news

Wie LAOLA1-Scout Freimüller zu seinen Infos kommt

Bernd Freimüller gibt einen Einblick in seinen Job als Eishockey-Scout:

Wie LAOLA1-Scout Freimüller zu seinen Infos kommt Foto: © GEPA

Informationsaustausch ist das A und O in meinem Business, dazu bedarf es einer großen Anzahl an Vertrauenspersonen. Das können Spieler, Coaches und Vereinsmanager sein, mit denen man sich über die verschiedensten Spieler während und nach der Saison austauscht.

Dieser Informationsfluss geht nie nur in eine Richtung (außer natürlich bei Arbeit- und Auftraggebern), was ich an Infos vor allem über die ICE und die beiden Extraligen (Slowakei und Tschechien) weitergebe, kommt dann an Infos über andere Länder zurück.

Über die Jahre spricht man mit sehr vielen Leuten in Europa und Übersee, es kommen immer welche dazu, andere fallen aus verschiedensten Gründen weg.

Wie unterscheidet man Leute, dessen Informationen man hundertprozentig vertrauen kann und solchen, die weniger taugen?

In der Kürze liegt die Würze

Meine Berichte sind  - im Gegensatz zu meinen LAOLA1-Stories - meist sehr kurz und auf den Punkt. Folgende Fragen müssen beantwortet werden: Kann dir der Spieler weiterhelfen? Welchen Spielertyp stellt er dar? Welche Stärken sind zu erwarten, mit welchen Schwächen musst du leben?

Wenn die erste Frage ("Kann er dir weiterhelfen?") negativ beantwortet wird, braucht man gar nicht mehr viel zu elaborieren: "Zu langsam", "zu wenig Drive", "am absteigenden Ast", "schlechte Einstellung" – mehr bedarf es da gar nicht.

Grauzone zwischen "Finger weg" und "unbedingt nehmen"

Grauzone zwischen

Natürlich liegen die meisten Spieler in einer Grauzone zwischen "Finger weg" und "unbedingt nehmen" – da müssen halt dann die einzelnen Stärken und Schwächen aufgewogen werden. Wichtig auch: Ein Spieler kann sehr gut sein, aber ganz einfach nicht passen. Wenn ein Team ohnehin schon langsam ist, könnte ein "Stationary Scorer" (ein Shooter ohne große Fußarbeit, meist im PP effektiv) des Guten bzw. Schlechten zu viel sein, einem laufstarken, aber torarmen Team dagegen helfen.

Ich kenne in der AHL einen GM, auf dessen Auskünfte ich hundertprozentig vertrauen kann. Er treibt aber das Konzept von "Kurzhalten" auf die Spitze: "Gute Beine – starker Schuss – defensiv so-so – keine Off-Ice Probleme, aber sehr ruhig" könnte ein typischer Report von ihm sein. Eventuell muss man nachfragen, aber eine Auskunft wie "Würde ich für mein Team nie mehr nehmen" (über einen derzeitigen ICE-Spieler) sagt trotz der Kürze schon sehr viel aus.

Ausufernde Berichte schreibe ich nicht, lese sie auch nicht gerne, da ich mich über Hunderte von Spielern erkundigen muss. Wenn ein Abschluss aber nahekommt, kann man ja nochmals nachfragen. Leute, die gerne schwabulieren, aber keine konkreten Informationen oder Meinungen anbieten können, sondere ich schnell aus, das ist reine Zeitverschwendung. Leute, die hingegen die Top-Spieler einer Liga herausfiltern und in wenigen Sätzen beschreiben können, sind dagegen Goldes wert...

Keine Zahlen bitte!

Ich erinnere mich noch an ein Scouting-Meeting in Atlanta, wo ein Scout einen von ihn geliebten Spieler mit Statistiken pushen wollte. Unser GM bügelte ihn ab: "Keine Zahlen bitte – ich kann selbst lesen."

Zahlen und Statistiken spielen in meinen Gesprächen überhaupt keine Rolle, ich schaue nur kurz drauf, bevor ich einen Anruf tätige. Beide Gesprächspartner sollten ungefähr wissen, ob die Stats nicht im totalen Kontrast zur getätigten Meinung stehen, aber als Informationen dienen sie eigentlich nicht. Wenn mich etwa ein DEL-Manager über Ty Loney fragt, wird er sicher wissen, dass dieser seit Jahren ein Highscorer in unserer Liga ist, Statistiken will er nicht von mir hören. Die Zahlen, die etwa bei einer TV-Übertragung gefühlt im Minutentakt rausgeblasen werden, haben im Scouting-Business keinerlei Relevanz. 

"In eurer Liga"

"In eurer Liga wäre er sicher sehr gut" – eine Aussage, die natürlich nur Wert hat, wenn sie von jemandem kommt, der die entsprechende Liga auch kennt. Das tun Übersee-Manager oder Coaches eigentlich nie, in aller Fairness: Dieser Sager kommt heutzutage auch kaum mehr vor. Es geht in Gesprächen mit diesen Leuten eher darum, ihre Rolle in ihrem Team oder Liga (oft AHL) herauszufiltern, wie sich das auf Europa überträgt, muss ich dann selbst herausfiltern bzw. dem Team überlassen.  

