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Keine Kontrolle ohne Besitz: Kurioses aus dem IIHF-Regelwerk

Nicht nur das ICE-Casebook, sondern auch das internationale Regelbuch birgt einige Schmankerl. LAOLA1-Experte Bernd Freimüller enthüllt sie.

Keine Kontrolle ohne Besitz: Kurioses aus dem IIHF-Regelwerk Foto: © GEPA

Alle zwei Jahre das Regelbuch von hinten bis vorne durchforsten - da erfährt man des Öfteren überraschende Änderungen, aber auch Auffrischungen schon länger bestehender Regeln.

In den letzten Jahren wurde die IIHF-Regelfibel übersichtlicher gestaltet, viele NHL-Regeln wurden übernommen, zeitweise sogar wortwörtlich. Vom Fußball, wo das Regelbuch auf der ganzen Welt gilt, ist man aber noch weit entfernt - Ligen wie die ICE gönnen sich noch gerne ein zusätzliches Casebook, das einige IIHF-Regeln aushebelt bzw. ergänzt.

Wo das nicht getan wird, gelten die internationalen Regeln und die haben einige Schmankerln parat. LAOLA1-Experte Bernd Freimüller stellt einige Besonderheiten des IIHF-Regelbuchs vor:

33.2 "Tore und Assists"

Beim Eishockey gibt es die Besonderheit des "zuerkannten Tores", nämlich wenn ein Spieler vor dem Abschluss auf ein vom Goalie verlassenes Tor gefoult wird. Die Scheibe geht also nie über die Linie, trotzdem wird auf Tor entschieden. So weit, so gut, dass aber die Refs dann auch Assists verteilen können, wäre mir bisher entgangen.

38.10 "Coach's Challenge"

Die ist im internationalen Eishockey nur für A-WMs zugelassen, ganz im Gegensatz zur ICE, wo die Coaches fast völlig gefahrlos alle Tore beanstanden können. Da wie dort gibt es Einspruchsmöglichkeiten für "Missed Stoppages", also unterbliebene Pfiffe vor einem Tor (allerdings nur im Angriffsdrittel).

Dazu gehören Vorlagen mit dem hohen Stock, Handpässe oder Pucks, die vom Fangnetz zurückprallten. Die Regel lässt sich noch ein Schlupfloch offen, dass auch andere nicht definierte Regelverstöße dazugehören könnten, definitiv aber nicht "zu viele Spieler auf dem Eis".

Eine Situation wie vor Jahren bei einem EBEL-Spiel, als man sich in der Kommandozentrale in Ebensee wunderte, warum sechs Spieler einen Treffer bejubeln durften (der Goalie war auch am Eis), könnte also via TV-Beweis nicht korrigiert werden.

44.1 "Clipping"

Clipping ist eine selten vorkommende, daher bei Fans und Medien fast völlig unbekannte Attacke. Es geht dabei um niedrige Checks auf oder unter Kniehöhe, wenn sich also ein Spieler klein macht, um einen Gegner so gefährlich zu checken.

So weit, so gut, fragwürdig für mich aber ein Zusatz: "Ein Spieler darf sich entlang der Banden nicht kleiner machen, um einem Bodycheck zu entgehen und so über ihn stürzende Spieler zu verletzen."

Das heißt, wenn etwa ein Spieler Mike Halmo oder Sam Antonitsch im Superman-Stil auf sich zufliegen sieht, sich wegduckt und der Gegner ungespitzt in die Bande kracht, ist er und nicht der Aggressor fällig.

48 "Check gegen den Kopf oder Nacken"

Auch interessant, wie sich die Strafausmaße immer wieder verschieben: Bedeutete jahrelang ein Check gegen den Kopf mindestens 2+10 Minuten (in der EBEL 2+2), können jetzt auch wieder 2 Minuten reichen.

Wer sich umgekehrt wundert, warum "Checks von hinten" (Regel 43), die früher oft gepfiffen wurden, heute nicht mehr geahndet bzw. in Charging oder Bandenchecks umgewandelt werden, braucht auch nur ins Regelbuch zu schauen - da gibt es keine kleinen Strafen mehr, nur 5+Spieldauer. So weit wollen die Refs dann oft nicht gehen.

Ein Beispiel für ein geändertes Strafausmaß ist auch Behinderung (Regel 56): Früher gab es hier nur kleine Strafen, jetzt können auch große ausgesprochen werden und das passiert auch relativ oft.

Auch nur kurz im Regelbuch: Verpflichtende Matchstrafen für Goalies, die einem Gegenspieler mit dem Blocker einen auf die Tüte verpassten (unter Regel 51 "Roughing"): Das ist heute eine Kann-Bestimmung.

53 "Werfen von Ausrüstungsgegenständen"

Eine Situation, die ich keinem Schiri wünsche: Ein Spieler des Heimteams geht mit einem Breakaway durch, ein Büchsenwurf aus dem Publikum bringt ihn aus dem Konzept, er verliert die Scheibe. Der Ref muss hier einen Penalty Shot verhängen, auch wenn sich in der ganzen Halle kein einziger Auswärtsfan befindet.

