Eigentlich waren die Schlittschuhe schon an den Nagel gehängt.
Aber: "Als ich nach Hause kam, drehten meine Kinder durch. Ich dachte mir: Mein Gott, ich muss weiterspielen".
Natürlich ist diese Aussage von Marc-André Fleury mit einem Augenzwinkern zu verstehen.
Trotzdem ließ es sich der Torhüter nicht nehmen, seine Laufbahn im Alter von 40 Jahren um ein paar letzte Tage zu verlängern. Einerseits, weil er mit Kanada seine erste Weltmeisterschaft bestreiten und dort nochmal mit seinem langjährigen Freund Sidney Crosby auflaufen darf.
Und andererseits, da Fleury noch ein letztes Ziel vor Augen hat: die Aufnahme in den elitären Kreis des "Triple Gold Clubs".
Der WM-Titel fehlt noch
Zwei der drei Bedingungen hat die NHL-Legende bereits erfüllt.
Mit den Pittsburgh Penguins gewann Fleury im Jahr 2009 seinen ersten von drei Stanley Cups. 2010 kam er bei Kanadas Weg zu Olympia-Gold in Vancouver zwar nicht zum Einsatz, dennoch hat die Medaille einen Platz in seinem Heim gefunden.
Was ihm noch fehlt, ist der Weltmeistertitel. Eine Chance dazu hat sich für Fleury, Spitzname "Flower", in über 20 Jahren Karriere nie ergeben. Nur zweimal verpasste der Kanadier mit seinem Team die Stanley-Cup-Playoffs - 2004 mit Pittsburgh und 2024 mit Minnesota.
Sollten die "Ahornblätter" bei der Weltmeisterschaft in Schweden und Dänemark ihren insgesamt 29. Titel holen, wäre Fleury der erste Tormann in der Ruhmeshalle der IIHF. Dort haben sich bisher 30 Spieler und ein Trainer verewigt.
Er meint dazu: "Das wäre cool. Doch es geht immer zuerst um das Team. Ich hoffe, dass die Dinge für das Team gut laufen - und wenn ich es schaffe, ist das toll."
Ein Kind mit einem Traum
Lange vor seinen 575 Siegen in der NHL - die zweitmeisten der Liga-Geschichte - war Fleury ein Kind mit einem Traum.
Sein großes Talent war im Nachwuchs bereits unübersehbar, nach einer herausragenden Saison in der QMJHL und der Silbermedaille bei den World Juniors mit Kanada wählten ihn die Penguins als ersten Spieler im Draft 2003. Ihm wurde als erst dritter Torhüter diese Ehre zuteil.

Der junge Mann aus Sorel-Tracy, Quebec brauchte keine Anlaufzeit, um in der stärksten Eishockey-Liga der Welt seine erste Duftmarke zu setzen.
Bei seinem NHL-Debüt am 10. Oktober 2003 parierte Fleury gegen die Los Angeles Kings 46 von 48 Torschüssen. Sein erster Sieg folgte wenige Tage später.
Erste bittere Niederlage
Früh wurde klar: Da wächst ein neuer Star heran.
Der erste Härtetest folgte 2008 - Fleury hatte einen gewichtigen Anteil daran, dass die "Pens" bis ins Stanley-Cup-Finale vorstießen. Dort waren die Detroit Red Wings 3:1 voran, Pittsburgh stand vor dem Aus.
Doch der neue Stern am Torhüter-Himmel rettete sein Team in einem Triple-Overtime-Thriller mit 55 Paraden in das sechste Final-Spiel, ehe die Red Wings die Serie endgültig beendeten.
Mit Revanchegelüsten - und Mega-Parade - zum Stanley Cup
2009 kehrte "Flower" mit Revanchegelüsten ins Finale zurück, wieder war Detroit der Gegner.
Die Serie zog sich bis zu Spiel 7, wenige Sekunden vor Spielende führte Pittsburgh 2:1. Dann ein Bully vor Fleurys Tor, der Puck kam nach einem Schuss zu Nicklas Lidström.
Der Schwede hatte aus kurzer Distanz freie Schussbahn, das Tor weit offen. Doch Fleury verhinderte mit einer unfassbaren Parade den Ausgleich, kurz darauf ertönte die erlösende Schlusssirene - und Fleury hielt erstmals den Stanley Cup in seinen Händen.
2016 und 2017 folgten zwei weitere Meisterschaften.
(Artikel wird unterhalb des Videos fortgesetzt)
VIDEO: Die legendäre Parade von Marc-Andre Fleury gegen Nicklas Lidström
Der Beginn einer neuen Zeitrechnung
Nach dem letzten Stanley Cup war seine Zeit in Pittsburgh vorbei. In Zukunft sollte auf Matt Murray und Tristan Jarry gesetzt werden, Fleury erklärte sich dazu bereit, auf seine No-Trade- und No-Movement-Klausel zu verzichten.
Die Penguins sendeten vor dem Expansion Draft 2017 einen Zweitrunden-Pick an die Vegas Golden Knights, damit das neue Franchise den Spitzengoalie aufnimmt - und Pittsburgh seinen Cap Hit von knapp 6 Millionen US-Dollar von der Gehaltsliste streichen kann.
Es war ein etwas unrühmliches Ende einer langen Ära, doch in "Sin City" bewies Fleury, was noch in ihm steckt. Er führte die Golden Knights in ihrem ersten Jahr mit unglaublichen Saves ins Stanley-Cup-Finale, dort setzten sich die Washington Capitals mit Alex Ovechkin 4:1 durch.
