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Moritz Thiem: "Dominic hat gesehen, Tennis ist nicht alles“

Manager und Bruder Moritz Thiem spricht im LAOLA1-Interview über Personalentscheidungen und neue Wege von Dominic Thiem:

Moritz Thiem:

Dass Dominic Thiem nach dem verpatzten Start in die Saison keine Konsequenzen gezogen hätte, kann man dem ehemaligen Weltranglisten-Dritten nun wahrlich nicht vorwerfen.

Neuer Trainer, neuer (alter) Konditionstrainer, neuer Physiotherapeut und erstmals überhaupt in seiner Karriere begab sich der 29-jährige Niederösterreicher im Kalenderjahr 2023 in die Hände eines Mentaltrainers.

Die Umstellungen scheinen zu fruchten. In Estoril, Monte Carlo und München gab es neben stärkeren Leistungen vor allem endlich wieder einige Siege zu feiern.

Grund genug, um das Gespräch mit seinem – ebenfalls neuen – Manager Moritz Thiem zu suchen, der erst im Februar offiziell sein Amt antrat, als sich Thiem von der Management-Firma Kosmos trennte.

Im LAOLA1-Interview spricht Moritz Thiem über die Gründe des Aufschwungs, die vielen Personalentscheidungen der letzten Monate und die Chancen seines großen Bruders, auch gegen die "jungen Wilden" reüssieren zu können.

LAOLA1: Seit der Rückkehr nach Europa scheint es endlich wieder aufwärts zu gehen. Es scheint eine gewisse Aufbruchstimmung zu herrschen, oder?

Moritz Thiem: Der Saisonstart war sehr schwierig bis Indian Wells. Da ist es Dominic nicht gut gegangen und er hat selbst gerätselt, was er machen muss, um wieder besser zu werden. In Indian Wells haben wir wieder Duglas Cordero (Anm.: Konditionstrainer) zurückgeholt und dort hat er erstmals wieder mit ihm trainiert. Das war super. Das war etwas Neues, woran er sich aber noch von früher erinnern konnte. Das Konditionstraining hat auf Anhieb funktioniert und dadurch hat er sich körperlich wieder besser gefühlt - fitter und schneller. Dadurch hat er in Indian Wells dann schon besser gespielt.

LAOLA1: Nach der Rückkehr nach Europa hat es dann in Estoril den Trainerwechsel gegeben.

Thiem: Der sich aber schon in den Monaten davor angekündigt hat. Beide Parteien wollten etwas anderes. Nico hat gesagt, dass es wunderschöne vier Jahre waren, aber er auch glaubt, dass eine Veränderung für beide das Beste ist. Dadurch ist der Bennie (Anm.: neuer Trainer Benjamin Ebrahimzadeh) ins Spiel gekommen, mit dem wir jetzt bis Paris einen Test machen.

LAOLA1: Wie kam es zur Zusammenarbeit mit Ebrahimzadeh? Seid ihr schon länger in Kontakt gestanden bzw. wie lange kennt ihr ihn schon?

Thiem: Domi kennt ihn schon seit extrem langer Zeit, sogar noch von der Zeit bei den Jugendturnieren, als Bennie schon als Trainer vor Ort war. In Estoril haben sie sich zufällig getroffen und miteinander gesprochen. Domi haben seine Ansätze sehr gut gefallen und auch seine Ideen. Am Ende der Woche hat sich Dominic dazu entschieden, dass er das probieren will. Da war auch schon klar, dass Estoril das letzte Turnier mit Nico sein wird. Das ziehen wir jetzt einmal bis Paris durch und wenn die Chemie weiter stimmt, dann werden wir auch etwas Längerfristiges machen.

Er hat eine ähnliche Philosophie, wie Domi immer trainiert hat. Er legt viel Wert darauf, dass die Schläge gut, schnell und aggressiv sind.