60.1 "High-Sticking"

Kommentatoren und Pundits geben diesen Satz immer papageienhaft von sich: "Der Spieler ist für seinen Stock verantwortlich". Ähnliches steht auch im Regelbuch, dort wird auch von der Kontrolle des Schlägers gesprochen.

Nur: Ein Spieler fährt auf einen Scrum zu, von hinten kickt ihm ein Gegner wuchtig beide Bock weg. Im Fallen erwischt der gefoulte Spieler den Übeltäter (natürlich unabsichtlich) mit dem Stock im Gesicht. Müssen da wirklich beide raus? Wohl nur bei einem Schiri, der mit dem Regelbuch unterm Arm herumfährt…

63.4 "Verzögerter Pfiff"

Aus einem letztjährigen Caps-Heimspiel: Mario Fischer schaltete sich in den Angriff ein, rutschte aber aus, kegelte den gegnerische Goalie und das Tor um. Ref Stefan Hronsky unterbrach das Spiel aber nicht, da der Gegner zu einem schnellen Break kam - so steht es auch in dieser Regel.

Hronsky überdrehte nur insofern, dass er das Spiel lange weiterlaufen ließ, sodass das Team sogar seinen Goalie gegen einen sechsten Feldspieler tauschte, Gegentreffer konnte ja aufgrund des verschobenen Tores keines fallen. Einem Team einen Vorteil nicht zu nehmen, ist eine Sache, ihm aber noch einen zusätzlichen zu geben, war übertrieben.

Auch aus Wien aus einem Nachwuchsspiel: Der KAC im Angriffsdrittel, das Tor der Wiener springt (klar) aus der Verankerung. Anstatt das Spiel zu unterbrechen, ließ der Ref (soll ungenannt bleiben) weiterspielen und wollte den Kasten bei laufendem Spielbetrieb wieder selbst einhängen.

Der KAC drückte währenddessen weiter und schoss auch ins Tor - gerade dann, als der Ref inmitten seiner Aufräumarbeiten den Kasten in Händen (weitab der eigentlich Verankerung) hielt. Das Tor musste er natürlich aberkennen.

63.6 "Spielverzögerung" und 74 "Zu viele Spieler am Eis"

Vorsicht für alteingessene Refs: Früher bedeuteten die letzten zwei Spielminuten so manche Regeländerung. Das absichtliche Verschieben des Tors bzw. absichtlich zu viele Spieler am Eis haben, ergaben dann automatisch statt einer Strafe einen Penalty Shot.

Das kann heute auch schon früher passieren, nämlich wenn diese zweite Minuten nicht mehr zur Gänze abgesessen werden können. Ein Team spielt aufgrund von zwei großen Strafen vier Minuten vor Schluss mit 3 gegen 5 Feldspieler, da würde dieser Fall eintreten. In der Overtime gilt das sowieso immer.

85.4 "Puck trifft einen Schiedsrichter"

Grundsätzlich gilt: Geht der Puck von einem Ref oder Linesman direkt ins Tor, ist das Tor abzuerkennen (Regel 78.5). Allerdings: "Vorlagen" durch Refs gelten und das kommt auch ab und an vor.

Das könnte zu einer Situation führen, wo der Puck von einem Schiri in Richtung Tor springt, dort aus Nahdistanz über die Linie gestochert wird. Der Ref geht zum Bildschirm, muss dort abklären, ob die von ihm abgelenkte Scheibe schon im Tor war ("kein Tor") oder noch auf der Linie liegend reingestochert wurde ("Tor").

Eine solche Szene wünscht sich kein Schiri, er muss sich ihr aber dann stellen. Zu Beginn der Ära Seitz lieferte ein Referee eine Vorlage für ein Tor, erkannte den Treffer aber nicht an. Seine Karriere in der obersten Spielklasse war danach bald beendet…

"...aber er kann nicht Kontrolle ohne Besitz haben"

Selbst die Begriffserklärungen am Ende des Regelbuchs bieten so manche Schmankerln. Das ist auch der einzige Bereich, wo der Begriff "Blind-side(d) Hit" verwendet wird.

Es gibt nämlich keine grundsätzliche Strafe für diese Checks, die für den gefoulten Spieler nur schwer vorauszusehen sind. Oft von Kommentatoren geforderte Strafen für "Blind-side hits" sind also ans Salzamt zu richten, das ist bestenfalls eine Erklärung zu Arten von "Charging" oder "Check gegen den Kopf".

Mein liebster Satz im gesamten Regelbuch findet sich auch bei den Erklärungen: "Possession" und "Control" sind wichtige Begriffe, wenn es um späte Checks oder vor allem ums Abseits geht. Vor allem in der NHL kann man bei manchem Delayed Abseits wunderbare Diskussionen nachlesen, ob der Spieler im Besitz und unter Kontrolle der Scheibe war.

Dazu der wunderbare Satz, der vom NHL- ins IIHF-Regelbuch kopiert wurde: "Ein Spieler kann im Besitz der Scheibe sein, ohne Kontrolle über sie zu haben, aber er kann nicht Kontrolle ohne Besitz haben." Schön, dass auch ein trockenes Regelbuch Platz für Dada hat…


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