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Dave Barr: "Perfect fit" für die Vienna Capitals

Charismatisch, direkt, zielstrebig. Erste Eindrücke des neuen Capitals-Coaches:

Dave Barr: Foto: © GEPA

Donnerstagnachmittag, Schauplatz Wien-Donaustadt. Rund 500 Zuschauer erwarten in der Erste Bank Arena sehnsüchtigst den Startschuss in das erste öffentliche Training der Vienna Capitals in der neuen Saison. Am 18. Oktober 2020 durften sie "ihre" Mannschaft zuletzt zum Sieg peitschen, seitdem sind genau 298 Tage vergangen.

Wenige Minuten vor dem für 18:00 Uhr angesetzten Trainingsbeginn wagen sich Torhüter Bernhard Starkbaum und Neuzugang Valentin Ploner unter dem frenetischen Applaus des Publikums als erste Spieler auf das Eis.

Um 17:58 Uhr folgt die restliche Mannschaft und mit ihr der Mann, der die Hauptstädter wieder zum Meistertitel führen soll: Dave Barr. Der 60-jährige Kanadier beerbt Dave Cameron als Head-Coach der Vienna Capitals. Der wanderte nach drei titellosen, aber dennoch erfolgreichen Jahren zurück in die Heimat, wird neuer Chefbetreuer des kanadischen U20-Nationalteams und der Ottawa 67's.

Im Gegenzug kommt ein NHL-erfahrener Trainer nach Wien. Barr reüssierte nicht nur als Spieler in der besten Eishockey-Liga der Welt, sondern auch als Trainer. Zwölf Jahre war er als Assistant Coach bei den verschiedensten Organisationen tätig, soll nun seine geballte Erfahrung in Wien zum Erfolg ummünzen.

Barr: "Das ist schon etwas Besonderes"

Erstmals seit 298 Tagen wieder vereint: Mannschaft und Fans
Foto: © GEPA

In der Heimstätte seines neuen Klubs wird er euphorisch empfangen, spaßt nach dem Training mit den Fans. Auch Barr hat lange nicht mehr auf die Unterstützung von Zusehern zurückgreifen können. 

Die Stimmung beeindruckt ihn: "Das ist schon etwas Besonderes. An einem Donnerstag, um 18:00 Uhr, kommen so viele Fans zu einem Training in die Arena. Es war eine tolle Atmosphäre. Die Spieler konnten zwar hin und wieder meine Anweisungen nicht hören, aber das passt schon."

Gepasst hat auch der erste Eindruck des neuen Chefbetreuers. Direkte Anweisungen wurden ausgegeben. Das Training war, speziell für das erste der Saison, sehr intensiv. Der Spaß kam aber nicht zu kurz, Barr ließ seine Cracks in verschiedensten Übungen im direkten Duell ran. Die Spieler wirkten glücklich, die Fans auch.

(Artikel wird unter dem VIDEO fortgesetzt)

Freude und Spaß am Spiel sind Aspekte, die Barr nach dem Training auch herausstreicht: "Wenn sie mit Freude in die Halle kommen, weil sie wissen, hier werden sie gefordert, dann ist das hilfreich."

Das Gespräch mit Dave Cameron

Zur Seite steht ihm altbewährtes Material: Christian Dolezal agiert weiter als Co-Trainer, dazu kommen Varian Kirst als Torhüter- und Video-Coach sowie Daniel DeBuigne, der als Konditionstrainer tätig ist. Sie sollen Barr helfen, sich schnellstmöglich in Wien einzuleben und sich mit dem Team vertraut zu machen. 

Daran hapert es noch, wie der Kanadier gesteht: "Im Training musste ich meine Assistenten oft fragen: 'Oh, wer ist das?'" Immerhin kam Barr erst wenige Stunden zuvor in Wien an, machte sich daraufhin sofort auf den Weg in die Halle. 

Er kam aber nicht gänzlich ahnungslos in Wien an, holte sich Erfahrungswerte von Ex-Coach Cameron. Mit dem 62-Jährigen sprach Barr, als dessen Rückkehr in die Heimat bekannt wurde. "Es war ein sehr interessantes Gespräch", berichtet Barr. "Er hat über die Capitals und die Fans geschwärmt, auch über die Liga."

Seine Liebe zu Europa

Ich wollte schon zum Ende meiner Spielerkarriere unbedingt nach Europa kommen und hier spielen. Ich war auch schon seit Jahren auf der Suche nach einem Trainer-Job in Europa.

Wie Cameron 2018, kommt auch Barr erstmals nach Europa. Ein langgehegter Traum wird damit wahr. "Ich wollte schon zum Ende meiner Spielerkarriere unbedingt nach Europa kommen und hier spielen. Ich war auch schon seit Jahren auf der Suche nach einem Trainer-Job in Europa", erklärt der 60-Jährige.

Warum? "Ich liebe es, andere Menschen und Kulturen, unterschiedliche Lebensweisen kennenzulernen. Daher bin ich sehr glücklich, dass es jetzt geklappt hat. Wien und die Capitals genießen einen tollen Ruf, das Eishockey-Level ist sehr hoch." Zeit für eine Sightseeing-Tour bleibt genug, anders als in der NHL bleibt mehr Freizeit für die Familie und andere Aktivitäten.

"Ein Tag hat 24 Stunden, davon bin ich aber nur fünf, sechs Stunden in der Halle. Die restliche Freizeit werde ich nützen, um mir die Stadt anzusehen. Ich genieße das, meine Frau ebenfalls. Sie wird mich dabei begleiten", sagt Barr, der zu diesem Zeitpunkt schon weit über 24 Stunden wach ist.

