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Kommentar: Ein Loch als ÖFB-"Glücksfall"?

Debatte ums Nationalstadion war eingeschlafen. ÖFB muss diese Steilvorlage nutzen.

Kommentar: Ein Loch als ÖFB-

Eigentlich kann man es ja nicht erfinden, dass es ein 40 Zentimeter tiefes Loch, mit dem sich die "Sportstadt" Wien bis auf die Knochen blamiert hat, braucht, um die Infrastruktur-Debatte rund um den Fußball-Platz im Wiener Prater wieder in Gang zu bringen.

Zudem kann einem Ralf Rangnick fast Leid tun, dass den ansprechenden Leistungen in den ersten beiden Partien in seiner Amtszeit ein wenig die Show gestohlen wurde.

Aber wenn einen selbst denkbar branchenferne Bekannte ansprechen, was denn da gerade wieder los ist und beispielsweise sogar die ansonsten meist eher Nationalteam-abstinente ZIB1 darüber berichtet, hat dies eine Dimension der Aufmerksamkeit erreicht, die über den reinen Sportfan hinausgeht.

Und dann war da auch noch ein Stromausfall, der mittlerweile zur Randnotiz verkommen ist.

Ein Loch als "Glücksfall" für den ÖFB?

In einer perfekten Welt könnte man ja auf einen Glücksfall hoffen, dass diese Peinlichkeit im Doppelpack ein Umdenken provoziert und ernsthafte Verhandlungen im Hinblick auf ein Nationalstadion in Gang bringt.

Realistisch gesehen, ist man inzwischen jedoch schon froh, dass zumindest die eingeschlafene Debatte über die marode Infrastruktur des Happel-Stadions wieder startet – und dies sollte der ÖFB auch unbedingt forcieren!

Wer weiß schon, wann der nächste "Loch-Pass" (versprochen, das einzige dumme Wortspiel) kommt, um das Thema öffentlichkeitswirksam anzuschieben.

Dass der ÖFB mit Amtsantritt von Präsident Gerhard Milletich das Thema Nationalstadion in der Prioritäten-Liste nach hinten gereiht hat, mag pandemiebedingt und aus finanziellen Überlegungen heraus nachvollziehbar sein.

Auch ist es irgendwo zu verstehen, sich als ersten Mindest-Fortschritt auf ein eigenes Trainingszentrum zu konzentrieren, um sich nicht mehr – völlig zurecht übrigens – von eigenen Spielern verspotten lassen zu müssen.

Dass selbige sich sehnlichst ein würdiges Stadion in Wien wünschen und bei Auswärtsspielen bisweilen Neid über andernorts aus dem Boden gestampfte Fußball-Tempel aufkommt, ist ebenso alles, nur kein Geheimnis.

Aber gut, so lange es immer noch Verantwortungsträger gibt, die erstens glauben, dass das Happel-Stadion eh leiwand ist und zweitens wenn ein neuer Anstrich genügt, besteht wenig Hoffnung.

Dabei könnte ein Metropole wie Wien durchaus das Selbstvertrauen haben, dass eine Multifunktions-Arena, in der eben nicht nur Fußball gespielt wird, eine Bereicherung darstellt, die sich auch wirtschaftlich abbilden lässt.

Ceferins Appell

Man kann auch die Worte von UEFA-Präsident Aleksander Ceferin unterscheiben, der unlängst in der "Presse" bedauert hat:

"Ich denke, im Vergleich zu der Größe von Österreich und der wirtschaftlichen Situation ist die Infrastruktur nicht wirklich perfekt, um es höflich zu formulieren. Speziell in Wien sind die Stadien nicht ideal, auch vom Platz her nicht ausreichend für große UEFA-Spiele oder gar ein Finale. Dabei wäre die Stadt prädestiniert dafür mit vielen Hotels und dem nahen Airport. Es ist eine global bekannte Stadt, aber das genügt nicht. Österreich und Wien brauchen unbedingt, denke ich, ein großes, modernes Stadion. Wenn man sich verbessern will, dann sollte die Infrastruktur besser sein."

Keine Frage, auch wenn man sich mit der Sportbrille hier eine zufriedenstellende Lösung wünscht, darf man Gegenargumente nicht von vornherein vom Tisch wischen.

Wir alle kennen die Probleme der Gegenwart. Selbstverständlich kann man der Meinung sein, dass es sinnvollere Bereiche gibt, um Geld zu investieren. Ich sehe es auch so, dass man – nur als Beispiel – keinen Euro zu viel in das Thema Pflege stecken kann.

Letztlich wäre ein neues Stadion selbstverständlich ohnehin nur zu befürworten, wenn es ein schlüssiges Konzept für regelmäßige und gewinnbringende Bespielung gibt. Das ist einer Stadt wie Wien allerdings zuzutrauen, und dann wäre es genau so zu behandeln wie viele andere Projekte, die – vielleicht weniger öffentlichkeitswirksam – ja auch umgesetzt werden.

Dem ÖFB und vor allem seinen Fans wäre es jedenfalls zu wünschen, dass mittelfristig doch noch Bewegung in diese Causa kommt und in der Bundeshauptstadt irgendwann ein würdiges Stadion mit entsprechendem Fassungsvermögen steht, das noch dazu vereinsneutral ist, was vielen Anhängern nicht unwichtig ist.

Vorerst ist es ebenso legitim wie alternativlos, dass Geschäftsführer Bernhard Neuhold laut darüber nachdenkt, nun eben noch mehr in die Bundesländer auszuweichen.

In Klagenfurt, Salzburg und Innsbruck stehen Stadien, die zumindest gegen manche Gegner ausreichen. Auch in Linz leistet man sich gerade ein neues Stadion mit moderner Infrastruktur.

Der ÖFB und die Fan-Arbeit

Ein kleiner Schwenk in Richtung Fans sei noch erlaubt: Dass das Happel-Stadion gegen Frankreich endlich wieder einmal ausverkauft ist, erwähnt der Fußball-Bund zwar gerne, lässt sich aus ÖFB-Sicht jedoch bestenfalls bittersüß analysieren.

Denn das gegen einen keinesfalls unattraktiven Gegner wie Dänemark beim Debüt eines neuen Teamchefs nach einem 3:0-Erfolg in Kroatien gerade einmal 18.700 Zuschauer in den Prater pilgerten, deutet darauf hin, dass gegen Frankreich viele "Weltmeister schauen gehen".

Und ja, der Pfingstmontag als Termin war ungünstig, aber man möge bitte aufhören sich selbst zu belügen und stets äußere Umstände für enttäuschenden Zuspruch vorzuschieben. Auch an diesem Termin wäre ein besserer Besuch möglich gewesen.

Dass die Wunden der sportlichen Talfahrt in jüngerer Vergangenheit nicht verheilt sind, ist eine Vermutung, die man gelten lassen kann. Hier ist jedoch offenkundig Besserung in Sicht.

Dennoch gilt es für den ÖFB weiterhin, um jeden Fan zu kämpfen, denn der "Liebesentzug" ist nun wirklich keine neue Problematik, sondern auch in besseren Zeiten auffällig gewesen und über die Jahre bestens dokumentiert – zum Beispiel hier, hier oder hier.

Dass Rangnicks attraktive Philosophie vergraultes Publikum wieder anlocken könnte, ist denkbar. Man sollte sich jedoch nicht nur auf ihn verlassen.

Es wäre schön, wenn man wieder behaupten könnte, dass das Stadion (welches auch immer) wegen des eigenen Nationalteams ausverkauft ist und nicht wegen eines spektakulären Gegners.

So lange ist es auch wieder nicht her, dass dies der Normalzustand war…

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