Moritz Thiem über die Stärken von Neo-Coach Ebrahimzadeh

LAOLA1: Warum habt ihr euch für ihn entschieden?

Thiem: Er hat eine ähnliche Philosophie, wie Domi immer trainiert hat. Er legt viel Wert darauf, dass die Schläge gut, schnell und aggressiv sind. Er setzt einfach auf ein großes Trainingspensum. In München hat er beispielsweise in der ersten Runde vor dem Match eine Stunde trainiert und dann auch noch nach dem Match 1:15 Stunden. Und wirklich anstrengende Übungen. Das macht er jetzt seit zwei Wochen und die Schläge verbessern sich dadurch auch enorm. Ich habe in München die ersten Matches seit Miami gesehen und die Schläge sind nun wieder deutlich heavier, deshalb tut er sich auch wieder leichter. Es ist aber immer noch viel zu tun. Die Schläge sind noch nicht genau dort, wo wir sie haben wollen. Im Training sind sie teilweise perfekt, im Match brauchen sie aber noch zu lang, bis sie greifen.

LAOLA1: Das Hauptaugenmerk wird wohl weiterhin darauf liegen, die Vorhand wieder dorthin zurückzubringen, wo sie vorher war, oder?

Thiem: Genau. Die Vorhand ist in Dominics Spiel einer der wichtigsten Punkte. Da sind wir schon auf einem guten Weg. Er spielt jetzt auch von sich aus selbst immer mehr Vorhandschläge, vor ein paar Monaten hat er die Vorhand teilweise noch mit der Rückhand umlaufen. Jetzt sucht er selbst die Vorhand und traut sich auch beim Return durchzuziehen. Das hängt auch damit zusammen, dass Dominic dem Handgelenk wieder vertraut. Er spielt jetzt auch mit mehr Selbstvertrauen und die Schläge sind sicherer. Du bekommst deine Schläge nur zurück, wenn du extrem viel übst und viel trainierst. Einen anderen Weg gibt es nicht. Und dazu ist er jetzt bereit. Deshalb wird das jetzt auch besser. Ich bin aber kein Freund davon, sofort in Euphorie zu verfallen. Er ist sicher noch nicht wieder der Alte, er hat einen Schritt nach vorne gemacht und jetzt müssen weitere folgen. Die Vorhand muss wieder so werden, wie sie war und vielleicht sogar besser.

LAOLA1: Sollte die Vorhand wieder so klappen wie früher – reicht das überhaupt gegen die "jungen Wilden" wie Alcaraz, Rune oder Sinner?

Thiem: Das ist eine gute Frage. Die Jungen spielen ein unglaubliches Level. Dominic hat erst in Monte Carlo gegen Rune gespielt und ich habe danach auch mit ihm darüber gesprochen. Die steigen extrem früh auf die Bälle drauf und nehmen die Bälle auch extrem früh. Zudem sind sie schnell, groß und servieren auch noch gut. Die haben einfach alles. Ein gutes Spielverständnis, einen guten Touch und einen guten Aufschlag – besser geht’s fast gar nicht. Wenn man aber an das Match von Domi gegen Nadal bei den Australian Open 2020 zurückdenkt oder auch an das Finale gegen Djokovic - das damalige Level war genauso gut. Die Jungen sind aber natürlich komplett unter Feuer, die wollen einfach jedes Match gewinnen. Denen tut beim Aufstehen in der Früh auch noch nichts weh und sie sind komplett fit. Natürlich muss man dann auch gewisse Sachen verbessern. Man muss irgendwie mit deren Spiel klarkommen und sich vielleicht darauf einstellen, dass die eben noch einen Ball mehr erwischen als die Spieler früher. Domi hat aber damals schon einen der besten Schläge gehabt und dieser wäre jetzt wahrscheinlich auch noch immer so gut.

