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Charles Leclerc und Ferrari - eine aussichtlose Liebe?

Charles Leclerc sitzt seit 2019 im Ferrari, mit einem Titel klappte es für das Talent noch nicht. Woran scheiterte es und wie sieht Leclercs Zukunft aus?

Charles Leclerc und Ferrari - eine aussichtlose Liebe?

Charles Leclerc gilt neben Überflieger Max Verstappen wohl als das größte Talent der neuen Motorsport-Generation.

GP3- und Formel-2-Weltmeister auf Anhieb, imposantes Formel-1-Debütjahr bei Sauber und ein langjähriger Vertrag beim Traditionsteam Ferrari mit zarten 20 Jahren, der sogar vorzeitig bis 2024 verlängert wurde.

Eine Weltmeisterschaft fehlt dem Monegassen im Vergleich zu Verstappen noch - doch woran scheiterte es bisher?

Vom F1-Debüt zum Lebenstraum

Seine Debüt-Saison konnte sich durchaus sehen lassen: Leclerc fuhr in zehn von 21 Rennen in die Punkte, besiegte seinen erfahrenen Teamkollegen Marcus Ericsson im Qualifying-Duell mit 17:4. Der Monegasse etablierte sich am Saisonende zu einer fixen Größe in den Top-Ten.

Charles Leclerc (l.) mit seinem Sauber-Teamkollegen Marcus Ericsson (r.)
Foto: © getty

Seine außerordentlichen Leistungen sollten nicht unbelohnt bleiben: Im September 2018 gab Ferrari schließlich das bekannt, was Gerüchte schon einige Monate zuvor aufgegriffen hatten. Charles Leclerc ersetzte 2019 Kimi Räikkönen neben Sebastian Vettel im Ferrari.

Damit erfüllte er sich nicht nur seinen Lebenstraum, sondern auch den seines verstorbenen Freundes und F1-Piloten Jules Bianchi, der nach einem tragischen Unfall beim Grand Prix von Japan 2015 verstarb.

Erste Ferrari-Saison mit Ups und Downs

Der Ferrari-Bolide war 2019 zwar in Sachen Topspeed klar überlegen, was auf schnellen Strecken wie Bahrain von Vorteil war, doch im Lowspeed-Bereich mangelte es an Balance und Performance, was man auch im Laufe der Saison nicht optimieren konnte und somit Mercedes immer ein bisschen hinterherhinkte.

Charles Leclerc nach seiner ersten Pole in Bahrain 2019
Foto: © getty

Immer wieder waren es auch technische Defekte, die den Youngster ausbremsten, wie etwa beim zweiten Saisonlauf in Bahrain, als Leclerc von der Pole bis zu seinen Motorproblemen einem sicheren Sieg entgegenfuhr. 

Auch Eigenfehler, wie etwa der Abflug im Baku-Qualifying, sowie fragwürdige Strategien seitens Ferrari waren es, die dem jungen Piloten einen möglichen Sieg kosteten.

Trotzdem durfte sich der Monegasse über Erfolge freuen: In Belgien krönte er sich zum jüngsten Ferrari-Rennsieger aller Zeiten, in Monza holte Leclerc nach zehn Jahren endlich wieder den Heimsieg für die Roten. Er wurde vor Vettel, den er auch im Qualifying-Duell bezwang, WM-Vierter. Zudem holte er 2019 die meisten Poles.

2020 – das Jahr der Ernüchterung

Im Jahr 2020 konnte Ferrari nicht auf den positiven Aspekten des Vorjahres aufbauen – im Gegenteil. Kein einziger Rennsieg, keine Pole Position, drei magere Podestplätze in 17 Rennen und der enttäuschende sechste Platz in der Team-WM.

Charles Leclerc in Imola, 2020
Foto: © getty

Dies lag vor allem auch daran, dass man den Motor komplett umbauen musste: Nach den überlegenen Topspeed-Werten in der Saison 2019 wurde gegen Ferrari ermittelt. Letztendlich einigten sich die FIA und Ferrari auf einen geheimen Deal.

Für Leclerc blieb der WM-Titel auch 2020 eine Wunschvorstellung: Rennen für Rennen kämpfte er um Punkte. Mit dem SF-1000 schaffte er es, vor allem im Qualifying sensationelle Leistungen zu erbringen. Die zwei Podestplätze waren eine Kombination aus dem perfekten Rennen seitens Leclercs und Rennglück, wie etwa beim Reifen-Drama in Silverstone.

