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Die Unvollendete des Novak Djokovic

Ein historischer Zug ist abgefahren. Reicht die Motivation für einen zweiten Anlauf?

Die Unvollendete des Novak Djokovic Foto: © getty

Es sollte für Novak Djokovic der ganz große Triumph-Marsch für die Ewigkeit werden. Geworden ist es die Unvollendete. Das Finale der US Open 2021 gestaltete sich für den 34-jährigen Serben zu einer Kakophonie des Grauens.

Nach seinen Erfolgen in Melbourne, Paris und Wimbledon hätte Djokovic mit dem vierten Grand-Slam-Turnier in diesem Kalenderjahr Tennis-Geschichte scheiben können. Bislang war dies nur Donald Budge (1938) und Rod Laver (1962 und 1969) gelungen. Djokovic hätte sogar der erste Spieler sein können, dem dieses Kunststück auf drei unterschiedlichen Belägen gelungen wäre.

Als entscheidender Störenfried entpuppte sich Daniil Medvedev. Der Russe bewies, dass er nach zwei verlorenen Grand-Slam-Endspielen gegen Rafael Nadal (US Open 2019) und Djokovic (Melbourne 2021) nun endlich reif für seinen ersten großen Titel ist. 

Mit seinem flachen und extrem konstanten Spiel erwies sich Medvedev als genau jener Gegner, den sich Djokovic im "wichtigsten Spiel" seiner Karriere ganz gewiss nicht wünschte. Denn der Druck, als erster Spieler seit 52 Jahren den Grand Slam zu holen und mit dem 21. Major-Titel die Führung in der ewigen Bestenliste zu übernehmen, lastete unmenschlich schwer auf dem sonst mental so starken Serben. Selten zuvor sah man derart viele unerzwungene Fehler von Djokovic. Zu hoch war die Anspannung für ihn, so kurz vor diesem historischen Erfolg. Zu hoch der Druck, den ihm nicht nur die gesamte Tennis-Welt, sondern sich der ehrgeizige Belgrader auch selbst auferlegte.

Medvedev hatte das nötige Rüstzeug

Medvedev hingegen brachte an diesem Abend das nötige Rüstzeug mit, was er für seinen Premieren-Sieg bei einem Major benötigte. Der Russe hatte die Konstanz und das taktisch kluge Spiel, um im Duell zweier Konterspieler nicht selbst ins offene Messer zu laufen und den Druck auf Djokovic während den Ballwechseln noch größer werden zu lassen. Hinzu kam, dass auch der bekannt starke Aufschlag des 1,98 Meter großen Wahl-Monegassen perfekt funktionierte und ihn auch in den wichtigen Situationen nicht im Stich ließ.

Mit seinem Sieg über Djokovic hat Medvedev nun ausgerechnet das geschafft, was eigentlich sein Gegner schaffen wollte: Sich unsterblich zu machen. Er wird nämlich in die Tennis-Geschichte eingehen als jener Spieler, der das historische Meisterstück von Djokovic in allerletzter Sekunde verhinderte. Denn eines ist nach diesem Turnier klar: Die Chance, noch einmal in diese Situation zu kommen, ist selbst für einen Novak Djokovic gering.

Historischer Zug ist abgefahren

Vier Grand-Slam-Titel in einem Jahr zu gewinnen – das wird sich für den serbischen Superstar aller Voraussicht nach nicht mehr ausgehen. Geschichte kann er freilich immer noch schreiben und das schon in Bälde. Schließlich fehlt ihm weiterhin nur mehr ein einziger Sieg, um die alleinige Führung in der ewigen Bestenliste der Grand-Slam-Sieger zu erobern. Derzeit liegt der Serbe mit Federer und Nadal mit je 20 Titeln gemeinsam an der Spitze.

Auch wenn es ein mehr als sympathischer Gedanke wäre, dass das Trio gleichauf im Trophäen-Ranking in die Tennis-Pension gehen würde und alle drei Fan-Lager auch in Zukunft nächtelang über den wahren GOAT (Anm.: Greatest of all time) diskutieren könnten, ist die Chance für Djokovic groß, sich zumindest noch in dieser extrem prestigeträchtigen Statistik abzusetzen.

Federer scheint nach seinen Knie-Operationen im Alter von 40 Jahren kaum mehr die Möglichkeit eines weiteren Grand-Slam-Titels zu bekommen. Selbst in Wimbledon wird es wohl nicht mehr für ihn funktionieren. Der 35-jährige Nadal machte heuer auch nicht mehr den Eindruck, als ob er noch lange dem Ansturm der nachfolgenden Generationen entgegenhalten könnte. Zumindest in Roland Garros wird man freilich immer noch mit ihm rechnen müssen.

Wie verkraftet Djokovic diesen Rückschlag?

Djokovic war zumindest noch vor wenigen Wochen hingegen am Zenit seiner Karriere. Das einzige Fragezeichen zu diesem Zeitpunkt ist, wie der Serbe den Rückschlag in Flushing Meadows verkraften wird. Kann er diese bittere Niederlage im "wichtigsten Match" seiner Karriere einfach so abhaken? Wird er sich im Nachhinein darüber ärgern, dass er bei den Olympischen Spielen teilnahm und in Folge dort auf seinem unglaublichen Erfolgslauf im Jahr 2021 erstmals ins Stolpern geriet? Kann er sich nach dieser Enttäuschung noch einmal motivieren?

Alle diese Fragen muss Djokovic für sich selbst beantworten. Wer die Karriere des Serben bislang verfolgt hat, weiß aber auch, dass er alle Qualitäten mitbringt, auch aus diesem mentalen Tief wieder wie ein Phoenix aus der Asche zu steigen.

Und dann kann er 2022 auch das in die offiziellen Tennis-Geschichtsbücher schreiben, was ihm schon sein Finalbezwinger Daniil Medvedev nach dem Finale bei der Siegerehrung mit auf den Weg gab, nämlich dass er "der beste Tennis-Spieler aller Zeiten" sei.

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