LAOLA1: Neu ist auch, dass Dominic seit ein paar Monaten mit einem Mentaltrainer zusammenarbeitet, was bislang nie ein Thema war. Wie und wann kam es zu diesem Meinungsumschwung?

Thiem: Nach den Australian Open wollte es Dominic mit Mentaltraining ausprobieren und schauen, wie das so ist und ob ihm das hilft. Nach Australien war er in einem ziemlichen Loch und er hat nicht mehr gewusst, was er machen muss, um wieder zurückzukommen. Das Mentaltraining hat ihm auf jeden Fall geholfen. Ich würde aber nicht sagen, dass es ihm tennisspezifisch geholfen hat. Er hat dadurch eher gesehen, dass Tennis nicht alles ist und nicht zu viel davon ins Privatleben reinkommen sollte. Damit das Tennis dann, wenn es wieder zurück auf den Platz geht, voll im Mittelpunkt stehen kann. Das hat er lernen müssen und das hat ihm auch extrem geholfen. Am Tennisplatz wird dir der Mentaltrainer nicht viel helfen, denn da gewinnst du nur, wenn du es selber willst und genug dafür arbeitest. Das muss von dir selber kommen und das kann dir auch keiner mitgeben. Dadurch, dass er Tennis jetzt wie einen Beruf sieht, hat er jetzt einen Weg gefunden. Dadurch geht es ihm auch wieder viel besser.

LAOLA1: Gibt’s einen Grund, warum ihr den Namen des Mentaltrainers noch geheim haltet?

Thiem: Solche Sachen sind privat und das soll auch privat bleiben. Das ist nichts für die Öffentlichkeit, weil da sehr sensible Themen besprochen werden. Wie das Tennis-Training oder der Physio nach dem Match gehört eben auch das einfach dazu. Wir haben zwei, drei, die das mit ihm derzeit machen. Wobei Dominic aktuell keine Sessions macht, weil es ihm derzeit gut geht. Wenn er wieder einen braucht, werden wir aber wieder auf einen zurückgreifen. Der Kontakt ist da und wir werden sicher immer wieder einmal etwas einplanen. Die ganze Geschichte ist relativ entspannt.

LAOLA1: Nach dem schlechten Saisonstart ist in der Öffentlichkeit viel Kritik aufgekommen. Vor allem in den sozialen Medien wurde Dominic teilweise nicht gerade nett behandelt. Wie geht ihr damit um bzw. wie schafft ihr es, das nicht zu nahe an euch heran zu lassen?

Thiem: Es wird einfach viel zu viel aufgepusht. Auf seinen Social-Media-Accounts sind 95 Prozent der Kommentare positiv und unterstützend. Fünf Prozent sind Beleidigungen und unter der Gürtellinie. Aber diese fünf Prozent wird’s immer geben. Das sind meistens Leute, die auf seine Spiele wetten und dann angefressen sind, wenn sie Geld verlieren. Das sind aber auch Leute, die uns nicht interessieren und die wir auch nicht an uns ranlassen dürfen. Das beschäftigt weder mich noch Domi. Es geht eher darum, sich bei den anderen 95 Prozent für die Unterstützung zu bedanken. Denn die ist wichtig und die hat er auch gebraucht. Die negativen Stimmen sind die Kehrseite der sozialen Medien, die aber auch viele positive Seiten haben. Mit dem Einfluss von Dominic kannst du ja auch viel Gutes bewirken.

LAOLA1: Zudem scheint es Dominic ja wahrlich nicht egal zu sein, was auf dem Platz geschieht, sonst würde er ja nicht so viele Personalumstellungen machen, oder?

Das Ganze ist derzeit bei weitem kein Plus-Geschäft. Es ist nicht so, dass er die Millionen kassiert und lustig in der Welt herumreist.

