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Eva Pinkelnig: "Ich habe mich oft als Spielball gefühlt"

Zwei Mal musste Eva Pinkelnig schon um ihr Leben bangen. Warum sie dennoch aktuell so gut skispringt wie nie zuvor. Interview:

Eva Pinkelnig: Foto: © GEPA

Die Karriere von Eva Pinkelnig ist eine besondere. 

Als Quereinsteigerin begann die gelernte Erzieherin erst mit 24 Jahren mit dem Skispringen. Schon bald flog die Vorarlbergerin vielen davon und etablierte sich im Weltcup

Der steile Aufstieg wurde jedoch zwei Mal abrupt gestoppt. 2016 stürzte Pinkelnig zwei Mal so heftig, dass sie ein schweres Schädel-Hirn-Trauma erlitt. Die neurologischen Folgen waren gravierend: Erinnerungslücken, Konzentrations- und Sehschwächen. Die Ärzte stellten bei den Untersuchungen sogar Anzeichen von Alzheimer fest. 

Bei der Heim-WM 2019 in Seefeld holte die ÖSV-Athletin Silber im Team- und Mixed-Springen, ehe im Dezember 2020 ihr Leben erneut am seidenen Faden hing. Bei einem Trainingssturz in Seefeld erlitt Pinkelnig einen Milzriss, sie verlor einen Liter Blut und musste notoperiert werden."

"Der Milzriss war lebensbedrohlich. Ich kenne Menschen, die daran gestorben sind", sagt Pinkelnig im LAOLA1-Interview. 

Nun ist sie wieder zurück an der Weltspitze. Beim Saison-Auftakt in Wisla feierte die 34-Jährige ihren vierten Weltcupsieg, in den ersten fünf Springen stand sie vier Mal am Podest. 

Damit sie jetzt so wie gut wie noch nie springt, musste Pinkelnig erst ihr sportliches Umfeld aussortieren.

Ein Interview über die schwierige Welt des Spitzensports, die Vorreiter-Rolle von Marcel Hirscher, einen Magic Moment 2022 und die Endlichkeit des Lebens. 

LAOLA1: Was ist zwischen dem vergangenen und diesem Winter passiert, dass es aktuell so dermaßen gut bei dir läuft?

Eva Pinkelnig: Unglaublich viel. Ich habe ganz nüchtern analysiert, was die letzten paar Jahre nicht so gut gelaufen ist und was ich ändern kann, aber auch, was an Systemen liegt, die ich nicht ändern kann. Ich habe ehrlich eruiert, wie es um meine Psyche steht und mich auch gefragt: Möchte ich noch Skispringen? Gibt es da noch das Feuer oder wurde es mittlerweile gelöscht? Die Entscheidung war dann ganz klar: Was man liebt, gibt man nicht so schnell auf, nur weil es schwer fällt. Es war dann ein intensiver Sommer. Der Start war sehr holprig und es gab einige Rückschläge. Ich habe angefangen, mein sportliches Umfeld auszusortieren. Wir haben außerdem das Athletik-Training auf neue Beine gestellt. Das ist einer der Bausteine des Erfolgshauses im Moment. Die direkte, ehrliche Kommunikation zwischen mir und den drei Systemen: Dem ÖSV-Team, dem Landesskiverband und dem Olympiazentrum in Dornbirn. Die haben einfach super direkt kommuniziert und sich gegenseitig unterstützt. Ich konnte mich darin einfach entwickeln und wieder Selbstvertrauen tanken. Ich habe mich diesen Sommer auch bewusst selbst herausgefordert, zum Beispiel beim auf den Berg gehen und ich wollte auch ein bisschen mehr Risiko nehmen. Ich habe gelernt, meinen Instinkten wieder zu vertrauen. So lässt es sich dann auch befreiter Skispringen.

LAOLA1: Was hat dich dazu bewogen, in deinem sportlichen Umfeld auszusortieren?

