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Jürgen Melzer: " Ich muss mich nicht genieren"

Tennis-Oldie Jürgen Melzer im großen Abschieds-Interview bei LAOLA1:

Jürgen Melzer:

Eine Ära geht in dieser Woche bei den Erste Bank Open zu Ende.

19 Jahre nach seinem Hauptbewerbs-Debüt in der Wiener Stadthalle wird Jürgen Melzer sein letztes ATP-Einzel-Turnier bestreiten.

Mit dem kanadischen Aufschlag-Kanonier Milos Raonic (nicht vor 19 Uhr im LIVE-Ticker) hat sich der 37-jährige Niederösterreicher selbst ein hartes Los gezogen.

Vor dem vielleicht letzten Single seiner Karriere spricht der ehemalige Weltranglisten-Achte und French-Open-Halbfinalist von 2011 im großen LAOLA1-Interview über den bevorstehenden emotionalen Abschied, seine ehrgeizigen Doppel-Pläne, neu gesetzte Prioritäten als Familien-Vater und seine beruflichen Aussichten nach der aktiven Karriere.

LAOLA1: Bist du schon ein bisschen nervös vor dem letzten Einzel-Turnier deiner Karriere?

Jürgen Melzer: Ja und nein. Das Angenehme ist, dass ich nichts zu verlieren habe. Natürlich ist es so, dass man tausend Gedanken im Kopf hat. Die schiebt man aber zur Seite und ich beschäftige mich wohl erst damit, wenn es wirklich vorbei ist. Derzeit versuche ich mich noch, perfekt auf das Turnier vorzubereiten. Wobei das nicht so leicht ist, weil dich eh jeder darauf anspricht.

LAOLA1: Es wird wohl ziemlich emotional werden.

Melzer: Ja, ich glaub schon. Ich hoffe es aber auch. Ich habe mich immer darauf gefreut, in der Wiener Stadthalle leise „Servus“ sagen zu können. Schauen wir mal, wie leise es werden wird. Es werden viele Freunde und die Familie kommen.



LAOLA1: Wie viel Wehmut ist dabei, dass es mit deiner Einzel-Karriere zu Ende geht?

Melzer: Wehmut ist der falsche Ausdruck. Man kann das Rad der Zeit leider nicht zurückdrehen und es war klar, dass dieser Zeitpunkt irgendwann kommen wird. Ich bin froh, dass ich ihn selbst bestimmen kann – das war immer mein Ziel. Ich habe bis zum Alter von 37 Jahren spielen können – da kann ich mich eh glücklich schätzen. Ich kann noch auf einem Niveau spielen, dass ich mich hier nicht genieren muss.

LAOLA1: Du hast heuer in vielen Matches bewiesen, dass du noch mit Top-Spielern mithalten kannst. Wieso hast du dich dazu entschieden, jetzt endgültig den Schlussstrich zu ziehen?

Wenn ich um 8 Uhr in der Früh aus dem Haus gehe und erst um 20 Uhr Abend wieder heimkomme und dann noch zusätzlich 27 Wochen im Jahr unterwegs bin, sehe ich meinen Kleinen nicht aufwachsen – und das wollte ich nie machen.

Melzer über neue Prioritätensetzung

Melzer: Aufgrund meines Rankings müsste ich nächstes Jahr eine komplette Challenger-Saison bestreiten und dürfte aus Regenerationsgründen dann auch keine Doppel mehr bestreiten. Mein Körper würde das einfach nicht mehr aushalten. Ich weiß auch gar nicht, ob ich den Spagat zwischen so viel Training und Regeneration schaffen würde. Zudem hätte ich dann gar keine Zeit für die Familie. Irgendwann ist es gerechtfertigt, dass man die Prioritäten verschiebt. Wenn ich um 8 Uhr in der Früh aus dem Haus gehe und erst um 20 Uhr Abend wieder heimkomme und dann noch zusätzlich 27 Wochen im Jahr unterwegs bin, sehe ich meinen Kleinen nicht aufwachsen – und das wollte ich nie machen. Mit dem Doppel ist das besser vereinbar. Der Trainingsumfang ist da doch geringer.

LAOLA1: Wie schaut deine Doppel-Planung für 2019 aus?

Melzer: Ich will die Saison mit Philipp Oswald bestreiten, mit dem ich in dieser Woche auch in Wien an den Start gehen werde. Wenn wir in dieser Saison noch ganz viele Punkte holen, dann könnten wir die Saison von Anfang an gemeinsam spielen – das wäre der Plan A. Funktioniert das nicht, muss ich bei Challenger-Turnieren beginnen und mich im Ranking nach oben spielen. Dann würde ich - sobald es möglich ist - mit Ossi mitten in der Saison einsteigen. Ich habe zwei Grand-Slam-Turniere gewonnen – und dort will ich auch wieder hin. Nur wegen ATP-250- oder Challenger-Turnieren werde ich sicher nicht spielen. Da ist es gescheiter,  dass ich ganz aufhöre. Ich möchte schon wieder ganz rauf.

LAOLA1: Zudem wird es sich mit Challenger-Turnieren finanziell kaum lohnen.