Moritz Thiem über "Abkassierer-Vorwürfe"

Thiem: Natürlich. Die Leute, die da ihre Kommentare drunter schreiben, wissen einfach nicht, wie sich so eine Situation anfühlt. Die haben sportlich noch nie irgendwas gemacht und verurteilen dann andere Personen. Ich kann das nicht nachvollziehen, weil ich mir auch nicht anmaßen würde, über andere Sportler oder Personen herzuziehen, wenn ich vorher selbst noch nie in dieser Situation war. Die Leute wissen nicht, wie alles abläuft und wie sehr man unter Druck steht, weil die das eben noch nie gehabt haben. Ich kann das gut beurteilen, weil ich jeden Tag dabei bin. Und ich wusste auch selbst öfters nicht, ob Dominic noch weitermacht und es noch durchzieht. Es waren sportlich gesehen richtig schwere Zeiten für ihn. Ich habe großen Respekt vor ihm, dass er weitermacht! Er will es jetzt wieder zu 100 Prozent und deshalb glaube ich auch, dass er es wieder schafft. Ich weiß natürlich nicht, ob er es wirklich schafft – denn das weiß keiner. Ich weiß aber, dass er es zu 100 Prozent probiert. Sonst würdest du nicht nach so einer Karriere, wie er sie bis jetzt gehabt hat, dein eigenes Geld investieren. Das Ganze ist derzeit bei weitem kein Plus-Geschäft. Es ist nicht so, dass er die Millionen kassiert und lustig in der Welt herumreist.

LAOLA1: Aufgabe eines Managers ist normalerweise auch, dass sich der Schützling rundum wohl fühlt, damit er seine Top-Leistung bringen kann. Wie wohl fühlt sich Dominic aktuell auf einer Skala von 0-100?

Thiem: Derzeit ist er bei 100 Prozent. Das hat aber auch viel damit zu tun, dass er selber einen Weg gefunden hat, sich wohl zu fühlen. Die Tage laufen so ab, dass er genau weiß, was wann zu tun ist. Der Trainingsplan wird immer einen Tag vorher erstellt. Es ist eine Struktur drin, die für einen Spieler im Alter von Domi – in der Mitte einer Karriere – extrem wichtig ist. Deshalb fühlt er sich auch einfach pudelwohl.

LAOLA1: Neu im Team ist auch Physio Matthias Kapl. Er kam angeblich über Red Bull?

Thiem: Wir haben einen Physio gesucht. Wir haben während der Handgelenksverletzung von Dominic extrem viel Zeit in Thalgau beim APC (Anm.: Red Bull's Athlete Performance Center) verbracht und damals schon viel darüber gesprochen, ob sie uns ein paar Physios empfehlen könnten. Die Liste hatten wir noch und wir haben sie quasi wieder reaktiviert. Matthias ist einer, der mir sofort ins Auge gesprungen ist. Er ist jung, hat eine super Ausbildung und schon viel mit anderen Sportlern zusammengearbeitet. Zudem kommt er vom Klettern und auch dort sind wie beim Tennis die Finger und die Hand extrem wichtig. Wir haben ihn noch in Österreich für ein, zwei Tage zum Training eingeladen und da haben wir sofort gesehen, dass er super motiviert und organisiert ist. Dadurch haben wir uns für ihn entschieden.

LAOLA1: Du kennst deinen Bruder wahrscheinlich so gut wie wenig andere Menschen. Was glaubst du, wo Dominic am Jahressende steht und wie es mit ihm weitergehen wird?

Thiem: Das ist eine schwierige Frage, da kann man kaum eine richtige Antwort geben. Ich glaube, dass er einen Weg gefunden hat, wie er mit dem Tennis wieder glücklich werden kann. Wo er genau stehen wird, traue ich mich aber nicht sagen. Da kann jetzt alles passieren. Ich hoffe, dass er weiter so glücklich bleibt, wie er jetzt ist und dann wird sich sein Weg weisen. Wenn er weiter so hart trainiert und es durchzieht, dann habe ich keinen Zweifel daran, dass er wieder oben dabei ist.

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