Vor seinem Abflug nach Wien habe er noch sein vier Wochen altes Enkelkind in Toronto besucht, danach ging es direkt nach Österreich. An Schlaf war während des Fluges nicht zu denken: "Ich habe im Flugzeug kein Auge zubekommen, dafür hatte ich zu viele Gedanken. Habe ich alles mit? Was erwartet mich?", scherzt der neue Head Coach.

"Gegen welche Art von Team würdest du lieber spielen?"

Und trotzdem wirkt er fokussiert, voller Tatendrang auf seine neue Aufgabe. Schon bei seiner Präsentation ließ Barr dies anklingen. Er wolle seine Spieler stetig verbessern, "egal ob 17 oder 41 Jahre". Dies streicht er im Gespräch nach dem Training ebenfalls hervor.

"Wenn du 33 Jahre alt und seit zwölf Jahren im Profi-Eishockey bist, du dich aber nicht weiter verbessern willst, dann wirst du das auch nicht. Als ich älter wurde, habe ich bemerkt, dass meine Beinarbeit langsamer und schwächer wurde. Du musst an solchen Dingen immer arbeiten. Ich erwarte, dass jeder Spieler, egal ob 21 oder 33, an seinen individuellen Fähigkeiten arbeitet und diese stetig verbessert."

Hart und intensiv: Ganz nach dem Geschmack von Coach Barr
Foto: © GEPA

Verbessern sich die Spieler, wird auch das Team stärker – ganz simpel. Nur individuelle Fähigkeiten reichen aber keineswegs für die Meisterschaft aus. Es kommt auf das richtige System an, dieses will Barr mitbringen. Dabei hat er eine einfache Lösung parat:

"Gegen welche Art von Team würdest du lieber spielen? Gegen ein Team, welches ständig in deinem Gesicht ist, hart, aber auch mit viel Geschwindigkeit spielt? Oder gegen ein Team, das nicht unbedingt physisch und langsam spielt? Ich weiß, die Antwort ist einfach", meint der ehemalige NHL-Spieler.

Er führt fort: "Ich schaue immer darauf, gegen welches Team man gerne spielen würde und gegen welches man gar nicht antreten will. Ich würde absolut nicht gegen eine Mannschaft spielen wollen, die Geschwindigkeit, Physis mitbringt und gegen Spieler, die um ihr Leben kämpfen. Und genau dieses Team wollen wir werden. Die anderen Teams sollen sagen: 'Die Vienna Capitals? Ich habe genug davon, gegen sie zu spielen.'"

Barr gerät bei Ex-Cap Rafael Rotter ins Schwärmen

Gute Charaktere seien dafür nötig, "solche haben wir auch bei den Vienna Capitals", ist der Coach überzeugt.

Viele gute Charaktere haben die Mannschaft im Sommer verlassen, darunter Gallionsfiguren wie Rafael Rotter. Dabei wäre es beinahe zur Wiedervereinigung der beiden kommen.

Er zählt im Verlauf meiner Trainer-Karriere absolut zu den Spielern, mit denen ich am liebsten zusammengearbeitet habe.

Dave Barr über Rafael Rotter

Barr war zwischen 2003 und 2008 als Head Coach in der Ontario Hockey League für Guelph Storm tätig. Rotter stürmte von 2005 bis 2008 für das kanadische Nachwuchs-Team, führte die Mannschaft in seiner letzten Saison sogar als Captain aufs Eis.

Angesprochen auf den 33-jährigen Wiener, gerät Barr ins Schwärmen: "Rafael Rotter war einer meiner Lieblingsspieler. Er hatte ein großes Herz und es war sehr leicht für mich, ihn herauszufordern und auf Betriebstemperatur zu bekommen. Wenn ich ihn mal kritisiert habe, hat sich das zu Herzen genommen und sofort reagiert. Er zählt im Verlauf meiner Trainer-Karriere absolut zu den Spielern, mit denen ich am liebsten zusammengearbeitet habe."

Angemerkt sei, dass Barr im Laufe seiner Trainer-Karriere NHL-Größen wie Drew Doughty, Steven Stamkos, Joe Sakic oder Joe Thornton coachte. Eine hohe Auszeichung für Rotter, wovon sich aber weder die Vienna Capitals noch der Angreifer selbst etwas kaufen können.

"Wir wollen um die Meisterschaft spielen!"

Dennoch: Die Verbindungen nach Österreich und der heimischen Liga waren schon früh vorhanden. Apropos Liga - das Saisonziel ist klar. "Wir wollen um die Meisterschaft spielen", lässt sich Barr zu einer Kampfansage hinreißen.

Dafür stehe aber noch viel Arbeit an, seine Konzentration liege vorerst auf die nächsten Trainingseinheiten, um auch die Spieler weiter kennenzulernen, "mir ihre Gesichter zu merken."

In rund einem Monat erfolgt auch schon der Startschuss in die neue Saison der ICE Hockey League. Und wer sich nach der turbulenten Offseason der Vienna Capitals Sorgen machte, dem sei gesagt: Dave Barr und Wien – das ist Liebe auf den ersten Blick und könnte sich rasant zum "perfect fit" entwickeln.

Die Herzen der treuen Anhänger hat der charismatische, direkte und zielstrebige Kanadier jedenfalls schon erobert. Trotz einer 2:6-Niederlage im ersten Testspiel gegen Slovan Bratislava.


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