Er war Publikumsliebling und Teamkamerad in einem - bewundert auf den Rängen, geliebt in der Kabine. 2021 erhielt er die Vezina Trophy für den besten Torhüter der abgelaufenen NHL-Saison, eine späte Würdigung seines Könnens. Vorher wurde ihm diese Auszeichnung nie verliehen.
"Und im Tor - der beste Vater aller Zeiten"
Seit März 2022 zog "Flower" seine Tormann-Ausrüstung für die Minnesota Wild an.
Im Team von NHL-Legionär Marco Rossi knackte er die Marke von 500 NHL-Erfolgen. Das schafften neben ihm nur seine beiden Vorbilder: Martin Brodeur (691) und Patrick Roy (551).
Fleury erlebte in dieser Zeit besonders viele berührende Momente, für einen sorgten in der vergangenen Spielzeit seine beiden Töchter Estelle und Scarlett sowie Sohn James.
"Und im Tor, die Nummer 29 - der beste Vater aller Zeiten."
Anlässlich seines 1.000 NHL-Spiels durften seine Kinder die Starting Six verlesen. Als Fleury dran war, sagten sie: "Und im Tor, die Nummer 29 - der beste Vater aller Zeiten."
Sie begreifen die Größe seiner Karriere vielleicht noch nicht - aber sie spüren sein Herz und sein Lächeln unter der Maske.
Herzzerreißende Botschaften seiner Kinder
Bei seinem Abschied von der großen NHL-Bühne sorgten seine Kinder erneut für Gänsehaut. In einem Video, welches die Minnesota Wild auf ihren Social-Media-Kanälen posteten, richteten alle drei herzzerreißende Worte an ihren Papa.
"Ich bin traurig, dass du nicht mehr in der NHL spielen wirst, aber ich bin froh, dass du mit mir Mini-Sticks spielen kannst. Ich liebe dich", sagte Sohn James.
"Es macht mich glücklich, dich mit einem Lächeln im Gesicht zu sehen, nachdem du deine Lieblingsparaden gemacht hast", fügte seine Tochter Scarlett hinzu. "Es wird seltsam sein, wenn du aufhörst, Eishockey zu spielen, aber ich kann es kaum erwarten, bis du wieder nach Hause kommst, damit du mehr Zeit mit mir verbringen kannst."
Seine älteste Tochter Estelle meinte abschließend: "Ich bin so glücklich, deine Tochter zu sein und deine Leistungen miterlebt zu haben. Je t'aime."
(Artikel wird unterhalb fortgesetzt)
Das VIDEO dazu:
Noch einmal für Kanada - und mit Crosby
Am 1. Mai ertönte zum letzten Mal in seiner NHL-Karriere die Sirene, zwei Tage zuvor bestritt Fleury gegen die Vegas Golden Knights in einem Overtime-Krimi sein letztes Spiel. Doch die allerletzten Auftritte folgen nun bei der WM in Stockholm.
Warum entschied er sich dazu, nochmal für Kanada aufzulaufen? Fleury: "Jedes Mal, wenn man das kanadische Trikot trägt, ist das eine tolle Erfahrung. Jede Chance, mit diesen Jungs auch in der Umkleidekabine zu sein... also warum nicht? Es macht sehr viel Spaß, und ich werde versuchen, es so gut wie möglich zu genießen."
Dass Sidney Crosby ebenfalls zur WM reiste, hatte einen positiven Einfluss auf seine Entscheidung. "Ich denke, es wird Spaß machen, etwas Zeit mit ihm zu verbringen und ihn im Training ein wenig anzuschreien, um ehrlich zu sein", scherzte der 40-Jährige.
Für seine Streiche war Fleury in der Liga bekannt und gefürchtet. Allen voran seinen langjährigen Freund nahm er bei jeder Gelegenheit gerne aufs Korn. Sogar ein TV-Spot, in dem Fleury eine Crosby-Maske trug, in die Penguins-Kabine ging und alle Schläger des Superstars mitnahm, wurde gedreht.
Ob es in Stockholm wieder einen Streich geben wird? Der Kanadier lächelte: "Das mache ich doch nicht. So etwas würde ich nie tun."
Eine letzte Siegesrunde?
Fleury strahlte stets eine positive Einstellung aus, auf dem Eis wurde er zu einem Akrobaten.
Beides stellte er bereits beim 7:1-Sieg über Lettland unter Beweis, nach 16 Paraden bei 17 Torschüssen wurde "Flower" zum besten kanadischen Spieler der Partie gewählt. Wenn man ihn dabei sah, kam nie das Gefühl auf, dass ein 40-Jähriger unter dieser Maske steckt.
Crosby sagte danach: "Man hat heute im Spiel gesehen, dass er einen ziemlich einzigartigen Stil hat. Er ist ziemlich athletisch, es macht Spaß, ihm zuzusehen. Seine Persönlichkeit spiegelt die Art, wie er spielt, wider. Es macht Spaß, mit ihm hier zu sein."
Für einen der besten Tormänner der Eishockey-Geschichte könnte dieses Turnier die perfekte letzte Siegesrunde sein: im Trikot seines Landes, unter Freunden, mit dem Herz am rechten Fleck - und vielleicht mit einer Goldmedaille als krönendem Abschluss.