Von außen wirkt alles wie im Film. Profi-Debüt mit 15 Jahren, Nationalteamdebüt mit 16, Europameister mit 17 und bald mit 18 Jahren der erste Ballon d'or?
Bei Lamine Yamal reichen die Superlative längst nicht mehr aus. Der linke Fuß, die Position auf dem rechten Flügel, die Herkunft aus La Masia – vieles erinnert an den großen Lionel Messi. Doch es sind nicht nur die Fakten, sondern auch die Wahrheit auf dem Platz.
Der Flügelstürmer besticht mit einer selten gesehenen Lockerheit und trägt den großen FC Barcelona bereits in jungen Jahren auf den eigenen Schultern. Wenn's eng wird, suchen alle Lamine Yamal. Wie einst Messi.
Mit frischen 18 Jahren (Anm. Yamal feiert am 13. Juli Geburtstag) ist der Spanier drauf und dran, der nächste Superstar des Weltfußballs zu werden. 106 Spiele für den FC Barcelona, 21 Länderspiele für Spanien, zwei Meistertitel, ein Pokalsieg und Europameister – seine Bilanz liest sich wie von einem gestandenen Weltstar. Trotzdem ist Yamal gerade erst volljährig geworden.
Mit einem Marktwert von 200 Millionen Euro ist der Youngster mittlerweile auch der wertvollste Spieler dieses Planeten.
Die Zahlen einer Fabelsaison
Die Fußballwelt hat schon viele Wunderkinder kommen und gehen sehen – von Martin Ødegaard über Bojan Krkic bis hin zu Ansu Fati. Doch bei Yamal spürt man: Etwas ist anders.
In einer Mannschaft im Umbruch, in einem Klub, der mehr Fragen als Antworten hat, war da plötzlich dieser Junge, der die Fans endlich wieder träumen lässt.
Seit zwei Jahren beackert der Linksfuß unermüdlich die rechte Seite der Katalanen. In der abgelaufenen Saison war er mit 18 Toren und 25 Vorlagen aus 55 Pflichtspielen nach Raphinha und Lewandowski der drittbeste Scorer des Doublesiegers.

Doch Zahlen erzählen immer nur einen Teil der Geschichte.
Denn Yamal ist vor allem eines: Ein Big-Game-Player. In vier Clasicos gelangen ihm drei Tore und zwei Assists.
Als Barça im Champions-League-Halbfinale gegen Inter Mailand ins Wanken geriet, war es Yamal, der die Schulter senkte, drei Gegenspieler stehenließ und die Kugel sehenswert ins Eck schlenzte.
Es sind genau diese Momente, die ihn, obwohl seine Zahlen hinter jenen von Klubkollege Raphinha liegen, neben PSG-Star Ousmane Dembélé, zu einem der heißesten Ballon-d'or-Kandidaten machen.
Neuer Superstar aus La Masia
Doch woher kommt sein unglaubliches Talent und was zeichnet den neuen Superstar aus?
Seine Entwicklung ist kein Zufall, sondern das Ergebnis einer systematischen Ausbildung. Mit fünf Jahren wechselte Yamal zu Barca in die legendäre Jugendakademie La Masia. Dort durchlief er sämtliche Altersstufen und wurde bereits früh gegen ältere Jahrgänge eingesetzt.
Sein Name machte im Klub schon die Runde, als er noch nicht einmal zwölf Jahre alt war.

La Masia – das steht für mehr als nur Talentförderung. Es ist Identität, Philosophie, Fußballkultur. Spieler wie Lionel Messi, Xavi, Andres Iniesta oder Sergio Busquets wurden dort groß. Erfolg geht beim FC Barcelona auch immer mit La Masia Hand in Hand.
Initiiert in den 90er Jahren von Legende Johan Cruyff erlebte La Masia zwischen 2008 und 2012 unter Pep Guardiola seinen Höhepunkt. Es war gleichzeitig die erfolgreichste Zeit der Vereins-Ära, mit vier Champions-League-Titeln (2006, 2009, 2011 und 2015) sowie diversen nationalen Titeln.
Am 25. November 2012 spielte Barca gegen UD Levante in der Liga mit einer Elf lediglich bestehend aus La-Masia-Absolventen.
Finanzielle Krise – Sergi Roberto und dann lange nichts
Doch danach schlitterte der Klub in eine große Krise, die zeigte, dass die enorm hohe Durchlässigkeit zwischen Jugendakademie und Profis keine Selbstverständlichkeit ist.
Mit Sergi Roberto schaffte es innerhalb von knapp sieben Jahren nur ein einziger Spieler aus La Masia, sich als Stammspieler bei den Profis zu etablieren. Stattdessen gaben die Katalanen Unsummen für Neuzugänge aus - allein zwischen 2017 und 2020 über 800 Millionen Euro. La Masia wirkte plötzlich wie ein nostalgisches Relikt.