Melzer: Genau. Ein halbes Jahr muss ich da jetzt einmal reinbeißen. Und dann muss ich eh schauen, wo ich stehe. Wenn ich es nicht mehr nach oben schaffe, dann muss ich auch ganz klar einen Schlussstrich ziehen.

LAOLA1: Du bist seit 20 Jahren auf der Tour und reist dementsprechend viele Wochen im Jahr über den Erdball. Geht dir das noch nicht auf die Nerven?

Melzer: Es ist jetzt natürlich schon sehr hart, von der Familie wegzufliegen. Ich werde sicher keine 30 Doppel-Turniere im Jahr spielen. Ich hoffe, dass sie einige Male mitfahren können. Fabienne (Anm: Melzer ist mit der ehemaligen Spitzen-Schwimmerin Fabienne Nadarajah verheiratet) fängt im April wieder zu arbeiten an – da wird es dann wieder schwieriger werden. Aber solange der Kleine noch nicht in die Schule geht, sollte es mit dem Doppel funktionieren. Ossi hat als Fernziel die Olympischen Spiele 2020 in Tokio im Blickfeld. Schauen wir mal, ob wir das schaffen.

LAOLA1: Dein Sohn Noel ist eineinhalb Jahre alt, ihr habt in Niederösterreich ein Haus gebaut. Nach den vielen Jahren der Reisen um die ganze Welt ist es wahrscheinlich jetzt auch ein schönes Gefühl, langsam Wurzeln zu schlagen, oder?

Melzer: Ja, das Lebensgefühl im Haus ist wirklich super. Den vielen Platz den man jetzt hat… Und auch der Garten ist mit Kind natürlich super wichtig. Noel spielt schon sehr gerne mit Bällen und ist sehr aktiv. Er hat auch schon einen Tennisschläger, den er durch die Gegend schleift und er schaut dem Papa im Fernsehen zu – das freut mich natürlich. Wir sind auf jeden Fall eine sportliche Familie. An seiner Vorhand arbeiten wir aber noch (lächelt).

LAOLA1: Was wäre, wenn dein Sohn einmal den Wunsch äußert, Tennisprofi zu werden?

Melzer: Wenn Kinder das wirklich professionell betreiben wollen, dann soll man das nach Möglichkeit fördern. Man muss ihnen aber klarmachen, dass das kein Honiglecken, sondern harte Arbeit ist. Wenn man sich dafür entscheidet, muss man das auch konsequent machen.

LAOLA1: Hast du aufgrund deiner langen Tennis-Karriere irgendwelche körperlichen Wehwehchen mit in den Alltag genommen?

Melzer: Eigentlich nicht. Meinen Rücken haben sie wirklich wieder gut hinbekommen. Auch mein Ellbogen ist super verheilt. Nur mit der Ferse kämpfe ich im Moment ein bisschen. Die ersten paar Schritte in der Früh brennen ein bisschen. Es ist aber nichts, was mich vom Spielen abhalten würde.

LAOLA1: Du hast in der Vergangenheit schon öfter betont, dass du auch nach deiner aktiven Karriere unbedingt im Tennis bleiben willst. Welche Richtung würde dich da nach heutigem Stand am meisten interessieren?

Melzer: Eher die Trainer-Richtung. Da habe ich am meisten Know-How und kann wahrscheinlich am meisten ausrichten. Wenn sich irgendein anderes interessantes Sportprojekt ergibt, wo ich mein Wissen einbringen kann, mache ich das auch gerne. Ich muss nicht am Tennisplatz sein, aber ich glaube, dass ich mich dort am besten auskenne.

LAOLA1: Sportpolitik würde dich nicht interessieren?

Melzer: Ich schließe das jetzt sicherlich nicht kategorisch aus. Wenn es was Interessantes gibt – warum nicht?

LAOLA1: Wäre auch eine eigene Tennis-Akademie etwas, was dich interessieren würde?

Melzer: Zumindest nicht gleich direkt nach der Karriere. So eine Akademie wäre mit sehr viel Arbeit verbunden. Das heißt jetzt nicht, dass ich nicht arbeiten will, aber das würde rein von der Organisation her schon extrem viel Zeit beanspruchen. Und nach so einer langen Spieler-Karriere braucht man schon ein bisschen eine Verschnaufpause. Es ist schon ein Unterschied, ob man ein oder zwei Spieler betreut oder für eine ganze Akademie verantwortlich ist.

LAOLA1: Seit einigen Monaten ist im Tennis-Verband eine neue Führung am Werk. Läuft es da derzeit in die richtige Richtung bzw. was würdest du dir für die Zukunft im Verband wünschen?

Melzer: Es ist immer schwierig, von außen den Schlauberger zu spielen. Mir persönlich wäre es wichtig, in die Trainer-Ausbildung zu investieren und dass man versucht, die Jungen früh abzuholen.  In der Volksschule kann ich Kinder noch sportlich formen. Aktuell gehen uns viele Kinder verloren, weil wir sie nicht früh genug für den Tennis-Sport begeistern können.

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