Endstand
4:0
1:0, 3:0
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"Haben Lehrgeld bezahlt" - Salzburg zu jung für die CL?

Die Mozartstädter unterboten beim Endspiel in Mailand ihren eigenen Altersrekord und wurden von erfahrenen Italienern abgekocht. Nun wollen sie daraus lernen.

Foto: © GEPA

21 Jahre und 226 Tage machte das Durschnittsalter des FC Salzburg zu Beginn der "Endspiels" der Gruppe E in der UEFA Champions League beim AC Milan aus.

Damit stellten die "Bullen" die drittjüngste Mannschaft der "Königsklassen"-Geschichte und unterboten ihren in der Vorwoche gegen Chelsea aufgestellten klubinternen Altersrekord im Europacup nochmal um einige Tage.

Am Ende können sich die Mozartstädter davon aber nichts kaufen. Die entscheidende Partie im San Siro, die sie für einen Achtelfinal-Aufstieg für sich entscheiden hätten müssen, verloren sie klar und verdient mit 0:4 (Spielbericht>>>) und dürfen nun nur dank Schützenhilfe aus London in der Europa League ihre internationale Kampagne fortsetzen.

"Zurzeit sind wir natürlich schon extrem jung. Das ist unser Weg, aber natürlich zahlt man dafür ein bisschen Lehrgeld", knirscht Sportdirektor Christoph Freund nach der Partie im altehrwürdigen Stadio Giuseppe Meazza.

Wer glaubt, dass Salzburgs Kaderplaner damit eine Diskussion um die seit Jahren mit Vollblut gelebte Klubphilosophie anstoßen möchte, kennt Freund allerdings schlecht.

"Das ist 100 Prozent Salzburg", so der entscheidende Nachsatz des 45-Jährigen, der so viel Spaß am Entdecken von immer neuen Rohdiamanten, die sich in der Mozartstadt ihren finalen Schliff holen, hat, dass er deshalb sogar ein Angebot des großen FC Chelsea ablehnte.

Jaissle trauert starker erster Halbzeit nach

Es verhält sich nämlich keineswegs so, dass diese extrem junge Salzburger Mannschaft sich in diesem Champions-League-Herbst auch nur im Ansatz blamiert hätte.

Obwohl die Mozartstädter Aufstellungen sich in den letzten Wochen immer wieder selbst an Jugend und Unerfahrenheit übertrafen, hielten die "Bullen" gegen absolute Weltklasse-Mannschaften wie den FC Chelsea und den AC Milan sowie ein abgekochtes Dinamo Zagreb stets gut mit und waren in keinem der sechs Partien die klare schwächere Mannschaft - auch beim zu hoch ausgefallenen 0:4 in Mailand nicht.

Gegen die "Rossoneri" wäre für die Mannschaft von Matthias Jaissle, der die Gruppenphase mit wenigen Wochen Vorsprung auf Neo-Kopenhagen-Coach Jacob Neestrup als jüngster Trainer beendete, speziell im ersten Durchgang einiges drinnen gewesen.

"Die erste Halbzeit war sehr gut, wir haben unseren Fußball auf den Platz gebracht, konnten Milan im Spiel gegen den Ball stressen und frühe Ballgewinne verzeichnen. Und auch mit Ball konnten wir unsere Muster spielen und uns immer wieder vor das Tor durchkombinieren", blickt Jaissle auf der Pressekonferenz nach dem Spiel durchaus zufrieden auf den ersten Durchgang zurück.

"Kaltschnäuzigkeit war der Unterschied"

Schon nach elf Minuten hätte Maurits Kjaergaard die Mozartstädter Gäste in Führung und das ausverkaufte San Siro damit zum Verstummen bringen können; nach Olivier Girouds Führungstreffer für das Heimteam kam zudem Junior Adamu zu zwei Sitzern, von denen zumindest einer drinnen sein hätte müssen.

Das bringt uns zur großen Problematik der Salzburger an diesem bitteren Abend in der Lombardei: Die Chancenverwertung.

