news

Liebesentzug: Der ÖFB-Kampf um die Fans

ÖFB-Team droht Minuskulisse. Funke sprang jedoch schon vor Corona nicht mehr über.

Liebesentzug: Der ÖFB-Kampf um die Fans Foto: © GEPA

Sagen wir so: Rauschende Fußball-Feste sind in Klagenfurt nicht zu erwarten.

Gut möglich, dass die beiden abschließenden Heimspiele gegen Israel (Freitag, 20:45 Uhr im LIVE-Ticker) und die Republik Moldau irgendwann einmal als finale Schritte zur WM 2022 samt anschließender Party angedacht waren.

Es kam bekanntlich anders. Ganz anders.

Das Ambiente im Wörthersee-Stadion dürfte in beiden Matches zum Stimmungsbild in Sachen ÖFB-Nationalteam passen. Für das Israel-Match wurden bis Donnerstag 3000 Tickets im Vorverkauf abgesetzt - es droht eine Minuskulisse bei einem ÖFB-Pflichtspiel seit 1945, bei dem Zuschauer erlaubt waren.

Was den zu erwartenden Zuschauerzuspruch betrifft, kommt für den ÖFB auch einiges zusammen.

Sportliche Krise plus Corona-Situation mit 2G-Regel und der witterungsbedingt generell nicht allzu beliebte November-Termin - kein Mix, der einen zwingt, das "Ausverkauft"-Schild abzustauben.

Ein oft gehörter Satz

Gut, dieses Schild kam bei Heimspielen des österreichischen A-Teams schon vor der Corona-Krise längere Zeit nur mehr selten zum Einsatz. Aber dazu in Kürze mehr.

Bleiben wir bei der aktuellen Situation. Die ÖFB-Kicker haben den Liebesentzug vieler Fans natürlich registriert, entsprechend oft hörte man in dieser Woche in Klagenfurt den Satz, dass man die Anhänger zurückgewinnen müsse.

"Wir haben aus den letzten Spielen etwas gut zu machen für unsere Fans, von denen wir sicherlich einige verloren haben. Wir müssen auch für sie spielen und sie mit zwei Siegen mit guten Leistungen wieder auf unsere Seite bringen", fordert etwa Aleksandar Dragovic.

Baumgartner: "Hatten ganz Österreich auf unserer Seite"

Vor allem wie rasant man den durch die ordentliche EURO erspielten Kredit beim Publikum wieder verspielt hat, schmerzt.

"Das ist natürlich traurig", bestätigt Christoph Baumgartner, "wir hatten ganz Österreich auf unserer Seite. Jetzt ist es so, dass viele nicht mehr so positiv über das Nationalteam reden - und das auch verständlicherweise, weil wir die Leistungen nicht erbracht haben. Im Sport und speziell im Fußball, wo die Aufmerksamkeit so groß ist, kann es dann eben sehr schnell gehen."

Gerade die Corona-Situation hat die Bindung der Fans an das Nationalteam nicht gerade gefördert. 2020 und 2021 gab es mehrheitlich Geisterspiele beziehungsweise Partien mit Beschränkungen.

Die Pandemie als Argument in Sachen Fans ist ein verständlicher erster Reflex, greift aber natürlich zu kurz beziehungsweise würde es sich der ÖFB zu leicht machen.

Schon 2019 sprang der Funke nicht über

Zur Erinnerung: Schon vor zwei Jahren im Herbst 2019 auf dem Erfolgsweg zur EURO galt es noch ganz pandemielos zu erörtern, warum der Funke auf die Fans nicht mehr überspringt. Damals übrigens auch vor einem Heimspiel gegen Israel, allerdings anders als diesmal einem für die Quali extrem relevanten Showdown.

22.000 Karten wurden damals nur im Vorverkauf abgesetzt, man mutmaßte kurioserweise gar unter anderem über einen möglichen Übersättigungseffekt angesichts der Europacup-Erfolge heimischer Vereine.

