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Wie der Videobeweis das heutige Eishockey beeinflusst

Nicht nur im Fußball, sondern auch im Eishockey gibt es den Videobeweis. LAOLA1-Experte Bernd Freimüller beleuchtet die Feinheiten:

Wie der Videobeweis das heutige Eishockey beeinflusst Foto: © GEPA

Der VAR ist im Fußball seit der Saison 2017/18 Tatsache – die Einführung erfolgte natürlich in Stufen, aber nach und nach wurde er Bestandteil aller Profiligen und die Regeln haben sich seitdem nur in Details geändert.

Im Eishockey war dies dagegen über Jahrzehnte ein schleichender Prozess, der in den letzten Jahren sogar noch an Dynamik gewonnen hat. Einige Feinheiten sind immer noch sehr neu, in der Öffentlichkeit auch kaum bekannt.

Torbeweis hält immer noch nicht in jeder Halle Einzug

Den Torbeweis im Eishockey gibt es etwa in der NHL seit 1991, die Einführung in den europäischen Ligen und Turnieren zog sich aber über Jahrzehnte. So mussten bis vor kurzem selbst Weltmeisterschaften der unteren Stufen (etwa eine U20-B-WM, über Jahre die Heimat Österreichs) ohne Bildschirmüberprüfung auskommen.

Auch die Anwendungsweise variiert heute noch: Stehen Supervisor mit Rat und Tat zur Verfügung (bei A-WMs oder etwa in der slowakischen Extraliga oder finnischen Liiga) oder müssen die Refs am Eis via Bildschirm oder Tablet selbst entscheiden?

Über Jahre blieben die Regeln ziemlich konstant. Überprüfungspunkte nach Toren waren auszugsweise:

  • War die Scheibe hinter der Linie?

  • Wurde sie ins Tor gekickt (die Definition für Schlittschuhtore änderten sich öfters)?

  • Wurde das Tor mit dem hohen Stock oder aktiv mit einem Körperteil erzielt?

  • Wurde das Tor vor dem Torschuss verschoben?

Das heikle Thema Torhüterbehinderung

Alles relativ schwarz und weiß, doch dann kam es immer dicker. Vor allem durch die Überprüfung von Tormannbehinderung rückte die Videoüberprüfung endgültig in den Graubereich, weswegen ihre Einführung in der NHL 2015/16 auch jahrelang diskutiert wurde.

Natürlich gibt es auch hier Kriterien, doch diese liegen immer im Auge des Betrachters und unterscheiden sich von Ref zu Ref

Das führte in der EBEL bzw. ICE öfters zu Situationen, dass etwa ein anerkanntes Tor der Öffentlichkeit als richtig verkauft wurde, Tage später jedoch ein Rundmail an die Schiedsrichter erging, dass in Zukunft solche Entscheidungen anders gefällt werden sollten.

Die Torhüterbehinderung (und keineswegs Torraumabseits, das gibt es schon seit Unzeiten nicht mehr) wird immer ein heikles Thema bleiben, das auch bei Referee-Meetings öfters kontrovers diskutiert wird. Doch der Videobeweis ist verständlich: In Realgeschwindigkeit sind solche Situationen kaum aufzudröseln.

Als die Goaliebehinderung noch nicht überprüfbar war, führte das zu einer kuriosen Situation: In den NHL-Preseasons blieb so manches Tor unerkannt. Da gab es nämlich überhaupt keinen Videobeweis und die Refs konzentrierten sich lieber auf die Gerangel ums Tor herum als auf den Flugweg der Scheibe. Verständlich, denn in der Regular Season war wieder der War Room in Toronto für solche Situationen zuständig.

So wurden eben die üblichen Kriterien um die Torhüterbehinderung ergänzt, einige Ligen übernahmen dies gleich, andere später. Dazu kam noch, dass die Definition zwischen NHL und IIHF stark differierte, die EBEL hängte sich (wie so oft) der aus Übersee an. Heute haben sich die Auslegungen aber fast angeglichen.

Abseits: Die (gemalten) Linien entscheiden

Ebenfalls 2015/16 führte die NHL aber die Offside-Überprüfung ein – eine (Über)-Reaktion auf ein Tor nach einem scheinbar meterweiten Abseits.

Nach und nach übernahmen dies auch einige Ligen in Europa, etwa die Schweiz. Andere sperrten sich dagegen, da das Kameramaterial eine millimetergenaue Beweisführung nicht zuließ. Die Abseits-Überprüfung ist beim Fußball und Eishockey eigentlich ähnlich: Linien sind entscheidend – beim Fußball die gemalten am Bildschirm, im Eishockey die unter dem Eis angebrachten.

Die Abseits-Überprüfung hatte also (wie so vieles) ihren Ursprung in der NHL. In der EBEL/ICE wurde dies aber aufgrund des mangelnden Kameraangebots zunächst kategorisch ausgeschlossen.

Das hielt nur einige Jahre - in einem Aufwasch wurde die Abseits-Überprüfung Seite an Seite mit der der "Missed Stoppages" vor den letztjährigen Playoffs eingeführt, also während einer laufenden Saison!

Was sind "Missed Stoppages"?