"Es hat heute gefehlt, in der Box die gleiche Kaltschnäuzigkeit zu beweisen, wie es Milan auf der anderen Seite gemacht hat. Da war der Unterschied merklich zu erkennen. Da hat Milan heute einfach gezeigt, dass sie das bessere Team sind", bringt es Jaissle auf den Punkt.

Und Aushilfskapitän Max Wöber ergänzt bei "Sky": "Wenn man sich die ganzen 90 Minuten anschaut, dass sie vier Tore und wir kein einziges Tor geschossen haben, da merkt man diese individuelle Qualität, diese Kaltschnäuzigkeit. Wir waren in der ersten Hälfte ebenbürtig und haben sogar die besseren Chancen gehabt. Wir haben gespürt, dass da heute etwas möglich sein könnte. Wenn man dann in der 46. Minute mit der ersten Aktion das 0:2 kriegt, ist das eine schöne Gnackwatschen, von der haben wir uns nicht mehr erholt."

Milan-Sieg statistisch viel zu hoch ausgefallen

Diese "Gnackwatschen" erfolgte keine 42 Sekunden nach Wiederanpfiff in Form von Rade Krunic, der eine gute Kopfballvorlage des glänzend aufgelegten Giroud ebenfalls per Kopf zur Vorentscheidung versenkte. Salzburg hätte danach drei Tore für einen Aufstieg gebraucht, und diesen - das musste man leider rasch erkennen - trauten sich die blutjungen Mozartstädter schlicht nicht mehr zu.

"Wir haben uns in der Halbzeit viel vorgenommen, viel besprochen, mit Videoszenen gearbeitet und dann kommst du raus und bekommst du gleich das Tor. Das ist schon brutal für so eine junge Truppe", gibt der 20-jährige Luka Sucic zu.

Nur wenig später machte Giroud mit dem 3:0 endgültig den Deckel drauf. Dass der 36-Jährige, der mit etwas Fantasie der Vater von so manchem Gegenspieler an diesem Abend sein könnte, zum Salzburger Sargnagel avancierte, ist durchaus bezeichnend.

Das 4:0 durch Junior Messias besiegelte in der Nachspielzeit endgültig eine vom Gefühl her viel zu hohe Mozartstädter Niederlage. Eine äußerst knappe Expected-Goals-Wertung von 1,61 zu 1,53 bestätigt diese Wahrnehmung.

Obwohl Österreichs Meister sich nach dem 0:2 bewusst war, aus der Champions League mit großer Wahrscheinlichkeit ausgeschieden zu sein, wurde weiter um jeden Ball gekämpft, gekratzt und gerungen.

"Die zweite Halbzeit war, was Engagement, Leidenschaft und Mut betrifft, wirklich gut. Es ist nicht selbstverständlich, dass du nach einem 0:2 oder 0:3 immer weiter machst", spart Jaissle erneut nicht mit Lob für seine Mannschaft.

Irre Kulisse im San Siro! "Kann keine Ausrede sein"

Den Unterschied machte schlussendlich wohl auch die Gänsehaut-Atmosphäre im ausverkauften San Siro. Rund 70.000 fußballverrückte, rot-schwarze Tifosi sorgten für eine Stimmung, die in Europa kaum ein zweites Mal in dieser Lautstärke zu finden ist. Dazu kamen 4.000 mitgereiste Salzburg-Fans, die trotz der Pleite im Oberrang 90 Minuten Party machen.

"Das war ein brutales Gefühl. Ich glaube, das war für jeden Spieler das bisherige Highlight seiner jungen Karriere. Es gibt nichts Schöneres, als auf so eine Bühne zu spielen", bekommt Sucic noch nach der Partie glänzende Augen, wenn er auf die Stimmung im San Siro zu sprechen kommt.

Als Erklärungsansatz für die Niederlage darf die einschüchternde Kulisse aber nicht herhalten, wenn es nach Nicolas Seiwald geht: "Die Stimmung war brutal, aber das hat uns auch gepusht. Also das kann keine Ausrede sein."