Letztlich pilgerten 26.200 Zuschauer ins Happel-Stadion. Eine Enttäuschung angesichts der Bedeutung des Duells mit damals vom ÖFB-Rekordinternationalen Andreas Herzog gecoachten Israelis.

Wie vor einem Jahrzehnt

Die Zeiten ändern sich, von 22.000 im Vorverkauf abgesetzten Karten kann man derzeit nur träumen. Aber man ist ja auch bei weitem nicht auf dem Weg zu einer Turnier-Qualifikation.

Provokant ausgedrückt, ist Österreich ungefähr da, wo man vor zehn Jahren war, als man die Teilnahme an der EURO 2012 als Gruppen-Vierter klar verpasst hat.

Im November 2011 übernahm Marcel Koller mit einem Auswärtsspiel in der Ukraine das Ruder als Teamchef. Sein erstes Heimspiel stieg in Klagenfurt gegen Finnland und lockte 10.200 Zuschauer an.

Die Zuschauerzahlen bei ÖFB-Heimspielen der letzten 10 Jahre im Überblick:

Jahr Gegner Ort Zuschauer
2012
Finnland Klagenfurt 10.200
Ukraine Innsbruck 13.000
Rumänien Innsbruck 12.500
Türkei Wien 23.500
Deutschland Wien 47.000
Kasachstan Wien 43.000
Elfenbeinküste Linz 13.832
2013
Färöer Wien 24.200
Schweden Wien 48.500
Griechenland Salzburg 23.400
Irland Wien 48.500
USA Wien 20.200
2014
Uruguay Klagenfurt 22.000
Island Innsbruck 13.800
Schweden Wien 48.500
Montenegro Wien 44.200
Russland Wien 47.500
Brasilien Wien 48.500
2015
Bosnien-Herzegowina Wien 48.500
Moldawien Wien 48.500
Liechtenstein Wien 48.500
Schweiz Wien 27.600
2016
Albanien Wien 28.600
Türkei Wien 26.700
Malta Klagenfurt 20.200
Niederlande Wien 48.500
Wales Wien 44.200
Irland Wien 48.500
Slowakei Wien 14.200
2017
Moldawien Wien 21.000
Finnland Innsbruck 13.700
Georgien Wien 13.400
Serbien Wien 42.400
Uruguay Wien 11.700
2018
Slowenien Klagenfurt 18.100
Russland Innsbruck 14.500
Deutschland Klagenfurt 29.200
Brasilien Wien 48.500
Schweden Wien (Generali-Arena) 11.100
Nordirland Wien 22.300
Bosnien-Herzegowina Wien 37.200
2019
Polen Wien 40.400
Slowenien Klagenfurt 19.200
Lettland Salzburg 16.300
Israel Wien 26.200
Nordmazedonien Wien 41.100
2020
Rumänien Klagenfurt Geisterspiel
Griechenland Klagenfurt 1500 (3000 erlaubt)
Nordirland Wien Geisterspiel
Norwegen Wien Geisterspiel
2021
Färöer Wien Geisterspiel
Dänemark Wien Geisterspiel
Slowakei Wien 3000 (Beschränkungen)
Schottland Wien 18.800

Neue Aufbruchstimmung? Fehlanzeige

Koller platzierte - auch durchaus verbal offensiv - den Kampf um jeden Fan weit oben auf der Agenda und setzte durch, dass zumindest Pflichtspiele ausschließlich im Happel-Stadion ausgetragen werden. Auch gegen Underdogs.

Der Zuschauer-Andrang stieg möglicherweise sogar rasanter als der sportliche Erfolg, schließlich waren auch die meisten Heimspiele im Rahmen der letztlich verpassten Qualifikation für die WM 2014 entweder ausverkauft oder knapp dran.

Auf dem Weg zur EURO 2016 herrschte schließlich mitunter ein ziemliches Gerangel um die Tickets. Selbiges ließ bereits im finalen Drittel der Koller-Ära mit immer öfter ausbleibenden Ergebnissen nach.

Eine neue Aufbruchstimmung konnte unter der Anleitung von Franco Foda als Teamchef trotz wieder besserer Ergebnisse nicht wirklich erzeugt werden.