Besonders im Kopf blieb der Rat von Sebastian Vettel, der Ferrari Ende 2020 verließ und seinem Teamkollegen folgende Worte hinterließ: "Du bist der talentierteste Fahrer, dem ich in 15 Jahren F1 begegnet bin. Verschwende es nicht (...)."

2021 - Ein Schritt in die richtige Richtung

Durch die verschobene Regel-Neuerung wurde auch die Entwicklung für 2021 durch das Einfrieren diverser Komponenten beschränkt. Bitter für den damals 23-jährigen Leclerc, der sich somit seine Titelträume für ein weiteres Jahr abschminken musste, denn es war klar, dass man den Rückstand so nicht aufholen konnte.

Trotzdem kämpfte sich Ferrari 2021 sehenswert zurück: Für die Spitze reichte es zwar nicht, immerhin konnte man McLaren im Kampf um Platz drei bezwingen. Für Leclerc war 2021 eine solide Saison. In 22 Rennen klassierte er sich 18 Mal in den Punkterängen, holte außerdem ein Podium und zwei Pole Positions.

Bei seinem Heimrennen in Monaco holte der Lokalmatador die Pole, crashte zwar im Qualifying, aber Ferrari gab nach zweimaliger Überprüfung grünes Licht. Doch auf der Sichtungsrunde in die Startaufstellung vermeldete Leclerc nach kurzer Zeit Probleme. Daraufhin musste er zurück in die Boxengasse, der Schaden war zu groß. Sein Heim-GP endete, bevor er überhaupt angefangen hatte.

Podium, Silverstone, 2021
Foto: © getty

Auch in Silverstone verlor der Ferrari-Pilot einen vermeintlichen Sieg: Nach Startplatz vier führte der Monegasse das Rennen trotz seines langsameren Autos für 50 Runden sensationell an, kämpfte aber mit Motoraussetzern und schlechterer Pace -  am Ende reichte es knapp nicht, um Hamilton hinter sich zu lassen.

Fulminanter Start in die Saison 2022, doch dann?

2022 schöpfte Ferrari schließlich neue Hoffnung: Die lang ersehnten neuen Regeln, die das Feld wieder näher zusammenbringen sollen, traten mit einem Jahr Verspätung in Kraft. Perfekter Zeitpunkt, um Serien-Weltmeister Mercedes nach vielen Jahren ernsthaft Paroli zu bieten. Tatsächlich überzeugten Leclerc und Teamkollege Carlos Sainz im F1-75 bereits bei den Testfahrten.

Ferrari beim Zelebrieren von Leclercs Sieg in Australien, 2022
Foto: © getty

Es gelang der perfekte Start in die Saison: Der erste Doppelsieg seit Singapur 2019 zum Auftakt gefolgt von einem Doppel-Podium und einem weiteren Leclerc-Sieg. So führte dieser die WM-Wertung an, nach langer Zeit schien Ferrari endlich wieder konkurrenzfähig zu sein. Der Traum vom ersten Ferrari-WM-Titel seit Kimi Räikkönen 2007 und dem ersten für den jungen Rennfahrer sollte jedoch platzen.

Es folgten zahlreiche technische Probleme und der eine oder andere Fehler: In Imola und Frankreich warf Leclerc das Auto weg. In Spanien dann das erste Drama: Charles Leclerc, der von der Pole ins Rennen ging und dieses souverän anführte, musste seinen Boliden nach 27 Runden mit einem Motor-Defekt abstellen.

Der "Monaco-Fluch" schlug wieder zu: Der damals 24-Jährige führte das Rennen an, doch dann folgte das Ferrari-Chaos: Trotz gewünschter Trockenreifen steckte man ihm Intermediates an. Später kam Leclerc auf Anweisung zum zweiten Stopp, um dann kurz vor der Ferrari-Box den Funkspruch "Bleib draußen!" zu erhalten, da Teamkollege Sainz noch beim Stopp war. Am Funk hörte man Leclerc nur noch fluchen, am Ende musste er sich trotz eines makellosen Rennens seinerseits mit Platz vier zufrieden geben.