Pinkelnig: Spitzensport ist für mich immer noch eine Welt, die ich neu entdecke und die für mich schwierig zu greifen ist. Da werden Entscheidungen getroffen, die nüchtern nicht erklärbar sind. Ich habe mich oft als Spielball gefühlt. Ich habe mich daher gefragt: Wen brauche ich wirklich und wer ist eigentlich mehr auf seinen eigenen Nutzen bedacht? Bei einigen hatte ich dieses Gefühl, die habe ich dann ganz ohne schlechtes Gewissen aussortiert bzw. Wege gefunden, um die Kommunikation zu verbessern. Ich habe mir einfach zugestanden, meine Grenzen zu ziehen. Das betrifft aber nur das sportliche Umfeld. Ohne die Menschen in meinem privaten Umfeld würde ich definitiv nicht hier stehen.

Sie stellen vertraglich uns Frauen und die Männer auf eine Ebene. Dafür bin ich unglaublich dankbar, das ist nicht selbstverständlich – leider. Marcel ist mit seiner Firma da wieder Vorreiter.

Eva Pinkelnig über den Einstieg von Marcel Hirscher bei Augment

LAOLA1: Du durftest in dieser Saison erstmals in deiner Karriere das Gelbe Trikot für die Gesamtweltcup-Führende überstreifen. Was war das für ein Gefühl?

Pinkelnig: Für mich ist das nur eine Farbe. Ich springe in Gelb und die anderen in Weiß, jetzt springe ich halt wieder in Weiß. Es beschreibt einfach die momentane Startsituation. Natürlich ist es cool, als letzte im ersten Durchgang oben zu stehen, ich hab das in vollen Zügen genossen. Viel intensiver waren aber die Momente bei der Siegerehrung in Wisla oder beim Mixed-Team-Sieg in Titisee-Neustadt, als die Hymne gespielt wurde. Das steht einfach über allem. Da spielen sich so viele Emotionen ab, die jedes Mal wieder neu und anders sind. Jeder Sieg oder Podestplatz hat seine eigene Geschichte. Gerade der Mixed-Team-Sieg war unglaublich cool, das waren Emotionen pur. Das sind die Momente, an die ich mich erinnern werde. Ich weiß, ich werde meinen Enkelkindern einmal erzählen: In Wisla auf dem Podium als die Hymne gespielt wurde, da ist eine Wolke vorbeigezogen, die hatte die und die Form. Es sind die Gefühle, die ich erlebt habe und nicht die Farbe der Startnummer, die besonders sind.

LAOLA1: Deine Ski-Firma Augment gehört seit dem Sommer zu Marcel Hirschers Firma Van Deer-Red Bull Sports. Wie intensiv beschäftigst du dich mit dem Material-Thema und hast du von der Übernahme profitiert?

Pinkelnig: Ich tüftle schon gern am Material, bin aber sehr feinfühlig darin, mich nicht zu verzetteln. Ich vertraue auf die Meinung von Experten. Schon bevor Marcel Hirscher übernommen hat, hatten wir mit Pierre Heinrich einen Ski-Guru im Skisprung-Bereich. Als Marcel Hirscher übernommen hat und dann auch Toni Giger eingestiegen ist, hat es nochmal einen Schub nach vorne gegeben. Die Qualität der Skier ist noch besser geworden. Der Name Marcel Hirscher steht für höchste Professionalität und top Qualität. Er ist ein Vorbild in jeglichem Bereich. Was aber besonders wertschätzend ist: Sie stellen vertraglich uns Frauen und die Männer auf eine Ebene. Dafür bin ich unglaublich dankbar, das ist nicht selbstverständlich – leider. Marcel ist mit seiner Firma da wieder Vorreiter. Das schätze ich sehr an ihm.

LAOLA1: Du hattest in deiner Karriere ein Schädel-Hirn-Trauma und einen Milzriss. Was macht das mit einem, wenn man mit der Endlichkeit des Lebens konfrontiert ist?

Pinkelnig: Der Milzriss war lebensbedrohlich. Ich kenne Menschen, die daran gestorben sind. Es war schon eine göttliche Fügung, dass das in Seefeld in der Nähe zu Innsbruck passiert ist und dort die besten Ärzte anwesend waren und ich jetzt wieder so gesund leben kann. Natürlich verändert das den Blick, es schärft die Sinne. Wenn man so weit unten war, genießt man die Höhe und in dem Fall auch die Siege umso mehr.

LAOLA1: Wie schwer sind solche Rückschläge mental zu verkraften? Was hat dich immer wieder zurückkommen lassen?