Dabei sein ist ohne Spektakel scheinbar nicht alles

Sieht man von Kracher-Gegnern wie Deutschland oder Brasilien ab, gelang es kaum, die jeweiligen Arenen zu füllen. Dass der finale Schritt zur EM gegen Nordmazedonien im November 2019 nicht ausverkauft war, war sowieso eine Enttäuschung.

Möglicherweise ist dabei sein tatsächlich nicht alles, wenn auf dem Feld zu oft kein Spektakel geboten wird. In der Mitte der Zehner-Jahre konnte man sich zumindest darauf halbwegs verlassen, dass mitreißender Fußball versucht wird.

Diese Einordnung im etwas größeren Kontext soll illustrieren, dass auf den ÖFB nach der ersehnten Bewältigung der Pandemie eine ziemliche Aufgabe zukommen wird, wenn man wieder mehr Leute abseits des (auch auswärts) ohnehin bewundernswert treuen Fan-Kerns ansprechen möchte.

Und das ist zuvorderst sportlich gemeint - weitere Themen wie beispielsweise Ticket-Preise oder gerade im Wiener Prater auch die Infrastruktur verschwinden dadurch jedoch nicht.

Dann wird die Hütte wieder voll sein

Dass es schon wichtigere Länderspiele als jene gegen Israel oder Moldawien gegeben hat, ist so. Logisch. Gleichzeitig kommt ihnen in diesem Kontext durchaus eine gewisse Bedeutung zu.

Weitere Ausrutscher wären im Hinblick auf die Rückgewinnung der Fans äußerst kontraproduktiv. Mannschaftsintern hofft man darauf, dass man ebenso schnell wieder eine Euphorie entfachen kann, wie man sie nach der EURO vergeigt hat.

"Ich bin überzeugt, dass es auch schnell in die andere Richtung gehen kann. Wenn wir, rein hypothetisch gesehen, jetzt zwei gute Spiele abliefern und im März das Playoff-Auswärtsspiel gewinnen und dann möglicherweise ein Heimspiel um die WM-Quali hätten, bin ich mir hundertprozentig sicher, dass die Hütte voll sein wird, wenn es Corona zulässt", unterstreicht Baumgartner.

Noch ein bisschen viel Konjunktiv, aber natürlich alles andere als ausgeschlossen. Der Hoffenheim-Legionär ist jedenfalls um Wiedergutmachung bemüht: "Die Verantwortlichen sind wir. Wir haben es selbst in der Hand. Wir werden uns jetzt alle zusammenreißen und alles geben, damit wir unsere Fans wieder zurückgewinnen."

Mit Fans wäre es schöner

Ähnlich sieht es sein Vereins-Kollege Florian Grillitsch: "Erfolgreich sein, gewinnen, guten Fußball zeigen, dann werden auch wieder mehr Leute kommen. Der Fußball ist schnelllebig. Wenn wir gewinnen, sind wir die Besten. Wenn wir verlieren, sind wir die Schlechtesten und machen alles falsch. Bringen wir unsere Leistung und sind wieder erfolgreich, wird auch die Stimmung wieder besser werden."

Bis dahin bleibt man mit den hartgesottenen Anhängern unter sich, speziell in Klagenfurt. Diverse Spieler betonen, dass man aufgrund der Geisterspiele in den vergangenen eineinhalb Jahren fehlende Atmosphäre gewohnt sei.

Marko Arnautovic will sich jedenfalls den Spaß an der Sache auch bei diesen beiden Spielen nicht nehmen lassen:

"Für uns Spieler ist es immer schöner, ein volles Stadion zu haben. Das wird nicht der Fall sein, das heißt aber nicht, dass wir Spieler keine Lust haben, Fußball zu spielen. Wir sind Fußballer, haben unser Hobby zum Beruf gemacht und lieben jeden Moment, an dem wir am Platz stehen und den Ball am Fuß haben."

Nachsatz: "Aber mit Fans wäre es natürlich schöner."


Kommentare