Charles Leclerc enttäuscht, Silverstone, 2022
Foto: © getty

Noch mehr Ferrari-Debakel folgten

Baku 2022: Die beiden Ferrari-Piloten liegen im Rennen auf den Rängen zwei und vier. In Runde neun endete das Rennen für Carlos Sainz durch einen technischen Defekt. Charles Leclerc, der durchaus Chancen auf den Sieg gehabt hätte, blühte nur elf Runden später das gleiche Schicksal - Doppel-DNF für Ferrari.

In Silverstone durfte der WM-Zweite aus Monaco trotz besserer Pace nicht an seinem Teamkollegen vorbei, ehe dieser zur Box fuhr. Selbes Szenario nach dem Stopp von Leclerc, der erst in Runde 31 überholen durfte.

Dann folgte eine Safety-Car-Phase, in der Ferrari den Monegassen aus unerklärlichen Gründen nicht zum Stopp holte. Mit seinen alten, harten Reifen hatte er gegen die Konkurrenz keine Chance und verlor den nächsten Sieg. Die Entscheidungen von Ferrari hinterließen viele Fragen.

Es sollte einfach nicht sein 

Seinen vorerst letzten Sieg holte Leclerc beim Österreich-GP, wo sich Ferrari und Red Bull einen echten Strategie-Fight lieferten. Doch auch dieser Erfolg wurde von technischen Problemen begleitet: Während der Ferrari von Sainz in Flammen aufging, hatte der Youngster im zweiten Ferrari mit einem Problem am Gaspedal zu kämpfen, was ihm beinahe den Sieg kostete.

Es war der Wurm drinnen – bis zum Ende der Saison. In den Niederlanden kam Sainz zum Boxenstopp, wo nur drei Reifen bereitstanden, in Brasilien schickte man Leclerc im Qualifying mit Intermediates auf die trockene Strecke.

Eine Kombination aus seltenen Eigenfehlern, falschen Strategien, der mangelnden Zuverlässigkeit des Autos und fehlender Entwicklung war es letztendlich, was die WM-Träume von Charles Leclerc und Ferrari erneut zum Platzen brachte. Der Vizeweltmeister-Titel war für ihn nur ein schwacher Trost.

2023 - altbekannte Probleme bei Ferrari

2023 kämpft man bei Ferrari mit altbekannten Problemen: Die Pace reicht nicht, um mit der Konkurrenz mitzuhalten. Dazu kommt der massive Reifenverschleiß des SF-23, sowie neuerliche Strategie-Fauxpas, wie etwa in Austin, als man den 26-Jährigen auf einer zum Scheitern verurteilten Ein-Stopp-Strategie seinem Schicksal überließ.

Beim Qualifying in Kanada blamierte sich Ferrari erneut: Zunächst ging es mit Intermediates auf die feuchte Strecke, die jedoch schnell trocknete. Am Funk wollte Leclerc deshalb auf Slicks wechseln, Ferrari hingegen beharrte auf Intermediates, steckte viel zu spät um, der Monegasse schied als Elfter in Q2 aus.

Die fehlende Pace lag wohl vor allem auch daran, dass man nach den zahlreichen Ausfällen wegen technischer Defekte 2022 zurückschraubte, um die Zuverlässigkeit des Autos zu verbessern. Doch auch 2023 blieben Defekte nicht aus, wie in Bahrain oder Brasilien.

Vier Podiumsplätze und vier Pole-Positions (Stand nach 21 von 23 Rennen) stehen bei Leclerc zu Buche, ein Rennsieg fehlt aber. Für das große Talent waren die vergangenen fünf Jahre mit Ferrari definitiv nicht das, was er sich bei seinem Aufstieg zum stolzen Team vorgestellt hatte.

Leclerc auf Pole - der Grand Prix von Las Vegas, Sonntag, ab 7:00 Uhr im LIVE-Ticker >>>

Verschwendetes Talent?

Angesichts der vergangenen fünf Saisonen kann man sich nun berechtigt fragen: Wird das Talent von Charles Leclerc bei Ferrari verschwendet?

Zwar leistete sich der 26-Jährige auch Eigenfehler, diese wurden aber schon deutlich weniger. Auch Verstappen passierte dies in seinen ersten Formel-1-Jahren -  nachdem er die Fehler abstellte, sieht man nun aber, wo der Niederländer steht.