Pinkelnig: Ich habe versucht zu eruieren, was passiert ist und aus meinen eigenen Fehlern zu lernen. Ich habe aber auch das Wissen und den tiefen Glauben daran: Mein Leben liegt in Gottes Hand und er meint es gut. Auch wenn ich ganz viele Verknüpfungen nicht verstehe, nicht nur in meinem Leben, vertraue ich darauf, dass es mir zum Besten dient. Es liegt in meiner Natur, nach vorne zu blicken und einen Schritt nach dem anderen zu machen. Das war aber auch schon vor meiner Skisprung-Karriere so. Wir sind so aufgewachsen, das haben uns vor allem die Mama und die Oma gelehrt. Das ist für unsere Familie normal, dass man – egal wie schwer die Situation ist – den Blick hebt und einfach den nächsten Schritt geht. Es war bei mir nie eine Entscheidung, Skispringen ja oder nein. Skispringen an sich liebe ich. Es war eher die Frage der psychischen Gesundheit. Ende der letzten Saison war ich einfach mental nicht mehr gesund, meine psychische Gesundheit hat in dem System unheimlich gelitten. Ich musste Wege finden, gesund zu sein, ich selbst zu sein und mit Freude Ski zu springen. Das war die Challenge für den Sommer und dass das so aufgeht, ist natürlich unglaublich.

Als in Wisla die österreichische Hymne gespielt wurde, lief so ein Film vor meinen geschlossenen Augen ab, das war Wahnsinn. Da hatte ich Gänsehaut und mich hat unglaubliche Dankbarkeit durchströmt, sogar für alles, was ich durchmachen musste.

Eva Pinkelnig über ihren Magic Moment 2022

LAOLA1: Hast du durch das Schädel-Hirn-Trauma oder den Milzriss irgendwelche Einschränkungen, die dich im Sport oder im Alltag begleiten?

Pinkelnig: Es waren große Eingriffe. Ich habe einen super Neuro-Athletik-Coach, mit dem ich ganz feinfühlig immer wieder schaue, dass das Balance-Gefühl, das Sehen – alles Dinge, die durch die Verletzungen angegriffen wurden - weiter trainiert werden. Der Kopf kann sich erholen oder sogar neue Synapsen bilden, wenn das Hirn die entsprechenden Impulse bekommt. Vom Milzriss bleiben die Narben, das ist für den Körper immer eine Störung im System. Da wird von der physiotherapeutischen Seite sehr gut gearbeitet. Wir haben über den Sommer ein System entwickelt, das mir hilft, damit ich auf der Schanze Gas geben kann.

LAOLA1: Das Jahr neigt sich dem Ende zu. Wenn du auf 2022 zurückschaust, was ist dir besonders in Erinnerung geblieben?

Pinkelnig: Definitiv der Moment der Hymne in Wisla. In den Sekunden, in denen die österreichische Hymne gespielt wurde, lief so ein Film vor meinen geschlossenen Augen ab, das war Wahnsinn. Da hatte ich Gänsehaut und mich hat unglaubliche Dankbarkeit durchströmt. Ich hatte so ein dankbares Herz, sogar für alles, was ich durchmachen musste. Weil ich gemerkt habe: Es hat sich alles gefügt für diesen Moment. Das war DER Momet 2022.

LAOLA1: Bist du jemand, der sich Vorsätze fürs neue Jahr macht?

Pinkelnig: Nicht am 1.1., eher zwischendurch immer wieder. Ich bin generell ein sehr reflektierter Mensch – manchmal zu reflektiert oder verkopft. Vorsätze ergeben sich im Jahresverlauf mit den Herausforderungen, die mir das Leben stellt.

LAOLA1: Ein möglicher Vorsatz, der sich noch ergeben könnte, wäre die Hymne bei der WM zu hören...

Pinkelnig: Da bekomme ich schon Gänsehaut, wenn du das nur aussprichst. Das ist aber noch sehr weit weg, da passiert davor noch sehr viel. Der Vorsatz bleibt einfach ich selbst zu bleiben, egal in welchem System, egal, was da von außen draufgeschmissen wird, egal was sich in meinem Kopf abspielt – einfach bei mir bleiben, ich bleiben.

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