Gegründet wurde der Klub ursprünglich 1912 als FC "Pelikan" Havelse. Der Name bezog sich auf den ersten Ball, den die Gründungsmitglieder kauften - einen der Marke Pelikan. Unter dem Druck der Hyperinflation musste der Klub jedoch elf Jahre später aufgeben.
Ende der 1920er folgte die Neugründung als Turnverein Havelse, zunächst ohne Fußballabteilung. Erst 1933 kam diese hinzu – und aus dem TV wurde der TSV Havelse. Die Mitglieder schufen auch die erste eigene Heimstätte.
Das Gelände, auf dem heute das Wilhelm-Langrehr-Stadion steht, wurde damals von einem Landwirt gepachtet. Man begann mit einfachsten Mitteln: Die erste Umkleidekabine war kein Gebäude, sondern ein ausrangierter Eisenbahnwaggon.
Die "Toto-Elf aus Totohausen"
Nach dem Zweiten Weltkrieg übernahm Heinz Göing, Direktor des niedersächsischen Fußball-Totos, das Ruder – und plötzlich rollte das Geld.
Der TSV stieg auf, bekam den Spitznamen "Toto-Elf aus Totohausen", und schielte kurzzeitig Richtung Spitzenfußball. Der Aufschwung hatte Mitte der 1950er aber ein jähes Ende. Dem Klub wurde verstecktes Profitum vorgeworfen, ein Verstoß gegen das Amateurstatut. Die Folge: Zwangsabstieg in die dritte Liga und der Rücktritt Göings - der zudem auch seinen Job beim Toto verlor.
In den 1960ern rutschte der Verein bis in die Bezirksliga ab. Die Fußballer verloren im Mehrspartenverein an Bedeutung, 1974 drohten sie sogar mit Austritt – ein Wendepunkt.
Wilhelm Langrehr, legendärer Abteilungsleiter und heute Namensgeber des Stadions, holte Ex-Nationalspieler Hans Siemensmeyer als Trainer – und der führte den TSV zurück ins Rampenlicht der Oberliga Nord.
Finke, Freude, freier Fall
Im Jahr 1986 übernahm ein junger, ambitionierter Trainer namens Volker Finke die sportlichen Geschicke. Jener Mann, der beim SC Freiburg später zur Legende werden sollte, formte aus dem TSV Havelse eine Sensationstruppe, die 1990 sensationell in die zweite Liga aufstieg.
Mehr als 6.000 Zuschauer feierten den erstmaligen Sprung in den Profifußball. Rückblickend war der Moment des Aufstiegs aber auch der Beginn des Niedergangs. Denn der Schuh namens Profifußball war dem TSV Havelse mehrere Nummern zu groß. Nach nur einem Jahr folgte der Abstieg, anschließend der freie Fall bis in die sechste Liga.
Der Tod von Wilhelm Langrehr im Jahr 2000 stürzte den Verein in die schwerste Krise. Mit ihm verlor Havelse seine Galionsfigur, kurz darauf brach auch die Tennisabteilung zusammen – der Klub stand am Rande der Insolvenz. Erst der Verkauf zweier Tennisplätze rettete den TSV. Seither steht ein Supermarkt auf dem Vereinsgelände.
Bescheidenheit als Prinzip
Doch erneut sollte der Aufschwung gelingen. André Breitenreiter hielt als Trainer die Regionalliga, später war man sogar kurz vor dem Aufstieg in die 3. Liga. 2021 gelang dieser dann tatsächlich – zurück in den Profifußball, 31 Jahre nach Finke.
"Wir geben nur das aus, was wir haben."
Der TSV Havelse hat aus seiner Historie gelernt, wirtschaftliche Abenteuer sind seither Tabu. Man vertraute in großen Teilen der Aufstiegsmannschaft, startete mit dem kleinsten Budget der Liga in die Saison – und verlor die ersten sieben Spiele. Verstärkungen im Winter? Fehlanzeige.
"Wir treffen keine Entscheidungen, die andere Vereine vielleicht treffen würden und verpflichten teure Spieler, nur um die Liga zu halten. Wir geben nur das aus, was wir haben", sagt Klubsprecher Matthias Limbach im Gespräch mit LAOLA1. Der TSV stehe für Transparenz: Bei Mitgliederversammlungen werde jeder Euro offengelegt – sogar Spielergehälter.
Der direkte Wiederabstieg war die logische Folge. Doch Havelse blieb sich treu – und kehrte 2025 erneut zurück in den Profifußball. "Mit einem Budget von rund 450.000 Euro", sagt Limbach. Zum Vergleich: Topklubs der Regionalliga verfügen über das beinahe Zehnfache.
Aktuell arbeitet der TSV mit einem Gesamtetat von unter drei Millionen Euro – etwa einem Fünftel der Ligakonkurrenz. Ein großer Teil fließt in die Infrastruktur.
Ein Stadion, das nicht mitwächst
Wie schon 2021 darf Havelse seine Heimspiele nicht im Wilhelm-Langrehr-Stadion austragen. Der Grund: fehlende Drittligatauglichkeit. Stattdessen spielt man im Eilenriedestadion auf dem Gelände von Hannover 96.
Im Sommer trat der Klub die Flucht nach vorne an und rief die "Mission Profifußball" aus. Man wolle "die Region wachrütteln", sagt Limbach. "Wir denken, dass die Region Hannover durchaus zwei Profivereine verträgt. Mit unseren Aufstiegen zeigen wir ja immer wieder, dass wir wettbewerbsfähig sind. Am Ende des Tages brauchen wir politische Bewegung."