Coaches oder Manager?

Ich erinnere mich an eine Story über NHL-Coaches, in der es hieß: "Einige können dir über jeden Spieler in der Liga einen detaillierten Report geben. Andere wiederum verhalten sich eher wie Fans mit einem Gamecenter-Abo."

Auch hier in Europa gibt es diese verschiedenen Arten: Ich kenne Coaches, die wirklich über fast jeden Spieler in der Liga Bescheid wissen und das sogar über Jahre zurück. Andere wiederum kommen bei Nachfragen ins Stottern, flüchten sich in nichtssagende Phrasen ("Schießt viele Tore"). Trainer kennen oft die Gegner als Einheit und in puncto System, aber nicht unbedingt in ihren Einzelteilen, was auch keineswegs verwerflich ist. Ich konzentriere mich dafür nicht auf Systeme, bin hier wie viele Scouts - so sie nicht von der Coach-Seite kommen - auch kein Experte.

Sport-Manager sind da oft eine bessere Quelle, da sie ja jedes Jahr eine Mannschaft zusammenstellen müssen. Vor allem in der DEL geht es ohne sportliche Kompetenzen in keinem Verein, dafür kümmert sich ein Geschäftsführer um die finanziellen Details. In der ICE liegt das oft in einer Hand und darunter leidet eine Seite. Bezeichnend dafür die Aussage eines Agenten: "Ich biete einem DEL-Team einen AHL-Spieler an – der Manager dort kann mir sofort seine Reports aus vergangenen Jahren herunterrattern. In Österreich kennen die Manager die meisten Spieler nicht einmal vom Namen her."

Pro Land ein Mann

Ich habe mir über die Jahre ein Informantenfeld aufgebaut, das (mit Ausnahme der französischen Liga) jede bessere Liga umfasst. In Übersee ist es natürlich schwerer: Durch die regionale Ausrichtung von AHL und ECHL braucht man mehrere Leute, da Coaches und Manager viele Spieler aus anderen Conferences die ganze Saison lang nicht sehen.

Als beste Quelle dienen natürlich NHL- bzw. AHL-Scouts bzw. deren Gegenstücke in Finnland und Schweden: Sie sind dauernd auf Achse, schaffen sich zumindest über Jahre einen großen Überblick. Darüber hinaus sind sie es natürlich gewöhnt, ihre Eindrücke kurz und knackig festzuhalten, Spieler mit ihren Stärken und Schwächen zu beschreiben.

Dadurch dass sie jede Saison Hunderte von Spielen und Spielern sehen, können sie natürlich nicht jeden Report im Kopf haben. Ich melde mich daher fast immer per E-Mail, telefonisch folgt sonst oft der Satz: "Let me check on my reports later". Ähnliches muss ich auch oft über Spieler sagen (außer innerhalb der ICE), bei mehr als tausend Reports in einem Jahr kann ich mich unmöglich an jeden auf Anhieb erinnern. Bei einem Blick in meinen Computer erscheint mir der Spieler aber bald wieder vor meinem geistigen Auge...

Die Charakterfrage

Natürlich ist es immer sehr wichtig, auch den Charakter eines Spielers abzuchecken. Aber klarerweise nur dann, wenn er am Eis einen guten Eindruck hinterlässt. Ist er langsam und hat steinerne Hände, kommt er auch nicht in Betracht, wenn er älteren Damen über die Straße hilft und nett zu Tieren ist.

Kommt ein Spieler also näher in Frage, hört man sich bei einstigen Mitspielern und Coaches bzw. Managern um. Meine Erfahrung: 90 Prozent der Spieler sind auf der Skala meist als solide Charaktere anzusehen, die dir keine Probleme bereiten. Der Rest teilt sich etwa zur Hälfte in absolute Leader-Figuren mit Mitreißer-Qualitäten auf, die andere Hälfte sind potentielle Problemboys. Das heißt nicht, dass sie überhaupt nicht zu verpflichten sind, ein gutes Umfeld kann einen etwas schwierigeren Charakter durchaus auffangen, so er der Mannschaft am Eis weiterhilft. Aber eine Warnung an einen potentiellen neuen Klub muss man hier zumindest anbringen.

Die "Ja, aber"-Spieler kristallieren sich in jeder Liga schnell heraus, so viele sind es ja nicht. Beim sommerlichen Caps-Neuzugang Shawn Lalonde etwa sagte mir seit Jahren fast jeder, der ihn kennt: "Sehr guter Spieler, aber...". Wie dieses "aber" genau aussieht, gilt es dann herauszufinden, auch hier sind die Schattierungen breit angesiedelt. Grundsätzlich gilt natürlich: Einem herausragenden Spieler sieht man abseits des Eises mehr nach als einem durchschnittlichen.

Der Sommer mit vielen Gesprächen ist vorbei, jetzt hat sich das Geschehen wieder in die Hallen verlagert. Der Informationsaustausch kommt dagegen auch jetzt nicht zum Erliegen, selbst ein loser Tratsch kann dir wertvolle Informationen liefern. Die Kombination zwischen Live-Viewings und Vier-Augen-Gesprächen bleibt für mich weiter unschlagbar...

Kommentare