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Schummel-Vorwürfe, Klebeband, Totalausfall: Van Deer-Bilanz

Marcel Hirschers Ski-Marke "Van Deer" sorgte im ersten Winter für Furore - sowohl sportlich als auch medial. Doch nicht alles verlief nach Wunsch.

Schummel-Vorwürfe, Klebeband, Totalausfall: Van Deer-Bilanz Foto: © Jörg Mitter/Red Bull Content Pool

Der Rummel war groß, als Marcel Hirscher im September 2021 seine Ski-Marke "Van Deer" der Öffentlichkeit präsentierte.

Ebenso groß war das Versprechen, dass der achtfache Gesamtweltcup-Sieger an diesem Tag selbstbewusst abgab: "Diese Ski werden Weltcup-Rennen gewinnen", sagte Hirscher damals. Er sollte damit Recht behalten.

Gleich in der ersten Weltcup-Saison durften Hirscher und das "Van Deer"-Team dank Henrik Kristoffersen über Siege auf höchstem Niveau und sogar WM-Medaillen jubeln. Das – zumindest nach außen hin tief gesteckte – Ziel von einem Podestplatz wurde gleich im ersten Saisonrennen übertroffen. Kristoffersens Saison-Statistik>>>

Hirscher hat mit "Van Deer" den Ski zwar nicht neu erfunden, aber von Anfang an wurde deutlich: Wo Hirscher drauf steht, ist auch Qualität drin – und vor allem Ehrgeiz, Akribie und Perfektion, manche nennen es Verbissenheit.

Mit freundlicher Unterstützung von Red Bull

Für sein Projekt hat sich der achtfache Gesamtweltcup-Sieger nicht umsonst die Besten der Besten mit ins Boot geholt.

Allen voran Henrik Kristoffersen. Hirschers ehemaliger Konkurrent auf der Piste ist nun das Zugpferd seiner Ski-Marke.

Dazu Vater Ferdinand Hirscher, die Ex-ÖSV’ler Toni Giger (neben Dominic Tritscher Geschäftsführer von "Van Deer"), Edi Unterberger, Niki Hackl und Spitzen-Serviceleute wie Raphael Hudler und Bernhard Arnitz – mehr Know How auf einem Haufen geht fast nicht.

Das geballte Ski-Wissen kommt mit freundlicher Unterstützung von Red Bull daher. Im Sommer 2022 kam es zur Fusion von Hirschers langjährigem Sponsor mit der Ski-Marke, im Zuge dessen wurde auch der etablierte Hersteller Augment übernommen.

"Van Deer-Red Bull Sports", wie das Unternehmen seither offiziell heißt,  schrieb sich auf die Fahnen, "den Skisport auf das nächste Level zu bringen" und "neue Akzente zu setzen".

Jede Menge Klebeband und Schummel-Vorwürfe

Das hat man zweifelsohne geschafft. Für die FIS waren es teilweise jedoch zu viele Akzente. Der Internationale Skiverband und "Van Deer-Red Bull Sports" sind seit Saisonbeginn aufs Kriegsfuß miteinander.  

Die FIS stört sich am Doppel-Logo mit dem Hirschen und dem Bullen auf der Skioberfläche, weshalb dieses schon den ganzen Winter über abgeklebt werden muss. Beim Riesentorlauf in Schladming im Jänner eskalierte der Zwist beinahe, drohe FIS-Präsident Johan Eliasch Kristoffersen mit einem Lizenz-Entzug.

Darauf hat man es bei "Van Deer" nicht ankommen lassen, man fährt statt mit dem Logo weiterhin mit schwarzem Klebeband auf den Skiern. Das wird sich in dieser Saison wohl auch nicht mehr ändern, im Hause "Van Deer-Red Bull" scheint man sich daran aber vorerst nicht groß zu stören – auch so kann man die Schlagzeilen bestimmen.

Dazu gehörten in diesem Winter auch Schummel-Vorwürfe. Nachdem Kristoffersen in Wengen Lokalmatador Loic Meillard den Sieg weggeschnappte hatte, mutmaßte die Konkurrenz, der Norweger sei unter dem Deckmantel des Klebebandes mit dem Ski einer anderen Marke unterwegs gewesen. "Van Deer" wies das entschieden zurück.

Hype um die Hirscher-Ski

Auch dieser Vorfall tat dem Hype um die Hirscher-Ski keinen Abbruch. Die Marketing-Maschinerie läuft auf Hochtouren, die Skier verkaufen sich trotz exklusiver Preise von bis zu 1.500 Euro pro Paar wie warme Semmeln. Die Produktion kommt kaum nach, die Reservierungs-Listen werden immer länger. In der kommenden Saison will man unter anderem nach Japan und Nordamerika expandieren.

Während Hirscher selbst sich in der Öffentlichkeit und auch als Zaungast im Weltcup weiter rar macht, sind sein Name und seine Ski in aller Munde. Der eine oder andere ist davon genervt.

Man kommt im Skizirkus jedoch nicht um Hirscher und "Van Deer" herum, alleine aufgrund der sportlichen Performance im Premierenjahr.

WM-Medaillen, Weltcup-Siege und ein Totalausfall

Vor dem ersten Saisonrennen in Sölden sprach Toni Giger von einer "großen Unbekannten" im Hinblick auf die Performance des Hirscher-Skis auf der Weltcup-Bühne.

Kristoffersen, der mit Hirscher auf einen "anderen Planeten" übersiedelte, brachte mit Platz drei gleich zum Auftakt im Riesentorlauf auf dem Rettenbachferner Licht ins Dunkel. Früh in der Saison war klar: Das Material funktioniert – zumindest in der Kombination mit Kristoffersen.