Derzeit liegt das Stadionthema mehr oder minder brach. Die Modernisierung am alten Standort ist wegen der Lage mitten im Ort und bürokratischer Hürden kaum machbar.
Spätestens beim diesjährigen Relegationsduell gegen Lok Leipzig zeigte sich die dort vorherrschende Enge. Die Havelser Heimstätte stieß an ihre Grenzen, als zwischen den Wohnhäusern und inmitten eines Großaufgebots der Polizei, hunderte Leipziger Fans lautstark auf sich aufmerksam machten. "Das hat in der Politik und in der Bevölkerung nicht für Vertrauen gesorgt", weiß Limbach.
Ein anderer Plan sei, ein neues Stadion in der neu zu entwickelnden Mitte von Garbsen zu errichten. Das würde zwar, so Limbach, durchaus Sinn machen - der Weg dahin ist aber noch weit, vor 2030 geht dort nichts. "Das dauert einfach zu lange", seufzt er.
Es brauche letztlich eine Entscheidung der Politik, ob Profifußball in Garbsen gewollt ist oder nicht. Man sei auch für "Zwischenlösungen" offen, etwa mit einem temporären Stadion.
TSV-Fans: Wenige, aber treu
Kommende Saison wird man aber wohl ohnedies wieder im Langrehr-Stadion spielen können. Denn auch diesmal scheint ein Klassenerhalt mehr als unrealistisch: Der TSV findet sich am unteren Ende der Tabelle wieder, der Rückstand zu den Nichtabstiegsrängen ist bereits zweistellig.
Trotz all dieser strukturellen Schwierigkeiten steht eine kleine, aber treue Anhängerschaft hinter dem TSV. Rund 600 bis 800 Zuschauer füllten in den letzten Jahren im Schnitt das Wilhelm-Langrehr-Stadion, bei Spitzenspielen auch über 1000. Im Eilenriedestadion sind es deutlich weniger – der Standort stößt bei vielen Fans auf Ablehnung.
Es gibt sogar einen Fanbetreuer und einen unerschütterlichen Kern von rund 50 bis 60 Anhängern, die dem Team auch auswärts folgen. "Aber das ist weit weg von einer organisierten Szene", sagt Limbach. Die meisten Fußballinteressierten der Region zieht es naturgemäß zu Hannover 96.
Ausbildung statt Abenteuer
Im Kader stehen kaum Vollprofis. Nur sieben Spieler – darunter zwei Leihgaben – sind hauptberuflich Fußballer. Alle anderen studieren oder arbeiten nebenher. "Wir trainieren nachmittags, damit jeder seinem Job oder Studium nachgehen kann", erklärt Limbach.
Der TSV Havelse versteht sich als familiärer Ausbildungsverein, die U19 etwa misst sich in der zweithöchsten Juniorenspielklasse mit Großklubs wie RB Leipzig, dem VfL Wolfsburg und dem HSV - trotz der Konkurrenz von vier Nachwuchsleistungszentren im Umkreis von 100 Kilometern in Hannover, Wolfsburg, Bremen und Braunschweig.
"In Havelse können sich Spieler anders entwickeln als in den großen Akademien."
"Wir geben Talenten, die in den Leistungszentren aussortiert werden, eine Möglichkeit, über Havelse doch den Sprung ins Profigeschäft zu schaffen", schildert Limbach die Herangehensweise.
Über 20 aktuelle Profis wurden in Havelse ausgebildet – darunter DFB-Stürmer Deniz Undav (VfB Stuttgart), BVB-Keeper Alexander Meyer und Daniel Kofi-Kyereh (SC Freiburg).
Auch die Familie Eggestein machte ihre ersten Schritte beim TSV. Der frühere LASK- und heutige Austria-Kicker Johannes und Bruder Maximilian (SC Freiburg) wurden bis zur U17 in Havelse ausgebildet. Vater Karl spielte ebenso in Havelse und war später Trainer der ersten Mannschaft.
Zwischen Waggon und Wirklichkeit
"Wir wollen Menschen zusammenführen und Verantwortung für junge Leute übernehmen", sagt Limbach. In Havelse könnten sich Spieler "anders entwickeln als in den großen Akademien".
Diese familiäre DNA will der Klub auch nach einer Etablierung im Profifußball bewahren. Doch dafür braucht es endlich eine konkurrenzfähige Infrastruktur.
Das alternde Langrehr-Stadion ist Stolperstein, spiegelt aber auch die Wurzeln des TSV Havelse wider. Hier, wo alles mit einem alten Eisenbahnwaggon begann, hat man sich den Glauben bewahrt, dass Fußball mehr sein kann als Geschäft.
Der TSV ist langsam gewachsen, hat Rückschläge erlebt und ist sich selbst treu geblieben - ein kleiner Klub, dessen Einfluss weit über Garbsen hinausreicht.
In Havelse hat man den deutschen Fußball auf seine Weise erfolgreich mitgeprägt. Ganz anders als die Stripfings und Untersiebenbrunns hierzulande, die ohne Fundament durch die Ligen rauschen.
Und doch steht der deutsche Drittligist heute vor einer Mauer aus Bürokratie und Beton. Vielleicht wird Havelse nie ein großer Verein sein. Aber es ist einer mit Authentizität und Bodenhaftung. Und manchmal ist das im Profifußball sogar wichtiger als sportliche Erfolge.