "aggressive Fouls" wie "Boarding", "Charging" oder Checks von hinten oder gegen den Kopf wurden als Mindeststrafen vier Minuten eingeführt.

Nie ganz klar, warum ein 0815-Bandencheck eine größere Strafe verdiente als etwas ein Crosscheck. Die Refs dachten auch oft so und sabotierten diese Regeln bei Boarding so, dass sie es mit "Interference" ersetzten. Ein krachender Check an einem puckführenden Spieler zur Bande hin - Behinderung! Das gab kein Regelbuch auf der Welt her, dadurch verschwand "Boarding" 20/21 aus dieser Auflistung wieder, die Vier-Minuten-Strafen für andere Vergehen wurden zwei Jahre später gekippt. Nur noch extreme Fouls wie etwa Stockstiche oder Kopfstöße blieben hier übrig, natürlich auch Hoher Stock mit Verletzungsfolge.

Diese Regel produzierte unzählige künstlich kreierte Powerplays, das Spiel wurde weder sauberer noch sicherer. Doch nicht alles war und ist schlecht: Das IIHF-Chaos, dass gewisse Vergehen (wie etwa Boarding) gleich mit vier verschiedenen Calls (2/5/5&Spieldauer/Matchstrafe) bestraft werden konnten, ersparte sich die ICE.

2017/18: Etwas mehr eine Regulativ- denn Regelfrage - die ICE zeigte sich über die Jahre bei Fights toleranter als die IIHF, Fünf-Minuten-Strafen (ohne Spieldauer) waren die Regel. Hier wurde dies aber etwas entschärft: Der zweite Fight während einer Saison war ab sofort mit einer Sperre verbunden.

2018/19: Der wohl größte Triumph für Seitz und Kimmerly: Sie hielten fest, dass ein Spieler nach einem fehlerhaften Faceoff nicht mehr weggeschickt, sondern nur ermahnt wurde. Dadurch entfielen die Szenen, als müde Teams einen Defender zum Bullypunkt wackeln ließen, dieser absichtlich falsch stand, dann langsam wieder wegfuhr, ehe der eigentliche Center eintrudelte, allerdings auch ohne Eile.

Diese subtile Spielverzögerung war damit Geschichte, die IIHF und die NHL übernahmen diese Regel innerhalb kürzester Zeit.

2019/20: Die IIHF begann damit, die ICE legte mit Diagrammen noch einen drauf: Goalies waren angehalten, die Scheibe ohne Druck nicht festzuhalten, ansonsten war eine Strafe fällig. Auch hier weigerten sich die meisten Refs, diese Anweisungen punktgenau umzusetzen. Ein Jahr später folgte noch ein Diagramm und Erläuterungen, inzwischen ist das Ganze wieder in den Hintergrund gerückt, Strafen gegen Goalies wegen Spielverzögerung sind weiter die Ausnahme.

2021/22: Die ICE begann damit, den Schiedsrichtern die Handhabe zu geben, große Strafen per Video zu überprüfen. Dies wurde allerdings im Casebook nicht festgehalten und war dadurch eigentlich illegal: Denn die IIHF gestand das im Regelbuch nur großen Turnieren wie A-WMs zu.

Ein Jahr später wurde dieser Paragraf dann auch ins Casebook aufgenommen, dies allerdings mit einer Änderung: Die Strafen konnten auch völlig aufgehoben werden, musste also nicht mit mindestens einer kleinen Strafe geahndet werden. Hier zog die IIHF im heurigen Sommer nach.

Die Anweisungen, wie diese Eingriffe und auch die Torüberprüfungen von den Refs an das oft ratlose Publikum zu kommunizieren wären, wurden von einigen von ihnen genüsslich ignoriert. Das soll sich - wieder einmal - in der nächsten Saison ändern, warten wir's ab…

Die Zeiten, als das IIHF-Regelbuch die absolute Autorität in Regelfragen waren, sind in der ICE schon lange vorbei. Einige dieser Innovationen schlugen ein, andere floppten und wurden stillschweigend wieder eliminiert.

Es bedarf aber jedes Jahr großer Detektivarbeit, auch nur irgendwie auf dem Laufenden zu bleiben, die Änderungen werden nie groß publik gemacht. Einzig der Vergleich des letztjährigen Casebooks mit dem aktuellen bringt hier etwas Licht ins Dunkel...


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