Was folgte, ist ohnehin bekannt: Barca verschuldete sich extrem, Lionel Messi konnte nicht mehr finanziert werden und musste den Verein verlassen.
Die finanzielle Schieflage zwang den Topklub zur Rückbesinnung. Und plötzlich lieferte La Masia wieder: Seit 2020 feierten 23 Absolventen ihr Profi-Debüt – aber keiner hinterließ so tiefe Spuren wie Yamal.
Sein Durchbruch wäre ohne die wirtschaftliche Krise womöglich gar nicht so früh erfolgt.
Doch er nutzte seine Chance – und wurde nicht nur Stammspieler, sondern bald das neue Gesicht des Vereins.
Messi badet den jungen Yamal
Ein fast schon mythisches Bild: Lionel Messi badet den kleinen Lamine Yamal – aufgenommen für einen UNICEF-Kalender. Heute wirkt es wie eine Prophezeiung: Der eine geht, der andere kommt.
Mit nur 15 Jahren feierte er unter Ex-Trainer Xavi sein Debüt in der spanischen Liga. So früh wie kein anderer vor ihm, nicht mal Messi.
Xavi vertraute ihm, Yamal dankte es ihm mit guten Leistungen zurück. Zugleich profitierte der Teenager auch von der wirtschaftlichen Lage. Denn hätte Barca das Geld für Superstars gehabt, wäre vielleicht alles anders gekommen.
Die Rückkehr der Nummer 10
Und so entwickelte sich der Youngster zum neuen Gesicht des FC Barcelona und zum logischen Nachfolger von Lionel Messi. Das wird nach dem Abgang von Ansu Fati nun auch nochmal untermalt. Yamal wird in große Fußstapfen treten und wohl die legendäre Rückennummer zehn, die zuvor unter anderem Messi, Ronaldinho und Diego Maradonna trugen, übernehmen.
Eine Bürde? Vielleicht. Aber Yamal wirkt wie jemand, der keine Angst vor großen Aufgaben hat.
Was ihn auszeichnet, ist nicht nur seine Technik oder Kreativität – sondern eine außergewöhnliche Ruhe, Spielintelligenz und Entscheidungsqualität. Yamal trifft die richtigen Entscheidungen, wenn andere die Nerven verlieren.
Ansu Fati als mahnendes Beispiel
Doch bei all dem Hype bleibt auch eine Mahnung. Ansu Fati galt einst ebenfalls als "neuer Messi", verletzte sich danach dreimal schwer am Knie und fand bis heute nie mehr seine damalige Form.
Die zentrale Frage wird sein, ob Yamal körperlich gesund bleibt – und ob er dem gigantischen Erwartungsdruck standhält. Die Fußballwelt ist schneller, lauter und unbarmherziger geworden. Schon jetzt steht jeder seiner Schritte unter Beobachtung.

Auch Superstar Cristiano Ronaldo versuchte Yamal zuletzt den Druck zu nehmen: "Er schöpft seine Fähigkeiten voll aus. Nun lasst den Jungen wachsen und macht ihm nicht zu viel Druck."
Und doch: Wer Yamal spielen sieht, spürt, dass hier etwas Außergewöhnliches entsteht.
Dass seine Entwicklung nicht künstlich beschleunigt, sondern organisch gewachsen ist. Dass er nicht nur von einem System getragen wird, sondern selbst das System prägt.
Vielleicht ist der Hype gefährlich. Vielleicht ist er überzogen. Oder vielleicht, so scheint es aktuell, ist er auch einfach berechtigt.
Denn möglicherweise erleben wir gerade den Anfang einer Karriere, die den Weltfußball auf Jahrzehnte prägen wird.