Jaissle gratulierte Pioli zur San-Siro-Stimmung

Und auch des oftmals etwas stoisch wirkende Jaissle zeigte sich nach seinem ersten Mal im San Siro beeindruckt. Als er den Rasen des leeren Stadions im Mailänder Westen vor dem Abschlusstraining am Dienstag erstmals betrat, entfloh ihm ein "Bist du deppat" aus seinen deutschen Lippen.

Nach der Partie ging er zu Milan-Coach Stefano Pioli, um ihm mitzuteilen, "dass er sehr dankbar sein soll, dieses Gefühl und diese Atmosphäre so oft zu erleben. Das ist schon was Besonderes."

Dass seine jungen Kicker davon negativ beeinflusst worden sein könnten, glaubt der 34-Jährige allerdings nicht: "Sie haben es natürlich gespürt, aber sie haben vor allem in der ersten Halbzeit auch gezeigt, dass sie mit dieser Atmosphäre gut umgehen können."

Salzburgs ständiger Lernprozess: "Machen immer Schritt nach vorne"

Das Umgehenlernen mit Monsterkulissen ist also eine der Erfahrungen, von denen die Salzburger bei ihren nächsten "Königsklassen"-Antritten zerren können. Welche Aspekte sonst noch nach dem vierten Champions-League-Anlauf der Klubgeschichte hängen blieben?

"Dass Spiele auf solch einem Top-Niveau in der Box entschieden werden. Da haben wir heute gesehen, dass eine gewisse Kaltschnäuzigkeit und Klasse beim Gegner vorhanden war, das nimmt man sicherlich mit. Das ist ein Lernprozess bei einer jungen Mannschaft, aber ich bin mir sicher, dass man auch aus so Spielen wie heute Abend etwas lernen kann", glaubt Jaissle.

Auch Seiwald sieht die positiven Aspekte des ständigen Lernprozesses: "Wir haben zum Beispiel aus dem Spiel in der Allianz Arena, wo wir die Klatsche kassiert haben, mitgenommen, dass wir oftmals mehr Zeit mit dem Ball haben, als wir glauben. Dass wir nicht so hektisch spielen müssen. Jetzt in Mailand haben wir wieder gesehen: Man hat Platz, wenn man gut spielt, wenn man sich mit dem Ball etwas traut und auf seine eigenen Qualitäten setzt. Dann kann man mitspielen. Das haben wir heute gezeigt, wir machen immer einen weiteren Schritt nach vorne."

Direkt nach der Partie herrsche nach dem Gruppen-Aus zwar Enttäuschung vor, bereits am Donnerstag würde aber der Stolz auf das Gezeigte überwiegen, so Seiwald weiters. Und wie sehen seine Vorgesetzten das?

Freund: "Ziehe ein sehr positives Resümee"

"In Summe, wenn man die ganze Champions-League-Saison begutachtet und analysiert, sind wir extrem stolz auf das Geleistete. Die Mannschaft hat als jüngstes Team im Wettbewerb gezeigt, dass sie mit den Großen mithalten und ihnen Paroli bieten kann. Deswegen überwiegt ganz klar der Stolz", so Jaissle in seiner letzten "Königsklassen"-Pressekonferenz dieser Saison.

Und auch bei Sportdirektor Freund hält sich der Ärger über das Ausscheiden in Grenzen: "Natürlich, wenn man am letzten Spieltag noch die Chance hat, dass man Zweiter werden kann, ist eine kurzfristige Enttäuschung da. Aber die junge Mannschaft hat sich richtig gut gezeigt und coole Spiele abegliefert. Ich ziehe ein sehr positivies Resümee aus der Gruppenphase."

Eines ist nämlich auch klar: Das Lehrgeld, welches die Salzburger am Mittwoch wieder einmal zahlen mussten, darf als Investition verstanden werden, die sich beim nächsten Antreten gegen einen absoluten Spitzenklub bereits rentieren könnte. Ein "zu jung" gibt es in Salzburg auch weiterhin nicht, maximal ein "zu unerfahren".

Und genau mit solchen Spielen wie gegen den AC Milan lässt sich dieser Mangel an Erfahrung aufholen - zumindest, bis die nächste Mozartstädter Generation übernimmt und ihrerseits Lehrgeld bezahlen muss.

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