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Muss sich der Biathlon-Sport neu erfinden?

Dem beliebten Wintersport stehen wohl schon bald einschneidende Veränderungen bevor. Grund dafür könnte ein neues EU-Gesetz sein.

Muss sich der Biathlon-Sport neu erfinden? Foto: © getty

Ein pfauchendes Atemgeräusch, ein Klacken und dann: nichts. So könnte es schon bald im Biathlon ablaufen. Es wäre der leiseste große Knall der Sportgeschichte.

In dem beliebten Wintersport, in dem Österreich dank Stars wie Lisa Hauser (u.a. Weltmeisterin 2021) Dominik Landertinger (u.a. Weltmeister 2009) und Christoph Sumann (u.a. Einzelweltcup-Sieger 2009) bereits große Erfolge feiern durfte, geht die Angst um.

Hintergrund ist ein mögliches Verbot seitens der Europäischen Union der im Biathlon standardisiert genutzten Blei-Munition. Schon 2019 kündigte die europäische Chemikalienbehörde "ECHA" an, den Gehalt von Blei in Geschossen beschränken zu wollen.

Damit wolle man die „die Risiken für die menschliche Gesundheit und die Umwelt“ reduzieren, hieß es. Es ist keine Neuigkeit, dass Blei auf Umwelt, Mensch und Tier höchst schädlich wirkt. 

Lasertechnologie als Lösung?

Der Vorschlag der “ECHA” beinhaltet die Prognose, dass man durch ein gänzliches Verbot von Blei in den kommenden 20 Jahren sogar 630.000 Tonnen Blei einsparen könnte, was einen Rückgang von beachtlichen 72 Prozent bedeuten würde. Seither wird in diversen Kammern der EU beraten. Glück für den Biathlon-Sport: Die Debatten in Brüssel ziehen sich in die Länge, da ganze Wirtschaftszweige von der Causa betroffen sind.

Noch ist also Zeit, um Perspektiven für die Zukunft zu schaffen. Frühestens im Dezember, eher jedoch zu Jahresbeginn 2023 sollen erste Ergebnisse der Untersuchungen an die EU-Kommission übermittelt werden.

Der internationale Biathlon-Verband IBU diskutiert ebenso wie EU über mögliche Szenarien für die Zukunft. Eine davon wäre die bereits existierende Laser-Technologie, welche bereits zu Trainingszwecken Anwendung findet. Bei den Fans ist diese ob der fehlenden Geräuschkulisse aber alles andere als beliebt.

Um einen Vergleich mit der Formel 1 zu ziehen: Viele traditionelle Motorsportfans lehnen Elektroserien wie die Formel E ab, da dort der charakteristische Sound, der Benzingeruch sowie jener nach verbranntem Gummi fehlen. Ähnlich verhält es sich in der Biathlon-Community, wo beim Einsatz von Laser-Waffen am Schießstand plötzlich Totenstille herrschen würde.

IBU kämpft um ihren Sport

Eine weitere Möglichkeit bestünde darin, spezielle Auffangbehälter an den Schießständen zu installieren, wie es seitens der EU angeregt wurde. Diese kosten jedoch jede Menge Geld, was dem Breitensport nur schwer zumutbar wäre. "Der Konsultationsentwurf ist fehlerhaft und basiert teilweise auf der falschen Grundlage. Es wurden nur zwei Maßnahmen bewertet, aber es gibt viele andere Methoden zum Auffangen des Bleis", kontert die IBU gegenüber dem norwegischen Staatsfernsehen "NRK".

Deshalb läuft eine Suche nach preiswerteren Alternativen, denn man habe die "Befürchtung, dass die Folgen der Maßnahmen so groß sein werden, dass unsere 163 Vereine diese Einführung innerhalb von fünf Jahren finanziell nicht bewältigen können und daher ihre Aktivitäten reduzieren müssen", schildert etwa der norwegische Verbands-Präsident Christian Gedde-Dahl.

Derzeit setzt der Biathlon-Sport vorwiegend auf das Einsammeln und Recycling der Geschosse. Nur: Die heiß erwünschten Alternativen sind rar, wie IBU-Sportdirektor Daniel Böhm im September beim "Forum Nordic" schilderte: "Aktuell gibt es keine wirtschaftlich erschwinglichen Alternativen, die die gleiche Präzision wie Bleigeschosse bieten."

Als solche werden häufig Wismut und Wolfram genannt, sie sind aber vier- bis fünfmal so teuer. Jedenfalls war dies vor dem Ukraine-Konflikt so, mittlerweile wäre man mit einem solchen Preis noch gut bedient. Kurzum: Auch dies kommt wohl als Alternative nicht infrage.

Kein Kling, kein Klong

Deshalb rückt ein Umschwenken auf die bereits angesprochenen Laserwaffen nun immer mehr in den Fokus. Die Kosten wären hier noch einigermaßen im Rahmen, doch dem Sport würde sein größtes Alleinstellungsmerkmal abhandenkommen. Ein Schießen vor tausenden Fans ohne Schussgeräusch oder dem berühmten "Kling" (Treffer) beziehungsweise "Klong" (Fehlschuss) ist für alle Beteiligten nahezu unvorstellbar.

Weiterer Nachteil: Bei Niederschlag würde der Laserstrahl abgelenkt, ein Einsatz unter Wettkampfbedingungen wäre kaum noch möglich. Auch der Rückstoß würde als herausfordernde Komponenten wegfallen und das Schießen somit deutlich vereinfachen.

Unter den Athleten ruft die Laser-Idee gemischte Reaktionen hervor. Im Biathlon-Mekka Schweden etwa wird darüber bereits heiß diskutiert. Björn Ferry, 2010 Olympiasieger in der Verfolgung, zeigte sich bei "SVT Sports" durchaus als Befürworter der Technologie. "Man muss eine andere Art von Munition finden oder auf Laser umsteigen, und das wird meiner Meinung nach im Biathlon und im Sportschießen mit der Zeit kommen", so der 44-Jährige. Er sprach sich für eine Abkehr von "scharfer Munition" aus. Doch dafür sei der Sport noch gar nicht bereit, gab er zu bedenken.

Droht ein Fan-Exodus?

Anders sieht dies sein Nachfolger Sebastian Samuelsson. Er zeigt sich Laserwaffen gegenüber sehr skeptisch. "Ich bin wahrscheinlich ein bisschen altmodisch, aber ich denke, ein Teil der Faszination für den Biathlon sind echte Waffen, die ein bisschen knallen und vom Wind beeinflusst werden", so der 25-jährige Staffel-Olympiasieger von 2018.

Er wünscht sich möglichst wenig Veränderung: "Wenn wir auf Laser umschalten, macht es weniger Lärm und der Wind spielt plötzlich keine Rolle mehr. Ich finde es gut so, wie es ist."

Eine Entscheidung der EU wird, nach Vorliegen der Ergebnisse, in den kommenden Monaten erwartet. Entschließt man sich in Brüssel tatsächlich für ein generelles Blei-Verbot, steht dem Biathlon-Sport eine ungewollte Revolution bevor. Zumindest eine Einschränkung seitens der EU gilt aber als anzunehmen.

Ein Abwandern von Fans durch den Verlust charakteristischer Merkmale wäre in diesem Fall sehr wahrscheinlich. Derzeit scheint es ganz so, als müsse sich der Biathlon-Sport teilweise neu erfinden.

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