Ich glaube, diese Regel ist bis heute noch bei fast allen Fans, aber auch allen Berichterstattern und TV-Kommentatoren kaum bekannt:

"Missed Stoppages", also unterbliebene Spielunterbrüche, können etwa Pucks sein, die aus dem Fangnetz zurücksprangen oder denen ein Handpass oder ein Zuspiel mit dem hohen Stock vorausging. Wohlgemerkt, nicht Minuten und drei Spielzüge vorher, sondern unmittelbar vor der Torerzielung und im Angriffsdrittel.

Da die Refs dies eben nicht bemerkt haben (daher der Terminus "Missed Stoppage") müssen die Coaches solche Fehler per "Coach's Challenge" reklamieren. Dies kommt nicht oft vor, die häufigsten Reklamationen betreffen weiterhin Abseits.

Kurios wurde es aber vor kurzem bei einem Spiel von Slovan Bratislava: Erst überprüften die Refs minutenlang, ob ein Spieler die Scheibe absichtlich ins Tor geköpfelt hatte (das wäre auch verboten). Das wurde verneint, das Tor anerkannt, dann folgte noch eine Coach's Challenge zu einem Handpass – der wurde entdeckt, das Tor danach aberkannt.

Alles im Sinne der Wahrheitsfindung - die Zuseher in der Halle, die sich während diesen Unterbrechungen natürlich mächtig langweilten und auch keine Ahnung hatten, worum es ging, werden bei solchen Situationen ja ignoriert und dann verwirrt zurückgelassen.

Jedes Foul kann überprüft werden

Alle diese Regeln sollen festlegen, ob ein Tor regulär erzielt wurde oder eben nicht.

Die jahrelangen Argumente gegen den Videobeweis - "Da können ja dann sogar Fouls überprüft werden und das Spiel dauert ewig" – sind aber auch schon obsolet. Denn genau das passierte, ebenfalls in einem schleichenden Prozess: Jedes Foul kann heute in der NHL oder ICE überprüft werden.

Vor zwei Jahren eingeführt: Bei einer großen Strafe (also fünf Minuten und damit ist nicht "Fighting" gemeint) muss der Ref zum Video gehen und sie überprüfen. Das Resultat war dann entweder Bestätigung oder Abstufung auf eine kleine Strafe. Bei vier Minuten wegen Hohen Stocks (den fünf Minuten bei anderen Vergehen gleichgestellt) konnte die Strafe auch ganz unter den Tisch fallen, wenn etwa der Hohe Stock von einem Teamkameraden kam.

Natürlich peinlich, wenn die ganze Situation kein Foul war und man trotzdem eine kleine Strafe verhängen musste, aber verständlich: Sonst könnte ja jedes unklare Foul auf eine große Strafe erhöht werden, damit man sich des Videos bedienen kann.

Doch seit heuer ist alles anders: Wie in der NHL kann auch in der ICE eine verhängte große Strafe wieder ausradiert werden – die IIHF hat sich dem (vorerst) nicht angeschlossen.

Ich habe in der Rohfassung dieser Story schon ein abstraktes Beispiel für den Missbrauch dieser Regel angeführt, die ICE sorgte aber für einen Realfall.

Linz – Innsbruck, der Tiroler Daniel Leavens liegt verletzt am Eis. Weder Endzone-Referee Stefan Siegel noch sein Kollege Patrick Fichtner haben etwas mitbekommen. Beim anschließenden Pow-Wow bringt sich immerhin Linesman Elias Seewald ein. Alles, was man hier heute braucht: Die Nummer des foulenden Spielers und eine ungefähre Tatbeschreibung.

Noch wäre die Situation zu retten gewesen, doch was Siegel und Fichtner dann machten, spottete jeder Beschreibung. Statt eine große Strafe gegen Raphael Wolf wegen Boarding oder Check von hinten auszusprechen und einen Videobeweis anzukündigen, gingen sie einfach stillschweigend vom Eis und vor den Bildschirm. Als sie wieder aufs Eis zurückkamen, schickten sie Wolf in die Kabine.

Die Entscheidung stimmte, der Weg dazu war jedoch beschämend. Nicht nur, dass sie die Zuschauer, Zeitnehmung und den Hallensprecher als Trotteln dastehen ließen, desavouierten sie auch ihre Kollegenschaft. Warum soll diese in Zukunft den richtigen Instanzenweg einhalten, wenn es offenbar auch so geht? Bei jeder Verletzung könnten die Schiris so zum Video gehen, ohne auch nur vortäuschen zu wollen, etwas gesehen zu haben.

Auf den Videobeweis will niemand verzichten

Das Eishockey ist über die Jahre so schnell geworden, dass viele Entscheide in der Realgeschwindigkeit kaum zu treffen oder zu belegen sind.

Niemand wird den Videobeweis wieder abschaffen wollen, doch wie im Fußball ist dieser für die Fans in den Hallen lähmend, da sie zwar brav ihre Peseten an der Kassa abgeben sollen, aber dann weniger informiert werden als die Zuseher vor den TV-Bildschirmen.

Die Zeitspannen zwischen den Ergänzungen und Ausweitungen des Videobeweises wurden in den letzten Jahren immer geringer, eine Krücke folgt der anderen. Wie im Fußball droht auch das Eishockey Emotionen und Spielfluss der Wahrheitsfindung um jeden Preis unterzuordnen…


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