Der Ferrari-Pilot hat noch viel zu lernen, bei ihm spielen aber auch andere Faktoren eine große Rolle. Von seinem Team fühlte sich der Monegasse nicht nur einmal im Stich gelassen, seien es falsche Strategien oder fragwürdige Order am Funk. Hinzu kommen auch noch Probleme mit dem Wagen, der in den letzten Jahren nie über eine ganze Saison konkurrenzfähig war.

Charles Leclerc nach seinem zweiten Platz in Singapur, 2022
Foto: © getty

Es lassen sich unzählige "Was wäre, wenn"-Fragen stellen.

Die Frustration seitens Leclerc ist verständlich. Mit seinem Wechsel zu Ferrari erhoffte er sich, seinen Traum vom Titel zu erfüllen - bis jetzt ohne Erfolg. Droht dem Monegassen ein ähnliches Schicksal wie Sebastian Vettel, der nach vier Titeln mit Red Bull zu den Roten wechselte, um Ähnliches zu erreichen und über sechs Saisonen scheiterte?

"Sky"-Experte Ralf Schumacher meinte etwa kürzlich: "Leclerc ist jetzt so ein bisschen am Scheideweg, finde ich. Er muss jetzt schon gucken, denn es nützt nichts, das ewige Talent zu sein, das superschnell ist, es aber am Ende nicht hinkriegt."

Was macht Leclerc in der Zukunft?

Leclercs aktueller Vertrag bei Ferrari läuft noch bis Ende 2024. Bisher gab es keine Verlängerung, mittlerweile ist es auch nicht mehr so sicher, dass es dazu kommt. Nach dem Aus in Brasilien ist der Frust bei dem 26-Jährigen weiter angewachsen.

Zwar beteuert er trotz anhaltender Fehlentscheidungen immer wieder, dass er Ferrari treu bleiben würde. So meint Leclerc: "Mein oberstes Ziel und mein oberster Traum ist es, Weltmeister mit Ferrari zu werden. Wenn es also auch nur eine kleine Chance gibt, werde ich ohne Zweifel darauf drängen, hier zu bleiben."

Ganz verschlossen ist er allerdings nicht: "Ich glaube, jeder Fahrer hat über seine verschiedenen Optionen nachgedacht."

In welchem Cockpit sitzt der Monegasse nach 2024? Welche Möglichkeiten öffnen sich überhaupt?

Charles Leclerc in Rot - aber wie lange noch?

Ob Leclerc es tatsächlich übers Herz bringt, seine große Liebe Ferrari zu verlassen, bleibt abzuwarten.

2025 gibt es für den Ferrari-Piloten einige attraktive Optionen. So soll es unter anderem ein neues Team rund um Michael Andretti geben. Frischer Wind, der ihm vielleicht gut tun könnte.

Zahlreiche Verträge laufen mit dem Ende der kommenden Saison aus, so auch der von Sergio Perez, der bei Red Bull immer wieder in die Kritik gerät. Ob ein Red-Bull-Cockpit für Charles Leclerc eine Option wäre? Fraglich, aber durchaus eine plausible Möglichkeit.

Hier muss man sich aber auch fragen: Würde er neben Verstappen die Chance bekommen, sich fair mit dem Niederländer zu messen, oder müsste der 26-Jährige die zweite Geige spielen?

Fest steht: Viel wird wohl auch von der Saison 2024 abhängen. Die nächste große Regeländerung kommt zwar erst 2026, somit ist es unwahrscheinlich, dass die Dominanz von Red Bull davor ein Ende findet.

2024 will Ferrari das besser machen, was heuer schiefgelaufen ist. Dazu gehört vor allem das Konzept des Autos, mit dem man sich deutlich vergriffen hat. Man kündigte bereits ein brandneues Auto für die kommende Saison an, dass die Sorgen der letzten Jahre beseitigen soll.

Allerdings muss man sich auch in Sachen Strategien und Teamorder verbessern, um das Top-Talent weiter halten zu können. Sollte es Ferrari gelingen, das Maximum aus den aktuellen Regeln und Mitteln herauszuholen, wird der Verbleib Leclercs mit Sicherheit wahrscheinlicher.

Gelingt dies nicht, stehen dem Monegassen 2025 viele Türen offen, um sich seine WM-Träume zu erfüllen, wenn auch nicht mit seiner geliebten Scuderia.

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