Der Norweger bescherte "Van Deer" gleich im ersten Jahr drei Siege. Den größten bei der WM, wo er im Slalom Gold holte, und zwei weitere im Weltcup. Er gewann die Slaloms in Garmisch und Wengen und fuhr bisher sieben weitere Podestplätze (5x Zweiter, 2x Dritter) ein. Kristoffersen kämpft beim Weltcup-Finale in Soldeu außerdem noch um die kleine Kristallkugel im Slalom.

Diese heimste er in der Vorsaison – damals noch auf Rossignol-Latten – ein. Im vergangenen Winter feierte der 28-Jährige im Weltcup noch fünf Siege, also drei mehr als heuer, insgesamt stand er sieben Mal am Podest. Am Ende gab es Rang drei im Gesamt-Weltcup.

Kristoffersen lässt Hirscher jubeln
Foto: © GEPA

Aktuell hält Kristoffersen vor den finalen Rennen der Saison als Dritter der Gesamt-Wertung bei 1.014 Punkten. Zum Vergleich: In den beiden Jahren, in denen er im Gesamt-Weltcup den zweiten Platz hinter Hirscher belegte, waren es 1.298 (2015/16) und 1.285 (2017/18) Punkte.  

Team- und Nationen-Kollege Timon Haugan, dem Hirscher schon zu seiner aktiven Zeit großes Potenzial bescheinigte, darf sich nach seinem Wechsel zu "Van Deer" über seine bisher beste Weltcup-Saison freuen.

Der 26-jährige Norweger räumte bei der WM Silber im Team-Bewerb und Bronze im Parallel-Rennen ab.

Außerdem jubelte Haugan beim chaotischen Slalom in Palisades Tahoe als Zweiter über den zweiten Podestplatz seiner Karriere, den ersten fuhr er 2020 in Chamonix ein. Insgesamt schaffte er es in diesem Winter bisher drei Mal in die Top Ten.

Im Vorjahr war ein fünfter Platz im Slalom in Madonna Haugans bestes Ergebnis im Weltucp und einer von zwei Top-Ten-Plätzen. Am Ende stand für den damaligen Head-Piloten Platz 49 im Gesamt-Weltcup. Aktuell liegt Haugan auf Platz 36 in der Gesamt-Wertung – so weit vorne wie noch wie.

Beim dritten "Van Deer"-Athleten im Bunde, Charlie Raposo, lief es mit den Hirscher-Skiern unter den Füßen hingegen gar nicht. Der 27-jährige Brite schaffte es in diesem Winter in bisher neun Rennen kein einziges Mal in die Punkteränge. Ein Totalausfall. Im Vorjahr fuhr der reine Riesentorlauf-Spezialist zumindest drei Mal in die Top 30.

Fehlende Erfahrung

Hirschers Skier alleine reichen also nicht aus, um erfolgreich Ski zu fahren. Selbst das mit Unmengen an Wissen gespickte Team rund um den achtfachen Gesamtweltcup-Sieger kann noch dazulernen.

Zwar hat man mit Hirscher den besten Ski-Tester der Welt, wie ihn Kristoffersen nennt, bei bestimmten Pistenbedingungen hat man jedoch noch Hausaufgaben zu erledigen, fehlen die Erfahrungswerte.  

So gab es beispielsweise vor dem Gold-Coup des Norwegers im WM-Slalom in Frankreich Probleme mit dem Setup, feilte man bis Schluss an der richtigen Kanten-Abstimmung – letztlich mit Erfolg.

"Wir haben eine tolle Entwicklung und unsere Lernkurve geht noch immer nach oben", sagte Giger gegenüber LAOLA1 schon vor der WM. "Wir bekommen bei jedem Rennen mehr und mehr Erfahrung", ergänzt Kristoffersen. 

Was bringt die Zukunft?

Erfahrung, die im kommenden zweiten Weltcup-Jahr sicher von Nutzen sein wird. Dann startet "Van Deer-Red Bull" mit einer weitaus höheren Erwartungshaltung in den Winter.

Und vielleicht mit neuen Läufern? Verzichtete man im Vorjahr noch auf einen Beitritt zum Austria Ski Pool, wäre dies in Hinblick auf die kommende Saison noch möglich. 2023/24 könnte man dann – so sehen es die Regeln vor – auch österreichische Nachwuchs-Athleten (am ehesten aus dem B- und C-Kader) mit "Van Deer"-Latten ausstatten. Ab 2025 könnten dann heimische Weltcup-Athleten mit Hirschers Ski antreten.

Augument ist hingegen schon im Pool. Die Tochterfirma stattet unter anderem Michael Matt und die aktuell verletzten ÖSV-Speed-Spezialisten Christoph Krenn und Max Franz aus. "Das Speed-Projekt ist ein bissl anders verlaufen als geplant", gab "Van Deer"-Geschäftsführer Tritscher unlängst gegenüber dem "Standard" zu.

Und doch zieht man im Hause Hirscher-Van Deer-Red Bull eine positive Bilanz des ersten Winters.

"In Summe läuft es viel besser als erwartet. Wir gingen in die Saison, um Erfahrung zu sammeln und bestmöglich aufzutreten und haben mittlerweile zwei Weltcupsiege und einige Podien", bilanzierte Tritscher gegenüber "News".

Und er macht deutlich: "Wir steigen weiterhin aufs Gaspedal. Wir sind gekommen, um zu bleiben."

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Alles begann in einer Garage - Dominic Tritscher über die Gründung, Mission und Visionen von "Van Deer":

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